Österreich

Eurowings Europe-Flugbegleiterin: "Unglaubliche Zustände und viel zu wenig Personal"

Symbolbild Flugbegleiter von Eurowings Europe - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Nach der Austrian Wings Berichterstattung zum Thema "Arbeitsbedingungen bei Eurowings Europe" meldeten sich zahlreiche Piloten und Flugbegleiter des Unternehmens bei unserer Redaktion - und ausnahmslos alle bestätigten die zuvor auch bereits (anonym) öffentlich geäußerten Kritikpunkte. Wir sprachen jetzt mit einer jungen Frau über ihren (Alb-) Traumjob Flugbegleiter bei Eurowings Europe und darüber, warum sie trotzdem nicht einfach das Handtuch wirft, sondern all ihre Hoffnungen auf den in Kürze zu wählenden Betriebsrat setzt.

Austrian Wings: Danke, dass Sie mit uns sprechen. Eine Ihrer Bedingungen war, dass das Interview anonym erfolgt. Warum?

Flugbegleiterin: Weil ich mit ziemlicher Sicherheit meinen Job verlieren würde, wenn das Management wüsste, dass wir uns getroffen haben.

Austrian Wings: Wie lange fliegen Sie schon für Eurowings Europe?

Flugbegleiterin: Dazu möchte ich mich nicht äußern, weil sonst womöglich Rückschlüsse auf meine Identität möglich wären.

Austrian Wings: Das klingt, als würden die Mitarbeiter seitens der Geschäftsführung massiv unter Druck gesetzt.

Flugbegleiterin: Ja, das ist definitiv so.

Austrian Wings: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Flugbegleiterin: Ja, gleich am Beispiel des anonymen Briefes, der den Medien zugespielt wurde. Während die Firma nach außen hin so gut, als sei nicht einmal gesichert, dass er von Unternehmensmitarbeitern stammt, versucht man intern alles, um die Verfasser ausfindig zu machen. Man hat sogar einige Kollegen unter Generalverdacht gestellt. Damit gibt die Firmenleitung indirekt sogar zu, dass das Schreiben aus dem Unternehmen kommt.

Austrian Wings: Zurück zu diesem Schreiben – Sie können also dessen Authentizität bestätigen und, dass die darin geäußerten Vorwürfe im Wesentlichen zutreffen?

Flugbegleiterin: Ja, das ist der Fall. Es sind ja auch interne Informationen darin enthalten, die ein Außenstehender gar nicht haben kann. Es ist eine Unverschämtheit, dass die Firma nach außen hin, versucht so zu tun, als ob das alles frei erfunden wäre.

Austrian Wings: Stichwort Crewessen. Die Gewerkschaft vida ist der Rechtsauffassung, dass Eurowings Europe gemäß geltender EASA-Richtlinie verpflichtet wäre, nach 8 Stunden Dienstzeit ein warmes Crewessen samt Getränk kostenlos zur Verfügung zu stellen. Das wird aber nicht gemacht.

Flugbegleiterin: Das ist auch mein Infostand, und es ist richtig, dass wir kein Crewessen bekommen. Die Geschäftsführung verweist darauf, dass es ja einen Teller mit Crewobst im Aufenthaltsraum gibt. Einmal in der Woche werden Äpfel, Bananen und manchmal auch Birnen angeliefert. Sie können sich vorstellen, wie vergammelt das Obst manchmal schon ist. Für einen gesamten Dienst stellt mir die Firma also ein Stück Obst zur Verfügung, denn mehr dürfen wir uns nicht nehmen.

Austrian Wings: Wie sieht es mit den Getränken aus? Ein Eurowings-Pressesprecher behauptete gegenüber unserer Redaktion, dass es ausreichend kostenlose Getränke für die Crews gebe.

Flugbegleiterin: Auch das ist definitiv falsch. In unserem Manual (ein Auszug liegt Austrian Wings vor, Anm. d. Red.) ist festgehalten, dass wir eine Flasche Wasser zur Verfügung gestellt bekommen. Alles, was darüber hinaus geht, müssen wir aus eigener Tasche bezahlen.

Austrian Wings: Aber Experten der US-amerikanischen Aerospace Medical Association empfehlen mindestens 230 Milliliter pro Flugstunde zu trinken. Bei einem zehnstündigen Dienst wären das also 2,3 Liter empfohlene Flüssigkeitsaufnahme, und zwar mindestens.

Flugbegleiterin: Das stimmt, aber was sollen wir machen? Wir bekommen trotzdem nur 1,5 Liter und müssen für den Rest bezahlen. Wobei es auch Kollegen gibt, die sich trotzdem mehr Wasser nehmen. Aber wenn es hart auf hart ginge bei einem Arbeitsrechtsstreit, hätten wir wohl schlechte Karten, aufgrund der im Manual festgelegten Grenzmenge von 1,5 Litern.

Austrian Wings: Trotz dieser Arbeitsbedingungen scheint der Job als Flugbegleiter bei Eurowings Europe sehr gefragt zu sein. Das Unternehmen verschickt regelmäßig Presseaussendungen, in denen sinngemäß steht, dass sie sich vor Bewerbern kaum retten können.

Flugbegleiterin: (lacht sarkastisch) Einen größeren Blödsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört. Verzeihen Sie bitte, wenn ich es so direkt sage. Wir finden kaum noch Bewerber, vermutlich weil sich unsere Arbeitsbedingungen in der Branche schon längst herumgesprochen haben. In Wien und Österreich ist aus meiner Sicht definitiv Ende im Gelände. Daher startet ja das Unternehmen mittlerweile Castings in Osteuropa, aber selbst dort kommen meines Wissens nur eine Handvoll Bewerber. Von „Hunderten Interessenten“ kann nach meinem Kenntnisstand nicht die Rede sein (schüttelt energisch den Kopf).

Austrian Wings: Wie sieht es mit den Anforderungen an die Bewerber aus?

Flugbegleiterin: Um überhaupt noch Leute zu bekommen, schraubt man die Anforderungen ständig weiter nach unten. So paradox es klingt: Selbst für den Standort Wien ist Deutsch mittlerweile nicht einmal mehr Voraussetzung. Können Sie sich das vorstellen? Man ist so verzweifelt, dass man faktisch augenscheinlich schon fast jeden nehmen würde. Wir haben schon jetzt Kollegen und Kolleginnen, deren Deutschkenntnisse äußerst mangelhaft sind. Für mich stellt sich auch die Frage, ob das nicht schon die Flugsicherheit gefährdet, da diese Leute ja nicht einmal die Kursinhalte zur Gänze verstehen.

Austrian Wings: Wie ist denn die aktuelle Personalsituation?

Flugbegleiterin: Katastrophal. Wir gehen sprichwörtlich am Zahnfleisch, haben definitiv viel zu wenig Personal. Das ist ja auch der Grund, warum wir ständig an freien Tagen angerufen und massiv unter Druck gesetzt werden, Dienste zu übernehmen.

Austrian Wings: Das Unternehmen würde diese Zustände vermutlich abstreiten.

Flugbegleiterin: Natürlich, offiziell ist alles wunderbar, großartig und Probleme gibt es überhaupt keine, wenn man unserer Geschäftsleitung glaubt. Dabei gab beziehungsweise gibt es immer wieder sogar Verspätungen und/oder Flugstreichungen weil Personal fehlt.

Austrian Wings: Können Sie das mit einem konkreten Beispiel untermauern?

Flugbegleiterin: Nichts leichter als das. Erst vor kurzem musste eine Maschine ohne Passagiere nach Wien zurückfliegen, weil ein Teil der Flugbegleiter sonst zu viele Dienststunden gehabt hätte. Außerdem reicht ein Blick auf die Anzeigetafel am Flughafen um Verspätungen und Ausfälle zu sehen.

Austrian Wings: Sie vermuten auch Absprachen innerhalb des Lufthansa-Konzerns betreffend die Aufteilung von Bewerbern?

Flugbegleiterin: Ja, beweisen lässt sich das natürlich nicht. Aber es ist schon auffällig, dass sich Interessenten, die sich bei der AUA bewerben von dort überhaupt keine Antwort erhalten, dafür aber plötzlich zu einem Casting bei Eurowings Europe eingeladen werden. Dazu muss man wissen, dass sowohl Austrian als auch Eurowings Europe das Recruiting der Flugbegleiter an den externen Dienstleister „Aircrew Service“ ausgelagert haben.

Austrian Wings: Wiederholt haben sich Kollegen von Ihnen dahingehend geäußert, dass sie von Kabinenpersonalchefin Nicole J. massiv unter Druck gesetzt würden, wenn sie sich weigern an freien Tagen zu fliegen oder sich woanders bewerben.

Flugbegleiterin: Beides kann ich bestätigen.

Austrian Wings: Wie läuft die Ausbildung ab?

Flugbegleiterin: Fachlich würde ich sagen, haben wir einen guten Standard, wobei es auch hier Kollegen gibt, die meiner Meinung nach qualitativ am absolut unteren Limit sind, aber trotzdem fliegen, einfach weil es an Personal fehlt. Was jedoch auffällt ist, dass wir im Grundkurs keinerlei Informationen über die gesetzlichen Bestimmungen zu Arbeitszeit- und Ruhezeitregelungen erhalten. Es kann natürlich Zufall sein, aber nicht nur mir drängt sich der Verdacht auf, dass die Mitarbeiter bewusst unwissend und „dumm“ gehalten werden sollen.

Austrian Wings: Können Sie das mit einem Beispiel untermauern?

Flugbegleiterin: Natürlich. Sowohl bei mir selbst als auch bei Kollegen ist es nicht nur einmal vorgekommen, dass sie während eines Dienstes ihre Stunden nachgerechnet haben und Crew Control von sich aus darauf hinweisen mussten, dass sie den nächsten geplanten Flug nicht durchführen können, da sie sonst die maximal zulässige Dienstzeit überschreiten. Crew Control hat das in Abrede gestellt und die Betroffenen abgewimmelt. Erst wenn diese noch einmal nachgerechnet und die Crew Control bestimmt damit konfrontiert haben, hieß es dann: Ja, du hast Recht, das geht sich wirklich nicht mehr aus.

Austrian Wings: Das klingt alles ziemlich wild. Hand aufs Herz: Wird hier nicht doch ein wenig übertrieben, um Mitleid zu erhaschen? Immerhin ist der Wind am Arbeitsmarkt insgesamt rauer geworden, in allen Branchen.

Flugbegleiterin: Überhaupt nicht, wobei ich die Kritiker sogar bis zu einem gewissen Grad verstehen kann. Denn ich sage Ihnen ehrlich: Wenn mir vorher jemand erzählt hätte, wie die Dinge bei uns laufen, hätte ich ihm kein Wort geglaubt und gesagt: Hör auf, erzähl' doch keine Märchen. Aber ich erlebe diesen Wahnsinn jeden Tag aufs Neue, daher muss ich leider bestätigen, dass es tatsächlich so abläuft und wir keinesfalls übertreiben. Niemals hätte ich solche Zustände im Flugbetrieb einer österreichischen Airline für möglich gehalten.

Austrian Wings: Nach Bekanntwerden der Vorwürfe kam in sozialen Medien immer wieder von Außenstehenden die Frage auf, warum man sich dann überhaupt bewirbt. Man wisse schließlich was man für einen Vertrag unterschreibe.

Flugbegleiterin: Das stimmt so nicht ganz. Man erfährt zunächst ja nur das Grundgehalt und dann wird einem teilweise schon beim Auswahlverfahren, auf jeden Fall aber im Kurs, das Blaue vom Himmel versprochen. Durch Zulagen, Bordverkauf, etc … würde man sogar mehr verdienen als die Kollegen der AUA, heißt es. Am Ende bleiben durchschnittlich gerade einmal 1.200 Euro netto übrig, deutlich weniger als uns suggeriert wurde.

Austrian Wings: Wir haben von mehreren Flugbegleitern gehört, dass die Gehaltsabrechnungen öfter nicht stimmen sollen.

Flugbegleiterin: Das kann ich aus eigener Erfahrung absolut bestätigen. Zulagen und Provisionen aus dem Bordverkauf wurden wiederholt nicht korrekt abgerechnet. Ich weiß auch von Kollegen, dass es ihnen genau so ergangen ist. Diejenigen von uns, die sich Kopien der Verkaufsbelege aufheben, können dann bei der Personalverrechnung die Nachzahlung fordern, die anderen bekommen wahrscheinlich nicht einmal mit, dass sie zu wenig Geld überwiesen bekommen haben.

Austrian Wings: Glauben Sie, dahinter steckt System seitens des Unternehmens?

Flugbegleiterin: Das ist schwer zu sagen, und ich möchte auch niemandem etwas unterstellen. Aber wenn man sich ansieht, was bei uns noch alles schief läuft, fällt es mir einfach immer schwerer daran zu glauben, dass dieses Problem wirklich nur auf unfähige Mitarbeiter in der Lohnverrechnung zurückzuführen sein soll.

Austrian Wings: Man könnte doch einfach alles hinschmeißen, wenn die Bedingungen so unerträglich sind.

Flugbegleiterin: In der Theorie ja. Aber das hört sich einfacher an, als es ist. Denn wenn wir innerhalb des ersten Jahres kündigen, müssen wir die Ausbildungskosten aliquot rückerstatten. Der Arbeitsmarkt sieht nicht gerade rosig aus, wir alle haben Rechnungen und eine Wohnung zu bezahlen, manche auch schon Familie mit Kindern. Da kann man nicht so einfach auf gut Glück kündigen. Außerdem: Die Tätigkeit an sich ist für viele von uns wirklich ein Traumjob, wir haben, wenn wir in der Branche arbeiten wollen, aber de facto keine Wahl als uns ausbeuten zu lassen. In Österreich gibt es nur noch ein reines Lufthansa-Monopol mit AUA/Eurowings/NIKI und wie ich vorhin bereits geschildert habe, erhalten AUA-Bewerber mitunter direkt eine Antwort von Eurowings, wo sie natürlich die viel schlechteren Konditionen haben. Dahinter keine Absprachen innerhalb des Lufthansa-Konzerns zu vermuten, fällt schon schwer.

Austrian Wings: Sie und Ihre Kollegen könnten doch längst einen Kollektivvertrag haben. Die Verhandlungen wurden schließlich von der Gewerkschaft vida einseitig abgebrochen. Sind Sie beziehungsweise die Gewerkschaft da nicht auch ein bisschen selbst schuld an der jetzigen Situation?

Flugbegleiterin: (lacht sarkastisch) Diese Version wird von unserer Firma gerne in der Öffentlichkeit verbreitet. Tatsächlich aber hat Eurowings Europe soweit mir bekannt ist, Kollektivvertragsvorschläge auf den Tisch gelegt, die so mies waren, dass sich an unseren katastrophalen Arbeitsbedingungen de facto kaum etwas geändert hätte. Daraufhin hat die Gewerkschaft sinngemäß gesagt, dass sie sich nicht für blöd verkaufen lässt und die Verhandlungen abgebrochen. Wir fordern ja nichts Unverschämtes, wir wollen einfach gutes Geld für gute Arbeit und ein absolut gesetzeskonformes, wertschätzendes Arbeitsumfeld. Die meisten von uns, die ich kenne, wären mit den Verträgen, die die Kollegen bei der deutschen Eurowings haben, vollauf zufrieden. Aber die verweigert man uns ohne Begründung.

Austrian Wings: Die Pressestelle der Eurowings wird nicht müde zu betonen, dass man unternehmensintern Wert auf ein transparentes und wertschätzendes Miteinander lege. Beschwerden könnten jederzeit an die Vorgesetzten herangetragen werden. Die ganzen Vorwürfe seien nicht nachvollziehbar.

Flugbegleiterin: Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn ich diesen Unsinn höre. Es macht mich einfach nur wütend, denn solche Aussagen der Manager und PR-Abteilungen sind ein Schlag ins Gesicht für all jene Kolleginnen und Kollegen, die das Werkl Tag für Tag am Laufen halten. Nur so viel: Transparent, offen und wertschätzend ist in der Firmenkommunikation bei uns rein gar nichts.

Austrian Wings: Wie soll es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Flugbegleiterin: Es muss sich definitiv etwas zum Positiven verändern. Wir setzen hier große Hoffnungen auf den Betriebsrat, der in Kürze gewählt wird. Wenn sich die Situation dann nicht bald verbessert, könnte es aus meiner Sicht eine größere Kündigungswelle geben - und das würde wohl zu massiven Beeinträchtigungen des Flugverkehrs führen.

Austrian Wings: Wir danken für das für das Gespräch und wünschen Ihnen sowie Ihren Kollegen alles Gute!

(red)