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Lebensrettung einen Tag vor Weihnachten: Die wahre Geschichte der "Golf November"

Dieser Zeitungsausschnitt von 1986 berichtet von der dramatischen Rettung - Scan: Archiv Volker Hubrich

In seinem Lied "Golf November" würdigt der bekannte deutsche Liedermacher Reinhard Mey - er feierte am 21. Dezember seinen 75. Geburtstag - den Einsatz einer deutschen Rettungshubschraubercrew am 23. Dezember 1986. Austrian Wings erzählt die wahre Geschichte hinter dem Lied.

Wohl jeder, der das berühmte Lied „Golf November“ von Reinhard Mey gehört hat, musste sich am Ende die Tränen aus dem Gesicht wischen. Immerhin besingt der Künstler – übrigens selbst leidenschaftlicher Flieger – darin die Rettung eines kleinen Jungen der einen Tag vor Weihnachten ins Eis eines Sees eingebrochen ist. 

Eine Hommage an alle Rettungsflieger: Das Lied "Golf November" von Reinhard Mey - Quelle: YouTube

Doch wer im Internet nach der Geschichte hinter dem Lied sucht, wird kaum fündig. Austrian Wings ist es gelungen, den an diesem dramatischen Einsatz beteiligten Luftrettungsassistenten ausfindig zu machen.

„Es war der 23. Dezember 1986“, erinnert sich Volker Hubrich im Gespräch mit unserer Redaktion. Hubrich war damals 28 Jahre alt. „Gegen 15 Uhr ging der viereinhalbjährige Daniel mit seinem Großvater und dem Boxerhund am Steinhuder Meer spazieren. Das Kind und der Vierbeiner brachen im dünnen Eis ein.“ Der Bub versank und verschwand sofort aus dem Blickfeld seines Großvaters.

Umgehend lief eine Rettungskette an. Neben dem leuchtend orange lackierten Rettungshubschrauber Christoph 4, eine bei Dornier in Lizenz gebaute Bell Typ UH-1D Huey des Bundesgrenzschutzes, geflogen von Pilot Dirk Thomsen (damals 37) wurde auch ein zufällig in der Nähe befindlicher Polizeihelikopter, Phönix 96, zum Einsatzort entsendet.

Hubrich: „Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Doch die bodengebundenen Rettungskräfte kamen an die etwa zehn Meter vom Ufer entfernte Einbruchstelle einfach nicht heran.“

Als die Bell UH-1D das Steinhuder Meer errichte, machte der Polizeihubschrauber Platz.

„Wir standen im Schwebeflug über der Einsatzstelle. Wir sahen ein Loch in dem Eis in dem der Boxer paddelte. Er versuchte unentwegt, mit den Pfoten auf das Eis zu kommen, rutschte aber immer wieder ab und tauchte unter. Der Pilot meinte wir sollten doch auf die Kufen des Hubschraubers steigen und den Hund aus dem Wasser retten, er könne es nicht mehr mit ansehen. Wir standen im Schwebeflug über der Eisfläche“, lässt der Retter von einst die Ereignisse Revue passieren, als wären sie sich erst gestern zugetragen.

Die Rettung
Und dann geschah das Weihnachtswunder: „Während wir noch diskutierten, ob wir das wirklich wagen sollten wurde durch den Downwash des Rotors der Schnee vom Eis weggeweht. Rund zehn Meter von der Einbruchstelle entfernt sahen wir etwas Grünes unter dem Eis treiben. Wir schwebten sofort an diese Stelle und unser Bordwart Winfried Braun und ich stiegen auf die Kufen. Der Bordwart versuchte zuerst das Eis mit der Faust zu zerschlagen, dies misslang und endete mit einer blutigen Hand. Egal. Mit dem Schuh gelang dann die Aktion und wir konnten das Kind in den Hubschrauber ziehen.“

Doch damit war der Kampf um das Leben des Jungen noch lange nicht gewonnen. Notarzt Dr. Kasperczyk (mittlerweile verstorben) und Rettungssanitäter Hubrich reanimierten das Kind während des gesamten Fluges in die Medizinische Hochschule Hannover. Sekunden wurden zur Ewigkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bub nur noch eine Körperkerntemperatur von unter 30 Grad Celsius. In der Klinik wurde der junge Patient dann weiter reanimiert und langsam erwärmt. Erst rund zwei Stunden nach der Rettung fing Daniels Herz wieder an zu schlagen.

Der wagemutige und engagierte Einsatz der Retter, der Ärzte und Schwestern im Krankenhaus war schlussendlich von Erfolg gekrönt: Daniel überlebte und konnte die Klinik einige Wochen später ohne bleibende Schäden verlassen. Zurückzuführen ist dieser glückliche Genesungsverlauf wohl auch darauf, dass die Körperfunktionen bei extremer Kälte stark gedrosselt werden. Dadurch wiederum arbeitet auch der Zellstoffwechsel deutlich langsamer und verbraucht entsprechend weniger Sauerstoff, wodurch auch die Hirnzellen nicht so stark geschädigt werden, siehe auch den Fall jenes afghanischen Buben, der im Sommer 2015 in Österreich ertrank und 41 Minuten unter Wasser war.

„Als feststand dass Daniel überleben wird kam die Mutter zu uns auf die Hubschrauberstation und nahm uns dankbar und weinend vor Glück in die Arme. Das war mein bisher schönstes Weihnachtsgeschenk und ich glaube sagen zu können, dass es der gesamten Crew so ging“, resümiert Hubrich, seines Zeichens heute leitender Notfallsanitäter von Christoph 4.

V. l. n. r.: Pilot Dirk Thomsen, Rettungssanitäter Volker Hubrich und Bordwart Winfrid Braun bei einer Ehrung für ihren Einsatz im Hörsaal der Medizinischen Hochschule Hannover; das Symposium wurde von Dr. med. Claus Kant (rechts) moderiert - Foto: Archiv Volker Hubrich

Nicht retten konnten die Helfer Daniels Hund, doch „irgendwie hat das Tier Daniels Leben gerettet“, findet Hubrich: „Wir konnten nur einen retten und die Priorität lag klar auf dem Kind. Doch wären wir nicht so über der Einbruchstelle beim Hund geschwebt, hätten wir den Schnee nicht vom Eis geweht und Daniel wohl nicht rechtzeitig entdeckt.“

Das Lied und der (geplante) Film
Irgendwann habe dann das Management von Reinhard Mey bei der Crew angerufen und wollte Details zum Einsatz wissen. Aufgrund dieses Liedes (für das das Kennzeichen von D-HBZU auf D-HKGN geändert wurde, vermutlich weil sich „Golf November“ besser reimt als „Zulu Uniform“) wurde die Filmemacherin Malona Badelt auf die Geschehnisse aufmerksam und kam in Kontakt mit Volker Hubrich. Sie plant einen Film über das Wunder vom Steinhuder Meer. Das Drehbuch ist bereits fertig, sobald die Finanzierung steht, können die Dreharbeiten beginnen.

Austrian Wings wünscht allen Besatzungen der Luftrettung überall auf der Welt einen friedvollen und vor allen Dingen einsatzfreien Heiligen Abend.

(red)