Reportagen

Vor 105 Jahren verunglückte Flugpionier Franz Seidl

Franz Seidl in Fliegermontur am Steuer - Foto (Repro): Huber / Austrian Wings Media Crew

Reich an Pionieren der Luftfahrt ist Österreich: Igo Etrich, Ernst Mach, Lilly Steinschneider, Božena Lagler oder Karl Illner haben mit ihren Leistungen Aviatikhistorie geschrieben, um nur einige wenige zu nennen. Doch auch zahlreiche andere Flieger der ersten Stunde haben durch ihren Wagemut zur Entwicklung der Luftfahrt maßgeblich beigetragen. Einer von ihnen war Franz Georg Seidl, dessen Todestag sich heute zum 105. Male jährt. Austrian Wings erzählt die Geschichte eines weitgehend vergessenen Pioniers der heimischen Luftfahrt.

Schon in seiner Kindheit fiel dem Autor dieser Zeilen bei Besuchen am Grab der Großeltern auf dem Weg dorthin immer wieder ein imposanter Grabstein auf, den das Bild eines ernst dreinschauenden Mannes mit Schnauzbart schmückte, der am Steuer eines Flugzeuges der frühen Tage saß. Sein Name: Franz Seidl. Ehrfürchtig und neugierig zugleich ging der heutige Journalist stets daran vorbei. Mit den Jahren wurde der Wunsch, die Geschichte hinter diesem Bild zu erfahren, immer größer. Nun als Erwachsener, gut 30 Jahre nachdem der Verfasser das Grab zum ersten Mal gesehen hatte, entschloss er sich zu einer intensiven Recherche - und war selbst überrascht, welch packendes, beeindruckendes und zugleich tragische Schicksal dabei zutage gefördert wurde.

Inschrift auf dem Grabstein - Huber / Austrian Wings Media Crew

Das Licht der Welt erblickte Franz Georg Seidl am 8. November 1879 in Wien. Schon früh begeisterte er sich als Knabe für den Radsport und  absolvierte die "Grazer Trainierschule". Bereits mit 16 Jahren nahm der Wiener erfolgreich an Amateurrennen teil, wenig später erwarb er eine Berufsfahrerlizenz. Ab 1897 fuhr er als Steuermann auf Merhsitzern und war vorwiegend auf der Wiener Rennbahn aktiv.  Einer größeren Öffentlichkeit wurde Seidls Name spätestens dann ein Begriff, als er mit Bruno Büchner ein Tandem-Team bildete. Auch Büchner sollte später Luftfahrtgeschichte schreiben - als er 1914 der erste Pilot war, der einen Postflug in die damalige kaiserliche Kolonie Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, durchführte. Das Duo Büchner-Seidl galt auf der Radrennbahn als unbesiegbar. 1900 trennten sich die Wege der beiden Sportler und Seidl bildete ab diesem Zeitpunkt mit Anton Huber ein neues Tandem-Team.

Franz Georg Seidl bei einem Radrennen - Foto: Archiv / Sport-Album der Rad-Welt 1910, Berlin 1911, S. 45

Doch Seidls Interesse am Radsport ebbte ab. 1903 - dem Jahr als die Gebrüder Wright den offiziell ersten Motorflug der Geschichte unternahmen - widmete sich der technikbegeisterte Wiener dem Automobilsport und bestritt Autorennen, wobei er im Auftrag von Anton Dreher, einem bekannten Brauunternehmer jener Zeit, fuhr. Auch für die gerade im Entstehen befindliche Fortbewegungsart der Luftfahrt begeisterte sich der frühere Radrennfahrer. Nach seinem Eintritt in die "österreichisch-ungarischen Autoplanwerke" erlernte Seidl bei Pilotenlegende Adolf Warchalowski das Fliegerhandwerk. Dieser war der Inhaber des ersten Flugzeugführerdiploms des österreichischen Aero Clubs, umkreiste am 18. August 1910 den Stephansdom zu Ehren des 80. Geburtstages von Kaiser Franz Josef und stellte ein Jahr später sogar einen Weltrekord auf. Franz Seidl selbst erhielt das Flugzeugführer-Diplom Nr. 32 des Österreichischen Aero Clubs, ausgestellt am 24. Oktober 1911.

Mit einer anderen aviatischen Größe dieser Zeit hatte Seidl gleichfalls Kontakt: Gemeinsam mit dem Piloten und Konstrukteur Josef Sablatnig flog er als Passagier von Wien nach Wiener Neustadt, wobei die Maschine in Brand geriet und beide Männer Verbrennungen erlitten. Nur mit Glück überlebten sie diesen Flug.

In weiterer Folge nahm Franz Seidl eine Anstellung als Werkspilot bei Karl Illner auf dem historischen Flugfeld Aspern an. Der im nordböhmischen Schatzlar geborene Illner war einst Mechaniker und Pilot bei einem anderen Pionier: Igo Etrich, dem Erfinder der berühmten Etrich Taube. Der begnadete Flieger Illner gewann als Pilot zahlreiche Wettbewerbe und Preise. 1912 etwa flog er den Höhenweltrekord. Später war Illner Fluglehrer, Feldpilot und Ausbilder (während des ersten Weltkriegs Leiter einer Fliegerschule in Fischamend), schließlich Direktor der Flugzeugwerke Weiser & Sohn. Er trug zur Hebung des österreichischen Flugwesens entscheidend bei, heißt es seitens der Stadt Wien. Das Verbot des Flugzeugbaus aufgrund des Friedensvertrags von Saint-Germain hinderte ihn an seiner weiteren Berufsausübung; er starb in Armut im Krankenhaus Lainz und wurde auf dem Grinzinger Friedhof begraben. 

Tod in Aspern
Auch wenn Seidl nie den Ruhm Illners oder Etrichs erreichen konnte, so galt er doch als erfahrener Flieger, der als Fluglehrer sein Wissen und Können als Fluglehrer an angehende Piloten weitergab . Am 11. Juni 1913 sollte in Aspern eines der großen "Flugmeetings" stattfinden. Bereits am Tag zuvor waren zahlreiche Teilnehmer angereist und führten Probeflüge durch. Seidl wollte ebenfalls an der Flugschau teilnehmen und startete am frühen Abend des 10. Juni 1913 in Wiener Neustadt, um nach Aspern zu fliegen.

Gegen 19:15, so geht es aus zeitgenössischen Medienberichten hervor, näherte sich Seidl mit einer von einem 120PS starken Austro Daimler angetriebenen Etrich Taube dem Flugfeld. Laut Augenzeugenberichten überflog der Aviatiker den Flugplatz und leitete dann in etwa 100 Metern Höhe eine enge Kurve ein, in der das Fluggerät plötzlich "hart schwankte" und schließlich auf dem Boden aufschlug. Möglicherweise war es durch ein Unterschreiten der Mindestgeschwindigkeit zu einem Strömungsabriss gekommen, aus dem Seidl die Etrich Taube aufgrund der geringen Flughöhe nicht mehr abfangen konnte.

Replik einer Etrich-Taube im Flug - Foto: Noop1958 via Wiki Commons

Der Absturz wurde von zahlreichen Pilotenkollegen und Schaulustigen beobachtet. Binnen kürzester Zeit waren zahlreiche Helfer an der Unglücksstelle, doch für den begeisterten Techniker gab es keine Rettung mehr. Wie aus historischen Unterlagen hervorgeht, hatte er sich beim Crash eine Schädelfraktur sowie mehrere Rippenfrakturen, die durch Penetration der Lunge zu inneren Blutungen führten, zugezogen. Seidl starb auf dem Weg ins Spital und wurde im bis heute erhaltenen Familiengrab auf dem Friedhof Inzersdorf beigesetzt. Er wurde nur 33 Jahre alt. Franz Georg Seidl gilt als das vierte Todesopfer der Luftfahrt in Österreich.

Das Grab des verunglückten Fliegers auf dem Friedhof Inzersdorf, einem der schönsten Friedhöfe Wiens - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Text: HP