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Deutsche Fluglotsen wehren sich gegen Vorwürfe

Symbolbild Flugsicherung - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Die Gewerkschaft der Fluglotsen nimmt Stellung zu den Medienberichten der vergangenen Wochen. Wir veröffentlichen den offenen Brief der GdF im Originalwortlaut. In einer anonymen E-Mail an die Austrian Wings Redaktion erklärte eine Person, die sich selbst als österreichischer Fluglotse bezeichnet, dass sich die unten dargestellte Situation auch "eins zu eins" auf Österreich umlegen lasse.

Das Morgenmagazin von ARD und ZDF berichtete zuletzt am vergangenen Freitag, dass allein am Flughafen Köln/Bonn im ersten Halbjahr mehr als 500 Flüge annulliert wurden. Dies entspricht einer Steigerung von fast 50% gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Bei der Suche nach Gründen wird dann nur oberflächlich und lapidar von Fluglotsenstreiks, Kapazitätsengpässen oder Fluglotsenmangel bei der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) gesprochen. Eine tiefergehende Ursachenforschung findet nicht statt. Diese unreflektierte Diskreditierung unserer Mitglieder und Kollegen können wir als Gewerkschaft der Flugsicherung e. V. (GdF) nicht so stehen lassen. Es ist nicht zu akzeptieren, dass unsere Mitglieder für Managementfehler der Flugsicherungen, kurzsichtige Lobbypolitik der Airlines sowie Irrwege der regulierungswütigen Europäischen Kommission an den Pranger gestellt werden.

Argument „Fluglotsenstreiks“: Hier positioniert sich die GdF eindeutig und erklärt mit Nachdruck: Die Fluglotsen der DFS haben schon seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Streik in Deutschland geführt. Sicherlich finden in Nachbarländern, hier vor allem im Mittelmeerraum häufiger Arbeitsniederlegungen europäischer Kollegen statt, jedoch keinesfalls in Art und Umfang so ausgeprägt, dass hier der Hauptverursacher für die Verspätungssituation zu finden wäre.

Argument „Kapazitätsengpässe“: Diese gibt es unbestritten. Der Luftverkehr, der in den letzten Jahren bereits angestiegen ist, erreicht mancherorts ein so starkes Wachstum, dass es unvermeidlich und kurzfristig nicht abänderbar zu diesen Engpässen kommen muss. Wenn sich an Deutschlands verkehrsreichstem Flughafen in Frankfurt/Main plötzlich ein Verkehrszuwachs von knapp 10% entwickelt, dann ist dies so ohne weiteres nicht zu bewältigen.

Argument „Fluglotsenmangel“: Auch diesen gibt es; nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Und hier nähern wir uns dem Hauptproblem. So hat es die DFS in den letzten Jahren in fahrlässiger Weise versäumt, rechtzeitig die Ausbildungskapazität wieder zu steigern, obwohl wir als GdF immer wieder auf das sich anbahnende Personalproblem hingewiesen haben. Seitens der DFS-Geschäftsführung wurde darauf verwiesen, dass die „momentane Verkehrssteigerung“ eine Art Eintagsfliege sei und sich bereits im folgenden Jahr nicht weiter fortsetzen würde. Man habe die Personalzahlen im Griff, der Begriff „Trichterlösung“ wurde geprägt, eine Erfolgsmeldung hierzu blieb bislang jedoch aus. Als Argument für die konservative Herangehensweise wurde genannt, dass man nicht „unnötige“ und teure personelle Überkapazitäten schaffen wolle. Eine Sichtweise die nicht nur bei den Funktionären der GdF, sondern bei fast allen DFS-Mitarbeitern für ungläubiges Kopfschütteln gesorgt hatte, benötigt doch ein Fluglotse von der Anwerbung bis zum eigenständigen Arbeiten eine Ausbildungszeit von mehr als 3 bis hin zu 5 Jahren, je nach Einsatzort. Bestimmend war stets das Gefühl, den Verantwortlichen gehe es nur um die Bilanz zum Jahresende, die -koste es was es wolle- zum festgelegten Sparziel passen musste.

Und hier kommen wir zum „Treiber“ der Schieflage, dem Faktor, der mithin eine wesentliche, wenn nicht gar die zentrale Rolle an der Misere (und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europaweit) spielt:
Vor allem der Chef der irischen Fluggesellschaft Ryanair, Michael O´Leary, stellt sich fast täglich den Medien und versäumt es nicht, die Schuld an den Flugausfällen und Verspätungen immer und immer wieder den europäischen Flugsicherungsunternehmen zuzuschieben. Beinahe gebetsmühlenartig verweist er auf die dort (für ihn nicht akzeptable) Personalknappheit und die daraus resultierenden Folgen für seine Flotte. Er agiert allerdings nicht nur für sich, sondern auch für den einen oder anderen Interessen- und Lobbyverband, wie zum Beispiel „Airlines for Europe“ (A4E), in der Ryanair trotz sonst heftiger Rivalität mit der Deutschen Lufthansa organisiert ist. Zwei Fluggesellschaften, die sich bekanntermaßen alles andere als wohlgesonnen sind, aber in dieser Situation sehr gerne vereint nach außen austeilen.

Es ist für uns unfassbar, dass genau diese Herren, die in den vergangenen Jahren die Flugsicherungsunternehmen aus der anderen Richtung attackiert haben, indem sie sich durch „engagierte“ Lobbyarbeit beim EU-Verkehrskommissar vehement für die Regulierungsperioden eingesetzt und den Flugsicherungen ein deutliches Absenken der Flugsicherungsgebühr abgenötigt haben, nun den Marktschreier geben und nach Kapazität schreien. Die Flugsicherungen in Europa konnten die ihnen auferlegten und wirtschaftlich kaum nach zu vollziehenden Zwänge aus Brüssel nur unter Personaleinsparungen und dem Verschieben von wichtigen technischen Erneuerungen leisten. Es gibt in der personalintensiven Flugsicherung kaum andere Mittel. Die Folge? Der jetzige Status quo. Man kann nun mal nicht alles haben: Billiger fliegen, aber gleichzeitig einen besseren Service durch noch mehr Mitarbeiter und mehr Kapazität durch neue Flugsicherungssysteme erwarten. So gesehen ernten Herr O´Leary und all seine CEO-Kollegen derzeit genau das, was sie in den letzten 5-8 Jahren gesät haben. Anstatt den Fluglotsen die Schuld in die Schuhe zu schieben, wäre ein Blick in den Spiegel angebracht.

Ebenso inakzeptabel ist für die GdF die mittlerweile bekanntgewordene Praxis verschiedener Fluggesellschaften ihr Check-in-Personal oder die Kabinenmitarbeiter anzuweisen, Verspätungen gegenüber den Passagieren mit „Wetter“ oder „Fluglotsenstreik“ zu erklären. Zufälligerweise zwei Argumente, die keine finanzielle Entschädigung der Passagiere nach sich ziehen würden und von den eigenen Versäumnissen ablenken. Denn uns vorliegende Statistiken belegen ganz klar, dass der Großteil der heutzutage auftretenden Verspätungsminuten nicht in der Verantwortung der Flugsicherungsorganisationen liegt, sondern bei den Airlines und deren Betriebsabläufen. So zeigt es sich, dass vor allem Ryanair als auch Eurowings sich mit der Übernahme von Strecken der im vergangenen Jahr in Konkurs gegangenen Air Berlin offenbar schlichtweg übernommen oder die Situation falsch eingeschätzt haben. Die Folgen tragen auch hier die Passagiere (siehe Flugausfälle in Köln/Bonn) und als Schuldige hat man idealerweise die Flugsicherung und ihre Fluglotsen ausgemacht. Abschließend möchten wir noch auf folgendes hinweisen: Die Talsohle der augenblicklichen Misere ist noch nicht erreicht und aufgrund der oben erwähnten Punkte auch keinesfalls schnell behebbar.

(red / GdF)