Punktlandung

Ju Air Absturz: Ein mögliches Szenario

Die Unglücksmaschine - Foto: Andy Herzog

Während Ermittler an der Unfallstelle erste Spuren sichern, gibt es einige Indizien auf den möglichen Unfallhergang - gestützt auf Zeugenaussagen, die Lage des Wracks und den Wetterbericht.

20 Tote forderte - wie berichtet - am Samstag der Absturz der Junkers Ju 52/3m der Schweizer Fluggesellschaft Ju Air. Am Steuer der Maschine saßen die erfahrenen Flugkapitäne Ruedi J. und Peter M., die beide seit mehr als 30 Jahren im Zivil- und Militärbereich flogen und die Schweizer Alpen sprichwörtlich wie ihre Westentasche kannten. J. hatte etwas weniger als 1.000 Stunden Flugerfahrung auf der Tante Ju gesammelt, sein Kollege Peter M. etwa 300, womit sie auch auf diesem Muster als erfahren galten.

Der Start in Locarno erfolgte laut Ju Air um 16:10 Uhr, anschließend nahm die Maschine Kurs auf Dübendorf. Etwa 10 Minuten vor der geplanten Landung stürzte die dreimotorige Tante Ju senkrecht ab, der Crash wurde von mehreren Augenzeugen beobachtet, die die Einsatzkräfte verständigten. Augenzeugen sprechen davon, dass die Maschine kurz vor dem Absturz eine 180 Grad Kurve geflogen, dann abgekippt und senkrecht abgestürzt sei. Die SUST wollte die Inhalte der Augenzeugenberichte vorerst nicht kommentieren.

Die von der Untersuchungskommission festgestellte und bekannt gegebene Endlage des Wracks deckt sich mit den noch unbestätigten Beobachtungen allerdings. Auch die erwähnte 180-Grad-Kurve erscheint durchaus logisch, denn laut verfügbaren Wetterdaten lag auf der geplanten Flugstrecke dichte Bewölkung, auch Gewitter zogen auf, wie der Meteorologe und Journalist Jörg Kachelmann in einem Beitrag für den Tagesanzeiger zusammengefasst hat.

Unter normalen Umständen wäre eine solche Umkehrkurve kein Problem, doch die Umstände an diesem Tag waren eben nicht normal. Die Ju 52 mit ihren gedrosselten BMW-Sternmotoren gilt nach heutigen Kriterien als leistungsschwach im Verhältnis zu ihrem Startgewicht.

Trotzdem ist die Fliegerei im Gebirge unter Einhaltung gewisser Regeln sicher zu bewerkstelligen. Doch hochsommerliche Temperaturen in der Schweiz - angeblich die heißesten seit mehreren Jahren -, kombiniert mit einer Flughöhe zwischen 2.500 und 3.000 Metern führten einerseits dazu, dass die Motoren der Maschine deutlich weniger Leistung zur Verfügung können stellen als üblich und andererseits erhöhte sich durch die zuvor genannten Faktoren auch die Überziehgeschwindigkeit im Horizontalflug.

Das ist jene kritische Geschwindigkeit, bei der die Luftströmung an den Tragflächen abreißt und eine Maschine nicht mehr flugfähig ist. Sie ist unter anderem abhängig vom Gewicht des Flugzeugs, der Luftdichte und weiteren geometrischen Faktoren. Bei Schräglage, also im Kurvenflug, erhöht sich die Überziehgeschwindigkeit weiter, bei 30 Grad Schräglage (in der Fachsprache auch Bank genannt) um 8 Prozent.

Übrigens verunglückte am gleichen Tag bei ähnlichen Wetterbedingungen eine weitere Maschine in den Schweizer Alpen, vier Menschen – darunter zwei Kinder – kamen dabei ums Leben.

Die HB-HOT war am 4. August mit 17 Passagieren und drei Crewmitgliedern voll besetzt. Auch wenn es, zugegebenermaßen, nur eine Theorie ist: Gut möglich also, dass die Crew bei ihrer von Zeugen beobachteten Umkehrkurve zur Vermeidung der Wolken und Gewitter die Maschine überzogen hat, unter Umständen auch begünstigt durch starke Turbulenzen (siehe die weiter oben verlinkte Wetteranalyse von Jörg Kachelmann), wodurch die Ju innerhalb von Sekundenbruchteilen über die Tragfläche "abschmierte". Aufgrund der geringen Höhe über Grund gab es ab diesem Zeitpunkt keine Rettung mehr für Flugzeug und Insassen.

Die Tante Ju wird in der Literatur und diversen Internetbeiträgen immer wieder als "gutmütig" beschrieben, ist aber wie viele Flugzeuge im Grenzbereich empfindlich, wenn unzureichend Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Der von Hugo Junkers konstruierte, sogenannte Doppelflügel vermittelt der Ju über weite Geschwindigkeitsbereiche ihre Gutmütigkeit - daher auch die guten Langsamflugeigenschaften. Aber die physikalischen Grenzen kann auch der Doppelflügel nicht umgehen, und wenn dann extreme Faktoren wie eine große Dichtehöhe und weitere ungünstige Wetterkomponenten einwirken, entsteht eine ganze Kette von ungünstigen Faktoren, die mit Sicherheit von den Fachleuten der SUST richtig interpretiert werden.

Auch wenn Vieles auf einen Strömungsabriss als Ursache des Absturzes hindeutet: Schlussendlich ist es Aufgabe der Behörden und des Betreibers emotionslos den Ursachen dieses Unfalles auf den Grund zu gehen. Da weder ein Flugschreiber noch ein Cockpit Voice Recorder installiert waren, werden die Ermittler ihre Untersuchungen ausschließlich aufgrund des Zustandes des Wracks durchführen können. Hilfreich könnten allerdings auch jene Foto- und Videoaufnahmen sein, die von den Passagieren während solcher Flüge üblicherweise gemacht werden – sofern sie aus den zerstörten Kameras und Smartphones ausgelesen werden können.

Text: HP

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.