Österreich

Interview: Air Chief Karl Gruber über Ramstein und die Sicherheit bei Airshows

Air Chief Generalmajor Karl Gruber - Foto: Patricia Langreiter

Gemeinsam mit Freunden besuchte der heutige Kommandant der österreichischen Luftstreitkräfte, Generalmajor Karl Gruber, vor 30 Jahren den Flugtag in Ramstein. Mit Austrian Wings sprach der ausgebildete Militärpilot über seine Erlebnisse an diesem Tag und darüber, wie sie sich der tragische Unfall auf das Sicherheitskonzept der Airpower in Zeltweg ausgewirkt hat.

AW: Herr Generalmajor, wie kam es überhaupt, dass Sie damals in Ramstein waren?

KG: Als Flieger haben mich Airshows schon immer interessiert. Gemeinsam mit drei Freunden, die ebenfalls beim Bundesheer gedient haben, bin ich deshalb nach Deutschland gefahren.

AW: Wie haben Sie die Airshow erlebt?

KG: Wir waren ja zwei Tage lang in Ramstein, am 27. und am 28. August. Am ersten Tag fanden die Generalproben statt, die haben wir uns von einer nahegelegenen Burg aus angesehen, von der aus man einen guten Blick auf das Geschehen hatte.

AW: Und am Sonntag?

KG: Beim offiziellen Flugtag waren wir auf der Air Base direkt. Zunächst haben wir natürlich das Static Display bewundert. Dort waren Maschinen ausgestellt, die man als Österreicher sonst nirgendwo zu sehen bekam und die heute teilweise gar nicht mehr fliegen.

"Wir standen genau dort, wo das Flugzeug von Ivo Nutarelli ins Publikum gestürzt ist."
Air Chief Karl Gruber

AW: Und gegen Mittag ging dann das Flugprogramm los?

KG: Richtig. Viele Leute, vor allem die „Hardcore-Airshowbesucher“, wollten natürlich ganz vorne stehen. Folglich musste man sich, um einen guten Platz zu bekommen, rechtzeitig auf den Weg dorthin machen. Meine Freunde waren so genannte Planespotter, also haben wir uns unmittelbar an die Absperrung in direkter Verlängerung der Display Line gestellt.

AW: Das war also genau dort, wo später Pony 10 in die Menschenmenge gestürzt ist. Wie sind Sie und Ihre Freunde dem Inferno eigentlich entkommen?

Die Solomaschine schlug unmittelbar vor dem Publikum auf und schlitterte dann explodierend in die Zuschauermenge - Foto: Marc Heesters

KG: Nennen Sie es Eingebung, göttliche Fügung oder einfach nur Glück. Da wir die Frecce Tricolori, die ja den Abschluss des Flight Display bildeten, bereits am Vortag gesehen hatten, wollte ich zurück zum Auto. Als Fahrer habe ich zu meinen Freunden gesagt, dass ich nicht im Stau stehen möchte und wir daher jetzt zum Auto gehen. Die haben als Fotografen zunächst noch heftig protestiert, aber ich hatte nun mal den Fahrzeugschlüssel, und so mussten sie wohl über übel mitgehen.

AW: Wie ging es dann weiter?

KG: Wir waren gerade beim Wagen angekommen, als es plötzlich einen dumpfen Knall am Himmel gab und die drei Maschinen abstürzten. Wir drehten uns um und sahen Feuer sowie eine riesige schwarze Kerosin-Rauchwolke. Die Rettungsmaßnahmen, so wie ich sie erlebt habe, waren chaotisch. Die US-Militärs haben die Schwerstverbrannten einfach auf "Pick ups" geladen und dann völlig unversorgt in die umliegenden Krankenhäuser gefahren. Dabei sind sie direkt an uns vorbei. Der Anblick und der Geruch des verbrannten Menschenfleisches waren schrecklich. Das werde ich nie vergessen.

AW: Wann durften Sie die Basis dann verlassen?

KG: Die Polizei und das Militär hatten alle Zu- und Abfahrten gesperrt, um sie für die Einsatzkräfte freizuhalten. Alle Besucher saßen damit stundenlang auf der Air Base fest, und Sie müssen sich vorstellen, dass das im "Vorhandy-Zeitalter" war. Sprich, die Freunde und Angehörigen der Flugtag-Besucher hörten in den Radio- und Fernsehnachrichten vom Unglück und konnten die Airshow-Besucher nicht erreichen – und umgekehrt. Meine Freunde und ich sind erst Stunden später wieder zurück in unser Quartier gekommen.

AW: Zu diesem Zeitpunkt wussten Sie aber noch nicht, wie knapp Sie dem Tod entronnen waren?

KG: Nein, denn von dort, wo unser Auto stand, konnte man nicht genau erkennen, wo die drei Flugzeuge abgestürzt waren. Erst am nächsten Tag haben wir die Videoaufnahmen vom Zusammenstoß und dem eigentlichen Absturz gesehen. Da ist uns dann etwas anders geworden; denn wenn ich meinen Freunden gegenüber nicht darauf bestanden hätte, dass wir zum Auto zurückgehen, würden Sie und ich heute dieses Interview nicht führen. Wir sind zuvor wirklich stundenlang genau dort gestanden, wo Nutarellis Maschine dann um 15:44 Uhr brennend in das Publikum gestürzt ist.

AW: Wie haben Sie das Erlebte verarbeitet?

KG: Dadurch, dass wir nicht unmittelbar in der Absturzzone waren, sind wir körperlich zum Glück unverletzt geblieben. Auch psychisch, so glaube ich sagen zu können, haben wir es gut verkraftet. Unser Quartett saß allerdings bei so manchem Jahrestag nachdenklich bei einem Bier zusammen und hat über das Erlebte sinniert.

AW: Viele Jahre später haben Sie als Offizier des Bundesheeres die Airpower in Zeltweg organisiert. Inwieweit hat das Flugtagunglück von Ramstein für Sie dabei eine Rolle gespielt?

KG: Ramstein war immer präsent und das Paradebeispiel schlechthin dafür, wie man es nicht machen darf.

Flugveranstaltungen - wie hier die Airpower 2013 - sind für die Einsatzkräfte immer eine besondere Herausforderung - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

AW: Können Sie das bitte präzisieren?

KG: Beim Flugtag in Ramstein flogen Flugzeuge kreuz und quer direkt über das Publikum. Auch das schlussendlich tödliche Manöver der Frecce Tricolori wurde direkt in Richtung der Menschen geflogen, was zur Katastrophe geführt hat. Die Verantwortlichen hatten die Gefahr damals offenbar unterschätzt.

"Bei der Airpower gibt es allerhöchste Sicherheitsstandards, eben weil wir aus Ramstein gelernt haben."
Air Chief Karl Gruber

AW: Was genau hat das für die von Ihnen organisierte Airpower bedeutet?

KG: Bei der Airpower sind Flüge über das Publikum grundsätzlich strengstens verboten. Sämtliche Manöver werden mit einem großen Sicherheitsabstand parallel zum Zuschauerbereich beziehungsweise in die entgegensetzte Richtung durchgeführt. Natürlich gibt es keine 100-prozentige Sicherheit, aber im Fall der Fälle würde eine Maschine zumindest nicht in die Besucher stürzen.

AW: Gibt es noch weitere Maßnahmen?

KG: Selbstverständlich. Wir verfolgen eine Null-Toleranz-Politik beim Verhalten den Piloten. Jeder Verstoß gegen die klar definierten und beim Pilotenbriefing jedem Luftfahrzeugführer zur Kenntnis gebrachten Regeln hat unmittelbare Konsequenzen. Eine leichte Abweichung führt zu einer so genannten gelben Karte, wie beim Fußball, und zu einem Gespräch. Verstößt ein Luftfahrzeugführer grob gegen die Sicherheitsregeln, erhält er die rote Karte und wird sofort von der Veranstaltung ausgeschlossen.

AW: War das schon einmal erforderlich?

KG: Bedauerlicherweise ja. Es geht um die Sicherheit der Menschen, die die Airpower besuchen und dem Bundesheer als Veranstalter vertrauen. Da können und dürfen wir nicht die geringsten Kompromisse eingehen. Safety ist für mich nicht verhandelbar. Einige Piloten erhielten die gelbe Karte, in Einzelfällen gab es auch schon die rote. Generell muss aber gesagt werden, dass die Militärpiloten die diszipliniertesten sind. Schließlich weiß jeder Display-Pilot ganz genau, was damals in Ramstein passiert ist. Die Probleme gab es eher mit zivilen Teilnehmern, die mit historischen Fluggeräten unterwegs waren.

AW: Herr Generalmajor, Sie haben es zu Beginn dieses Interviews bereits selbst angesprochen und auch deutsche Stellen haben es später offiziell bestätigt: Die notfallmedizinische Versorgung in Ramstein nach dem Unfall war eine Katastrophe. Wie sind Sie in Zeltweg auf den hoffentlich niemals eintretenden Fall der Fälle vorbereitet?

KG: Danke für diese Frage. Obwohl ein Absturz ins Publikum in Zeltweg aufgrund des erwähnten Sicherheitskonzeptes nach menschlichem Ermessen eigentlich ausgeschlossen sein sollte, sind wir natürlich trotzdem auf so einen Fall vorbereitet.

AW: Was heißt das genau?

KG: Wir haben verschiedene Notfallszenarien mit bestimmten Zahlen an Toten und Verletzten durchexerziert und darauf basierend die Zahl der benötigten Einsatzkräfte errechnet. Wir haben Dutzende zivile und militärische Rettungsfahrzeuge an verschiedenen Standorten auf dem Gelände. Rund 100 Notärzte beziehungsweise Notfallsanitäter des Bundesheeres und des Roten Kreuzes sind ebenfalls vor Ort. Zivile und militärische Feuerwehreinheiten stehen außerdem ebenfalls in ausreichender Zahl bereit. Dazu kommt, dass viele Florianis zusätzlich eine Sanitätsausbildung haben. Darüber hinaus ist der öffentliche Rettungsdienst während der Airpower ebenfalls in erhöhter Alarmbereitschaft.

Sanitäter und Notärzte sind auf der Airpower - anders als in Ramstein - in hoher Zahl vorhanden - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

AW: In Ramstein hat sich gezeigt, dass die US-Amerikaner die Verwundeten unversorgt in die nächsten Krankenhäuser transportiert haben. Dadurch wurde die Katastrophe nur verlagert, weil die Spitäler mit dieser großen Anzahl an Verletzten völlig überfordert waren. Welche Vorbereitungen haben Sie in diese Richtung getroffen?

KG: Herr Redakteur, Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Ja, so war es in der Tat. Genau deshalb gibt es bei der Organisation der Airpower im Vorfeld schon entsprechende Notfallpläne, welches Krankenhaus im Ernstfall welche Anzahl von Verletzten aufnehmen könnte. In diesen Plan sind sogar Kliniken in Slowenien mit eingebunden.

AW: War die Aktivierung dieses Notfallplanes schon einmal erforderlich?

KG: Glücklicherweise nicht. Ich klopfe auf Holz, dass das auch künftig so bleibt.

AW: Herr Generalmajor, Austrian Wings dankt für das Gespräch!

KG: Sehr gerne.

Zur Person
Karl Gruber wurde 1955 in Wien geboren und leistete nach der Matura im Jahr 1974 seinen Grundwehrdienst als Einjährig-Freiwilliger ab. Danach besuchte er von 1975 bis 1978 die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt und absolvierte anschließend beim Hubschraubergeschwader 1 auf dem Fliegerhorst Brumowski in Tulln-Langenlebarn die Ausbildung zum Hubschrauberpiloten. Von 1979 bis 1981 diente Gruber als Einsatzpilot auf dem Muster OH-58 Kiowa und übernahm im Jahr 1982 die Führung der 3. Hubschrauberstaffel.

OH-58 Kiowa - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Als Hubschrauberpilot absolvierte der leidenschaftliche Flieger auch zahlreiche Display-Flüge bei Airshows und militärischen Flugvorführungen in Österreich. Bis 1985 absolvierte Gruber weiters an der Landesverteidigungsakademie den Generalstabslehrgang und wirkte danach am Aufbau des Luftraumüberwachungssystems Goldhaube aktiv mit. 1988 erfolgte die Bestellung zum Chef des Stabes "Kommando Luftraumüberwachung in Salzburg". Generalmajor Gruber war seit 2006 Leiter des Teilstabes "Luft" im ehemaligen Streitkräftekommando und seit 1. Jänner 2017 mit der Führung der Luftstreitkräfte betraut. Mit Wirkung vom 1. September 2017 wurde er vom damaligen Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil offiziell zum Kommandanten der österreichischen Luftstreitkräfte bestellt.

Generalmajor Gruber hat zahlreiche Ausbildungen im Ausland absolviert, darunter Lehrgänge bei der kanadischen, der deutschen und auch der spanischen Luftwaffe. Auf Basis seiner Erfahrungen unterrichtet er das Fach "Safety-Management" an der Fachhochschule Salzburg.

Als "Air Chief" vertritt Gruber das österreichische Bundesheer, etwa im Rahmen der "Air Commander Conference" der NATO, bei der Österreich als Mitglied der Partnerschaft für den Frieden teilnimmt sowie bei der "European Air Chief Conference" der Europäischen Union im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Dem Kommando unterstehen das "Kommando Luftraumüberwachung 2", das "Kommando Luftunterstützung" und die Flieger- und Fliegerabwehrtruppenschule - mit einer Gesamtstärke von 3.500 Soldaten und Mitarbeitern sowie 120 Luftfahrzeugen.

Neben der Luftfahrt befasst sich Gruber auch mit der Seefahrt. Der zweifache Familienvater ist leidenschaftlicher Segler und Autor des Buches „Seemacht unter rot weiß roter Flagge“, das sich mit der Geschichte der k. u. k. Kriegsmarine befasst.

(red)