Reportagen

Mordechai Rachamim – der Held von Zürich

Die in den Zwischenfall verwickelte Maschine - Foto: Christian Volpati via Wikipedia / GFDL 1.2

Schon seit der Gründung des Staates Israel als Heimat für die Überlebenden der Shoa im Jahr 1948, sprechen radikale Muslime der einzigen Demokratie nach westlichem Vorbild in der Region die Legitimation ab. Immer wieder kam und kommt es zu Terroranschlägen gegen israelische Einrichtungen. Auch das aviatische Aushängeschild des Landes, EL AL, war wiederholt Ziel von Attacken. So auch heute vor 50 Jahren, als ein arabisches Terrorkommando auf dem Flughafen Zürich eine Boeing 720 der Gesellschaft attackierte und ein Crewmitglied tötete. Der Sicherheitsmann Mordechai Rachamim verhinderte dass es noch mehr Todesopfer gab – und wurde für seine Heldentat paradoxerweise vor Gericht gestellt.

Am 18. Februar befand sich eine Boeing 720-058B, 4X-ABB, der EL AL Israel Airlines auf dem Weg von Amsterdam nach Tel Aviv. In Zürich war ein Zwischenstopp vorgesehen. Das erste Teilstück von den Niederlanden in die Schweiz verlief ereignislos, wenn man von der einstündigen Verspätung absieht. Auch die Abfertigung der Boeing auf dem Flughafen der Schweizer Metropole ging planmäßig vonstatten und gegen 17:30 Uhr rollte der Vierstrahler mit der Flugnummer LY 432 in Richtung Piste 28. An Bord befanden sich zu diesem Zeitpunkt 17 Passagiere und 11 Besatzungsmitglieder. 

Doch plötzlich knallten Schüsse – vom Parkplatz N aus eröffnete ein vierköpfiges arabisches Terrorkommando mit Sturmgewehren vom Typ AK-47 das Feuer auf die Boeing und konzentrierte seinen Beschuss auf das Cockpit und den Bereich der Ersten Klasse. Der Rumpf der Boeing wurde von mehr als 60 Projektilen vom Kaliber 7,62mm durchschlagen, die mehrere Insassen trafen und teils schwer verletzten – einer von ihnen, der Erste Offizier, starb wenig später im Krankenhaus.

Ein Steward schrie: „Wir werden beschossen!“ durch die Kabine. Gleichzeitig warfen die Palästinenser auch Handgranaten in Richtung des Fluges. Was dann geschah, liest sich wie das Drehbuch zu einem Actionfilm mit Chuck Norris oder Bruce Willis.

Mordechai Rachamim, ein mitfliegender Sicherheitsmann, der nur mit einer Pistole bewaffnet war, stürmte in Richtung Cockpit und eröffnete durch das rechte Cockpitfenster das Feuer auf die Angreifer. Doch nach gerade einmal zwei Schüssen blockierte seine Waffe. Der ehemalige Angehörige der militärischen Spezialeinheit Sayeret Matkal lief zurück in die Kabine und wies einen Flugbegleiter an, eine der hinteren Türen zu öffnen und die Notrutsche aufzublasen.

Vollgepumpt mit Adrenalin und nur das Ziel vor Augen, das Leben der ihm anvertrauten Zivilisten zu schützen, sprang Rachamim in die erst halb aufgeblasene Notrutsche und stürmte todesverachtend über freies Gelände auf die auf dem Parkplatz verschanzten Terroristen zu. Im Laufen lud er seine Beretta neu durch und näherte sich den Angreifern weiter. Dabei lief er einen weiten Bogen, um das Feuer auf sich zu ziehen, wie er vor später Gericht aussagte, um zu verhindern, dass die Treibstofftanks der Maschine getroffen wurden.

„Ich erkannte drei Männer und eine Frau“, erinnerte sich Mordechai Rachamim 50 Jahre später im Gespräch mit der Schweizer Zeitung „NZZ“. „Zwei der Männer trugen Gewehre, einer eine Handgranate. Die Frau hatte Flugblätter bei sich. Ich rief: ,Waffen runter!‘ Zwei Männer taten, was ich verlangte. Der dritte, einer der beiden mit dem Gewehr, behielt die Waffe in der Hand und wollte sich umdrehen, doch ich war schneller.“

Mit drei Schüssen tötete der Sicherheitsexperte den Terroristen, bevor dieser noch mehr Unheil anrichten konnte  – und wurde anschließend gemeinsam mit den drei überlebenden Komplizen des Mannes von den kurz darauf eintreffenden Schweizer Polizeikräften verhaftet und wegen Totschlages angeklagt, weil einige Zeugen gesehen haben wollen, dass der getötete Terrorist seine Waffe niedergelegt hatte, bevor er von Rachamim erschossen wurde.

Nach vier Wochen in Untersuchungshaft durfte Mordechai Rachamim „auf Ehrenwort als Soldat“ nach Israel zurückkehren, wo ihm ein triumphaler Empfang bereitet wurde. Zum Prozess gegen ihn reiste der ex-Soldat, wie er es versprochen hatte, auch tatsächlich  in die Schweiz. „Im Zweifel“ wurde der Held von Zürich schließlich vom Vorwurf des Totschlages freigesprochen und ihm Notwehr zugebilligt.

Dass an Bord der Maschine schließlich nur ein Todesopfer zu beklagen war – der 27-jährige Erste Offizier und Familienvater Yoram Peres – ist zweifellos dem beherzten Eingreifen von Mordechai Rachamim zu verdanken. Der 23-Jährige wurde nach seiner Rückkehr in die Heimat von Ministerpräsidentin Golda Meïr zu ihrem persönlichen Sicherheitsberater ernannt. Das Flugzeug, dessen Insassen Rachamim so mutig unter Einsatz seines eigenen Lebens beschützt hatte, wurde später repariert und flog noch viele Jahre bei EL AL sowie weiteren Betreibern, ehe es verschrottet wurde.

Die drei überlebenden Terroristen, Abu El Helga, Amena Dabhor und Youssef Ibrahim, verweigerten im Prozess jede Aussage und fassten je zwölf Jahre Haft aus. In der arabischen Welt brach daraufhin ein antisemitischer Katzenjammer aus, man beklagte kollektiv die vermeintliche „Ungerechtigkeit“ der Schweizer Justiz und prangerte den angeblich „steigenden jüdischen Einfluss“ in der Schweiz an.

1970 kaperten arabische Terroristen eine Swissair-Maschine, um die Terroristen von Zürich freizupressen. Die Schweiz ließ sich unrühmlicherweise tatsächlich erpressen und die drei Verurteilten durften nach Kairo ausreisen - ein Schlag ins Gesicht der Familie des getöteten Ersten Offiziers Yoram Peres und ein unentschuldbarer Kniefall vor dem Terrorismus.

Text: HP