Punktlandung

Wenn der Preis für "Helicopter Shopping" in Menschenleben abgerechnet wird ...

„Helicopter Shopping“. Nein, das bedeutet nicht, dass Sie mit ein paar Millionen Euro Kleingeld in der Tasche beim Drehflüglerhändler ums Eck rasch einen neuen Hubschrauber einkaufen gehen. Es ist ein besorgniserregender Trend in den USA, wenn es darum geht, Patienten um jeden Preis per Rettungshelikopter von Krankenhaus zu Krankenhaus zu transportieren. Ein Trend, der unter Umständen auch vergangene Woche wieder einmal drei Menschenleben gekostet hat.

Es ist fast schon pechschwarze Ironie, dass das Unternehmen, dessen Hubschrauber diese Woche Dienstag in einen tödlichen Crash verwickelt war, den Firmennamen „Survival Flight“ trägt. Die Crew war mit einer Bell 407 von ihrem Stützpunkt in Jackson County, West Virginia, abgehoben, um vom anfordernden Krankenhaus „Holzer Medical Center“ in Pomeroy einen Patienten nach Columbus zu verlegen.

Zwei andere Gesellschaften hatten zuvor den Flug abgelehnt – weil die Witterungsbedingungen ihren Anforderungen für sichere Flugdurchführung nicht genügten.

„Survival Flight“ hob ab. Die Maschine zerschellte nur kurz darauf in einem Waldstück in Vinton County. Alle drei Insassen – Pilotin und medizinische Crew – kamen bei dem Absturz ums Leben.

Kommt ein Rettungshelikopter zum Einsatz, ist häufig das Leben des Patienten in Gefahr. Dieser Umstand sollte jedoch nicht dazu beitragen, Aspekte zu übergehen, die in weiterer Folge zusätzlich für die gesamte Crew gefährlich werden können... - Symbolfoto: Allison Lotz

Natürlich ist es denkbar, dass es sich bei den witterungsbedingten Absagen der zuvor angefragten Betreiber um lokale meteorologische Erscheinungen gehandelt hat, und für „Survival Flight“ die Anflugroute nach Pomeroy machbar erschien. Immerhin, die Letztentscheidung für jegliche Flugdurchführung liegt beim zuständigen Piloten, und im Rahmen eines funktionierenden CRM (Crew Resource Management) wird üblicherweise das gesamte Team miteingebunden, wenn es um die vorangehenden Überlegungen zu einer Flugdurchführung geht. In verantwortungsvollen Firmen gilt dabei die Regel: Sagt einer der Crew „Nein“, wird üblicherweise auch nicht geflogen. Und das „Nein“ des Piloten ist ohnehin eine unumstößliche Entscheidung.

Nun muss man wissen, dass der Flugrettungsmarkt in den USA ein heiß umkämpfter ist. Viele Betreiber wollen am lukrativen Kuchen mitnaschen. Und naturgemäß verdient man mit seinem Helikopter nur dann Geld, wenn dieser auch fliegt.

"Wir fliegen, auch wenn andere 'Nein' sagen?" - Für viele könnte dieser Info-Flyer von "Survival Flight" genau diese Haltung suggerieren. - Foto: zVg

Es ist bemerkenswert, dass seitens „Survival Flight“ offensichtlich ein Informationsschreiben an Krankenhäuser ergangen ist, welches sich dahingehend liest, dass die Gesellschaft auch Transporte akzeptieren würde, die andere Betreiber bereits abgelehnt haben. Man unterhalte „andere Bedingungen“, welche hinsichtlich meteorologischer Entscheidungen zum Tragen kämen, suggeriert das Papier.

Derartige Versprechungen laden Krankenhäuser vermutlich geradewegs dazu ein, so viele Betreiber anzurufen, bis schlussendlich einer zusagt. Man sieht dies sogar als eine Art Risikominimierung an, und zwar hinsichtlich des für das Krankenhaus relevanten Risikos, niemand könnte den angefragten Flug durchführen. Das wiederum bringt jene Spitalsangestellten unter Druck, die für die logistische Durchführung solcher Patientransferierungen verantwortlich sind.

Wird bei einer Anfrage nun – subtil oder offen – verständlich gemacht, dass auch andere Firmen mit der Durchführungsprüfung beauftragt wurden, beginnt oftmals von vornherein ein Wettlauf um die entsprechende Zusage. Manche Krankenhäuser fragen einfach so lange bei verschiedenen Gesellschaften nach, bis jemand zustimmt. Selbst, wenn zuvor bereits mehrere andere Einrichtungen den Flug als nicht durchführbar abgelehnt hatten. Doch gerade in der Fliegerei liegt eine Nichtdurchführbarkeit in den meisten Fällen zunächst einmal am Wetter.

Piloten, die einen Auftrag annehmen, obwohl dieser zuvor von anderen Mitbewerbern abgelehnt wurde, wissen als „letztes Glied der Kette“ manchmal auch gar nichts von diesem Umstand.

Wenn der Rettungsflug zum Blindflug wird, bedeutet dies Lebensgefahr. - Foto: Aig / Austrian Wings Media Crew

Natürlich, letztendlich ist es der Job jedes einzelnen Piloten, sich vor der Flugdurchführung mit der Wettersituation eigenverantwortlich vertraut zu machen. Es ist jedoch auch kein Geheimnis, dass die vielzitierte „Letztentscheidung eines Kapitäns“ in nicht wenigen Fällen von mehr oder minder großem Druck des Arbeitgebers und dessen Erwartungshaltung mit geprägt wird. Das kennt man aus vielen Bereichen der Fliegerei. Wie oft müssen wir aus den Cockpits so mancher Billigflieger hören, dass sich viele Piloten nicht einmal getrauen, sich krankzumelden, weil sie um ihren Arbeitsplatz fürchten? Aber oft reicht auch schon viel weniger Druck als die Angst um den Job aus, welcher uns zu (menschlichen) Entscheidungen verleitet, die nicht unbedingt klug sind.

Tragischerweise ist das Phänomen des „Helicopter Shoppings“ in den USA keineswegs neu. Diskussionen dazu gibt es regelmäßig seit mehr als einem Jahrzehnt. Ich hätte dabei noch niemanden sagen gehört, dass diese Praktik und deren leider oftmals katastrophale Resultate akzeptabel sei. Doch zu ändern scheint sich gleichermaßen wenig. Denn, wie beschrieben, werden augenscheinlich häufig bereits von Anfang an wichtige Informationen nicht weitergegeben. Spätestens bei der dritten oder vierten Anfrage erwähnen anfordernde Kliniken oftmals nicht, dass derselbe Auftrag zuvor von anderen Betreibern aus Wettergründen abgelehnt wurde. Bereits diese Auskunft würde ein Mindestmaß an Fairness darstellen, sofern man nicht nur den eigenen Vorteil in den Vordergrund rückt. Auch sollten Flight Crews durchwegs stärkeres Misstrauen an den Tag legen, wenn sie Anforderungen zu Verlegungsflügen erhalten, die im üblichen Einsatzgebiet anderer Betreiber liegen. Ein konkretes Hinterfragen, ob und weshalb diese womöglich den Transport zuvor abgelehnt haben, wäre bestimmt nicht falsch.

Sich mit dem Wetter anzulegen, kommt in der Fliegerei niemals gut. Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass eine sichere Flugdurchführung unter den gegebenen Umständen nicht machbar ist. Dann heißt es entweder warten, oder Alternativen in Betracht zu ziehen. Muss ein Patient unter allen Umständen in ein anderes Krankenhaus verlegt werden, ist in manchen Fällen ein bodengebundener Transport sogar schneller, als das stundenlange Zuwarten auf Wetterbesserung oder die Hoffnung auf Zusage des x-ten angefragten, womöglich weit entfernten Helikopterbetreibers. (Im Fall der verunglückten „Survival Flight“-Crew hätte ein alternativer Transport per Rettungswagen den Patienten in weniger als 30 Minuten Fahrzeit ins Zielkrankenhaus transportieren können – ohne Wetterabhängigkeit.)

Abstürze wie der jüngste kamen in den vergangenen Jahren beinahe regelmäßig, vor allem in den Vereinigten Staaten, vor. In den meisten Ermittlungsberichten war danach zu lesen: Es konnte kein technischer Defekt am Fluggerät festgestellt werden, doch das Wetter war schlecht.

Am Ende des Tages können viele Entscheidungen, die (vor allem in der Fliegerei) unter Druck getroffen werden, zur Katastrophe führen. Und wenn der beabsichtigte Flug zur Rettung eines Menschenlebens damit endet, dass stattdessen drei weitere Leben ausgelöscht werden, sollte man sich dringend fragen, ob die Grenzenlosigkeit im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ nicht doch vielleicht einmal in manchen Aspekten dringend zu hinterfragen wäre.

(AG)

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.