Nach den Abstürzen einer Boeing 737 MAX 8 der Lion Air im vergangenen Oktober und einer Maschine der Ethiopian Airlines am 10. März dieses Jahres steht Boeing unter Druck. Die Branche, die Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Medien fordern Aufklärung und fragen sich, ob das Design des Flugzeugs zum Unglück beigetragen hat. Auch der Aktienkurs von Boeing gab bereits empfindlich nach. Ethiopian Airlines, Cayman Airlines und die Volksrepublik China haben ihre 737 MAX-Flotten gegroundet. Eine sinnvolle Maßnahme oder purer Aktionismus?
Mit mehr als 10.000 verkauften Exemplaren seit dem Jahr 1967 gilt die Boeing 737-Reihe heute als das erfolgreichste Verkehrsflugzeug der Welt. Es gibt drei Generationen: die "Classic"-Reihe (-100 bis 500), die "Next Generation"-Reihe (-600 bis 900ER) und seit 2017 die "MAX"-Reihe, wobei hier die Basisversionen MAX 7, MAX 8, MAX 9 und MAX 10 existieren. Etwa die Hälfte aller mehr als 10.000 Bestellungen entfällt auf die "MAX"-Serie, die von 79 Kunden geordert wurde. Davon wiederum waren bis Ende Jänner etwa 350 Exemplare ausgeliefert, die bei großen seriösen Airlines (beispielsweise American Airlines, Air Canada, Southwest Airlines ...) Airlines ebenso fliegen, wie bei Fluglinien mit einer schlechten Sicherheitsbilanz, etwa der indonesischen Lion Air. Diese Airline war es auch, die am 29. Oktober den ersten Absturz einer 737 MAX zu verzeichnen hatte - und hier begann bereits ein gewisses "Boeing-Bashing". Denn aufgrund der Flugschreiber konnte rasch herausgefunden werden, dass der Bordcomputer die Maschine offenbar aufgrund fehlerhafter Sensordaten "nose down" trimmte und so zum Absturz brachte.
Was in der öffentlichen Diskussion, um nicht zu sagen Hysterie, darüber weitgehend unterging, waren allerdings die Begleitfaktoren. Indonesien hat eine katastrophal schlechte Sicherheitsbilanz in der Luftfahrt, über einen langen Zeitraum standen deshalb sämtliche Airlines des Landes auf der Schwarzen Liste der EU.
Lion Air fliegt zwar nicht nach Europa, doch auch hier ist die Liste, der Zwischen- und Unfälle bedenklich lang. Die Unglücksmaschine hatte über Tage hinweg technische Probleme, die von den Wartungscrews nicht gelöst werden konnten. Am Vortrag des Absturzes, am 28. Oktober, war eine Crew ebenfalls mit einem automatischen Nose down trim konfrontiert, konnte das Problem jedoch lösen und sicher landen. Am Absturztag hätte der Jet aufgrund seines technischen Zustandes überhaupt nicht mehr zum Flug freigegeben werden dürfen. Kurz nach dem Start trat das Nose down trim Problem erneut auf, zwölf Minuten lang versuchten die Piloten mit Hilfe der elektrischen Trimmung (ein mit dem Daumen betätigter Schalter am Steuerhorn) dagegen anzukämpfen, ehe der Jet schließlich zwölf Minuten nach dem Start ins Meer stürzte und 189 Menschen in den Tod riss.
Zwar erwähnt es der Zwischenbericht nicht explizit, doch offensichtlich hatte es die Crew verabsäumt, die "STAB TRIM CUTOUT"-Schalter zu betätigen. Mit diesen bei den Schubhebeln angebrachten Schaltern kann die Trimmung komplett deaktiviert werden - so wie es die Crew am Vortag auch getan hatte.
Mit anderen Worten: Der Lion Air Absturz war offenbar auf doppeltes Versagen der Gesellschaft zurückzuführen: einmal bei der Wartung und einmal bei der Reaktion der Piloten auf das durch mangelhafte Wartung verursachte Problem. Dafür kann das Flugzeug nun wirklich nichts. Trotzdem hat Boeing bereits eine Modifikation der Software für die Steuerung des Trimmsystems angekündigt.
Was zum Absturz der Ethiopian-Maschine am Sonntag geführt hat, wird man hoffentlich in ein paar Tagen wissen, denn beide Flugschreiber wurden bereits geborgen. Das Flugprofil von Flug ET 302 und die bisher bekannt gewordene (wenn auch durch die Airline noch nicht bestätigte) Kommunikation der Crew mit der Flugsicherung nähren den Verdacht, dass auch hier die automatische Trimmung, formulieren wir es salopp, eine Rolle gespielt haben könnte.
Sollte dieses Szenario tatsächlich erneut eingetreten sein, hätte Boeing allerdings ein (PR-)Problem. Denn dann bestünde dringender Bedarf, die Ausbildung beziehungsweise Umschulung der Crews von früheren 737-Modellen auf die 737 MAX anzupassen. Dass innerhalb von viereinhalb Monaten zwei Jets verunglückten, weil die Piloten ein grundsätzlich beherrschbares Problem nicht in den Begriff bekommen haben, muss jedenfalls zu Konsequenzen führen - in welcher Form auch immer.
Eine - wie derzeit vielfach in sozialen Medien betrieben - "Verteufelung" der 737 MAX ist jedoch auf keinen Fall angebracht, denn eines gilt es ebenfalls festzuhalten: Hunderte Boeing 737 MAX fliegen täglich ohne Probleme sicher Passagiere durch die Welt. Und beide Abstürze ereigneten sich in Regionen, in denen es mit der Flugsicherheit generell nicht zum Besten steht. Ob das wirklich reiner Zufall sein kann?
Text. P. Huber
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