Punktlandung

Sicherheitskultur? Absolute Fehlanzeige ...

Boeing 737-800 von Smartwings - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Ein Triebwerk einer Boeing 737 fällt aus und obwohl zahlreiche Flughäfen auf der Strecke eine Sicherheitslandung zulassen, fliegen die Piloten annähernd zweieinhalb Stunden lang einfach bis an ihr Ziel weiter. Die Fachwelt ist geschockt. Denn passiert ist das nicht etwa irgendwo in Afrika oder Indonesien, sondern mitten in Europa bei der größten Fluggesellschaft eines EU-Landes.

Donnerstag, 22. August 2018: Die Passagiere von Flug QS 1125 boarden in Samos ihre zweistrahlige Boeing 737-800. Das Ziel der Smartwings-Maschine ist Prag. Doch in 36.000 Fuß Höhe über der Ägäis fällt plötzlich eines der Triebwerke aus. Die Piloten erbaten bei der Flugsicherung die Freigabe, auf 24.000 Fuß zu sinken, erwähnten jedoch nach bisherigen Informationen mit keinem Wort, dass ein Triebwerksausfall vorlag, sondern sprachen nur von "technischen Gründen". Trotz mehrfacher Versuche gelang es nicht, das ausgefallene Triebwerk wieder zu starten.

Die in einem solchen Fall übliche professionelle Vorgangsweise wäre spätestens jetzt die Flugverkehrskontrolle über den Ausfall zu informieren und den nächstgelegenen geeigneten Flughafen anzusteuern - derer gibt es für eine 737 mehr als genügend in Europa. Quasi alle Fluglinien schreiben den Crews in ihren SOP's dementsprechend vor, auf dem nächsten "suitable airport" eine Sicherheitslandung durchzuführen - "land as soon as possible". Etliche Airlines gehen sogar noch weiter und ordnen zwingend an, dass eine Luftnotlage zu erklären und schnellstmöglich zu landen ist, wenn bei einer zweimotorigen Maschine ein Triebwerk ausfällt.

Doch was tat die Smartwings-Crew? Nichts dergleichen. Die Piloten flogen 2 Stunden und 20 Minuten mit nur einem verbliebenen Triebwerk bis zum Zielflughafen Prag weiter - und so konnte sich Smartwings die Kosten für eine Ausweichlandung, die Verpflegung, Unterbringung und den Weitertransport der Passagiere mit einer anderen Fluglinie ersparen.

Der Sicherheitsgedanke stand nach Einschätzung mehrerer vom Autor konsultierter Flugkapitäne und Ausbilder augenscheinlich dabei nicht an erster Stelle. Denn Smartwings gab zu dem Vorfall nur widerwillig auf wiederholte Nachfrage hin überhaupt ein Statement ab, das kurz und knapp lautete, dass die Crew "in Übereinstimmung mit den Sicherheitsverfahren" gehandelt habe. "Ansonsten sagen wir dazu nichts", so die Sprecherin. Wie unangenehm es der Pressestelle der größten tschechischen Fluggesellschaft ist, dass der Vorfall publik geworden ist, war klar aus dem Mail herauszulesen.

"Ich hätte nie gedacht, dass eine europäische Crew derart unprofessionell bei einem Triebwerksausfall vorgeht. Es sollte hinterfragt werden, ob Druck seitens des Managements die Piloten zu diesem Verhalten verleitet hat."
Ein Pilot

Wenn eine Crew nach einem Triebwerksausfall fast zweieinhalb Stunden weiterfliegt, weder eine Dringlichkeits- noch eine Luftnotlage erklärt und keine Ausweichlandung durchführt, dann kann man wohl kaum davon sprechen, dass im Sinne der Flugsicherheit "korrekt" gehandelt wurde. Vielmehr sollten die Sicherheitskultur und die operationellen Abläufe bei der Fluggesellschaft dringend von den zuständigen Luftaufsichtsbehörden überprüft werden.

"Jeder Triebwerksausfall bei einem zweimotorigen Flugzeug ist ein gravierender Verlust an Redundanz und kann sehr schnell weitere Probleme nach sich ziehen. Airmanship - der gesunde Flieger-Menschenverstand - würde in diesem Fall immer eine zeitnahe Landung auf dem nächsten geeigneten Flugplatz nahelegen. Auch, wenn den Passagieren in diesem Fall nichts passiert ist, ist das ein Vorfall mit einem ganz üblen Nachgeschmack."
Ein A320-Ausbildungskapitän gegenüber Austrian Wings

Denn ein, auch in den tschechischen Medien bisher weitgehend unbeachteter, aber wesentlicher Punkt kommt noch dazu: der Treibstoffvorrat. Durch den Umstand, dass der Flug anstatt in 36.000 Fuß in 24.000 Fuß durchgeführt wurde und das ausgefallene Triebwerk folglich lediglich nur noch Widerstand aber keinen Antrieb mehr produzierte, stieg der Kraftstoffverbrauch signifikant an und es stellt sich die Frage, ob bei der Landung in Prag nicht womöglich die gesetzliche Mindestmenge für den Flug zum Ausweichflughafen plus die Minimum-Reserve  für 30 Minuten Flugzeit (etwa 1.250 Kilogramm) deutlich  unterschritten wurden.

Ob das so war, lässt sich kaum feststellen, da die Airline jeden weiteren Kommentar verweigert. Überraschend wäre es für den Autor dieser Zeilen allerdings angesichts des bis zur Landung gezeigten höchstgradig unprofessionellen Handelns der Crew keineswegs.

Text: P. Huber

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.