Punktlandung

Gutachten zum Flugpolizei-Absturz: Voreilige Schlüsse statt der Weisheit letzter Schluss?

Bergung des Wracks - Foto: SUB

"Sie fliegen für unsere Sicherheit." So ließe sich der Aufgabenbereich der österreichischen Flugpolizei vermutlich plakativ und generalisiert zusammenfassen. Umso verstörender ist es, wenn plötzlich ausgerechnet ein Polizeihubschrauber in einen schweren Unfall verwickelt wird. Noch deutlich verstörender erscheinen jedoch die Hintergründe der damit verbundenen Untersuchung, welche nicht nur indiskutabel lang gedauert hat, sondern in ihren Ausführungen teils an Kaffeesatzleserei grenzt.

Der 30. März 2011 gilt als schwarzer Tag für die Flugpolizei der Alpenrepublik. Es ist der Tag, an dem ein Helikopter vom Typ EC135 (Airbus Helicopters H135-Serie) gleichsam ungebremst in den Tiroler Achensee stürzen sollte - ohne Chance auf Überlebende.

Am Steuer an diesem Tag, wie bereits unzählige Male zuvor: Chefinspektor Markus Pumpernick, 41 Jahre alt. Ein Familienvater, der seit 13 Jahren als Pilot beim Innenministerium Dienst versah und von sämtlichen Kollegen unisono als umsichtiger und verantwortungsvoller Kollege beschrieben wird. Seine Flugerfahrung: 2.527 Stunden, 4.800 Starts und Landungen. Mit an Bord: Bergrettungsspezialist und Flight Operator Stephan Lechner, Grenzpolizist Herbert Fürrutter und als Gastkollege der Schweizer Grenzwächter Stefan Steiner.

Es ist 10:07 Uhr, als es zum dramatischen Unglück kommt - der Hubschrauber schlägt auf der Wasseroberfläche des Achensees auf. Das völlig zertrümmerte Wrack versinkt. Alle Insassen kommen ums Leben.

Unfallforscher nehmen ihre Arbeit auf. Austrian Wings erfährt aus Insiderkreisen, dass bereits bei der ersten Sichtung der Absturzstelle ein anwesender Ermittler konstatiert habe, dass es sich nur um "Cowboyfliegerei" gehandelt haben könne, die wohl "jede weitere Untersuchung überflüssig" mache. Ein wohl schlechter Einstieg in ernstzunehmende Aufklärung - die in der Folge weitere acht Jahre (!) dauern sollte. Federführend geleitet von Ermittlern, die mehreren übereinstimmenden Quellen zufolge ihrerseits nicht einmal über einen Flugschein, geschweige denn eine Helikopter-Pilotenlizenz verfügen.

Diese Herren werden also nach jahrelanger Evaluierung in ihrer Expertise zu berichten wissen, dass Pilot Pumpernick mit 4.000 Fuß Sinkrate pro Minute geflogen sein soll, die Höhe über Grund falsch eingeschätzt haben muss und schließlich mit reduzierter Sinkrate von 1.000 Fuß pro Minute am Wasser aufgeschlagen sein. Dies sind jedenfalls Fakten, die sich aus den vom Helikopter geborgenen Aufzeichnungsgeräten ergeben. Ein Stimmaufzeichnungsgerät gab es in der Unglücksmaschine nicht, ein solcher Voice Recorder ist auch nicht vorgeschrieben.

Pilot (rechts) und Flight Operator im Cockpit eines EC 135 (H135) der Flugpolizei des Bundesministeriums für Inneres - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Ein angeblicher Augenzeuge will zudem zu Protokoll gegeben haben, dass ein Polizeihubschrauber bereits kurz vor dem Unglückstag angebliche "Sturzflug-Übungen" im Achenseegebiet durchgeführt habe. Worum genau es sich dabei gehandelt haben soll, vermögen diese (übrigens ebenso wenig Luftfahrt-fachkundigen) "Quellen" genauso wenig zu erörtern wie selbsternannte Fern-Gutachter in Person diverser Zeitungsjournalisten, die sich ihrerseits im Sturzflug auf eine vermeintliche Skandal-Geschichte stürzen, um medienwirksam Schlagzeilen zu generieren - und ganz offensichtlich ohne ein Mindestmaß an journalistischer Sorgfaltspflicht, die das Hinterfragen von Erzählungen oder Mutmaßungen beinhaltet.

Besagter "Augenzeuge" wurde später sogar Grund für eine parlamentarische Anfrage. Geht man dann von der Anfragebeantwortung des BMI zu diesem Zeugen aus, war selbiger weder bereit, seinen Namen zu nennen, noch befand sich zum seinerseits genannten Zeitpunkt irgendein Polizeihubschrauber auch nur in der Nähe des Achensees. Glaubwürdigkeit sollte in diesem Kontext also nicht mit dem verwechselt werden, was eher wie Fantasie klingt.

Sowohl der Bericht der Unfallermittler als auch die skandalisierten Geschichten einzelner Chronikreporter schließen andere Versionen als jene des Kamikaze-Fliegers Pumpernick von vornherein aus. Freilich lässt sich einem Toten alles und jedes unterstellen, wenn es unter Umständen an Fakten fehlt. Doch lässt sich das alles wirklich so einfach abhandeln? Für erfahrene Piloten, Luftfahrtexperten und auch Mediziner beileibe nicht.

Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Zum einen wurden zahlreiche Komponenten des verunfallten Hubschraubers bis heute nicht aus dem Achensee geborgen, können demzufolge auch niemals einer entsprechenden Untersuchung zugeführt worden sein. Auch habe die Obduktion des Piloten ergeben, dass dieser "organisch gesund" gewesen sein soll. Außer Acht gelassen wird dabei jedoch, dass es mannigfaltige Möglichkeiten einer akuten medizinischen Beeinträchtigung gibt, die im Zuge einer gerichtsmedizinischen Untersuchung nicht auffallen können.

Dies bestätigt auch Professor Günter Steurer von der medizinischen Universität Wien, nicht zuletzt auch gegenüber der "Kronen Zeitung". Plötzliche Herzrhythmusstörungen, Kreislaufprobleme oder Desorientierung seien dem erfahrenen Mediziner zufolge keineswegs auszuschließen. Zudem gebe es eine Reihe weiterer medizinischer Probleme, die bei einer Obduktion ebenfalls nicht nachweisbar gewesen wären.

Denkbar wäre auch das Auftreten eines sogenannten "Flicker Vertigo", eine Art Stroboskop-Effekt, der bei einfallender Sonne durch die Rotorblätter ausgelöst werden kann. Während die Unfallermittler davon ausgehen, dass die damit verbundene kritische Frequenz zwischen 4 und 20 Hertz liege, wohingegen der Hubschrauber vom Typ EC135 eine Rotorfrequenz von 26,5 Hertz aufweise, belegt ein Dokument der US-amerikanischen Flight Safety Foundation, dass der fraglich bedenkliche Bereich (auch) zwischen 25 und 55 Hertz liegt und zudem bei jedem Piloten individuell anders ausfallen kann. Obgleich also in der Praxis selten, ließe sich dieses Phänomen der Pilotenbeeinträchtigung auch beim EC135 nicht vollständig ausschließen - und im Zuge einer Obduktion nicht nachweisen.

Weiters schreiben die Ermittler der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (SUB), dass zum Zeitpunkt des Aufschlages die Gurtschlösser aller Insassen geöffnet, jedoch technisch funktionstüchtig gewesen sein sollen. Demzufolge müssten sich also, diesen Ausführungen folgend, sämtliche Insassen noch im Flug abgeschnallt haben. Und das bei angeblichen "Cowboy-Flugmanövern"? Ein schwer nachvollziehbarer Gedanke, zumal sowohl Austrian Wings als auch der "Kronen Zeitung" vorliegenden Insiderinformationen tatsächlich nur eine Person - nicht der Pilot - abgeschnallt war und in Folge des Crashs aus dem Wrack geschleudert wurde. Alle anderen mitfliegenden Beamten sollen zum Zeitpunkt der Bergung nach wie vor angeschnallt in ihren Sitzen vorgefunden worden sein.

Laut der SUB waren die Gurtschlösser der vier Insassen geöffnet; Austrian Wings liegen anderslautende Informationen vor - Foto: SUB

Weshalb ausgerechnet eine Person, entgegen sämtlicher Gepflogenheiten, während des Fluges ihren Sicherheitsgurt löst, müsste sohin kritisch hinterfragt werden. Wenngleich mangels Existenz eines Voice Recorders keine sofortige Antwort gefunden werden kann, sollte aber auch diesem Faktum dahingehend Aufmerksamkeit geschenkt werden, dass es durchaus zu einer (gesundheitlichen) Beeinträchtigung des Piloten, eventuell Bewusstseinsstörung, gekommen sein konnte, und ein Mitflieger versucht hatte, helfend einzugreifen.

EC 135 im Flug - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Eine Darstellung, wie sie von erfahrenen Fliegerkollegen, die auch Pilot Pumpernick kannten, gegenüber Austrian Wings einhellig unterstrichen wird.

"Für mich ist die plausibelste Erklärung dafür, dass sich der Kollege hinten auf Aufforderung des Flight Operators abgeschnallt hat, um von hinten nach vorne zu greifen und den Piloten zu stabilisieren. Sonst kann ich mir keinen Grund denken. Es deutet vieles in Richtung eines akuten gesundheitlichen Problems des Luftfahrzeugführers hin, sonst ergibt das keinen Sinn."
Ein Hubschrauberpilot gegenüber Austrian Wings

Auch können sich zahlreiche von uns konsultierte Piloten eine bewusst herbeigeführte Sinkrate der im Bericht erwähnten 4.000 Fuß pro Minute keinesfalls vorstellen - ausgerechnet nicht bei dem von sämtlichen Kollegen als stets ruhigen und niemals risikobereiten Flieger beschriebenen Markus Pumpernick.

Der Umstand, dass im Gutachten der SUB des Verkehrsministeriums zudem Himmelsrichtungen falsch angegeben werden und ein nicht existenter Ortsname aufscheint, rundet das Bild eines mehr als mangelhaft erscheinenden Dokuments in bedauerlich-stimmiger Weise ab.

Ebenfalls brisant: den SUB-Ermittlern wurde seitens der Flugpolizei angeboten, das von ihnen abgeleitete Szenario in einem EC 135, mit Doppelsteuer und zwei Piloten, unter realistischen Umständen nachzustellen - inklusive der im Bericht erwähnten Fluglagen und Sinkrate, freilich in einer sicheren Flughöhe. Ausgerechnet ein solcher Lokalaugenschein wurde von den Unfallermittlern des Verkehrsministeriums jedoch abgelehnt.

Unterm Strich bleibt also ein Unfall, dessen Hintergründe sich mit den vorliegenden Informationen bedauerlicherweise wohl kaum restlos aufklären lassen werden. Was im Umkehrschluss jedoch gleichermaßen bedeutet, dass eine plumpe Schuldzuweisung an den Piloten jene Form der Sorgfalt, die einem solchen Bericht - dessen Erstellung immerhin acht Jahre lang in Anspruch genommen hat - zuzuschreiben sein sollte, vermissen lässt. Auch der Umstand, dass mit der Untersuchung Personen in leitender Funktion betraut wurden, denen sowohl Ausbildung wie auch Erfahrung als Hubschrauberführer fehlen, macht stutzig. Das erscheint, als würde man ein abschließendes Gutachten über den Zwischenfall bei einer medizinischen Operation nicht etwa einem fachkundigen Arzt, sondern einem medizintechnischen Assistenten überantworten.

Letztlich wirkt auch die erwähnte Vorverurteilung des Piloten am Unglücksort, noch vor Einleitung jeglicher technischen und medizinischen Untersuchung, in Form der Unterstellung einer "Cowboyfliegerei" mehr als unprofessionell und scheint wenig geeignet als Grundlage für eine objektivierte Aufklärung nach bestem Wissen und Gewissen.

Nahe der Unglücksstelle wurde eine Gedenktafel für die vier in Erfüllung ihres Dienstes an der Allgemeinheit ums Leben gekommenen Polizisten angebracht - Foto: Christian Schöpf

Wenig verwunderlich also, dass das Bundesministerium für Inneres seinerseits nun eine unabhängige Expertenkommission unter internationaler Beteiligung mit weiterführenden Ermittlungen zu dieser Causa betrauen möchte. Denn bei nüchtern-sachlicher Betrachtung ist man von einer endgültigen Aufklärung des tragischen Absturzes weit entfernt. Selbst, wenn sich manche "Revolverjournalisten" gerne leichtfertig die Hände angesichts einer vermeintlichen Skandal-Headline gerieben hätten.

(AG)

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.