In der EU gilt für kommerzielle Hubschrauber bereits seit Langem, was ich schon vor Jahren in einem Kommentar erörtert habe - Flüge über dicht bebautes Gebiet sind nur mit mehrturbinigen Helikoptern gestattet, da von der Gefahr eines plötzlichen Triebwerkausfalls ausgegangen wird. Sicherlich, die Argumentation per se ist nicht verkehrt. Denn fällt beim einturbinigen Drehflügler das Triebwerk aus, bleibt dem Piloten nur noch eine Notlandung per Autorotation, während etwa bei zweiturbinigen Maschinen der Flug fortgesetzt werden kann. Für mich irritierend ist jedoch, dass die EU im Zuge dieser Vorschrift Helikopter von Polizei und Heer gleich zu Beginn ausgenommen hatte. Sollte ein ziviler, einturbiniger Hubschrauber tatsächlich "ausfallgefährdeter" sein als eine Maschine aus dem Flottenpark der Exekutive oder Armee?
Während, nichtsdestotrotz, das Plus an Sicherheit im Hinblick auf mögliche Triebwerkausfälle bei zweiturbinigen Helikoptern sicherlich als Argument Bestand hat, spielt sich die tatsächlich brisante Gefahr in den seltensten Fällen in der Technik der Fluggeräte ab.
In den USA haben EU-Vorschriften natürlich keinerlei Relevanz. Dort ist das Überfliegen von Ballungszentren auch durch zivile einmotorige Hubschrauber gestattet. Gerade aus Kostengründen setzen auch heute noch viele US-Flugrettungsbetreiber auf einturbinige Maschinen, die im laufenden Betrieb und der Erhaltung naturgemäß günstiger kommen. Blättert man hingegen durch die Absturzstatistik, scheinen die Zwischenfälle aber relativ selten Konsequenz eines Antriebsausfalls gewesen zu sein. Außerordentlich häufig taucht jedoch immer der Faktor "schlechte Sicht" beziehungsweise "Nebel" auf.
Dieses Szenario scheint sich nun auch im Zuge des Absturzes von Bryants Maschine zu zeichnen. Am Unglückstag herrschte starker Nebel und dementsprechend eingeschränkte Sicht vor. Polizei- und Rettungshubschrauber blieben am Boden. Der private Sikorsky S76 der Bryant-Familie, übrigens ein zweiturbiniger Helikopter, hob dennoch ab.
Noch kurz vor 10 Uhr Vormittag hatte die Flugverkehrsüberwachung den Piloten mehrfach gewarnt, dass dieser viel zu niedrig unterwegs sei. Kurz darauf geriet die Maschine im Nahbereich des Los Angeler Zoos in Turbulenzen, krachte dann gegen einen Hügel und ging sofort in Flammen auf. Neun Menschen kamen ums Leben.
Josh Rubenstein, Pressesprecher der Polizei von Los Angeles, erklärte, dass die Wetterverhältnisse zum Unglückszeitpunkt "nicht einmal den Mindestanforderungen für einen sicheren Flug" genügt hätten. Alle Polizeimaschinen waren gegroundet, an ein Abheben war für die Cops nicht zu denken.
Ähnliche Situationen zeigten sich in den vergangenen Jahren immer wieder, auch beim Absturz von Rettungshubschraubern in den USA. Der dortige Flugrettungsmarkt ist heiß umkämpft, in einigen Regionen buhlen mehrere Anbieter um die Gunst der Spitäler, wenn (intensivpflichtige) Patienten per Hubschrauber in ein anderes Krankenhaus verlegt werden müssen. Die Konkurrenz bringt es offensichtlich immer wieder mit sich, dass einige Betreiber selbst dann noch zu Einsätzen starten, wenn mehrere andere den Flug aus Wettergründen zuvor abgelehnt hatten. Das endete bereits für einige Flüge, speziell nachts und bei eingeschränkter Sicht, fatal.
Experten sind sich einig: Hubschrauberzwischenfälle lassen sich üblicherweise in drei Gruppen einteilen. Diese sind, nach Häufigkeit, zunächst "Operational Errors", also das Missachten von Mindestsicherheitsstandards, wozu auch Wetterbedingungen zählen, gefolgt von mechanischen beziehungsweise elektrischen Fehlfunktionen.
Eine Statistik des IHST (International Helicopter Safety Team) bzw. der IHSF (International Helicopter Safety Foundation) weist bei zirka 22 % aller Hubschrauberunfälle ein systematisches Problem, also etwa ein technisches Gebrechen, aus. 71 % hingegen fallen auf die Bereiche "Errors" (38 %), also Fehler, und "Violations" (33 %), demnach das Missachten von Vorgaben.
Unter den "Errors" finden sich wiederum 34,7 % "inadäquate Beurteilung [einer Situation] durch den Piloten", 21 % "Unterschreitung einer sicheren Flughöhe" und 18,2 % "Fehleinschätzung der Wettersituation". Bei den "Violations", also der grundsätzlichen bzw. allenfalls schon vorsätzlichen Missachtung von Regelungen, entfallen 30 % auf einen Flug trotz fehlender Wetterminima, sowie 55 % auf die Unterschreitung einer sicheren Mindestflughöhe.
Im General Aviation Bereich sind, der IHST-Statistik zufolge, 5 % aller Unfälle auf Systemversagen bedingt durch Konstruktionsmangel zurückzuführen. Über 61 % hingegen entfallen auf "menschliches Versagen", etwa Flugfehler (22,2 %) oder gar die Missachtung von Sicherheitserfordernissen (38,9 %). Der Verlust räumlicher Orientierung spielte in gut 22 % der in dieser Statistik ermittelten Unfallszenarien eine Rolle.
Unter allen Unfällen mit tödlichem Ausgang weist die Erhebung 52,6 % an Flügen auf, die als Sichtflug (VFR) durchgeführt wurden, obwohl die Witterung Instrumentenflugbedingungen verlangt hätte. Doch auch im "sichtflugtauglichen" Wetter war in 23,7 % ein Kontrollverlust zu verzeichnen. 18,4 % der letalen Abstürze führen die Statistiker auf Kollision mit (Strom-) Leitungen oder Gelände zurück.
In Europa geht die Zahl der Hubschrauberunfälle kontinuierlich zurück - waren es laut IHST 2013 immerhin 103 (davon 25 mit tödlichem Ausgang), zählte man 2017 nur noch 43 (11 tödlich).
Unterm Strich bleibt jedenfalls die Erkenntnis: Wer Mindest-Sicherheitsstandards unterschreitet, steuert sich und sein Umfeld in hohe Gefahr. Und schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. wird der jüdische Weisheitslehrer Jesus Sirach zitiert: "Wer sich gern in Gefahr begibt, kommt darin um." Von ein- oder zweiturbinigen Hubschraubern dürfte der Mann wohl kaum geahnt haben - wohl aber von menschlicher Überschätzung oder mangelhaftem Beurteilungsvermögen.
(AG)
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