Wenn man jemandem erklären möchte, was für Österreich oder Deutschland typisch ist – was käme einem da in den Sinn? Etwa, dass auf der Rolltreppe jedenfalls rechts gestanden werden muss? Dass im Schrebergartenverein von 12 bis 15 Uhr absolute Ruhezeit zu herrschen hat? Oder dass der Saunabereich im Stadtbad ausschließlich nackt betreten werden darf?
Suchen Sie es sich aus. Immerhin gibt es eine populäre österreichische Redewendung, die jegliche Regelung kurz, prägnant und allumfassend erklärt: „Vurschrift is‘ Vurschrift.“, also zu (Hoch-)Deutsch: „Vorschrift ist Vorschrift.“ Wichtig dahinter: der Punkt. Denn da ist Ende der Diskussion. Und im Einfordern von Punkt-genauen Vorschriften sind Herr und Frau Österreicher genauso penibel wie die deutschen Nachbarn. Da gibt es keinerlei Toleranzspielraum. Wo kämen wir da auch hin.
Ich frage mich, ob Reinhard Mey mit seinem vor 46 Jahren veröffentlichten Gassenhauer „Über den Wolken“ ausgerechnet Passagiere aus dem deutschen Sprachraum vor Augen hatte, als er philosophierte, dass ebenda die „Freiheit wohl grenzenlos“ sein müsste. Ein Gespür könnte der Liedermacher dafür ja haben, ist er schließlich selbst im Besitz einer Pilotenlizenz.
Es ist für mich jedes Mal aufs Neue überraschend, wie sich zahlreiche österreichische und deutsche Passagiere in Verkehrsmaschinen benehmen. Die vermeintlichen Verfechter von Regelungen und Ordnung scheinen sich plötzlich außerstande zu sehen, einfachsten Handlungsabläufen in geordneter und gesitteter Form nachzukommen, sobald sie mit der Infrastruktur der Luftfahrt in Berührung kommen. Nur noch die Freiheit zählt; die eigene, wohlgemerkt.
Anders ist es kaum zu erklären, dass sich bereits am Gate ein heilloses Gedränge bildet, sobald das Personal sich dem Mikrofon nähert, um darum zu ersuchen, den Aufruf der jeweiligen Boarding-Gruppe abzuwarten. 200 Passagiere haben zu diesem Zeitpunkt offensichtlich schlagartig dieselbe Ziffer auf ihrem Ticket aufscheinen. Wer es nicht besser weiß, könnte annehmen, dass es womöglich für alle, die sich per Ellenbogentaktik unter den ersten zehn im Flugzeug einfinden, ein Gratisticket gibt.
Vielleicht liegt das aber auch alles an einer generellen Leseschwäche der Passagiere. Denn viele scheinen nicht nur dramatische Schwierigkeiten beim Identifizieren ihrer Boarding-Gruppe zu haben, sondern auch hinsichtlich der Identifikation ihres Sitzplatzes. Erst kürzlich erlebte ich auf einem Flug von Thessaloniki nach Wien eine ungeahnte Nachfrage seitens österreichischer und deutscher Passagiere nach dem Sitzplatz „19B“. Wer nun denkt, dass durch ein fehlerhaftes Check-In-System dieser Sitz gleich fünf Personen gleichzeitig zugewiesen wurde, irrt. „19B“ war der Flugsteig, an dem sich die Passagiere Minuten zuvor einzufinden hatten. Dass dies mit dem anschließenden Sitzplatz im Flieger nichts zu tun hat, musste nicht wenigen Reisenden vom geduldigen Airline-Personal wiederholt erläutert werden, wobei es einiges an Überzeugungskraft brauchte, um festzustellen, bei wem der Fehler tatsächlich lag...
Alles Aufregung vor dem Abflug, die sich legt, sobald der Flug erst einmal angetreten ist?
Mitnichten. Kaum gelandet, ertönt – neben vereinzeltem Applaus ehemaliger 19B-Passagiere – parallel zur Aufforderung der Cabin Crew, noch so lange mit geschlossenem Sitzgurt am Platz zu verharren, bis erstens die Parkposition erreicht ist, zweitens die Anschnallzeichen ausgeschaltet wurden und drittens die eigene Sitzreihe zwecks blockweisen Aussteigevorgangs aufgerufen wurde, das fröhliche Geklicke von zig Sicherheitsgurtschnallen, um kundzutun: „Wir sind frei!“, während bereits erste Gepäckfächer der noch rollenden Maschine geöffnet werden. Das wird etwa dreißig Sekunden später von lautstarken Handytelefonaten untermalt, die man aufforderungskonformerweise an Bord ebenfalls unterlassen sollte. Dass zu diesem Zeitpunkt niemand mehr die resignierende Flugbegleiterin hört, welche angeschnallt auf ihrem Sitz zum Mikrofon greift und ein klares „Bitte bleiben Sie noch sitzen!“ an die wie außer Rand und Band geratene Meute richtet, verwundert kaum. Eher könnte man meinen, eine Kindergartenpädagogin vor sich zu haben, die eine Gruppe trotziger Dreijähriger im Zaum zu halten versucht.
Einfachste Regeln einzuhalten, das erscheint für zahlreiche Fluggäste wie ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber wehe, nach der Ankunft am Flughafen steht der Vordermann auf der Rolltreppe links.
Wo kämen wir denn da hin! Ordnung muss schließlich sein, nicht wahr?
(AG)
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