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"Staatsterrorismus": Weissrussland zwang Ryanair-Maschine zur Landung

Boeing 737 von Ryanair, Symbolbild - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Für diplomatische Verstimmungen zwischen der westlichen Welt und dem diktatorisch geführten Weissrussland sorgt der Falle einer zur Landung gezwungenen Ryanair-Maschine (wir berichteten gestern über Facebook). Die betroffene Fluglinie Ryanair äußerte sich mittlerweile ebenfalls.

Als Flug FR 4978 befand sich die Boeing 737-800 SP-RSM der Ryanair gestern auf dem Flug von Athen in die litauische Hauptstadt Wilna. Als sich die Maschine nur noch 45 nautische Meilen (etwa 80 Kilometer) südlich von Wilna im weißrussischen Luftraum befand, drehten die Piloten plötzlich nach Osten ab und landeten - eskortiert von mindestens einer MiG 29 der weißrussischen Luftwaffe - im doppelt so weit entfernten Minsk, der Hauptstadt von Weissrussland. Nach der Landung wurde der an Bord befindliche regierungskritische Blogger Roman Protasewitsch (26) von weißrussischen Sicherheitskräften verhaftet. Ihm droht nach eigenen Angaben die Todesstrafe durch Erschießen. Erst nach sieben Stunden am Boden durfte die Maschine weiterfliegen.

Angebliche Bombendrohung
Über die Hintergründe der Vorgänge gibt es verschiedene Versionen. Weißrussland behauptet, es habe eine Bombendrohung gegen den Flug gegeben, deshalb habe man die Maschine abgefangen und die Piloten zur Landung in Minsk aufgefordert. Da Minsk allerdings zum Zeitpunkt als die Piloten den Flug nach Wilna abbrachen doppelt so weit entfernt lag wie der eigentliche Zielflughafen, wird diese Behauptung sowohl von von Luftfahrtexperten als auch Politikern massiv angezweifelt. Denn im Falle einer Bombendrohung ist die Landung auf dem nächstgelegenen Flughafen das international übliche Standardverfahren - und der wäre in diesem Fall Wilna gewesen.

Vielmehr herrscht in Luftfahrtkreisen und auch der westlichen Politik die Ansicht vor, dass der Ryanair-Flug in Minsk zur Landung gezwungen wurde, damit das Regime um Diktator Alexander Lukaschenko den regierungskritischen Blogger Roman Protasewitsch verhaften konnte. Laut einem Bericht der "Bild"-Zeitung seien vor dem Weiterflug der Maschine nach Wilna zwei weißrussische und vier russische Staatsbürger nicht wieder an Bord gegangen. Das Blatt beruft sich dabei auf Angaben des im polnischen Exil lebenden weißrussischen Oppositionspolitikers Pavel Latuschka.

Die Erklärung dafür ist laut Tadeusz Giczan, Chefredakteur des weißrussischen Nachrichtenkanals "Nexta", den der nun verhaftete Protasewitsch mitbegründet hat, dass es sich bei diesen Personen um Geheimdienstmitarbeiter gehandelt habe.

"Staatsterrorismus" und "Entführung"
Deutliche Worte zu dem Vorfall fand der deutsche Außenminister Heiko Maas: "Ein solcher Akt kann nicht ohne deutliche Konsequenzen von Seiten der Europäischen Union bleiben.In jedem Fall muss Weissrussland die Sicherheit, Unversehrtheit und Freiheit aller Passagiere unverzüglich gewährleisten und Roman Protasewitsch freilassen." Der deutsche Außenexperte Norbert Röttgen nannte die erzwungene Landung der Ryanair-Maschine sogar wörtlich einen "unfassbaren Fall von Staatsterrorismus".

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte den Vorfall eine "Entführung" und forderte Sanktionen gegen die Verantwortlichen. EU-Ratspräsident Charles Michel bekräftigte, dass dieser Vorfall "nicht ohne Folgen" (für Weißrussland) bleiben werde.

Der Bundesvorsitzende der Jungen Union Deutschlands, Tilman Kuban (33), bezeichnete den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko aufgrund des Vorfalls wörtlich als "Gefahr für das freie Europa" und fordert: "Die Europäische Union muss Belavia die Landerechte entziehen und diplomatische Beziehungen abbrechen."

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach von einem "Akt des Staatsterrorismus".

Selbst die USA fordern nun eine "internationale Untersuchung".

Das österreichische Außenministerium forderte ebenfalls eine umfassende Untersuchung des Vorfalls sowie die sofortige Freilassung des verhafteten Bloggers.

Indes leiteten die litauischen Behörden Ermittlungen wegen des Verdachts der Flugzeugentführung ein.

Ryanair übt scharfe Kritik
Ryanair-Chef Michael O'Leary sprach mittlerweile gegenüber Medien davon, dass der Vorfall ein "Akt staatlich unterstützter Entführung" war. Der Manager äußerte auch konkret die Vermutung, dass sich mehrere Geheimagenten an Bord der Maschine befunden hätten.

"Es wirkt, dass es die Absicht der Behörden war, einen Journalisten und seine Reisebegleiterin (aus dem Flugzeug) zu entfernen."
Ryanair-Chef Michael O'Leary

Erinnerungen an Fall Morales
Die Causa weckt aber auch Erinnerungen an den Fall Evo Morales. 2013 musste das Flugzeug des damaligen bolivianischen Präsidenten auf dem Flug von Moskau zurück in seine Heimat außerplanmäßig auf dem Flughafen Wien landen, nachdem die drei NATO-Länder Italien, Spanien und Frankreich seltsamerweise kurzfristig die Überfluggenehmigung verweigert hatten - mutmaßlich auf Intervention der USA, die Edward Snowden in der Maschine vermuteten ...

(red)