Die Erfindung des Steuerknüppels, die allererste internationale Fluglinie, die zweit-wichtigste Luftfahrtnation ihrer Zeit, das einst weltweit größte Luftschiff, die damals viert-größte Fluglinie und der Flughafen mit den meisten internationalen Flugverbindungen in Europa, der weltweit erste Elektroflug und der zurzeit zweit-größte und innovativste Hersteller von Kleinflugzeug; richtig – wir sprechen von Österreich. Das ist nicht jedem geläufig, aber es wäre gänzlich in Vergessenheit geraten und unbeachtet, hätte nicht Reinhard Keimel seine gesamte Energie und sein ganzes Leben der Erfassung und Aufzeichnung der faszinierenden Geschichte der Österreichischen Luftfahrt gewidmet. Hofrat Dipl.-Ing. Reinhard Keimel verstarb zu früh am 9. November im Alter von 77 Jahren – ein Versuch eines Nachrufs.
Reinhard Keimel wollte eigentlich Konstrukteur von Luftfahrzeugen werden, aber die Österreichische Luftfahrtindustrie der 1950 und 1960er konnte bei weitem nicht an die Größe jener längst vergangenen Zeit anknüpfen, in der Österreich neben Frankreich zu den wichtigsten Industrienationen auf dem Gebiet dieser damals neuen Technologie gehörte. Jener Zeit der Weltrekorde von Etrich und Lohner-Flugzuegen angetrieben von Porsche-Motoren und vorgeführt vor hunderttausenden auf dem damals modernsten Flugfeld weltweit – dem Flughafen in Aspern unter den Auspizien des Kaisers.
Vielleicht war es genau der Umstand, dass diese den meisten heute völlig unbekannte Seite unserer Geschichte Reinhard Keimel schon früh im Alter von 12 Jahren inspirierte, diese aufzuzeichnen und das durchaus im wahrsten Sinne des Wortes. Schon früh begann er Flugzeuge beispielsweise anhand von Fotos oder manchmal auch nur Fragmenten solcher nachzukonstruieren, um die teilweise geniale Technik mit wissenschaftlicher Akribie ebenso zu dokumentieren, wie die Menschen, welche dahinterstanden. Es sollten zigtausenden Zeichnungen und Modelle werden. Zeichnungen, welche internationale Maßstäbe in der Aufzeichnung der Geschichte der Technik setzten und in vielen Museen und Publikationen zu bestaunen sind.
Dabei begann Hofrat Keimel seine Karriere nicht wie ursprünglich gewünscht als Konstrukteur, sondern als Architekt. Bei der Inskription war ihm die Warteschlange bei der Anmeldung zum Maschinenbaustudium zu lang und er wechselte kurzerhand zu Architektur. Eigentlich ein Glücksfall, da er im Laufe des Architekturstudiums seine Begabung in der darstellende Geometrie noch mehr vertiefen konnte und sich damit jene Fertigkeiten aneignen konnte, welche gerade für die zeichnerische Archivierung so wichtig sein sollte.
Sein umtriebiges Wesen hat den stets äußerst bescheidenen, höflichen und zugleich humorvollen Dipl.-Ing. Keimel dann auch recht bald ins Technische Museum Wien geführt. Zunächst war Schiffsbau sein Thema. Ein Gebiet auf dem Österreich einst zu in der Welt führenden Nationen gehörte, noch mehr als in der Luftfahrt, und das nicht nur auf der Donau, wie mancher vermutet und gerne glauben möchte, sondern gerade und vor allem auf den Meeren der ganzen Welt. Auch diese Geschichte geriet in Vergessenheit und auch das spornte den damals jungen Diplomingenieur an, diese zu archivieren und zu dokumentieren.
Die Luftfahrt stellte jedoch die eigentliche Passion Keimels dar. Stunden, Tage und Wochen in Archiven vertieft, stets mit dem Fotoapparat bewaffnet, so kannten man Reinhard Keimel auch bei Treffen auf Flugplätzen. Er zeichnete die Geschichte jeden einzelnen Flugzeugs, jedes einzelnen Modell-Typs derart präzise nach, dass wir heute zu den wenigen Nationen gehören, welche das Schaffen in der Luftfahrt nahezu vollständig und lückenlos aber vor allem in standardisierter Form dokumentiert haben. Politisch völlig uninteressiert, neutral und auf Fakten basierend liegt hier ein Gesamtwerk vor, dass wissenschaftlich aber auch handwerklich und künstlerisch seines gleichen suchen muss.
Reinhard Keimel begnügte sich dabei aber nicht nur auf seiner Tätigkeit als Kustos der Verkehrsabteilung des Technischen Museums Wien, deren längst dienender Mitarbeiter er werden sollte, er war auch Gründer und Mitbegründer zahlreichere Museen und Ausstellungen, wie dem Aviaticum in Wr. Neustadt oder dem Segelflugmuseum am Spitzerberg, die heute noch besucht werden dürfen. Er betrieb das Österreichische Luftfahrtarchiv und war Herausgeber der Zeitschrift Flug-Informationen, welche die Geschichte, Technik und Forschung der Österreichischen Luftfahrt widmet.
In zahlreichen Publikationen wie den Zeitschriften der ÖFH, den Nachrichten und Informationen der Österreichischen Flugzeug Historiker, sind seine Artikel und Zeichnung unverzichtbar. Bis zuletzt überraschte Reinhard Keimel mit neuesten Erkenntnissen und Fakten aus der Geschichte der Luftfahrt, welche sonst für immer in Vergessenheit geraten wären.
Reinhard Keimels zahlreichen Bücher fungieren auch in Zukunft als Standardwerke für die Geschichte der Österreichischen Luftfahrt. Obwohl sehr umfangreich, stellen sie letztendlich dennoch nur einen Bruchteil des Gesamtschaffens von Reinhard Keimel dar.
Man konnte Reinhard Keimel, der sich nie in den Vordergrund drängen wollte, stets bescheiden, unvoreingenommen und neutral allem und jedem gegenüberstand, stundenlang bei seinen auch mit viel Humor gespickten Erzählungen zuhören. Im Rahmen des Traditionsvereines Wiener Aero Club war dies möglich. Der Verein, der einst hunderte Mitglieder zählte, Feste und Bälle veranstaltete, war zuletzt sehr klein und ruhig geworden. Dennoch es gab und gibt Vorträge und äußert informative Treffen.
Das selbstlose Schaffen im Dienste Österreichs von Hofrat Keimel war und ist so umfangreich und so wichtig, dass er spät aber doch für eine Auszeichnung der Republik vorgeschlagen wurde. Durch die allgemeinen Umstände unserer Zeit und seinen frühen Tod Reinhard Keimel konnte Reinhard Keimel, einer der wichtigsten Forscher und Wissenschaftler der Österreichischen Geschichte, eine solche Ehrung zu Lebzeiten nicht mehr entgegennehmen.
Es wird sehr schwierig und nahezu eigentlich unmöglich Reinhard Keimels Arbeit fortzusetzen. Dennoch darf das Schaffen dieses Menschen in den Diensten der Geschichte dieses Landes nicht in Vergessenheit geraten, sondern muss aufbewahrt und weitererzählt werden.
Reinhard Keimels einzigartige Bilder haben viele, wenn nicht Generationen, von in der Luftfahrt tätigen Menschen in diesem Land begleitet und inspiriert, manchmal ohne zu wissen, von wem diese Abbildungen stammten. Sie werden es weiter tun.
Hofrat Dipl.-Ing. Reinhard Keimel, der am 29. November zu Grabe getragen wird, hat dies ermöglicht.
Die Geschichte braucht eine Zukunft – weil es eine Zukunft ohne ihre Geschichte nicht gibt.
Text: Dr. Reinhard Lernbeiss, Flugkapitän, Flugprüfer, Fluglehrer und Universitätslektor
Fotos: Archiv des Autors