Als Viennaflight im Jahr 2012 an den Start ging, war das Ziel klar definiert. Viennaflight-Gründer Gehard Lück wollte Luftfahrtenthusiasten und PC-Flugsimulatorpiloten ein möglichst realitätsnahes Flugerlebnis bieten. Denn die bis dahin einzige Alternative zum heimischen PC, ein Flug in einem richtigen Full Flight Simulator mit hydraulischem Bewegungssystem, etwa am Flughafen Wien oder in den Trainingszentren großer Airlines in Zürich oder Frankfurt, war enorm kostenintensiv. Lück baute seinen A320-Simulator daher mit möglichst vielen Originalcockpitteilen, einem großartigen Sound- und Sichtsystem, verzichtete jedoch auf die so genannte Motion. "Dadurch konnten wir von Anfang an preisgünstiger anbieten", erzählt Lück. Zudem können Flugfans in den Simulatorzentren der großen Airlines nur sehr beschränkte Restkapazitäten buchen, da die Geräte ja primär der Aus- und Fortbildung von Berufspiloten dienen. Das Konzept kam an, Viennaflight hatte neben dem A320 auch einen ebenfalls sehr realitätsnahen Bell 206 Jet Ranger Hubschraubersimulator. Bereits ein Jahr nach der Gründung, 2013, übernahm man zusätzlich einen 737NG-Simulator eines anderen Betreibers, der in die Pension ging. Parallel dazu bauten Lück und sein Team immer mehr Originalteile - vom Schubhebel bis zu den Sauerstoffmasken - in den bestehenden A320-Simulator ein. 2018 beschaffte Viennaflight ein 767-Cockpit, doch das Projekt verlief jedoch aufgrund tragischer Umstände, die außerhalb von Lücks Einflussbereich lagen, im Sand. 2019 wurde die bestehende Flotte um einen Eurofighter-Simulator erweitert.
Dreamliner als Flaggschiff
Nachdem das 767-Projekt nicht umgesetzt wurde, sah sich Lück nach einer Alternative um. Und schließlich ersetzte ein 787-Dreamliner-Simulator den bestehenden 737NG-Simulator.
"Für die Kurzstrecke hatten wir den A320, daher wollten wir eine moderne Boeing für Langstreckenflüge."
Gerhard Lück gegenüber Austrian Wings
Innerhalb kürzester Zeit (Details dazu gibt es in unserem Videobeitrag) stampften Lück und sein Team das Dreamliner-Projekt aus dem Boden und setzten es - trotz pandemiebedingter Herausforderungen - um. Im vergangenen Jahr hob die 787 von Viennaflight schließlich zum virtuellen Erstflug mit Kunden auf dem linken Sitz des Cockpits ab. Schon damals war eine ausführliche Reportage zum neuen Flaggschiff des Anbieters geplant, doch Viennaflight musste trotz eines enorm professionellen und sicheren Hygienekonzepts - wir berichteten - aufgrund der Lockdowns monatelang seine "Hangartore" schließen. Doch nun war es endlich so weit, der sprichwörtliche Testflug stand auf dem Programm.
Take off im Dreamliner
Bevor der Autor allerdings im Cockpit Platz nehmen konnte, absolvierte er trotz Dreifach-Impfung einen Coronatest (PCR), denn 2G+ ist bei Viennaflight zum Schutz von Kunden und Mitarbeitern selbstverständlich. "99 Prozent unserer Kunden tragen diese Maßnahme mit", betont Lück. Zusätzlich machte der Chronist wenige Stunden vor dem geplanten Besuch noch einen Antigen-Schnelltest, safety first, wie es in der Luftfahrt selbstverständlich sein sollte.
Der Zutritt zum Simulatorzentrum ist nur mit FFP2-Maske möglich, nach dem Betreten der Räumlichkeiten ist die Händedesinfektion obligatorisch. Danach folgt ein Briefing durch einen professionellen Piloten. Dank einer gewissen fliegerischen Vorerfahrung (Microsoft Flight Simulator 2, 4, 5 und 5.1, "reale" Flugausbildung in Wiener Neustadt, zahlreiche Simulatorflüge auf verschiedenen Full Flight Simulatoren, unzählige Jump Seat Mitflüge in Cockpits unterschiedlicher Verkehrsflugzeuge, von der Dash 8-300 bis zur Boeing 747-8) sind die Grundlagen des Fliegens und der Instrumente vertraut. Dennoch, eine Auffrischung der (eingerosteten) Kenntnisse kann nicht schaden. Zumal eine Boeing 787 auch virtuell ganz andere Dimensionen als etwa eine Fokker oder eine MD-80 hat.
Anschließend geht es in den Dreamliner-Simulator. Wir stehen am Flughafen Seattle. Der erste Eindruck - überwältigend. Bis auf die Steuerhörner (sie stammen von einer 757 und wurden schwarz lackiert, da keine originalen Dreamliner-Yokes zu bekommen waren, doch diese Kleinigkeit fällt nur wirklichen "Freaks" auf) wirkt alles ausgesprochen authentisch. Das Sichtsystem beeindruckt durch eine fotorealistische Darstellung, die ihresgleichen sucht und sich nicht vor wesentlich teureren zertifizierten Full Flight Simulatoren zu verstecken braucht. Aus den Lautsprechern ist authentischer Funksprechverkehr zu hören.
Los geht's: "Tower, servus, Austrian Wings One request pushback and startup". "Austrian Wings One, pushback and starup is approved". Nachdem die Hilfsturbine (APU) gestartet ist, werden hintereinander die beiden Triebwerke angelassen. Die entsprechende Geräuschkulisse kommt aus den Lautsprechern, die Instrumente zeigen die entsprechende Werte. Spätestens jetzt hat man vergessen, dass man "nur" in einem Simulator sitzt. Die Checklisten werden abgearbeitet. Übrigens digital, denn Papierchecklisten gehören im Dreamliner der Vergangenheit an. "Austrian Wings One request taxi." "Austrian Wings One taxi to holding point runway 34L and report ready for departure." "Roger, will taxi holding point runway 34L and report ready, Austrian Wings One."
Es dauert mehrere Minuten, bis wir die zugewiesene Piste erreichen. Die Steuerung eines Verkehrsflugzeuges am Boden erfolgt mittels Tiller, eine Art "halbes Minilenkrad" mit dem das Bugrad gelenkt wird. "Austrian Wings One, holding point runway 34L is ready for departure." "Austrian Wings One, clared for take off 34L, wind calm, have a nice flight." "Roger, cleared for takeoff runway 34L, Austrian Wings One and thank you."
Stickshaker sorgt für Schweiß auf der Stirn
Jetzt wird es ernst. Auf Anweisung des Instruktors wird die Leistung auf 50 Prozent gesetzt, anschließend werden die beiden "TOGA-Buttons" auf den beiden Schubhebeln gedrückt. Wie in der richtigen Boeing fahren die Triebwerke nun automatisch auf 100 Prozent Leistung. Das Aufheulen der Turbinen wird realistisch durch das Audiosystem wiedergegeben. Höchste Konzentration ist gefragt, um die Maschine in der Pistenmitte zu halten.
Nach wenigen Sekunden meldet eine Computerstimme "V one", also jene Entscheidungsgeschwindigkeit, bis zu der ein Start noch sicher abgebrochen werden kann. Danach gibt es kein zurück mehr. "Rotate" kommt der Call des Pilot Monitoring und Instruktors vom rechten Sitz. Ein leichter Zug an der Steuersäule und die virtuelle Boeing 787 erhebt sich in den nicht minder virtuellen Himmel. "Positive rate, gear up, please". "Gear up", bestätigt der Pilot Monitoring. Anschließend heißt es, sich mit der Maschine vertraut zu machen, Flight Director, Autothrust, Autopilot und Trimmung, sind nur einige der Schlagworte. Es folgten Steig- und Sinkflüge sowie verschiedene Turns. Bis auf das fehlende hydraulische Motionsystem ist kaum ein Unterschied zu einem Full Flight Simulator zu bemerken. Dann wollen wir mal testen, wie realistisch sich die 787 im aerodynamischen Grenzbereich verhält. Schub raus, Nase nach oben, ist die Devise.
Der Simulator reagiert physikalisch akurat. Die Geschwindigkeit fällt rasch ab, das rote Band am Fahrtmesser nähert sich unaufhaltsam. Und dann geschieht es. Es ertönt nicht nur eine akustische Stall-Warning, sondern es aktiviert sich doch tatsächlich lautstark ein Stickshaker, der einem den Schweiß auf die Stirn treibt. Jetzt ist rasches Handeln gefragt: Nase nach unten, vorsichtig nachtrimmen, Schub erhöhen, Geschwindigkeit und Sinkrate im Auge behalten, rechtzeitig abfangen, damit wir nicht in einen unkontrollierten Sturzflug übergehen.
Puh, Situation gemeistert. Zurück nach Seattle, denn der Höhepunkt des "Testfluges" steht jetzt bevor - der Anflug auf den seit bald einem Vierteljahrhundert geschlossenen Flughafen Hongkong Kai Tak. "Tower good evening, Austrian Wings One established ILS 34L."
"Austrian Wings One, cleared to land 34L, wind calm." Cleared to land, 34L, Austrian Wings One." Butterweich setzen wir den Dreamliner wieder in Seattle auf. Die Pflicht ist erfüllt, jetzt geht es an die Kür.
Kai Tak - die Legende
Die Frage an Gerhard Lück, ob in der Datenbank des Dreamliners auch Hongkong Kai Tak vorhanden ist, bejaht dieser mit einem breiten Grinser. Auch der Instruktor des heutigen Tages freut sich sprichwörtlich wie in kleines Kind auf diesen Anflug. Für die jüngeren Semester unserer Leser zur Erkärung: Der Flughafen Hongkong Kai Tak war von 1954 bis 1998 in Betrieb und weltweit einzigartig. Aufgrund der durch die umliegenden Berge und die Stadt beengten Platzverhältnisse in der damaligen britischen Kronkolonie war die Piste in den Hafen hinein gebaut. Ein regulärer stabilisierter Anflug war lediglich von der Seeseite her möglich. Meistens herrschten in Hongkong jedoch Windverhältnisse, die einen Anflug über das dicht besiedelte Gebiet erforderlich machten.
Das funksendergestützte Instrumentenlandesystem unterschied sich von dem anderer Flughäfen wie folgt: Die Anfluggrundlinie des Landekurssenders führte nicht wie üblich in einer geraden Linie auf die Mittelachse der Landebahn, sondern wies abweichend von der Landebahnausrichtung auf einen Sportpark nahe einem am Stadtrand gelegenen Hügel, dem Checkerboard Hill, der heute eine Sehenswürdigkeit darstellt. Dieser war weithin sichtbar als optische Orientierungshilfe mit einem rot-weißen Schachbrettmuster markiert, dem so genannten "Checkerboard". Die Verlängerung der Mittelachse der Landebahn hingegen schnitt kurz vor dem Hügel den durch den Landekurssender vorgegebenen Anflugkurs im Winkel von 48°. Auch der Gleitpfadsender bezog sich nicht unmittelbar auf die Landebahnschwelle, sondern den Checkerboard Hill. Ein Abfliegen des ILS-Anfluges, wie sonst bei diesem Verfahren üblich, hätte in Kai Tak also nicht zum Aufsetzpunkt der Landebahn geführt, sondern in die Bergflanke des Checkerboard Hills.
Die Piloten mussten zuerst dem Gleitpfad und Landekurs in Richtung des Sportparks nahe dem Checkerboard folgen. Beim Erreichen des Haupteinflugzeichens (Middle marker, MM) war der ursprüngliche Kurs des Landekurssenders unverzüglich durch Einleiten einer engen Rechtskurve zu verlassen. Ab hier musste dem Verlauf einer bogenförmig gekrümmten Anflugblitzbefeuerung präzise gefolgt werden, um auf den abknickenden Endanflug in Ausrichtung der Landebahnmittelachse zu gelangen. Nach Ausleiten dieser Kurve hatten die Piloten nur wenige Sekunden Zeit, das Flugzeug für die Landung zu stabilisieren. Zu diesen fliegerischen Herausforderungen kam noch der Umstand, dass der Anflug und die Richtungsänderung kurz vor der Landung in niedriger Höhe über dicht bebautem Gebiet durchgeführt wurde.
Eine zu "lange" Landung, beziehungsweise ein zu weites Ausschweben hinter der Landeschwelle, war aus weiteren Gründen gefährlich: erstens endete die Landebahn im Wasser (so geschehen unter anderem im November 1993, als eine Boeing 747-400 der China Airlines das Pistenende überschoss), zweitens gehörten extreme Seitenwindböen zum Alltag. Von ihnen wurden die Flugzeuge oftmals kurz vor dem Aufsetzen aus der Bahnmitte versetzt. Wegen der Nähe zur Stadt musste aber auch ein zu frühes Aufsetzen vermieden werden.
Kurs- und gleitpfadgestützte Instrumentenlandesysteme tragen normalerweise die abgekürzte Bezeichnung ILS. Da Kai Tak aber von dieser Norm abwich, wurde sein System nicht als ILS, sondern, um Fehlinterpretationen zu vermeiden, als IGS (Instrument Guided System) bezeichnet. Piloten brauchten für seine Nutzung eine spezielle Lizenz, in der Praxis bedeutete dies, dass nur speziell qualifizierte Kapitäne in Kai Tak landen durften.
Zusätzlich zu den genannten Problemen wurde die Kapazität des Flughafens dem gewachsenen Verkehrsaufkommen nicht mehr gerecht. Noch vor dem Ende der britischen Kolonialherrschaft wurden die Arbeiten am neuen Flughafen Chek Lap Kok aufgenommen, der 1998 fertiggestellt war und Kai Tak ablöste.
Take off!
Nach einem ausführlichen Briefing erfolgt unser Start auf der Piste 13 von Kai Tak. Im Steigflug geht es zunächst geradeaus über die vorgelagerten Inseln, ehe der Kurs nach Steuerbord geändert wird, um schließlich über den IGS-Anflug wieder auf der Piste 13 zu landen. Die letzte "Landung" des Autors in Kai Tak liegt gut 20 Jahre zurück und fand mit dem Learjet 35 im Flight Simulator 5.1 auf dem heimischen PC (486 DX2, 66 Mhz) statt ... Höhe, Sinkrate und Geschwindigkeit müssen penibel eingehalten werden, sonst geht die Sache unweigerlich schief. Der Anflug auf Kai Tak verzeiht keine Fehler.
Die Hände am Steuerhorn verkrampfen sich, je näher die Häuser kommen. "Checkerboard Hill in sight", meldet der Pilot Monitoring. "Checked", ist die Antwort. "Hongkong Tower, good evening Austrian Wings One with you." "Austrian Wings One cleared for IGS-Approach runway 13, wind 140 degrees, 5 knots". "Roger, cleared for IGS-Approach 13, Austrian Wings One".
Die Häuser werden immer größer, auch das Checkerboard ist jetzt unübersehbar. Rechts vor dem Cockpit blitzt die Anflugbefeuerung, die den Weg zur Piste weist. "Die Kurve nicht schneiden, bleib' genau auf der Linie", erinnert der Instruktor vom rechten Sitz aus. "Checked." "Austrian Wings One, cleared to land RWY 13, wind 145 degrees, 9 knots." "Cleared to land runway 13, Austrian Wings One, Dō zé (Kantonesisch für "Danke")."
Final approach
"Jetzt, right turn", mahnt der Instruktor. "Roger, right turn, mach' Du mir bitte die Speed." "Checked", kommt es zurück. Perfektes Teamwork, dank guter Kommunikation. Schon Friedrich Schiller wusste: "Wenn gute Reden sie begleiten, fließt die Arbeit munter fort". Am Steuerhorn ist zu spüren, wie der Instruktor mehrmals korrigierend eingreift, um zu verhindern, dass wir ein virtuelles Inferno anrichten, doch schlussendlich klappt die Landung auf Honkongs legendärem Airport einigermaßen passabel - nach 20 Jahren "Pause".
Es hat Spaß gemacht, in jeder Hinsicht. Denn man spürt die Leidenschaft, mit der Gerhard Lück und sein gesamtes Team die Kunden begeistern in jeder Minute, in denen man bei Viennaflight zu Gast ist. Dazu kommen technisch moderne Simulatoren und ein umfassendes Hygienekonzept, das (Simulator-)Fliegen auch in Pandemiezeiten wirklich safe macht - und das ist einfach ein gutes Gefühl.
Auch so manches Mitglied des Austrian Wings wird sicherlich als Privatkunde wiederkommen. Ohne Kameraausrüstung, einfach nur zum Fliegen - "just for fun", und das können wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser aus tiefstem Herzen mit gutem Gewissen empfehlen. Wenn es nicht am Platz im heimischen Wohnzimmer (und an der dann wohl zukünftigen Ex-Ehefrau) scheitern würde, hätte der Autor den Dreamliner-Simulator am liebsten gleich mitgenommen ...
(HP)