Reportagen

Starfighter Crash: "I’m on fire, fire, fire!"

Drei Starfighter der Bundeswehr im Flug; vom Absturz einer zweisitzigen Maschine dieses Typs handelt diese Reportage, Symbolbild - Foto: Archiv Bundeswehr

Über einen dramatischen Starfighter-Landeunfall, der auch sein eigenes Leben verändern sollte, berichtet der bekannte Luftfahrtjournalist Hauptmann a. D. Andreas Fecker im folgenden Gastbeitrag.

Alles war normale Routine bis zu jener Minute, als „Cowboy 13“ zur Landung zurück kam ...

"Tower, I’m on fire, fire, fire!" Ich konnte nichts, aber auch gar nichts tun, außer ihm den Weg zur Landebahn freihalten. Der doppelsitzige Starfighter zog nicht etwa nur schwarzen Rauch hinter sich her, sondern eine gleißende Feuerlanze, die lang und länger wurde, während der Starfighter auf den Endanflug einkurvte. Die Piloten hatten keine Chance. Der Schubverlust war so groß, dass der Fighter kurz vor dem Aufsetzen an Höhe verlor und abstürzte. Nur Sekunden vor dem Aufschlag zündeten die Schleudersitze, dann verhüllten Feuer und Rauch die Szene. Die halbgeöffneten Fallschirme verschwanden in dem Inferno der explodierenden Maschine.

"Tower, I'am on fire, fire, fire!"
Starfighter-Pilot

Es ist der Alptraum eines jeden Fluglotsen, eines Tages so etwas mitmachen zu müssen. Du kanntest die Piloten, du kennst ihre Frauen und Kinder. Doch du musst dich zusammenreißen, Du musst weiter funktionieren, denn du arbeitest in Decimomannu, Italien, auf dem verkehrsreichsten Militärflughafen Europas, und du hast immer noch sieben Maschinen in der Luft, die du zur Landung holen musst, trotz der laufenden Rettungsaktion und der ausgebrochenen Hektik auf den beiden Landebahnen.

Alles was Räder hatte fuhr auf den beiden Landebahnen nach Süden zur Aufschlagstelle, eine halbe Meile im Final. Beide Bahnen waren belegt. Mein italienischer Assistent schreit mir zu, er hätte die Bahnen gewechselt und hätte Anweisung gegeben, auf der inneren Bahn zu arbeiten. Ich zähle die Fahrzeuge, auf der inneren Bahn sind mehr unterwegs, Techniker, Piloten, Crashcrew, Sanis, Staff-Cars, und natürlich auch – Gaffer!

Der deutsche Flight Safety Officer (FSO) fragt mich auf dem deutschen Bodenfunkkreis, wer den Schlüssel zum Crashtor Süd hat. Ich ignoriere ihn, weil ein amerikanischer F-15 Pilot Luftnotlage wegen Spritmangel erklärt. Ich habe keine Runway frei, ich muss ihn herumschicken. Der FSO nervt mich noch immer. Ich belle ihn an, dass ich mich um einen solchen Kram jetzt nicht kümmern kann. Ich stoße meinen Assistenten an und bedeute ihm, auf der inneren Bahn sind zu viele Fahrzeuge, es ist leichter die äußere Bahn frei zu kriegen. Er reagiert nicht auf mich, er hat zwei Telefonhörer am Kopf. Ich reiße ihn an den Haaren und schreie ihm ins Gesicht, "wir benutzen die Primary Runway, die äußere Bahn".

Der FSO schreit mich an, er habe ein Recht auf eine Antwort. Ich merke, dass ich ihm auf Italienisch geantwortet hatte und wiederhole auf Deutsch, er solle sich mit der Feuerwehr auseinandersetzen. Ich verspreche der Maschine mit Luftnotlage die Landung aus dem nächsten Anflug. Ich nehme eine F-5 davor und jage sie im Tiefstflug über die Primary, als sichtbares, nonverbales Zeichen an alle, dass dies die aktive Landebahn ist. In diesem Moment startet der Rettungshubschrauber. Er ruft auf VHF herein, die Lautsprecher für diese Frequenz sind auf der anderen Seite der Konsole, der Ground Controller hat das „störende Gequake“ längst abgedreht. Der Rettungshubschrauber startet auf eigenes Risiko und fliegt entgegen der Anflugrichtung zur Crashsite im Endanflug.

Er kann die anfliegende F-15 nicht sehen, da der Wind die Rauchsäule in die Richtung bläst, aus der die Maschine anfliegt. Ich entscheide mich aus dem Bauch heraus, dem Rettungshubschrauber Priorität zu geben und nehme die F-15 noch einmal herum. Der F-15 Pilot quittiert die Anweisung ungerührt und sagt, „ich habe noch Sprit für diesen Go-Around. Wenn ich danach nicht landen kann, muss ich aussteigen.“

Ich frage den Fuel State der anderen Maschinen ab (alle knapp) und nehme sie alle hinter die F-15. Die Landungen klappen nun, eine nach der anderen, bis auf die siebte. Der Rettungshubschrauber startet wieder mit der Starfighter-Besatzung an Bord zum Krankenhaus, die Besatzung hatte wider Erwarten überlebt. Der Start erfolgte wieder ohne Funkkontakt, die Frequenz war ja immer noch abgedreht. Ich nehme die letzte Maschine noch einmal herum, sie landet dann drei Minuten später.

Dann ist Stille. Niemand spricht ein Wort. Jeder versucht, das soeben Erlebte zu begreifen, zu verarbeiten. Ich verspüre einen Krampf in meinem Rücken, begleitet von Atembeklemmung. Ich will meine Kameraden ansprechen, ich kann nicht reden! Ein Gefühl als hätte ich gleichzeitig einen Hexenschuß, einen Tritt aufs Steißbein und einen Hieb in den Magen bekommen. Nach ein paar Minuten löst sich der Krampf, ich vermag mich zu entspannen, spüre aber einen Muskelkater in meinem Rücken.

Wir tauschen uns aus. Übereinstimmender Eindruck von uns Vieren ist, dass nicht der Crash das kulminierende Ereignis war, sondern dass die Situation immer schlimmer wurde, dass wir Gefahr liefen, einen weiteren Crash am Boden zwischen landenden Maschinen und Fahrzeugen zu haben, die nicht ansprechbar waren, dass wir einen Zusammenstoß mit dem Rettungshubschrauber hätten haben können, und letztendlich war da noch der drohende Ausschuss des F-15 Piloten.

Wir diskutierten untereinander, ob wir etwas hätten anders machen können. Wir fügten die Erlebnisse der einzelnen Controller zu einem Mosaik zusammen. Denn jeder hatte die „Chaos Phase“ anders erlebt. Wir warfen die Frage auf: "Kann man bei einem Crash überhaupt professionell reagieren?" Jemand sagte: "Natürlich, wenn Du jeden Tag einen hast, kein Problem." Schließlich kamen wir zu der Überzeugung, dass wir alles gut gemacht hatten, klopften uns selbst auf die Schultern, gingen abends noch ins Casino und gossen uns fürchterlich einen auf die Lampe. Ich weiß heute noch nicht, wie ich nach Hause gekommen bin.

Doch was blieb? Nächte ohne Schlaf, schweiß­nasse Nächte, das andauernde Durch­spielen der Situation von neuem, wo hätte ich anders, gelassener reagieren können? Werde ich beim nächsten Crash gelassener, übersichtlicher reagieren können? Würde ich mich kühler verhalten, wenn ich mich gelegentlich auf solche Situationen vorbereitete? Expect the unexpected? Ich war damals schon seit 15 Jahren Fluglotse, hatte aber einen solchen Crash noch nicht erlebt. Kann man sich darauf trainieren?

Nach einem Monat war ich zwar wieder der alte, aber nächtliche Alpträume ließen mich den Crash wieder und wieder erleben. Ich erwähnte das dem Fliegerarzt gegenüber aber eher beiläufig, schließlich läuft man sonst sofort Gefahr, von der Verwendung abgelöst zu werden. Im Ausland bedeutet das Rückumzug für die Familie, vorzeitige Umschulung der Kinder, und und und. Außerdem ist das eben "ein besonderes Ereignis, und die Verarbeitung dauert schon mal ein wenig länger". Der Sommerurlaub stand an, vier Wochen USA und danach würde schon alles vorbei sein. War’s auch.

Nur ein Diavortrag
Ich verbrachte meine Urlaube als Reiseleiter für eine Münchener Trekkingagentur mit Spezialgebiet Nordamerika. Im Rahmen eines jährlichen Informationstages bat mich die Firma, einen 20-minütigen Diavortrag über eine von mir konzipierte Arizona-Trekking-Reise in der Stadthalle von Garmisch-Partenkirchen zu halten. Ich zog alle Register der Vortragskunst. Eine dunkelpausenfreie, multimediale Überb­lend­show mit vier Projektoren wurde zum Schluß noch gekrönt von einem Song, den ich mit Gitarre vor (Projektor-erzeugtem) flackerndem Lagerfeuer auf der Bühne vortrug, im lockeren Dreivierteltakt zuerst, dann mit Takt- und Rhythmuswechsel und einem Ohrwurm-Refrain, bei dem die Besucher begeistert mitklatschten. Da floss Strom zwischen Bühne und Publikum! Als das Licht im Saal wieder anging erhielt ich eine stehende Ovation von den 2000 Zuschauern.

Wieder ein Erlebnis, das ich noch nicht kannte, und wieder packte mich der Krampf in der Wirbelsäule. Ich stand auf dem Podium, klammerte mich am Pult fest, nicht in der Lage mich zu bewegen oder auch nur ein einfaches „Dankeschön“ zu murmeln. Das Publikum verlangte eine Zugabe, die ich auch gerne gegeben hätte, allein es war mir nicht möglich.

Fortan folgten diese Situationen in immer kürzeren Zeiträumen, bei denen ich die Krämpfe bekam. Ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Jede Emotion löste schmerzhafte, spasmische Krämpfe in meinem Rücken aus, von der Hüfte bis ins Genick. Trotzdem war ich wild ent­schlos­sen, dieses lästige Syndrom in den Griff zu kriegen. Ich befragte Ärzte, die ich bei Routineun­ter­su­chungen aufzusuchen hatte, aber keiner hatte eine spontane Lösung. Als die Kräm­pfe zu unterschiedlichen Gele­genhei­ten, und immer häufiger zurückkehr­ten, lies ich mich vom aktiven Dienst auf dem Kontrollturm ablösen und an die Schule versetzen. Zehn Stunden Lehr- und Büroarbeit pro Tag war zwar auch nicht gerade gesund für meinen Rücken, aber ich war wenigstens keine Gefahr mehr für den Luftverkehr. Ich arbeitete fortan als Lehrer für Flug­sich­e­rung und bildete mich zum Spezialisten für Instrumentenverfahren weiter.

NATO TERPS
1996 crashte in Dubrovnik eine Boeing 737 mit dem amerikanischen Handelsminister gegen einen Berg. Schnell war festgestellt, dass alle jugoslawischen Instrumenten An- und Abflugverfahren nicht dem westlichen Standard entsprachen. NATO TERPS wurde gegründet, alle Verfahren in Bosnien-Herzegowina mußten neu designed werden. Ich übernahm Organisation und Leitung dieser Zelle in Kaufbeuren, zu der zehn Fachleute aus Kanada, USA, Frankreich, England und Deutschland zählten.

Alle vier Airports in Bosnien sind für ihre schwierige Lage zwischen den Bergen berüchtigt. Berechnungsunterlagen gab es keine mehr. Wir begannen bei Ground-Zero. Am Ende stand unter jedem Verfahren meine Unterschrift. Das Brutale war der Druck von außen, der Zeitdruck. Und obwohl ich es besser wusste, wenn ich Nachrichten hörte und der Sprecher eine neue Meldung mit dem Wort ‚SARAJEVO’ oder ‚MOSTAR’ einleitete, hörte mein Herz für ein paar Sekunden auf zu schlagen. Wenn es dann um freie Wahlen, Flüchtlinge oder sonst etwas ging und eben nicht um einen Flugunfall, dann packten mich wieder die Krämpfe. Und Bosnien war damals jeden Tag in den Schlagzeilen! Die Verfahren sind übrigens seit 1996 in Kraft und erwiesen sich als tadellos.

Als ich dann 98/99 fast ein Jahr am Stück in Sarajevo verbrachte, um in der dortigen Luftfahrtbehörde zivile Strukturen aufzubauen, durchschritt ich Wechselbäder von großen und kleinen Erfolgen, aber auch Rückschläge und Niederschläge bisher nicht gekannten Ausmaßes. Die Höhen meines Lebens wurden höher die Tiefen aber auch tiefer - und die Krämpfe häufiger. Mittlerweile hatte ich drei Jahre lang ständig unter „100.000 Volt“ gestanden, 14-Stunden-Tage ohne Wochenenden waren die Regel. Die Arbeitsbedingungen in einem engen Trailer im alten HQ SFOR in Sarajevo waren miserabel, das Leben in einer Vier-Mann-Bude unter beklagenswerten hygienischen Be­ding­ungen ebenfalls. Ich hatte mich selbst, meine Gesundheit und meine Bedürfnisse verleugnet. Gleichwohl wurde mir der Wunsch nach einer Regenera­tionskur nach meiner Rückkehr aus Bosnien verweigert. Sicher habe ich auch nicht energisch genug darum gekämpft, denn meine neue Aufgabe im Amt für Flugsicherung der Bundeswehr (AFSBw) nahm mich gefangen, ein dichter Terminplan ließ mir auch nicht die Zeit dazu.

Ein neuer Approach
Mittlerweile, fast fünfzehn Jahre nach dem "Schadensereignis" war mir klar, dass das nicht so weiter gehen konnte, dass ich selbst die Initiative ergreifen musste. Ich begann, mir die Geschichte im Kameraden- und Kollegenkreis von der Seele zu reden. Anfangs hatten mich während des Erzählens noch die Krämpfe gepackt, später war das Thema dann ausgereizt, ich konnte schmerzfrei darüber reden. Auch mit autogenem Training hatte ich Erfolg.

Ich probierte Shiatsu-Massagen, ebenfalls mit Erfolg. Meine Rückenschmerzen schienen für ein halbes Jahr wie weggeblasen! Aber eben nur für ein halbes Jahr. Dann gab es wieder verschiedene Gelegenheiten, durchweg positiver Natur, bei denen die Schmerzen wieder kamen. Also probierte ich wieder etwas anderes: Ich fuhr nach Hongkong und ließ mich 10 Tage lang von chinesischen Ärzten mit Massagen, Akupunktur und Heilkräuter-Um­schlä­gen behandeln. Der Erfolg hielt aber nur für eine begrenzte Zeit.

Heilung
Eine zivile Kollegin machte mich auf den kollegialen Berater der DFS aufmerksam, dem ich die Geschichte erzählte. Dieser empfahl mich an das Flugmedizinische Institut der Bundeswehr zu gehen, die Spezialisten für Posttraumatische Belastungsstörungen haben. Von dort wurde ich weitergereicht nach Hamburg-Wandsbek in die Hände eines Spezialisten für PTSD, Herrn Barre.

Mittels EMDR (Eye Movement Desen­sitization and Reprocessing) wurden die belastenden Gedanken und Vorgänge aufgeschnürt, geordnet und wieder verschnürt. Seitdem bin ich schmerz­frei.

Was ich daraus gelernt habe? Man darf auf gar keinen Fall versuchen, ein traumatisches Erlebnis mit Alkohol zu !ertränken". Gespräche sind wichtig, sich das Erlebnis von der Seele, von der Psyche reden können.

Die Anderen
Die Neugier plagte mich. Ich wollte wissen, was aus den drei italienischen Controllern geworden ist, die damals mit auf dem Tower waren. Ich fand heraus, daß sich der jüngste an einen ruhigen Airport hatte versetzen lassen, der zweite hat sich ganz aus der Flugsicherung verabschiedet, und der dritte ist wenige Jahre darauf, an einer nie geklärten Krankheit gestorben.

Alles fing an mit dem Hilferuf eines Piloten: "Tower, I’m on fire, fire, fire!"

Text: Andreas Fecker
Der Autor ist Fluglotse und Hauptmann a. D. der Bundeswehr. Er verfasste zahlreiche Bücher zu aviatischen Themen.