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Flugchaos und Missmanagement: Lufthansa-Mitarbeiter schreiben offenen Brief an Management

Beim Lufthansa-Konzern liegt einiges im Argen, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew

Angesichts des bei der Lufthansa herrschenden Chaos hat sich die Belegschaft über ihre Personalvertretung in einem flammenden Appell an das Management gewandt. Austrian Wings veröffentlicht den Brief nachfolgend im Original, wobei die schwachsinnige Gender-Form wieder in korrektes Deutsch gebracht wurde.

Sehr geehrte Damen und Herren des Aufsichtsrates der Deutsche Lufthansa AG,

wir, die unterzeichnenden Mitarbeitervertretungen von Lufthansa, Lufthansa Cargo, Lufthansa CityLine, Germanwings und LAT DE Bremen, wenden uns heute mit einem dringenden Appell an Sie!

Wir verspielen unseren guten Ruf und auf Dauer wird Lowcost-Service und -zuverlässigkeit zu Premiumpreisen sicher nicht funktionieren.

Der Blick in die Medien lässt erkennen, dass wir langjährige Gäste verlieren aufgrund unseres Umgangs, den wir aktuell mit unseren Kunden pflegen. Die Mitarbeiter  des Lufthansa Konzerns haben sich der Dienstleistung am Kunden verschrieben. Unsere Kunden tagtäglich enttäuschen zu müssen und handlungsunfähig zusehen zu müssen, wie Passagiere stranden und sich selbst überlassen werden, ist eines Dienstleitungsunternehmens unwürdig.

Seit Jahren ist das Verhältnis des Konzernvorstandes zu seinen Mitarbeitern belastet und spätestens seit den vom Vorstand ausgesprochenen Kündigungsandrohungen nachhaltig beschädigt. Anstatt die Krise der gesamten Luftfahrtbrache als Chance zu sehen, mit vereinten Kräften einen gemeinsamen Weg durch die Pandemie zu finden, sah der Konzernvorstand darin offensichtlich vielmehr die Gelegenheit, langfristig tarifliche und betriebliche (Kosten-) Strukturen abzusenken. Gemeinsam haben Bord und Boden Geld gegeben (Krisenanteile) um die Finanznot zu mildern. Ein darüberhinausgehendes Gefühl der gemeinsamen Anstrengung ist allerdings nicht entstanden.

Der Konzernvorstand verfolgt eine Personalpolitik, die auf ein gegenseitiges Ausspielen der Beschäftigtengruppen angelegt ist, um Kostenstrukturen „positiv“ zu beeinflussen. Zitat Herr Spohr: „Perspektiven oder Privilegien“. Die Vertreter des Personals und die Gewerkschaften sollen zur Kapitulation gezwungen werden, indem immer neue Keile in Beschäftigungsgruppen getrieben werden. Die Verfolgung dieser Ideologie gipfelte in Kündigungen bei Konzerntöchtern und einer Kündigungsdrohung für über tausend Cockpitmitarbeiter der Lufthansa Airline und LCAG sowie einem vierstelligen kabinen- und bodenseitigen Personalüberhang, der abgebaut werden sollte. Selbst eine Lufthansa Cargo, die Rekordergebnisse erzielte, wurde davon paradoxerweise bis heute nicht verschont. Ziel dieser Androhungen war es, durch bewusst geschürte Existenzängste der Mitarbeiter nachhaltige Zugeständnisse zu erzwingen. Zur Aufrechterhaltung dieser Drohung wurden Programme zum freiwilligen Ausscheiden für Cockpit-, Kabinen- und Bodenmitarbeiter für einen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag vereinbart, an welchem im Cockpitbereich allein gut 380 Kollegen teilgenommen haben, die uns jetzt fehlen anstatt das lukrative Sommergeschäft zu stemmen. In der Kabine sieht es nicht besser aus: Weil nach zwei Freiwilligenprogrammen keine ausreichende Anzahl an Purser mehr für die Abdeckung von Krankheitsausfällen zur Verfügung stehen, sollen andere Flugbegleiter einspringen. Gleiches gilt für die Schließung der dezentralen Stationen am Boden, die zwar zuvor vereinbart allerdings erst während der Programmreduzierung final umgesetzt wurde. Dabei erdreistete man sich noch, Kollegen, die bereits ATZ-Verträge abgeschlossen haben, NOCH EINMAL zu kündigen. Am Boden hat das „NOW“-Programm Lücken gerissen, die auf Grund der „errechneten Abbauziele“ und entgegen den vehementen Warnungen von Gewerkschaften und Betriebsräten betriebsblind umgesetzt wurden. Vielleicht fielen anfangs und während der coronabedingten Programmreduzierung die gierigen Abbauumsetzungen nicht gleich ins Gewicht, stellen uns jetzt aber vor eine katastrophale, fast ausweglose Situation und schwächen uns jetzt nachhaltig.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr steht im Kreuzfeuer der Kritik der Belegschaft. Ihm wird vorgeworfen, die Lufthansa zu Tode zu sparen, für Premium-Preise bei Low-Cost-Qualität verantwortlich zu sein, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew

Doch anstatt die Krise für ein starkes Miteinander zu nutzen, Fehlentscheidungen wie diese Schließungen und Reduzierungen rückabzuwickeln und die wichtigste Ressource der Lufthansa, ihre Mitarbeiter, fair und wertschätzend zu behandeln, so dass diese weiterhin die „Extrameile“ für unser Unternehmen gehen, wurde diese Chance vertan. Es wurde vom Konzernvorstand vielmehr dem Personal noch bis Februar 2022 suggeriert, man müsse Lufthansa massiv redimensionieren und Personal freistellen, weil dieses viel zu teuer sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt war eine spürbare Buchungsnachfrage für die Sommermonate 2022 erkennbar.

Viel zu lange wurde an den Kündigungsdrohungen festgehalten, um die gewünschten Zugeständnisse doch noch zu erzielen, und in der Folge viel zu spät davon abgerückt. Nachdem im Februar 2022 zumindest bei DLH endlich diese Androhung vom Tisch genommen wurde, wäre es aus unserer Sicht auch mehr als angemessen gewesen, dieses Vorgehen öffentlich als Fehler zu deklarieren, um wenigstens die Hoffnung auf einen Neuanfang zu wahren. Stattdessen wurde der nach langwierigen Tarifauseinandersetzungen und signifikanten Zugeständnissen des Cockpitpersonals im Jahre 2017 unterzeichnete Friedensvertrag PPV seitens des Konzernvorstanden aufgekündigt, die weltweit renommierte Bremer Verkehrsfliegerschule geschlossen, das Trainingscenter in Arizona an die Konkurrenz verkauft, das Cockpitpersonal der Germanwings entlassen und die Gründung einer weiteren untarifierten Plattform „Cityline 2“ verkündet. Diese Entscheidungen wirken auf alle Berufsgruppen am Boden, in der Kabine oder im Cockpit. Mehr Konfrontation und Eskalation gegen das eigene Personal ist wohl kaum vorstellbar und der schnittige Slogan #weareinthistogether wird zur Provokation statt Motivation!

In der Technik wurde umsortiert, die Line Maintenance für die reinen Lufthansa Flieger in die Lufthansa Airline verschoben. Alle anderen Flugbetriebe sollten weiterhin durch die Lufthansa Technik betreut werden. Gleich nach der Gründung der Eurowings Discover, kam es zum Wortbruch und die Eurowings Discover wurde ebenfalls zur Line Maintenance geschoben. Ständige Androhungen von Teilverkäufen und Schließung von dezentralen Standorten. Hier werden nunmehr fast genauso viele Fachkräfte gesucht, wie man „abgebaut“ hat. Es dauert drei bis vier Jahre bis die neuen Kollegen das nötige Knowhow haben werden.

Auch die Bereiche, die nicht so im Pressefokus stehen, sind an der physischen und psychischen Grenze des Leistbaren. Dazu zählen neben anderen im Besonderen die Einsatzplanung, der Creweinsatz, die Flugzeugsteuerung oder die Verkehrszentrale. Die Anspannung vieler Kollegen schlägt mittlerweile auch auf den Ton im internen Umgang durch.

Am Flughafen werden Kollegen mit Polizeischutz vom Gate geführt, ein Kollege wurde niedergeschlagen, Monitore werden herausgerissen und den Kollegen nachgeworfen. Das „zu viel“ wenige Personal soll nun Überstunden leisten um einer Krankheitsquote von 20-30% Herr zu werden. Doch täglich sehen wir, dass dies nicht reicht: Über ein Dutzend Ferry-Flüge jeden Tag wie gestern von Olbia nach Oslo, die an Stelle von zwei Flügen mit Gästen durchgeführt werden, damit zumindest das Flugzeug da ist, wo es sein soll.

Sparen um jeden Preis wird seit Jahren als Allheilmittel der Zukunftssicherung angesehen und das Personal und der Kunde unseres Dienstleistungsunternehmens gerät völlig aus dem Blick. Gerade das angeblich viel zu teure Personal hat in der Vergangenheit alle durch den Sparwahn hervorgerufenen Missstände ausgebügelt und vor dem Kunden kaschiert. In diesen Tagen, wo es auch bei unseren Systempartnern überall an Personal fehlt, werden die eklatanten organisatorischen Mängel unübersehbar. Die Mitarbeiter jedoch sehen sich vor dem Hintergrund des Umgangs des Konzernvorstandes mit seinem Personal nicht mehr in der Lage, die bestehenden Mängel dauerhaft auszugleichen.

Ein realistischer Blick auf den Arbeitsmarkt verheißt ebenfalls nichts Gutes. Die Arbeitsbedingungen sind in vielen Bereichen so, dass es uns an Bewerbern fehlt. Die Vergütungen starten in manchen Gesellschaften unter den nun kommenden Mindestlohnanforderungen. Vergünstigungen verlieren immer mehr an Wert. Wertschätzung ist verschwunden. Ein Dienstleistungsunternehmen, welches in dieser Art und Weise gegen das eigene Personal geführt wird, hat keine Zukunft. Doch genau diese Zukunft wollen wir: Eine Zukunft unserer Lufthansa und Teil davon zu sein!

Wir bitten Sie daher im Interesse des gesamten Unternehmens: Machen Sie Ihren Einfluss geltend, bevor es zu spät ist, und wirken Sie auf eine konstruktive und positive Personalführung hin, bei welcher Mitarbeiterwertschätzung nicht in Floskeln endet, sondern auch so gemeint und gelebt wird. Nehmen Sie bitte die Hinweise der Mitarbeiter und der Mitbestimmung auf. Wir brauchen eine Geschäftsführung, die Rahmenbedingungen schafft, damit alle Mitarbeiter wieder gerne und aus eigener Überzeugung maximale Leistung für unser eigentlich noch großartiges Unternehmen einbringen. Lassen Sie uns den 5. Stern zurückerkämpfen und halten Sie uns den Rücken frei, damit wir uns endlich wieder voll und ganz auf das Wohl unserer Gäste konzentrieren können!

Ihre Mitarbeitervertretungen vertreten durch

Vorsitzender Gesamtbetriebsrat Deutsche Lufthansa AG

Vorsitzende Gruppenvertretung Kabine Deutsche Lufthansa AG

Vorsitzender Gruppenvertretung Cockpit Deutsche Lufthansa AG

Vorsitzender Konzernbetriebsrat Deutsche Lufthansa AG

Vorsitzender Personalvertretung Lufthansa Cargo AG

Vorsitzender Personalvertretung Bord Lufthansa CityLine

Vorsitzender Personalvertretung Cockpit Germanwings GmbH

Vorsitzender Personalvertretung Fluglehrer LAT DE Bremen mit der Telekom Mail App

(red / Mitarbeiter der Lufthansa)