AW: Herr Holzschuh, wie sind Sie als gelernter Kunsthistoriker zur österreichischen Luftfahrtgeschichte gekommen?
GH: Es hat bei mir alles schon sehr früh angefangen. Als Kind wohnte ich in der Wiedner Hauptstrasse im 4. Wiener Gemeindebezirk Tür an Tür mit Karl von Banfield, dem älteren Bruder des berühmten Gottfried von Banfield, der im Ersten Weltkrieg gefeiertes und hoch dekoriertes Marineflieger-As war. Der eigentliche Flugpionier war aber Karl. Er hielt sich damals oft bei seinen Verwandten in Italien auf. Wenn er aber in Wien war, war sein Refugium mein Abenteuerspielplatz. Stundenlang konnte ich seinen phantastischen Erzählungen zuhören, die aus seinem Erfahrungsschatz als Flugpionier und Offizierspilot im Ersten Weltkrieg stammten und die er mit vielen, vergilbten Fotos aus alten Schachteln illustrierte. Er schenkte mir ein Erinnerungsfoto, das er auf der Rückseite beschriftet hat: "Major Karl von Banfield, Träger des Höhenweltrekordes vom Jahr 1912 mit 4365 m".
AW: Das war quasi Ihr "Einstieg" in die Materie?
GH: Ja. Damit hatte er mein Interesse für die Luftfahrt und insbesondere für „die fliegenden Oldtimer“ geweckt. Ich bastelte daraufhin als Zehnjähriger Papierdoppeldecker in allen Variationen, die meine Mutter dann hinter meinem Rücken von Zeit zu Zeit verschwinden lassen musste, weil dafür nirgends mehr Platz war. Höhepunkt meiner Besuche waren zweifellos die großen Orangen, die er aus Italien mitbrachte – damals in unseren Breiten noch eine absolut unerschwingliche Rarität. Ein Kinobesuch mit der Filmkomödie "Die Tollkühnen Männer in ihren Fliegenden Kisten" ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Gegenstand des Filmes war ein internationales Flugrennen von London nach Paris des Jahres 1912, für das die britische Tageszeitung "Daily Mail" einen Preis von 10.000 Pfund ausgeschrieben hatte. Zu den Dreharbeiten 1964 in Großbritannien hatte man Karl v. Banfield als Fachberater geladen, da er der letzte noch lebende Flugpionier war, der an diesem Flugwettbewerb selbst teilgenommen hatte. Manche der unglaublichen Höhepunkte und Stunts des Filmes sind wahre Begebenheiten und basieren auf seinen Erzählungen. Seine späten Jahre waren durch Klinikaufenthalte gekennzeichnet und ich habe ihn als Gymnasiast noch mehrmals besucht. Er ist 85-jährig einen Tag vor Weihnachten 1971 verstorben. Geblieben ist jedoch die Faszination für die Luftfahrt, die mich seither begleitet hat.
AW: Sie haben nun ein neues Buch über die Flugzeuge der Austrian Airlines herausgebracht. Genau genommen handelt es sich nicht nur um ein Buch über deren Flotte, sondern zeichnet die gesamte Geschichte der österreichischen Verkehrsluftfahrt seit 1945 nach. Wie kam es dazu?
GH: Das Buch hat ebenfalls eine lange Geschichte. Seit meiner Jugend habe ich alles gesammelt, was mit österreichischer Luftfahrt zu tun hatte. Seien es Zeitungsberichte, Artikel in Luftfahrtmagazinen, Flugpläne, Fotos und dergleichen. Kontakte zu Fluggesellschaften und Piloten brachten dann ausgemusterte technische Handbücher, Flug-Karten, Checklisten und vieles mehr, damals alles noch analog. Für die Pressestelle der Austrian Airlines habe ich zu Jubiläen und anderen Anlässen immer wieder historisches Material zusammengestellt. Bevor diese Unterlagen einmal als Teil meines Nachlasses in einem Altpapiercontainer landen, dachte ich, zumindest einen Teil davon der Nachwelt zu erhalten. Gestützt auf zehnjährige Archivarbeit liegen nun 380 Seiten geballter Luftfahrtgeschichte vor, die von einem Enthusiasten für Enthusiasten geschrieben wurde. Ich konnte auch andere Luftfahrtbegeisterte für das Projekt gewinnen, sodass das Werk nun mit Illustrationen von Rainer Selisko und Flugzeugaufnahmen von Dietmar Schreiber in höchster Qualität ausgestattet ist.
AW: Wie wurde das Werk bisher angenommen?
GH: Dass ich mit diesem Buch eine Bedarfslücke getroffen habe, beweisen die vielen begeisterte Zuschriften – vom altgedienten AUA-Kapitän, Luftfahrt-Sachverständigen und Fachjournalisten bis hin zu all jenen, die mit der AUA in den Urlaub fliegen. Eine Auswahl der Kommentare ist auf der Homepage nachzulesen.
AW: Interessieren sich eigentlich auch Frauen für das Thema?
GH: Gut, dass Sie dieses Thema ansprechen. Denn der Anteil der Frauen, die das Buch bestellen, ist erstaunlich hoch. Eine Nachfrage hat ergeben, dass es sich sowohl um Flugbegleiterinnen, als auch Ehefrauen handelt, die ihrem Mann ein schönes Weihnachtsgeschenk machen wollen.
AW: Auf ihrer Homepage www.flightdata.at sind eine Reihe interessanter Artikel zur österreichischen Luftfahrt zu finden, die ebenfalls wissenschaftlichen Anspruch erheben. Was hat es damit auf sich?
GH: Meine universitäre Historiker-Ausbildung hat es ermöglicht, auch schwer zugängliches Archivmaterial aufzuspüren und aufzuarbeiten. Viele interessante historische Zusammenhänge können oftmals nur durch sehr mühsame "Knochenarbeit" im Archiv aufgedeckt werden. So konnte ich das erste, bislang unbekannte Luftfahrzeugregister Österreichs aus dem Jahr 1920 rekonstruieren. Außerdem hatte ich über 30 Jahre die Redaktion des Informationsblattes der Österreichischen Flugzeughistoriker inne, mit der ich die "Hobby"-Forschung auf eine neue Ebene stellen konnte. Abonnentenschwund durch Überalterung der Vereinsmitglieder und das nicht mehr zeitgemäße Medium in Schwarz-Weiß-Druck veranlassten mich, die Luftfahrtforschung ins digitale 21. Jahrhundert zu führen. Auf der Homepage flightdata.at können nun einige meiner Forschungsergebnisse aktualisiert und in Farbe gratis downgeloaded werden – sie sind nun für jedermann über das Internet frei zugänglich.
AW: Auf Ihrer Homepage ist die Qualifikation "Konsulent für österreichische Luftfahrtgeschichte" zu lesen – was bedeutet das genau?
GH: Neben zahlreichen, sowohl kunst- als auch luftfahrthistorische Beiträgen in Fachpublikationen und Medien, hatte ich auch Gelegenheit, TV-Produktionen über historische Luftfahrt beratend zur Seite zu stehen. Eines meiner letzten großen Projekte war, für die Architektur-Fakultät der Universität von Mostar ein Gutachten zu den vom Abbruch bedrohten k.u.k. Hangars in Mostar zu erstellen. Der erste Teil dieser Studie umfasst die Geschichte der k.u.k. Luftfahrtruppen zwischen 1913 und 1918 in Mostar. Das Flugfeld von Mostar-Rodoč war eines der ältesten der Monarchie. Man nutzte es während des Ersten Weltkriegs zur Ausbildung von Piloten. Der zweite Teil bringt eine Expertise zur Rettung und Restaurierung der vier noch bestehenden k.u.k. Hangars auf dem ehemaligen Flugfeld aus denkmalpflegerischer Sicht. Die 1917/18 errichteten Hangars stellen die ältesten Zeugen der Luftfahrt in Bosnien-Herzegowina dar. Wegen ihrer einzigartigen und sehr effizienten Konstruktionsweise sollten sie als einmalige Beispiele technischer Ingenieursarchitektur erhalten werden. Beide Teile können in deutscher, englischer und kroatischer Sprache gratis heruntergeladen werden.
AW: Sie sind bekannt dafür, niemals zu rasten. Ich gehe daher davon aus, dass dieses Buch nicht Ihre letzte Arbeit war. Was sind ihre gegenwärtigen Projekte?
GH: Zurzeit stelle ich Material für einen Fotoband über die frühen Jahre des Flughafens Wien-Schwechat zusammen. Der Flugplatz stammt ja in seinen Anfängen aus dem "Dritten Reich". Waren vor einigen Jahren noch Bauten und Hangars aus dieser Zeit erhalten, so sind die letzten Zeitzeugen dieser Vergangenheit durch den steten Ausbau des Flughafens bis auf ganz wenige Ausnahmen verschwunden. Ein anderes Projekt ist die Erforschung der Geschichte der historischen Hangars auf dem Flughafen Innsbruck. Diese wurden einst für die k.u.k. Fliegerersatzkompanie 3 auf dem Flugplatz Graz-Thalerhof errichtet und sollen einer neuen Verwendung, eventuell einer musealen Nutzung zugeführt werden.
AW: Herr Holzschuh, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen.
(red HP)