Einleitung
Am 4. September sollte die Cessna 551 mit der Registrierung OE-FGR von Jerez in Spanien nach Köln/Bonn fliegen, kam dort jedoch nie an. Denn während des Fluges trat ein Problem mit dem Kabinendruck auf, woraufhin alle Personen an Bord bewusstlos wurden. Die Maschine flog anschließend per Autopilot als "Geisterflug" quer durch Europa und stürzte schließlich in die Ostsee. Der Crash war nicht überlebbar. An Bord befand sich die bekannte deutsche Unternehmerfamilie Griesemann. Peter Griesemann, 72 Jahre alt und CPL/IR-Inhaber, steuerte den Jet selbst. Als Passagiere saßen seine Frau Juliane sowie die gemeinsame Tochter Lisa und deren Lebensgefährte Paul Föllmer in der Kabine, wie die Griesemann-Gruppe selbst wenige Tage nach dem Unglück bestätigte. Einer der Fluggäste besaß laut Unfallermittlern der BFU einen im Jahr 2011 abgelaufenen Berufspilotenschein (CPL) und hatte Flugerfahrung auf verschiedenen Typen des Herstellers Learjet. Der Unglücksflug selbst wurde allerdings unter Single Pilot Operations durchgeführt. Das war auf diesem Muster in diesem Fall zwar grundsätzlich zulässig, wird von vielen Piloten dennoch kritisch gesehen, nach der Devise: "Nicht alles was erlaubt ist, ist auch sinnvoll und sicher". Bis in die 1980er Jahre war diese Form der Single Pilots Operation aus gutem Grund verboten, ehe die Aufsichtsbehörden dem Druck von Wirtschaft und Industrie schließlich nachgaben und die Regelung zumindest beim Betrieb von Flugzeugen im Bereich der Executive Aviation aufgeweicht wurde, womit unter gewissen Voraussetzungen legale Single Pilot Operations möglich wurden.
"The risks associated with reduced-crew and single-pilot operations are well documented. Most prominently, these risks stem from the increased workload for the remaining pilot, the elimination of a critical layer of monitoring and operating redundancy in the cockpit, and the inability of a single pilot to handle many emergency situations."
Der Berufspilotenverband ALPA im Jahr 2019 bezieht klar Stellung gegen Single Pilot Operations in der gewerblichen Luftfahrt
Der Hintergrund: Die Arbeitsbelastung in einem Jet-Cockpit ist enorm hoch und das Risiko für Fehler oder Unfälle ohne einen Pilot Monitoring grundsätzlich erhöht, weshalb professionelle Berufspilotenverbände Single Pilot Operations zumeist ablehnen. Dazu kam im konkreten Fall, dass bei einem über 70-Jährigen auch das statistische Risiko für plötzlich auftretende gesundheitliche Probleme höher ist als bei einem jungen Menschen.
Unroutinierter Pilot mit wenig Flugerfahrung auf dem Muster
Zudem hatte Pilot Peter Griesemann laut dem nun vorliegenden Zwischenbericht zwar eine Gesamtflugerfahrung von rund 1.700 Stunden akkumuliert, davon jedoch mehr als die Hälfte auf kleinen ein- und zweimotorigen Propellerflugzeugen, deren Komplexität nicht einmal ansatzweise mit der eines zweimotorigen Jets zu vergleichen ist.
Nur 68 Flugstunden auf der verunfallten Maschine
Auf dem Unglücksmuster Cessna 551 hatte er - seit Erteilung der Musterberechtigung 8 Jahre zuvor - gerade einmal 100 Stunden geflogen, was rein statistisch gesehen nur 12,5 Stunden pro Jahr entspricht, auf der verunfallten OE-FGR selbst war er 68 Stunden im Cockpit geflogen.
Im gesamten Jahr 2022 war der 72-Jährige bis zum Unglückstag (das heißt von Jänner bis September) nur 9 Stunden und 22 Minuten im Cockpit der Maschine gesessen, weshalb man in Bezug auf die Cessna 551 durchaus von einem unerfahrenen Piloten mit wenig Routine sprechen kann. Zum Vergleich: Ein professioneller Berufspilot in der Executive Aviation kommt dagegen auf 600 bis 900 Stunden pro Jahr, also auf etwa 50 bis 75 Stunden pro Monat. Dieser Vergleich spricht für sich selbst.
Flugverlauf
Die 1979 gebaute Maschine hatte bis zum Unglückstag knapp 8.000 Flugstunden absolviert und verfügte über ein bis zum 9. Oktober 2022 gültiges Airworthiness Review Certificate. Aus den der die Unfallermittlung durchführenden BFU vorliegenden Flugplanungsdaten ging hervor, dass das Flugzeug in Jerez mit einer Kraftstoffmenge von 4 100 lbs (Block Fuel) betankt wurde. Einschließlich der Kraftstoffreserve zum geplanten Ausweichflughafen Düsseldorf ergab sich vom Start in Jerez an rechnerisch eine mögliche maximale Flugdauer von insgesamt 4:07 Stunden.
Die Cessna 551 startete um 12:57 UTC (14:57 Uhr1) auf der Piste 20 des Flughafens Jerez (Spanien) zu einem privaten Flug zum Flughafen Köln-Bonn. Das Flugzeug kurvte nach dem Start nach rechts in nordöstliche Richtung und erreichte um 13:30 UTC die geplante Reiseflughöhe von Flugfläche 360 (36.000 Fuß, das entspricht umgerechnet etwa 11.000 Metern).
Um 13:30:26 UTC meldete sich der Pilot auf der Frequenz der Bezirkskontrollstelle der spanischen Flugsicherung Madrid ACC mit den Worten: „Madrid, buenas tardes OE-FGR three six zero“. Der Lotse antwortete: „OE-FGR, muy buenas, identified,
fly direct sierra india echo.“ Der Pilot antwortete: „Direct [unverständlich] gracias.“
Das Unglück nimmt seinen Lauf
45 Minuten nach dem Start begann das (vermeidbare) Unglück, seinen Lauf zu nehmen. Um 13:42:05 UTC sprach der Pilot den Lotsen an: „Madrid radar for OE-FGR?“ und nachdem der Lotse um 13:42:13 UTC mit den Worten „OE-FGR go“ geant-
wortet hatte, teilte der Pilot um 13:42:14 UTC mit: „There is a problem with the air condition, request direct descending.“ Der Lotse antwortete um 13:42:21 UTC: „Direct where please?“
"We request rapido descending."
Der Pilot der OE-FGR
Sechs Sekunden später, um 13:42:27 UTC, sagte der Pilot: „Problems with air condition eh pressurization, we request rapido descending.“ Während dieses Funkspruchs des Piloten waren deutliche Hintergrundgeräusche zu hören. Der Lotse antwortete um 13:42:46 UTC: „Confirm OE-FGR requesting descent?“ Er erhielt keine Antwort des Piloten. Denn Peter Griesemann war aufgrund von Sauerstoffmangel bewusstlos in seinem Sitz zusammengesackt und handlungsunfähig. Die Sauerstoffmaske hatte er nicht einmal berührt. Ebenso die Passagiere in der Kabine.
Unprofessionelles Verhalten führte zu Verlust der Handlungsfähigkeit
Das Verhalten des Piloten in dieser Situation, beziehungsweise seine Reaktion war unprofessionell und wurde der Brisanz des Notfalls nicht einmal ansatzweise gerecht. Abgesehen von der seltsamen am Funk verwendeten Phrasologie, die jeder angehende Privatpilot besser beherrschen sollte, verstieß er auch gegen elementare Grundsätze, wie bei einem solchen Notfall vorzugehen ist. Das ergibt sich unter anderem aus dem Zwischenbericht der BFU und den darin abgebildeten Vorgaben des Luftfahrzeugherstellers.
Korrektes Verhalten hätte anders ausgesehen
Korrekterweise hätte sich der Pilot beim Auftreten des Problems wie folgt verhalten müssen.
- Aufsetzen der Sauerstoffmaske ohne jeden Zeitverlust, Einstellung auf 100 Prozent Sauerstoff
- Erklären einer Luftnotlage und Ankündigung eines sofortigen Notsinkfluges: "OE-FGR, Mayday, Mayday, Mayday, doeing Emergency Descent"
- Sauerstoffversorgung der Passagiere aus dem Cockpit heraus sicherstellen
- Triebwerke auf Leerlauf, Luftbremsen ausfahren, Notsinkflug mit 15 Grad Nose down einleiten und bis auf 10.000 Fuß oder (etwa über dem Gebirge) auf die niedrigst mögliche Minimum Safety Altitude sinken
- Transponder auf 7700 (Notfallcode) setzen
Keinen einzigen dieser vorgeschriebenen Punkte hatte der 72-jährige Pilot korrekt umgesetzt.
"In einer solchen Situation bittet man nicht um irgendwelche Freigaben, man hat das Recht und die Pflicht den Notsinkflug sofort einzuleiten und das der Flugverkehrskontrolle einfach nur mitzuteilen. Die Art und Weise, wie der Unglückspilot vorgegangen ist, lässt für mich den Schluss zu, dass er mit der Situation völlig überfordert war. Es ist mir auch unverständlich, dass es überhaupt erlaubt ist, mehrmotorige Jets als Single Pilot Operations zu betreiben, das ist aus meiner Sicht generell grob fahrlässig."
Ein Pilot gegenüber "Austrian Wings"
Weiterer Flugverlauf bis zum Absturz - Pilot ohne Sauerstoffmaske bewusstlos
Um 13:47:30 UTC forderte der Lotse den Piloten auf die Funkfrequenz auf die des benachbarten Flugsicherungssektors zu wechseln. Auch dieser Funkspruch blieb unbeantwortet. Der Fluglotse versuchte wiederholt das Flugzeug auf der aktiven und der Notfrequenz zu erreichen. Um 14:06:55 UTC informierte Madrid ACC den benachbarten Sektor des französischen Flugsicherungskontrollbezirks Bordeaux ACC telefonisch darüber, dass sie den Funkkontakt zu dem Flugzeug verloren hatten. Der Wachleiter des Bordeaux ACC
alarmierte die Operationszentrale der französischen Luftstreitkräfte. Um 14:16:23 UTC flog das Flugzeug über den Wegpunkt ABRIX in den französischen Luftraum ein.
Jagdflieger erreichen den "Geisterflug"
Um 14:22 UTC erreichte eines der alarmierten Jagdflugzeuge die weiter in konstanter Höhe in nordöstliche Richtung fliegende Cessna 551. Der Pilot des Jagdflugzeugs gab an, dass er das Flugzeug zunächst aus der Entfernung und dann aus der Nähe beobachtete. Auf seine Versuche einer Verbindungsaufnahme über Funk auf verschiedenen Frequenzen der Flugsicherung und auf der Notfrequenz sowie durch Sichtzeichen sei keinerlei Reaktion erfolgt. Die beiden Piloten der französischen Alarmrotte gaben weiter an, dass sie keinerlei äußere Beschädigungen an dem Flugzeug und keine Aktivität an Bord feststellten.
"Fotoaufnahmen des Flugzeuges zu diesem Zeitpunkt stehen der BFU für die Untersuchung zur Verfügung. Diese zeigen das äußerlich unbeschädigt wirkende Flugzeug sowie den handlungsunfähigen Piloten auf dem linken Sitz und seine an ihrem Platz im Cockpit hängende, unbenutzte Sauerstoffmaske."
Zwischenbericht der BFU
An der luxemburgisch deutschen Grenze kurvte das Flugzeug nach Norden und um 15:43 UTC drehte es in nordöstliche Richtung und flog innerhalb Deutschlands weiter in Richtung des Zielflughafens Köln-Bonn. Südlich Euskirchen, am Wegpunkt ERUKI, drehte das Flugzeug und flog in nordöstliche Richtung weiter. Eine Alarmrotte der deutschen Luftwaffe war um 15:28 UTC gestartet und übernahm die Begleitung des Flugzeuges von der französischen Alarmrotte. Die Piloten der Luftwaffe beobachteten das Flugzeug weiter und versuchten ebenfalls Funkkontakt zu dem Piloten der Cessna 551 herzustellen. Eine zweite Alarmrotte der Luftwaffe löste im weiteren Verlauf die erste ab. Der BFU liegen auch durch einen Piloten der Luftwaffe gefertigte Fotoaufnahmen vor. Um 16:50 UTC verließ das Flugzeug ca. 30 NM nordöstlich von Rügen den deutschen Luftraum. Das Flugzeug wurde nachfolgend von dänischen und schwedischen Alarmrotten sowie schließlich von Piloten einer in Estland stationierten Alarmrotte der NATO begleitet.
Um 17:30 UTC ging das Flugzeug in einen Sinkflug über. Gegen 17:32 UTC flog es in den durch die lettische Flugsicherung kontrollierten Luftraum ein. Um 17:36 UTC, während es im Sinkflug FL 275 passierte, begann das Flugzeug nach rechts in östliche Richtung zu kurven. Um 17:40 UTC, in FL 200, kurvte das Flugzeug dann nach links, ging in eine spiralförmige Flugbahn über und stürzte um 17:45 UTC (20:45 lettische Ortszeit) in die Ostsee.
Die Piloten der NATO-Alarmrotte hatten das Flugzeug bis zum Aufprall beobachtet, die Position der Unfallstelle dokumentiert, über Funk gemeldet und blieben bis zum Eintreffen erster Einsatzkräfte vor Ort.
Diskussion über Single Pilot Operations
Dieser Unfall hat, ebenso wie der wenige Wochen später erfolgte Absturz des deutschen Unternehmers Rainer Schaller (auch hier befand sich ein älterer Pilot alleine im Cockpit eines hochkomplexen zweimotorigen Flugzeuges), in Pilotenkreisen eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit und Sicherheit von Single Pilot Operations bei komplexen Mustern, die nach Instrumentenflugbedingungen betrieben werden, ausgelöst. Während nichts dagegen spricht, dass leichte einmotorige Propellerflugzeuge und Hubschrauber bei Tag von einem Piloten sicher bedient werden können, lautet der Tenor vieler professioneller Luftfahrzeugführer, dass komplexe mehrmotorige Flächenflugzeuge, insbesondere Jets, keinesfalls von nur einem Piloten geflogen werden sollte, da die Arbeitsbelastung im Cockpit schon unter idealen Bedingungen enorm hoch ist. Kommen dann Faktoren wie Nacht, schlechte Sicht, schlechtes Wetter beziehungsweise technische Probleme hinzu - möglicherweise mehrere Faktoren auf einmal - stoßen selbst haupberufliche professionelle Berufspiloten alleine schnell an ihre Grenzen. Selbstverständlich ist auch ein zweiter Pilot keine Garantie, dass keine Unfälle passieren, das Risiko für schwere Zwischen- oder Unfälle wird jedoch deutlich gesenkt. Im Fall der OE-FGR kamen gleich mehrere Faktoren zusammen: Ein eher unerfahrener kaum routinierter "Hobbypilot" mit CPL pilotierte ein ausgesprochen komplexes Fluggerät, bei dem ein Notfall auftrat, der sofortiges richtiges Handeln ohne jeden Zeitverlust erforderte - was der 72-jährige Luftfahrzeugführer nicht tat oder nicht tun konnte. Mit einem professionellen und vor allem routinierten Berufspiloten, dessen tägliches Handwerk die Bedienung solcher komplexen Luftfahrzeuge ist, wäre die Wahrscheinlichkeit nach Ansicht vieler Piloten hoch, dass die vier Insassen der OE-FGR heute noch leben würden. Doch anstatt die derzeit geltenden Regeln für Single Pilot Operations einzuschränken, denken die Aufsichtsbehörden sogar darüber nach, dass Verkehrsflugzeuge künftig von nur einem Piloten geflogen werden könnten.
(red)