Slovenská verzia správy / Zur slowakischen Fassung
Der 19. Januar 2006 ging als schwarzer Tag in die Geschichte der slowakischen Luftwaffe ein. An diesem Tag starteten zwei Maschinen, eine AN-24 und eine AN-26, um Angehörige des slowakischen KFOR-Kontingents aus dem Kosovo zurück in die Heimat zu bringen. Doch während die AN-26 sicher in Kaschau (Slowakisch: Kosice) ankam, zerschellte die nachfolgende AN-24 während des Landeanfluges noch über ungarischem Gebiet an einem Hügel. Nur ein Soldat überlebte. Doch der Reihe nach.
Die 1969 gebaute AN-24 mit der Registrierung 5605 war zuletzt im Jahr 2000 generalüberholt worden. Insgesamt hatte das Flugzeug bis zum 19. Januar 2006 etwas mehr als 10.900 Flugstunden absolviert. Die AN-24 ist ein zweimotoriges Turbopropflugzeug aus der Sowjetunion, sie gilt als robust und zuverlässig.
Erfahrene Crew
Kapitän der Maschine war der 35-jährige Norbert Kumančík, rechts neben ihm saß der 37-jährige Miroslav Novák. Als Bordingenieur hatte an diesem Tag Tomáš Žipaj Dienst, Navigator war Róbert Soľava, als Funker fungierte Ondrej Keszi. Ján Hejduk befand sich als Flugingenieur in Ausbildung an Bord. Die fliegerische Besatzung wurde durch den 27-jährigen Karol Malatin komplettiert, einen Techniker. In der Kabine versah die 22-jährige Militärangehörige Bronislava Gregorovičová ihren Dienst als Flugbegleiterin. Die junge Frau liebte das Fliegen und war sogar Fallschirm gesprungen. Insgesamt bestand die Besatzung damit aus 8 Personen.
Kapitän Kumančík verfügte über eine Gesamtflugerfahrung von rund 1.800 Stunden, davon etwas mehr als 430 auf der AN-24. Der Erst Offizier Novák hatte rund 1.900 Stunden in seinem Logbuch stehen, von denen er etwa 150 auf der AN-24 geflogen war. Flugingenieur Tomáš Žipaj konnte auf 860 Flugstunden Erfahrung zurückblicken. Auch die übrigen Mitglieder der Flugbesatzung waren keine Anfänger, sodass insgesamt eine erfahrene Crew für diesen Flug eingeteilt war.
43 Menschen an Bord
Auf dem Flughafen von Pristina boardeten 34 Angehörige der slowakischen Streitkräfte sowie ein Zivilangestellter des slowakischen Verteidigungsministeriums die AN-24. Es handelte sich dabei um Männer und Frauen, die zwischen einem halben und einem ganzen Jahr lang Jahr als KFOR-Soldaten den Frieden am Balkan gesichert hatten und dafür die Trennung von Freunden, Ehemännern, Frauen und Kindern in Kauf genommen hatten. Zusammen mit der Besatzung befanden sich somit 43 Menschen im Flugzeug. Die Stimmung an Bord war gut, die Passagiere freuten sich darauf, ihre Lieben in der Slowakei wiederzusehen. Ebenso freuten sich die Familien daheim auf die Rückkehr der Soldaten. So hatten beispielsweise der dreijährige Sohn und die zehnjährige Tochter von Militärpolizist Róbert Letko die Wohnung mit Luftballons dekoriert und an die Türe geschrieben: "Willkommen daheim, Papa!". Doch Lekto sollte nie daheim ankommen.
Routineflug
Um 17:15 Uhr hob die Antonov 24 vom Flughafen Pristina ab und nahm Kurs auf Kaschau. Für die rund 670 Kilometer lange Strecke würde die zweimotorige Maschine rund 1 Stunde und 30 Minuten benötigen. Im Steigflug Richtung Norden überflog die An-24 zunächst den Kosovo, dann Serbien und Rumänien, um schließlich in den ungarischen Luftraum einzufliegen. Wie der einzige Überlebende später bestätigte, war die Vorfreude auf die Heimat mit jeder Flugminute weiter gestiegen und in der Kabine herrschte eine ausgelassene Stimmung.
Navigationsfehler beim nächtlichen Sichtflug
Noch im ungarischen Luftraum begannen die Piloten der Antonov mit dem Sinkflug, denn der Flughafen von Kaschau liegt nur wenige Kilometer hinter der ungarischen Grenze. Es war mittlerweile kurz nach 19 Uhr, das Flugzeug in völlig Dunkelheit gehüllt, als die Maschine ihre Reiseflughöhe verließ und bald darauf vom Instrumenten- in den (Nacht-)Sichtflug wechselte, nachdem die Crew die Lichter der vor ihnen liegenden Stadt Kaschau gesichtet hatte.
Bei ihrem geplanten Anflug auf die Piste 01 des Flughafens Kaschau hätten die Piloten eigentlich weiter westlich über flachem Gelände entlang des Flusses Hornad fliegen sollen, doch aufgrund eines Navigationsfehlers befand sich die Maschine viel weiter östlich und steuerte damit genau das Zempléni-hegység Gebirge zu. Davon ahnten die Männer im Cockpit allerdings nichts. Sie wähnten sich vielmehr über der flachen Ebene, bei der es keine Hindernisse im Anflug gab. Die tatsächlich vor ihnen liegenden unbeleuchteten Hügel waren in der Dunkelheit visuell für die Männer im Cockpit nicht zu erkennen.
Probleme mit dem Radarhöhenmesser
Das alleine wäre noch kein Problem gewesen, denn grundsätzlich hätte die Besatzung einen mit dem Radarhöhenmesser gekoppelten Höhenalarm für 300 Meter über Grund einstellen sollen, womit sie trotz des zuvor begangenen Navigationsfehlers noch rechtzeitig vor der Kollision mit dem Gelände akustisch und optisch gewarnt worden wäre. Doch weil es mit diesem System immer wieder Probleme gab, hatte es die Crew nicht aktiviert - die letzte Chance, den Absturz zu vermeiden, war damit vertan, denn auch die Flugsicherung beobachtete die Maschine nicht mehr intensiv, da die Besatzung bereits zuvor in den Sichtflugmodus gewechselt war und damit den Anflug eigenverantwortlich durchführte. Die Nacht war klar, die Sicht betrug mehr als 10 Kilometer, die AN-24 flog unterhalb der Wolken, der Wind am Flughafen kam aus 030 Grad mit 10 Knoten. In wenigen Minuten würde die AN-24 zum Endanflug auf die Piste 01 ansetzen. Viele Angehörige der Soldaten warteten zu diesem Zeitpunkt bereits am Airport und freuten sich darauf ihre Liebsten nach der langen Zeit der Trennung endlich wieder in die Arme schließen und Weihnachten nachfeiern zu können. Doch es sollte anders kommen.
Absturz in den Wald
Denn nur wenige Flugminuten und etwas mehr als 20 Kilometer vom Flughafen Kaschau entfernt, kollidierte die AN-24, für die Piloten völlig überraschend, in einer Höhe von rund 2.300 Fuß mit dem bewaldeten Boros-Hügel, rund sieben Kilometer vom ungarischen Dorf Hejce und 11 Kilometer von der slowakischen Grenze entfernt. Beim Aufprall hatte die Maschine laut den zuletzt aufgezeichneten Radardaten eine Geschwindigkeit von 314 Stundenkilometern und eine Sinkrate von rund 1.100 Fuß/Minute. Die An-24 zog beim Absturz eine rund 40 Meter breite und 300 Meter lange Schneise in den verschneiten Wald, ehe sie in Flammen aufging. Es war 19:37 Uhr. Nur fünf bis sechs Minuten später hätte die Maschine landen sollen.
Einsamer Überlebender
Die meisten der Insassen wurden sofort beim Absturz getötet. Allerdings gab es zunächst mehrere Überlebende, von denen jedoch alle bis auf einen vor dem Eintreffen der Rettungskräfte verstarben. Nur der damals 27-jährige Oberleutnant Martin Farkaš hatte den Crash lange genug überlebt, bis Hilfe eintraf. Farkaš versuchte unmittelbar nach dem Absturz zunächst erfolglos den Rettungsnotruf anzurufen und rief daraufhin seine Frau Michaela an, der er vorm Unglück berichtete.
"Überall lagen Wrackteile und Körper. Von denen, die ich zunächst sah, gab keiner mehr ein Lebenszeichen von sich. Ich setzte mich auf einen umgestürzten Baum, so dass ich mit dem Rücken zum Feuer saß. Da fiel mir ein, dass ich mein Handy dabei hatte. Ich schaltete es ein, ohne zu wissen, wo wir uns befanden, und als das Telefon aktiviert wurde, rief ich die Nummer 158 an, wo niemand antwortete. Da ich Empfang hatte, nahm ich an, wir seien in der Slowakei, und rief meine Frau an. Meine Frau war auf dem Weg nach Kaschau, irgendwo in der Nähe von Branisko, und wollte mir zunächst nicht glauben, als ich ihr erzählte, dass wir einen Unfall mit dem Flugzeug gehabt hatten. Später überprüfte sie es noch einmal."
Der einzige Überlebende, Oberleutnant Martin Farkaš, wenige Tage nach dem Absturz
Um 19:46 Uhr, 9 Minuten nach dem Absturz, wurde offiziell Crashalarm ausgelöst und obwohl sich der Unglücksort auf ungarischem Gebiet befand, eilten auch Retter aus der Slowakei zur Absturzstelle.
"Der Flug war gut, alle waren gut gelaunt, wir freuten uns auf die Rückkehr. Nach dem Start schlief ich etwa eine Stunde lang, wachte später auf, diskutierte und unterhielt mich mit anderen. [...] Später erinnere ich mich an nichts mehr. Ich wachte in der Kälte auf, es war überall dunkel. Ich habe eine Jacke neben mir gefunden, die ich angezogen habe. Im Flugzeug hatten wir die Jacken abgelegt, weil es warm war. Um mich herum hörte ich einige Schreie, so etwas wie Stöhnen, Schmerzensschreie. An einem der Bäume lehnte eine Überlebende, die ebenfalls schrie. Neben ihr fand ich eine Art Jacke, mit der ich sie zudeckte, aber ihre Stimme wurde immer leiser. Ich erinnere mich ganz vage daran."
Der einzige Überlebende, Oberleutnant Martin Farkaš, wenige Tage nach dem Absturz
Bis die ersten Retter eintrafen, dauerte es mehrere Stunden. Die Nacht war eisig kalt, die Temperatur lag laut der ungarischen Polizei bei -18 Grad und so kämpfte Farkaš nicht nur aufgrund seiner schweren Verletzungen ums Überleben, sondern drohte zusätzlich zu erfrieren. Um sich zu wärmen, setzte er sich neben brennende Wrackteile. Er erzählt:
"Nach etwa 2-3 Stunden hörte ich einige Stimmen und sah Taschenlampen. Dann stand ich auf und winkte ihnen, zu mir zu kommen. Aber sie sprachen auf Ungarisch, was ich nicht verstand, und erst später sprach jemand mit mir auf Englisch. Nach einer Weile kam ein Fahrzeug, ich glaube, es war ein Lada-Niva. Man setzte mich auf den Beifahrersitz und brachte mich zu einem Krankenwagen, wo ich erstversorgt wurde, ehe man mich ins Krankenhaus fuhr. Danach erinnere mich nur noch daran, dass ich am nächsten Morgen aufgewacht bin."
Der Mann, der den einzigen Überlebenden in seinem Lada auf den Beifahrersitz setzte und zu einem Rettungswagen fuhr, war ein Jäger. Um 22:15 Uhr wurde Oberleutnant Farkaš ins Krankenhaus von Kaschau eingeliefert, wo die Ärzte unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und blutende Wunden am ganzen Körper feststellten.
Dass die Retter so lange gebraucht hatten, um an die Unfallstelle zu gelangen, lag unter anderem auch daran, dass die einzige Zufahrtsstraße zugeschneit war. Obwohl die Helfer nach ihrem Eintreffen die ganze Nacht nach weiteren Überlebenden suchten, fanden sie keine mehr. Die wenigen anderen Insassen der Antonov, die den Crash zunächst überlebt hatten, waren in der Zwischenzeit entweder an ihren Verletzungen gestorben oder erfroren.
Slowakei unter Schock
Der Absturz der AN-24 und der Tod so vieler Menschen, die bei der Heimkehr von einer Friedensmission starben führte zu einem landesweiten Schock. Von Pressburg (Bratislava) im Westen bis Kaschau (Kosice) im Osten trauerte das ganze Land mit den Hinterbliebenen der Opfer. Die slowakische Regierung ordnete eine 24-stündige Staatstrauer an.
Das Wrack wurde geborgen und für die Unfalluntersuchung auf den Militärflugplatz Eperies (Slowakisch: Letecká základňa Prešov) nördlich von Kaschau gebracht. Die Trauerfeier fand am 26. Januar 2006 in der Stadthalle von Eperies/Prešov unter Anwesenheit des damaligen slowakischen Ministerpräsidenten Mikuláš Dzurinda, des Staatspräsidenten Ivan Gašparovič, des ungarischen Staatspräsidenten László Sólyom, des NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer sowie des Bürgermeisters und der Bewohner von Hejce statt. Der slowakische Verteidigungsminister Juraj Liška trat nach dem Unfall von seinem Posten zurück.
Gedenken
An das tragische Unglück erinnern mehrere Gedenkstätten. In Stadtpark von Pristina steht ebenso ein Denkmal wie auf dem ehemaligen KFOR-Stützpunkt in Šajkovac (Gemeinde Podujeva). Im Oktober 2022 flog das slowakische Verteidigungsministerium Hinterbliebene der Opfer an Bord des Regierungs-A319 nach Pristina zu den Gedenkstätten. In Ungarn, im Dorf Hejce, sieben Kilometer von der eigentlichen Unglücksstelle entfernt, wurde ein Denkmal errichtet, auf dem die Namen der 42 Toten verzeichnet sind.
Und auch im Wald auf dem Boros-Hügel, wo die AN-24 beim Absturz ihre Schneise des Todes in den Wald zog, erinnert eine Gedenkstätte an jene 42 slowakischen Soldaten, die nur wenige Flugminuten entfernt von dem Ort, an dem ihre Lieben schon so sehnsüchtig auf sie warteten, auf so tragische Art und Weise aus dem Leben gerissen wurden.
Text: NG
Fotos, sofern nicht anders angegeben: Archiv Austrian Wings