Reportagen

Reportage: No Kum-sok - der Pilot, der mit seiner MiG 15 aus Nordkorea floh

No Kum-Sok / Kenneth Hill Rowe im Alter von 86 Jahren vor seiner MiG 15 im Museum - Foto: Ken LaRock / US Air Force

Vor 70 Jahren gelangte der Westen erstmals in den Besitz des damals hochmodernen sowjetischen Abfangjägers MiG 15. Zu verdanken ist das einem nordkoreanischen Flüchtling, der anschließend den amerikanischen Traum in den USA leben konnte, ehe er am 26. Dezember 2022 in Daytona Beach im Alter von 90 Jahren verstarb. Austrian Wings erzählt die dramatischen Ereignisse dieser Tage.

Die sowjetische MiG 15, die Moskau während des Koreakrieges (1950-1953) an das mit ihm verbündete Nordkorea lieferte, war eine böse Überraschung für die US-amerikanischen Flieger. Die damals hochmoderne und technisch fortschrittliche MiG 15 konnte problemlos die amerikanischen Bomber abschießen und war auch für die amerikanischen Jagdflieger in ihren F-86 eine ernste Bedrohung. Logischerweise war der Westen daher brennend daran interessiert, eine dieser Maschinen in seinen Besitz zu bekommen. Im April 1953 setzte die US-Regierung deshalb eine Belohnung in Höhe von 100.000 US-Dollar für jeden Piloten, der eine MiG 15 an die USA übergab, aus. Nach heutiger Kaufkraft wären das rund 1,1 Millionen Euro. Nur wenige Monate später hatten die USA eine MiG 15 in ihrem Besitz. Doch der Reihe nach.

Antikommunist im Cockpit
Zu Beginn des Koreakrieges trat ein junger Nordkoreaner namens No Kum-Sok in die nordkoreanische Marineakademie ein. Der gerade 18-jährige (geboren am 10. Jänner 1932 im damals japanisch besetzten Nordkorea) verabscheute den Kommunismus in Wahrheit und wollte das Land verlassen, hatte sich jedoch zu diesem Schritt entschlossen, um eine Hochschulausbildung zu erhalten, die nur "verlässlichen Genossen" ermöglicht wurde.

No Kum-Sok als Baby - Foto: Public Domain

No Kum-sok bestand die strengen Selektionen und wurde schließlich in der Mandschurei von sowjetischen Instruktoren zum Jagdflieger ausgebildet. Während des Koreakrieges flog der junge Pilot nach eigenen Angaben mehr als 100 Einsätze für die nordkoreanische Luftwaffe und hatte das Glück zu überleben.

Durch sein außergewöhnliches fliegerisches Talent verschaffte sich No Kum-Sok einen Status, den die heutige Jugend wohl am ehesten als "Influencer" bezeichnen würde. Fotos von ihm wurden in nordkoreanischen Zeitungen und Parteimagazinen abgebildet, doch im seinem Inneren wollte er weiterhin nur raus aus dem Land, der menschenverachtenden bis heute andauernden Diktatur entkommen.

"Ich lebte eine gigantische Lüge und versteckte mich unter dem schützenden Gewand des kommunistischen Staates."
No Kum-sok über seine Zeit als nordkoreanischer Pilot

Am 27. Juli 1953 endete der Koreakrieg mit dem Waffenstillstandsabkommen von Panmunjeom.

Flucht in die Freiheit
Knapp 2 Monate später, am 21. September 1953, startete der 21-Jährige gemeinsam mit 15 anderen Piloten vom Militärstützpunkt Sunan bei Pjönjang mit seiner MiG 15 zu einer Patrouille. Es gelang ihm, sich während der Mission abzusetzen und zur südkoreanischen Air Base Kimpo zu fliegen, wo er landete - dabei wäre es fast zur Tragödie gekommen, als seine MiG 15 beinahe mit einer startenden F-86 der USAF kollidierte ...

Der 21-Jährige nach seiner erfolgreichen Flucht in die Freiheit - Foto: US Air Force

Das Kuriose: Der Überläufer blieb zunächst vom südkoreanischen Radar unbemerkt, da die vom US-Militär betriebenen Radarstationen wegen Wartungsmaßnahmen außer Betrieb waren. In Südkorea angekommen erfuhr der Flüchtling, dass seine Mutter, die bis dahin verschollen war, noch lebte und bereits 1951 nach Südkorea in Sicherheit gebracht worden war.

Ein US-Soldat fotografierte die MiG 15 - verbotenerweise - vom Lkw aus - Foto: US Air Force
Der geflohene Pilot in seiner Fliegermontur. Man beachte, dass die nordkoreanischen Piloten selbst im Jet, aus dem sie sich im Notfall nur mit dem Schleudersitz retten konnten, lediglich eine dünne lederne Fliegerhaube anstatt eines Helms trugen - Foto: Public Domain

Für die westliche Welt war die Flucht des überzeugten Antikommunisten ein Glücksfall, waren sie doch dadurch unverhofft von einem Tag auf den anderen in den Besitz des modernsten sowjetischen Jagdflugzeuges der damaligen Zeit gekommen. Die MiG 15 wurde umgehend zum US-Stützpunkt ins japanische Okinawa gebracht und dort von den Piloten Tom Collins und Chuck Yeager ersten Testflügen unterzogen. Noch im Dezember des gleichen Jahres wurde der Jet demontiert und an Bord eines Transportflugzeuges in die USA geflogen. Auf der Wright-Patterson Air Force Base in Ohio testeten US-Piloten die Speerspitze der sowjetischen Abfangjäger dann ausgiebig auf Herz und Nieren. Anschließend verkündeten die USA öffentlich, dass sie die MiG an den "rechtmäßigen Besitzer" zurückgeben wollen, doch da kein Land Anspruch auf das Flugzeug erhob, ging es schließlich an das Nationalmuseum der US Air Force, wo es noch heute ausgestellt ist.

Da weder Nordkorea noch die Sowjetunion sich als Eigentümer der MiG 15 zu erkennen gaben, wurde sie schließlich in ein Museum in den USA überstellt - Foto: Public Domain

Der amerikanische Traum
No Kum-sok erhielt die Belohnung von 100.000 US-Dollar, behauptete aber stets, bei seiner Flucht davon überhaupt nichts gewusst zu haben. Er habe lediglich der "roten Betrügerei" in seiner Heimat entfliehen wollen. Der nordkoreanische Flieger siedelte 1954 im Alter von 22 Jahren in die USA über und lebte dort sprichwörtlich den amerikanischen Traum. Drei Jahre später konnte der Pilot auch seine Mutter nachholen.

1954 wurde No Kum-Sok / Kenneth Rowe von US-Vizepräsident Richard Nixon empfangen - Foto: Public Domain

Nach einer offiziellen Namensänderung nannte sich Kum-sok fortan Kenneth Hill Rowe und inskribierte sich an der Universität von Delaware, wo er Maschinenbau sowie Elektrotechnik studierte. 1962, im Alter von 30 Jahren, wurde Rowe stolzer US-Staatsbürger und arbeitete für namhafte Luftfahrtunternehmen wie Boeing, General Electric, Lockheed, Grumman oder General Motors. Zudem unterrichtete er 17 Jahre lang als Professor für Luftfahrttechnik an der Embry–Riddle Aeronautical University in Florida. Außerdem trat Rowe bis ins hohe Alter bei öffentlichen Veranstaltungen auf und erzählte seine Lebensgeschichte. Auch privat fand er in den USA sein Glück: Rowe heiratete eine nordkoreanische Auswanderin, die ihm zwei Söhne und eine Tochter schenkte. 1996 veröffentlichte der Flieger sein Buch "A MiG 15 to Freedom". Vier Jahre später trat der mittlerweile 68-Jährige in den wohlverdienten Ruhestand.

Am 26. Dezember 2022 verstarb No Kum-Sok / Kenneth Hill Rowe im Alter von 90 Jahren in Daytona Beach, wie seine Tochter Bonnie Rowe bestätigte.

Text: HP