Reportagen

Erster internationaler Luftverkehr vor 105 Jahren

Am 30. März 1918 wurden k.k. Flugpostlinie von Wien nach Kiew als Probebetrieb eingerichtet. Ab 31. März konnten erstmals Poststücke für diese erste internationale Postfluglinie nach regelmäßigem Flugplan aufgegeben werden. Die rund 1200 km lange Strecke wurde täglich in beiden Richtungen beflogen. Sie blieb bis Oktober 1918 in Betrieb.

Große Errungenschaften der Menschheit scheinen in der Öffentlichkeit oft keinen Erfinder oder Begründer zu haben. Sie existieren einfach. So auch der Luftverkehr. Die Donaumonarchie Österreich führte vor dem Ersten Weltkrieg bereits die weltweit erste Luftfahrtforschungsanstalt. Noch während des Ersten Weltkriegs entstand in Österreich die erste Flugpostlinie mit regelmäßigem Flugplan. Eine Reportage von Reinhard Lernbeiss.

In vielen Staaten nehmen Unternehmen für sich in Anspruch, der älteste Flugbetrieb oder die älteste Fluglinie zu sein. Angesichts der Leistung, welche diese Unternehmen von Anfang an zustande brachten, soll das auch, gerade weil vieles eine Frage der Definition ist, nicht bestritten werden. Doch blicken wir zurück in die Belle Époque, die Zeit vor der ersten großen Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Fortschritte nicht nur in der Technologie, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht, aber vor allem in Richtung neuer gesellschaftlicher Formen veränderten die Welt. Die riesige Donaumonarchie Österreich gehörte im Herzen Europas zu den wesentlichen Protagonisten – der Vielvölkerstaat, in dem eine heute vergessene, für damalige Verhältnisse ungeheuerliche Aufklärung herrschte. Beispielsweise existierten in österreichischen Luftfahrzeugen keine Standesdünkel; die noch heute üblichen Erhebungen in den Adelsstand mit österreichischem Augenzwinkern nach einer Ballonfahrt trugen zudem zur Verringerung der Distanz zwischen Adel und Fußvolk im Ballonkorb bei. Frauen durften in Österreich nicht nur Flugzeuge selber steuern und an Wett- und Rekordflügen teilnehmen, es war ihnen sogar gestattet, dabei Hosen zu tragen. Für uns heute selbstverständlich, war dies damals in anderen Nationen schlichtweg verboten. Wichtiger noch, man sprach sich nach eingehenden Studien bewusst gegen den Kolonialismus aus und Österreich konzentrierte sich schon früh auf den internationalen Handel und die Diplomatie.

Österreich war an wirtschaftlicher Spitze Europas
Das brachte vielen Unternehmen in dieser Monarchie sehr rasch großes Wachstum und Wohlstand. Die Reichsbahnen, vollkommen privatisiert, operierten in ausgeklügelten Hub and Spoke-Systemen. Viele europäische Eisenbahnstrecken verfehlen heute die damals erzielten Reisezeiten um ganze Tage. Seamless Travel über intermodale Verkehrssysteme gehörte zum Standard und brachte die drei größten Reedereien, den Österreichischen Lloyd, die Austro Americana und die Donau Dampfschifffahrts Gesellschaft DDSG an die wirtschaftliche Spitze Europas.

Erfolgreiche Luftfahrtnation
Früh führte man in Österreich systematische Forschungen in der Luftfahrttechnik durch. Die weltweit erste Luftfahrtforschungsanstalt, der Wiener Luftfahrt-Technische Verein, erzielte in der Erforschung der Atmosphäre mittels Ballonfahrten grundlegende Ergebnisse. Noch heute zeugen im Alltag gebräuchliche Ausdrücke, wie die nach Ernst Mach benannte Kennzahl oder die Erfindung des Steuerknüppels des durch Kaiser Franz Josef persönlich geförderten Pioniers Wilhelm Kress, von der damaligen Schaffenskraft. Heute gänzlich vergessen: Zusammen mit Frankreich stand Österreich damals an der Spitze der erfolgreichsten Luftfahrtnationen dieser Zeit.

Es lag nahe, diesen Weg konsequent weiterzuverfolgen und den Vielvölkerstaat auch durch Verwendung eines modernen Mittels, des Flugzeugs, zu verwalten und wirtschaftlich zu versorgen. Vor allem Walter Bardas-Bardenau, ab 1910 Direktor-Stellvertreter des Österreichischen Lloyd und späterer Gründer der Österreichischen Luftverkehrs AG (ÖLAG), beschäftigte sich schon früh mit der kommerziellen Nutzung der Luftfahrt. Man beauftragte zunächst das Schifffahrtunternehmen Österreichischer Lloyd und gründete 1916 die Internationale Luftverkehrs AG (ILAG). Abheben sollte diese aber nie, weil man Monopole vermeiden wollte. So war dem Lloyd letztlich nicht gestattet, neben Schiffen auch Flugzeuge zu betreiben. Der Erste Weltkrieg hinterliess aber erhebliche wirtschaftliche Spuren. Vor allem Lebensmittel waren knapp. Die einst stolze Donaumonarch hungerte. Es mussten dringend neue Handelsverbindungen geschaffen werden und zwar in die Kornkammer Europas der Ukraine.

Postverladung in der Flugstation Lemberg in eine Öffac C II 52.62. Links im Bild Lt. Oswald.

Flugpostlinie nach dem Ersten Weltkrieg
Nach einer mehrwöchigen systematischen Erprobung einer Flugpostlinie hoben am 31. März und 1. April 1918 Flugzeuge nun im Auftrag der k.k. Generalpost- und Telegraphenverwaltung Richtung Kiew, Lemberg und Odessa ab. Am Steuer dieser Hansa-Brandenburg C.1 war Rittmeister August Raft von Marwil. Das Flugnetz wurde in den nächsten sieben Monaten systematisch erweitert und es kamen auch andere Flugziele, wie Budapest, hinzu. Geflogen wurde mit 22 Flugzeugen und 17 Piloten mehrmals täglich. Auch Passagiere flogen zeitweise mit. Der Hauptzweck der Luftfahrt war aber die Beförderung der Post.

Kaiserin Zita begrüsst den Piloten der neu eröffneten Luftpostlinie Wien–Budapest bei der Ankunft in Wien-Aspern, 1918
2004 herausgegebene Briefmarke zur Erinnerung an jene Zeit, als Österreich Pioniergeschichte im Flugverkehr schrieb.

Das Ende des Flugbetriebs
Der Flugbetrieb von Wien-Aspern endete mit dem Zerfall der Donaumonarchie zum Ende des Ersten Weltkriegs. Das Österreich nach 1918 hat in Folge nur sehr wenig mit der Donaumonarchie gemein, darüber sind sich Historiker heute einig. Dennoch gelang es, aufbauend auf den wertvollen Erfahrungsschatz in der Luftfahrt und trotz der immensen volkswirtschaftlichen Probleme, mit denen dieses kleine Land nun konfrontiert war, nur fünf Jahre später einige Luftfahrtunternehmen in Österreich zu gründen. Eine davon, die Österreichische Luftverkehrs AG ÖLAG, sollte es sehr weit nach oben am europäischen Luftfahrt-Himmel schaffen.

Text: Reinhard Lernbeiss
Fotos: Archiv Reinhard Lernbeiss

Der Autor ist Flugkapitän, Flugprüfer, Fluglehrer und Universitätslektor.