Kürzlich erschien das erste deutschsprachige Buch zum Thema. Auch Austrian Wings Gastautor Christian Becker hält das neue Buch "Pan Am Flug 103: Die Tragödie von Lockerbie - Weihnachtsreise in den Tod" demnächst in seinen Händen und wird voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres eine ausführliche Rezension verfassen. Austrian Wings berichtete bereits in der Testphase 2008, vor dem offiziellen Start des Portals, erstmals über die Katastrophe von Lockerbie.
Offiziell autorisiert, veröffentlichen wir nachfolgend (kursiver Text) einen Auszug aus dem Kapitel "Vorbereitungen zum Flug PA103":
Gegen 18 Uhr Lokalzeit London (entspricht auch 18 Uhr UTC) soll die Boeing 747-121 mit der neuen Besatzung unter der Flugnummer PA103 von London Heathrow nach New York JFK fliegen. Dabei gibt es allerdings eine Besonderheit. Die tägliche Flugverbindung mit der Nummer PA103 beginnt nämlich bereits in Frankfurt. Allerdings wird die Strecke von Frankfurt nach London Heathrow mit einer Boeing 727 bedient. Passagiere, die ihre Reise mit PA103 in Frankfurt beginnen und weiter in die USA fliegen wollen, müssen also umsteigen. Konkret kann Kurs Pan Am 103 sowohl als Direktverbindung Frankfurt-New York als auch als Direktverbindung Frankfurt-Detroit gebucht werden, obwohl in London beziehungsweise New York umgestiegen werden muss. Es ist auch möglich, mit der Boeing 727 nur von Frankfurt bis London zu fliegen. Es ist nämlich eine Eigenheit in diesen Tagen, dass Pan Am und beispielsweise auch Hauptkonkurrent TWA unterschiedliche Flüge unter der gleichen Flugnummer anbieten. Derart irreführende Flugnummern/Verbindungen gibt es heutzutage nicht mehr. Pan Am ist im Jahr 1988, trotz der in diesem Buch bereits ausführlich geschilderten finanziellen Probleme, immer noch die Nummer eins auf der Transatlantikroute. Sie befördert jährlich mehr als 3,3 Millionen Passagiere über den großen Teich und steuert allein in Europa mehr als 40 verschiedene Destinationen an. Während die um 16:50 Uhr Lokalzeit (15:50 UTC) in Frankfurt gestartete Boeing 727 der Pan Am von Frankfurt nach London Heathrow unterwegs ist, treffen auf dem Flughafen Heathrow Kapitän James Bruce MacQuarrie, der Erste Offizier Raymond Ronald Wagner, Bordingenieur Jerry Don Avritt sowie die 13 Flugbegleiter ein.
Parallel dazu läuft im Terminal 3 des Flughafens Heathrow bereits der Check-In der Passagiere. Die Piloten und der Bordingenieur planen ihre Flugroute über den Atlantik und berechnen die benötigte Treibstoffmenge. Auch die Kabinenbesatzung unter Leitung der beiden Purser Mary Geraldine Murphy und Milutin Velimirovich hält ein Briefing ab, um sich auf den rund 8-stündigen Nachtflug nach New York vorzubereiten. Danach begibt sich die Besatzung an Bord. Hier überwachen die Flugbegleiter das Laden des Caterings. Sie stellen außerdem sicher, dass die Kabine dem hohen Pan Am Standard entspricht und gereinigt ist. Schließlich sollen sich alle Reisenden an Bord wohlfühlen. „Always at your service“, ist bei Pan Am nicht nur ein Slogan, sondern gelebter Alltag ‒ etwas, von dem man im heutigen Zeitalter der Billigflieger, wo man selbst für jede Flasche Wasser teures Geld bezahlen muss, nur noch träumen kann. Im Cockpit überprüfen Kommandant MacQuarrie, First Officer Wagner und Flugingenieur Avritt sukzessive die Eintragungen in den Bordbüchern, checken die Instrumente und stellen sicher, dass der angeforderte Treibstoffvorrat für den Flug nach New York an Bord ist. Außerdem führt einer der Männer den obligatorischen Outside Check durch. So wird sichergestellt, dass keine sichtbaren Schäden am Flugzeug vorhanden sind. Insgesamt befinden sich nach Abschluss des Tankvorgangs rund 110 Tonnen Kraftstoff in den Tanks der „Clipper Maid of the Seas“. Das ist mehr als genug für die etwa 5.600 Kilometer lange Transatlantikstrecke. Es ist etwa 16:40 Uhr: Nun beginnt auch das Boarding der insgesamt 243 Fluggäste. Die meisten von ihnen beginnen ihre Reise in London Heathrow. Es gibt allerdings auch Anschlusspassagiere von anderen Fluglinien ‒ und natürlich vom Pan Am Zubringer mit der Flugnummer PA103 aus Frankfurt. Die Boeing 727 der Pan Am parkt nach ihrer Ankunft um 17:20 Uhr auf Position Kilo 16, in unmittelbarer Nähe der 747 (Kilo 14). Das beschleunigt das Umladen des Gepäcks aus Frankfurt sowie das Umsteigen der insgesamt 47 Passagiere (manche Quellen geben 49 Umsteiger an), die ihre Reise mit PA103 in Deutschland begonnen haben. Die Flugbegleiter begrüßen die Gäste beim Einsteigen herzlich und helfen ihnen bei Bedarf, den richtigen Sitz zu finden. Es dauert eine gewisse Zeit, bis alle 243 Passagiere ihre Plätze gefunden, das Handgepäck verstaut, sich gesetzt und angeschnallt haben.
Menschen aus 21 Nationen an Bord
Die Insassen (Passagiere und Crew) sind so international wie die Fluglinie Pan Am und stammen aus 21 Nationen. Die Reisenden an diesem Abend kommen aus den USA (179), Großbritannien (31), Trinidad und Tobago (1), der Schweiz (1), Schweden (2), Südafrika (1), den Philippinen (1), Japan (1), Jamaika (1), Italien (2), Israel (1), Irland (3), Indien (3), Ungarn (4), der BRD (3), Frankreich (2), Kanada (3), Bolivien (1), Belgien (1) sowie Argentinien (2). Von den 16 Besatzungsmitgliedern der „Clipper Maid of the Seas“ haben 11 die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1 die schwedische, 1 die spanische, 1 die (west-)deutsche 1 die französische und 1 die britische.
Unter den Passagieren befindet sich auch eine 35-köpfige Gruppe von Studenten der privaten Syracuse University, New York. Die meisten Mitglieder dieser Reisegesellschaft sitzen im hinteren Teil der 747. Sie haben im Rahmen des „Division of International Programs Abroad“ ihrer Universität einige Zeit in Europa studiert und wollen nach Amerika fliegen, um die Weihnachtsfeiertage in der Heimat zu genießen. 10 der Studenten sind nicht direkt an der Universität von Syracuse, sondern an befreundeten Hochschulen, eingeschrieben, konnten aber aufgrund der engen Beziehungen der Bildungseinrichtungen untereinander am Programm der Syracuse Universität teilnehmen. Die amerikanische Computerspezialistin Garima Rattan (29) hat zusammen mit ihrem Bruder, ihrem Ehemann Shachi sowie den beiden gemeinsamen Kindern Anmol (2) und Suruchi (3) eine Hochzeit in Großbritannien besucht. Während Shachi Rattan und Garimas Bruder (beide Männer sind Ärzte) schon früher zurückgeflogen sind, hat Garima mit den Kindern noch ein paar Tage Freizeit in Europa genossen. Laut den Bordkarten hat Garima Platz 23D (Gangplatz in der Mittelreihe über den Tragflächen), neben ihr auf Platz 23E sitzt Tochter Suruchi. Anmol hat vom Check-In-Personal den Sitz 24C, einen Gangplatz in der Zweierbank schräg vis a vis zugewiesen bekommen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Familie die Plätze gewechselt hat, um nebeneinander sitzen zu können. Schließlich gibt es an Bord jede Menge freier Sitze. Die 24-jährige britische Medizinstudentin Flora Swire, deren Vater angesehener Arzt ist, freut sich, so kurz vor Weihnachten, wo die meisten Flüge ausgebucht sind, noch einen Platz auf dem Pan Am Jumbo nach New York ergattert zu haben. Denn die Britin möchte ihren 25. Geburtstag am 22. Dezember und Weihnachten spontan bei ihrem Freund, einem Arzt, in den USA verbringen. Das Berufsziel der jungen Frau ist Neurochirurgin. Ihre Schwester Cathy hat sie zum Flughafen gebracht. Ebenfalls an Bord: Sergeant Edgar Howard Eggleston III., Computerspezialist und Programmierer der US Air Force. Er ist auf dem Weg von der US Air Base Ramstein (dort hat sich rund 4 Monate zuvor ein folgenschweres Flugtagunglück ereignet, siehe auch das Buch „Als der Tod vom Himmel stürzte. Die Flugtagkatastrophe von Ramstein“, ISBN: 978-3-99152-447-2) in die USA und seine Reise hat einen tragischen Hintergrund. Sie ist nämlich ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn seine Stiefmutter Nieta Shirley Eggleston liegt im Sterben und der junge Unteroffizier möchte sie noch einmal sehen, um sich von ihr verabschieden zu können. Auch die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Owen ist an diesem Tag mit im Flugzeug. Sie sitzt auf Platz 19D und hat ihre 20 Monate alte Tochter Bryony Elise (geboren am 29. April 1987) auf dem Schoß. Die 29-jährige Britin ist mit ihrem zweiten Kind schwanger und möchte in die USA reisen, um dort im kommenden Jahr ihren Freund Seth zu heiraten. Sie absolviert derzeit eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin, die sie im Juni 1989 abschließen wird. Auch viele Politiker und Geschäftsreisende international tätiger Konzerne nutzen regelmäßig Pan Am für ihre Reisen. So ist sogar der UN-Kommissar für Namibia, Bernt Carlsson (50) auf dem Flug gebucht.
Um 18:25 startete die "Clipper Maid of the Seas" von der Piste 27R des Londoner Flughafens Heathrow. 38 Minuten später explodierte die Bombe an Bord. Weniger als eine Minute später schlugen die Trümmer auf dem Boden - teilweise direkt in der Stadt Lockerbie - auf. Neben allen 259 Menschen an Bord des Jumbos kamen auch 11 Einwohner von Lockerbie ums Leben.
Bis heute ist nicht geklärt, wer für den Anschlag verantwortlich war.
(red)