Am 9. März 2024 wurden zwei Skitourengeher beim Aufstieg auf den Piz Buin im Bereich der sogenannten "Grünen Kuppe" von einer Lawine erfasst und mitgerissen. Während sich einer der Männer selbst befreien konnte, wurde sein 49-jähriger Begleiter erst nach rund 15 Minuten von Gästen einer nahegelegenen Berghütte aus den Schneemassen geborgen.
Um 11:21 Uhr ging bei der Leitstelle Vorarlberg ein Notruf ein. Der Disponent alarmierte nach Abfrage der Sachlage den Notarzthubschrauber Robin 1 (Betreiber: Schenkair), welcher das nächstgelegene luftgebundene Notarztrettungsmittel war, den Hubschrauber Libelle der Flugpolizei sowie zusätzlich Gallus 2 (Betreiber: Wucher Helicopter). Was danach geschah, sorgt jedoch seit dem Zwischenfall für gewaltiges Rumoren in Vorarlberg und könnte unter Umständen noch Gegenstand juristischer Ermittlungen werden. Denn nachdem Robin 1 die Turbinen angelassen hatte und gerade im Begriff war, zu starten, erfolgte die Stornierung des Helikopters durch die Leitstelle Vorarlberg (Rettungs- und Feuerwehrleitstelle Vorarlberg). Stattdessen flogen der Polizeihubschrauber Libelle (kein medizinisches Personal an Bord) sowie Gallus 2 (Notarzthubschrauber) alleine zum Notfallort, während der nächstgelegene notarztbesetzte Hubschrauber, Robin 1 (übrigens der einzige in Vorarlberg stationierte zivile Notarzthubschrauber mit Rettungswinde), am Boden blieb. Dabei wäre Robin 1 in diesem Fall nicht nur der nächstgelegene Notarzthubschrauber gewesen, sondern er ist für Lawineneinsätze auch noch besonders gut ausgerüstet, wie unter anderem das international angesehene Fachportal "Helirescue.at" weiß. Dort heißt es in einer Reportage über Schenkair unter anderem wörtlich:
"Sowohl medizinisch, als auch bergrettungstechnisch sind die rot-gelben Hubschrauber bestens ausgerüstet. So können beispielsweise schwerstverletzte Patienten schon am Einsatzort in Narkose versetzt, und kontinuierlich überwacht werden, sowie reanimationspflichtige Patienten mithilfe eines automatischen Reanimationsgerätes (LUCAS) unter laufender Reanimation ins Spital verbracht werden. Eine Möglichkeit, die gerade bei Lawinenopfer von essentieller Bedeutung ist. Für technische Einsätze ist man mit Sicherungsmaterial (Bandschlingen, Karabiner, Eisschrauben, Eispickel uvw.) ausgestattet um sich selbst, sowie den Patienten vor einem Absturz zu sichern. Zudem verfügt man über modernste Lawinenausrüstung wie ein Lawinenairbag „Aerosize Vest ONE“ oder ein RECCO Suchgerät, zur Ortung von Verschütteten oder Vermissten mithilfe eines Radarsignals."
Notarzthubschrauber traf später beim Patienten ein als es hätte sein können
Gallus 2 hatte jedoch eine längere Anflugzeit als es Robin 1 gehabt hätte. Es besteht daher der berechtigte Grund zu der Annahme, dass die bestmögliche notfallmedizinische Versorgung des Patienten durch die Entscheidung der Leitstelle, den weiter entfernt stationierten Helikopter anstatt Robin 1 mit dem Einsatz zu betrauen, verzögert wurde. Ob, beziehungsweise welche gesundheitlichen Spätfolgen dies möglicherweise für den Patienten haben könnte, müssen gegebenenfalls medizinische Sachverständige klären - sofern der Patient überhaupt überlebt, denn nach offiziell nicht bestätigten Informationen, die an Austrian Wings herangetragen wurden, soll der Zustand des Tourengehers weiterhin ausgesprochen kritisch sein. Überhaupt scheint der Verdacht einer systematischen Diskriminierung von Robin 1 durch die zuständige Leitstelle in Vorarlberg zu bestehen, wie Austrian Wings bereits am 19. März berichtete.
"Nach meinem Kenntnisstand wird Robin 1 nicht alleine zu Lawineneinsätzen geschickt."
Ein Vorarlberger Bergrettungsmitarbeiter gegenüber Austrian Wings
Austrian Wings bat die Bergrettung Vorarlberg, die laut dem renommierten Branchenportal "Helirescue.at" für die gesamte Flugrettung in Vorarlberg verantwortlich ist, Landeshauptmann Markus Wallner sowie die Rettungs- und Feuerwehrleitstelle Vorarlberg um eine Stellungnahme zu diesem Vorfall. Dazu übermittelten wir einen ausführlichen Fragenkatalog.
Großes Schweigen im Ländle
Die Bergrettung Vorarlberg und Landeshauptmann Wallner hüllten sich gleich ganz in Schweigen, von der Landesleitstelle Vorarlberg kam eine namentlich nicht unterzeichnete, also quasi anonyme, Stellungnahme, in der bestätigt wurde, dass Robin 1, also jener Notarzthubschrauber, der den Patienten nach allen uns vorliegenden Informationen wohl am schnellsten erreicht hätte, nach der Alarmierung wieder storniert wurde. Man begründete dies damit, dass man Robin 1 für mögliche weitere Notfälle vorhalten habe wollen und besteht in der Stellungnahme darauf, dass "alle erforderlichen Maßnahmen zeitgerecht und umfassend getroffen wurden". Der Patient sei bereits durch Ersthelfer, darunter zwei Ärzte, primär erfolgreich reanimiert gewesen. Fakt ist allerdings auch, dass zwei vor Ort befindliche Ärzte als Ersthelfer kaum die notfallmedizinische Ausrüstung inklusive Medikamente dabei gehabt haben dürften, wie sie an Bord eines Notarztrettungsmittels vorgehalten werden.
Austrian Wings konsultierte mehrere erfahrene Leitstellendisponenten mit dieser Stellungnahme und bat sie um eine Einschätzung der Argumentation der Landesleitstelle Vorarlberg. Allesamt hielten die von uns konsultierten Disponenten die Darstellung, dass Robin 1 nur deshalb storniert worden sei, um ihn für andere Notfälle vorzuhalten, für völlig unglaubwürdig und eine Schutzbehauptung.
"Was bei uns in der Bergrettung im Bereich Flugrettungsorganisation abgeht, ist zum Teil wirklich katastrophal. Ich kenne viele Kameraden, die das ebenso sehen wie ich aber wer laut Kritik äußert fliegt raus oder wird gemobbt. Es ist höchste Zeit, dass mal jemand die Missstände öffentlich macht."
Ein Mitarbeiter des Vorarlberger Bergrettungsdienstes gegenüber Austrian Wings
"Wenn ich einen reanimationspflichtigen Patienten oder einen gerade von Ersthelfer reanimierten Patienten habe, dann fliegt jener Notarzthubschrauber dorthin, der den Patienten am schnellsten erreichen kann. In diesem Fall wäre das meiner Einschätzung nach Robin 1 und nicht Gallus 2 gewesen. Ich maße mir nicht an, eine rechtliche Beurteilung vorzunehmen aber als Disponent mit langjähriger Erfahrung im Rettungsdienst muss ich sagen, dass diese Entscheidung sehr merkwürdig anmutet und für mich in keinster Weise nachvollziehbar ist.
Ein Disponent gegenüber Austrian Wings
"Also die Begründung der Landesleitstelle Vorarlberg für die Stornierung von Robin 1 klingt für mich nach einer reinen Ausrede. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen."
Ein weiterer Rettungsdienstmitarbeiter zur Causa
"Ich lag vor vielen Jahren selbst als Notfallpatient im Notarzthubschrauber Christophorus 9. Folgt man dieser sogenannten Argumentation der Leitstelle in Vorarlberg dann hätte die Leitstelle in Wien damals wohl den Christophorus 3 aus Wiener Neustadt zu mir schicken müssen. Der hätte zwar deutlich länger gebraucht als der in Wien stationierte Christophorus 9, aber dafür hätte man Christophorus 9 für einen anderen Notfall in Wien vorhalten können, der noch gar nicht eingetreten war und von dem man überhaupt nicht wusste, wann und ob er eintreten wird. Welchen Bullshit erzählen die in Vorarlberg da eigentlich? Ich selbst wäre nach dieser ,Vorarlberger Logik' heute wohl nicht mehr am Leben.
Ein Wiener Rettungsdienstmitarbeiter gegenüber Austrian WIngs
Ermittelt demnächst die Staatsanwaltschaft?
Während die Landesleitstelle Vorarlberg also darauf beharrt, alles richtig gemacht und eine optimale Patientenversorgung sichergestellt zu haben, bleiben selbst innerhalb des Vorarlberger Rettungsdienstwesens Zweifel an der Vorgehensweise des Disponenten. Der Fall scheint jedenfalls gewisse Parallelen zum "Kärntner Luftkrieg" von 2001 aufzuweisen, als eine mit der Disposition der Rettungsmittel beauftragte Hilfsorganisation auffällig häufig einen bestimmten Hubschrauber zu Notfällen entsandte, obwohl Helikopter anderer Betreiber den Patienten schneller erreicht hätten.
Wie Austrian Wings erfuhr, soll eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Feldkirch bereits in Vorbereitung sein, durch die eine Prüfung in die Wege geleitet werden soll, ob das Vorgehen der Landesleitstelle Vorarlberg in dieser Angelegenheit aus strafrechtlicher Sicht tatsächlich korrekt war.
(red HP)