Punktlandung

Gefährliche Mängel bei Boeing 787 Dreamliner? Analyse zu den jüngsten Vorwürfen gegen Boeing

Symbolbild Boeing 787 Dreamliner - Foto: www.der-rasende-reporter.info

Schwere Vorwürfe gegen seinen Arbeitgeber erhebt der Boeing-Ingenieur Sam Salehpour aktuell vor dem US-Senat. Eine Analyse.

Schwere Qualitätsmängel, welche die strukturelle Integrität der Zelle beeinträchtigen und im worst case sogar zum Auseinanderbrechen der Boeing 787 führen können. Auch bei der Boeing 777 soll es Qualitätsmängel geben. Das alles behauptet aktuell der Boeing-Ingenieur Sam Salehpour öffentlich gegenüber Medien und sogar in einer Anhörung vor dem US-Senat. Sein Resümee: Er selbst würde derzeit nicht in eine Boeing 787 Dreamliner steigen.

Bis diese schweren Vorwürfe, die von Boeing sofort zurück gewiesen wurden, einer gründlichen technischen Überprüfung unterzogen wurden, wird es wohl einige Zeit dauern. Daher ist es auch noch zu früh, um abschließend beurteilen zu können, ob sie zutreffend sind oder nicht. Doch einige Dinge kann man schon jetzt mit Sicherheit sagen.

Qualitätsprobleme bei Boeing sind evident
Fakt ist: Seit Jahren scheinen Qualitätsprobleme bei Boeing gehäuft aufzutreten und manche Beobachter, darunter auch ich selbst, haben den Eindruck, dass die Sicherheitskultur bei Boeing in den vergangenen Jahren gelitten hat - wie man nicht zuletzt am Skandal rund um die Boeing 737 MAX sieht.

Auch bei der Boeing 787 Dreamliner (Erstflug 2009, seit Oktober 2011 im Liniendienst) gab es in den vergangenen Jahren immer wieder verschiedene Probleme, unter anderem mit brennenden Batterien, die zu Modifikationen führten. Das erschütterte das Vertrauen von Passagieren und Airlines in den neuen Typ gleich zu Beginn. Die Maschine wurde zeitweise sogar als "Fireliner" verspottet, ein Grounding (Flugverbot) über einen Zeitraum von mehreren Monaten folgte. Das war 2013. Danach wurde es im Wesentlichen zwar ruhig um den Dreamliner, doch auch weiterhin gab es immer wieder mal kleinere Probleme. Zwischen Sommer 2021 und Sommer 2022 wurde wegen diverser Produktionsmängel gar ein temporärer Auslieferungsstopp verhängt.

Kein einziger tödlicher Unfall, mehr als 1.000 Jets in der Luft
Einerseits muss man somit konstatieren, dass die bisher 13-jährige Laufbahn der Boeing 787 zwar durchaus von mehreren Problemen überschattet war, die 787 Dreamliner sich am Ende des Tages aber dennoch als sicheres und effizientes Flugzeug erwiesen hat. Denn bis Ende März 2024 wurden rund 1.100 Dreamliner verschiedener Varianten ausgeliefert, knapp 800 weitere sind bestellt und warten auf ihre Produktion.

Die Boeing 787 Dreamliner fliegt rund um den Globus bei allen namhaften großen Airlines und zudem kleineren Fluglinien, sogar als Privatjet kann man sie mieten. Zu den größten Betreibern zählen die japanische All Nippon Airways (mehr als 80), United Airlines aus den USA (mehr als 70), American Airlines (rund 60), Qatar Airways (knapp 50), Japan Airlines (knapp 50), Air Canada (rund 40) oder British Airways (ebenfalls rund 40 Stück).

Wie alle Flugzeuge wird auch die Boeing 787 Dreamliner nach einem streng festgelegten Protokoll regelmäßigen Checks und intensiven Wartungsarbeiten unterzogen.

Die AUA-Konzernmutter Lufthansa hat ebenfalls etliche Boeing 787 Dreamliner bestellt, die teilweise schon im aktiven Einsatz sind. Die Österreich-Tochter AUA nimmt im Mai mit diesem Typ den Flugbetrieb auf, der die alten Boeing 767-300ER und Boeing 777-200ER aus Lauda Air Tagen ersetzt. Beide AUA-Dreamliner (OE-LPM und OE-LPL) befinden sich derzeit in Taiwan, wo sie bei einem Werftbetrieb (völlig unabhängig von den aktuellen Vorwürfen) intensiven technischen Checks unterzogen und auf ihren Einsatz bei der AUA vorbereitet werden.

Keine Sorge vor Flug in einer Boeing 787, aber Wachsamkeit
Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Produktionsmängel womöglich erst nach Jahren auf die Sicherheit auswirken. So brach am 25. Mai 2002 eine Boeing 747-200 der taiwanesischen China Airlines in der Luft auseinander, alle 225 Menschen an Bord starben. Ursache war eine 22 Jahre zuvor unsachgemäß ausgeführte Reparatur eines strukturellen Schadens. Doch derartige Unfälle sind eher die Ausnahme als die Regel - zum Glück.

Doch zurück zur Boeing 787. Aus heutiger Sicht und unter Zugrundelegung der bisherigen Operationsgeschichte der Boeing 787 seit dem Jahr 2011 erscheint es unwahrscheinlich, dass ein akutes Absturzrisiko für den Dreamliner aufgrund dieser Produktionsmängel besteht. Denn wäre das Risiko tatsächlich so groß wie von Boeing-Ingenieur Sam Salehpour in den Raum gestellt, dann hätte sich rein statistisch gesehen schon längst ein schwerer Unfall aufgrund der von ihm in den Raum gestellten Mängel ereignen müssen. Fakt ist allerdings: Seit ihrer Indienststellung im Jahr 2011 gab es keinen einzigen tödlichen Unfall mit einer Boeing 787 Dreamliner. Diese Sicherheitsbilanz spricht ganz eindeutig für die Boeing 787. Dennoch ist es wichtig, die von Sam Salehpour erhobenen Vorwürfe bis ins kleinste Detail von unabhängigen Experten überprüfen zu lassen und allfällig tatsächlich vorhandene Probleme rasch zu beseitigen, um auch jedes mögliche Restrisiko auszuschließen. Das werden die Betreiber schon aus Eigeninteresse tun und auch die US-Luftaufsicht FAA, die im Zuge des 737 MAX-Skandals ebenfalls in die Kritik geraten war, wird Boeing diesbezüglich genau auf die Finger schauen.

Panik oder das Meiden der Boeing 787 bei Flugreisen ist nach dem aktuellen Stand der Dinge aus meiner Sicht jedoch absolut fehl am Platz.

Text: Patrick Huber, www.der-rasende-reporter.info

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