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Benjamin Denes und Andreas Spaeth konnten mit wichtigen Experten sprechen und mit Augenzeugen, die jenen 4. Oktober 1992 in Bijlmermeer erlebt haben. Erstmals konnten die beiden Flugforensiker eine bislang nicht öffentlich zugängliche Analyse des Flugverlaufs mit Diagrammen des Flugdatenschreibers einsehen und auswerten. "Die Interviewpartner in dieser Folge sind u.a. Henk Pruis, der an der Flugunfall-Untersuchung mitgewirkt hat, der Journalist und Autor Vincent Dekker, der 747-Pilot Max Scheck (VC Cockpit) und unser österreichische Kollege Patrick Huber", so die beiden deutschen Journalisten.
Hintergründe und neue Erkenntnisse
Im Oktober 1992 forderte bereits rund eine Woche nach dem Flugzeugabsturz in Amsterdam-Bijlmermeer die israelische Fluggesellschaft EL AL einen Teil der Fracht von den Flugunfall-Ermittlern zurück. „Metallteile, gutes Material, kleine Flaschen, in denen wahrscheinlich chemische Substanzen aufbewahrt wurden“, beschreibt der frühere RLD-Mitarbeiter Henk Pruis die fraglichen Gegenstände in einem Interview mit dem Podcast „Flugforensik“. Der Ingenieur und Experte für Flugzeugantriebe war damals Teil der internationalen Untersuchungskommission, die zum Absturz eines Boeing 747-Frachters der staatlichen israelischen Fluglinie im Südosten Amsterdams ermittelte.
Damals sind die vier Insassen der Maschine und 39 Bewohner von zwei Wohnblöcken gestorben, in die das Flugzeug stürzte. Vor der EL AL-Maschine waren wenige Minuten nach dem Start in Schiphol zwei Triebwerke auf einer Seite des Flugzeugs abgerissen. Trotzdem steuerten die Piloten das schwer kontrollierbare Flugzeug auf dem Rückweg zum Flughafen über das Amsterdamer Stadtzentrum und später über die Wohnsiedlung Bijlmermeer.
Die Frage, welche Fracht die Maschine geladen hatte, ist jahrzehntelang sehr kontrovers in den Niederlanden diskutiert worden – unter anderem auch in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Pruis ergänzt bei „Flugforensik“, dass er keinerlei gesundheitlichen Schäden oder Auswirkungen erlitten habe durch den Kontakt mit Trümmerteilen und Teilen der Ladung des Flugzeugs. „Aber es ist auch wichtig zu betonen, dass keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Fracht und dem Unfallhergang gibt“, sagt Pruis.
Diagramme aus dem Flugdatenschreiber
In der neuen Folge ihres Podcasts gehen die Journalisten Benjamin Denes und Andreas Spaeth sehr detailliert auf den Flugverlauf von EL AL 1862 an jenem 4. Oktober 1992 ein. Sie haben Augenzeugen interviewt, die damals im Viertel Bijlmermeer im Südosten Amsterdams gewohnt haben. Sie haben mit dem Journalisten Vincent Dekker gesprochen, der in vielen Artikeln und seinem Buch „Going down, Going down“ Zweifel an der Rekonstruktion des Flugverlaufs durch die Unfalluntersucher geäußert hat. Und sie haben mit dem Boeing 747-Piloten Max Scheck (VC Cockpit) Daten aus dem Flugdatenschreiber analysiert. Das ist insofern bemerkenswert, als dass alle offiziellen Unterlagen zu dem Absturz aufgrund des niederländischen Archivgesetzes noch bis zum Jahr 2069 unter Verschluss sind. Im offiziellen Untersuchungsbericht sind keinerlei Diagramme zum Flugdatenschreiber veröffentlicht wurden.
Allerdings liegt „Flugforensik“ nun eine vom Testpiloten Heert Tigchelaar angefertigte Analyse des Flugverlaufs der Unglücksmaschine vor, die 1996 für einen Vortrag bei einem niederländischen Ingenieurskongress erstellt wurde. Tigchelaar gehörte zu den Flugunfallermittlern im Fall EL AL 1862. Besonders zwei Diagramme sind für die Analyse der Unglücksfluges aufschlussreich.
Laut dem Boeing 747-Piloten Max Scheck unterstützen diese Daten die Rekonstruktion des Flugverlaufs, wie sie im offiziellen Untersuchungsbericht dargestellt ist. „Man sieht, wie der Kapitän kämpft, die Kontrolle über die Maschine zu behalten.“ Außerdem hält es Scheck aufgrund der vorliegenden Daten für unmöglich, dass der EL AL-Jumbo noch eine letzte enge Kurve über Bijlmermeer geflogen ist, wie es Vincent Dekker aufgrund von Augenzeugenberichten in seinem Buch „Going down, Going down“ annimmt. „Bestenfalls wäre so eine 360-Grad.Kurve in die Seite der defekten bzw. abgefallenen Triebwerke in drei Minuten möglich gewesen bei der Geschwindigkeit, die das Flugzeug hatte. Aber das wäre nur mit einer vollkommen intakten Maschine denkbar. Hier konnten die Piloten mit Mühe für einige Sekunden Querneigungswinkel von 22-25 Grad halten. Die Steuerung war einfach sehr stark eingeschränkt.“
In der Analyse von Heert Tigchelaar geht es um das Dilemma zwischen Kontrollierbarkeit und Leistung. Das Überschreiten gestimmter Grenzen (für Geschwindigkeit oder auch Kurvenwinkel) könne in einem Fall wie er bei EL AL 1862 aufgetreten ist, zu einem sofortigen Kontrollverlust führen kann.
Erst im vergangenen Jahr erschien auch das erste deutschsprachige Buch zu diesem Absturz: "Todesflug EL AL 1862 - die Katastrophe von Amsterdam". Geschrieben hat es der Österreicher Patrick Huber. Erhältlich ist es unter Angabe der ISBN in jeder Buchhandlung oder (am einfachsten) über den Webshop des Verlages.
(red / Flugforensik.de)