Gut 20 geplatzte Verhandlungsrunden, mehrere Betriebsversammlungen, einige kurze Streiks, hunderte ausgefallene Flüge, zigtausende verärgerte Passagiere, zwischen 24 und 36 Millionen Euro Schaden (laut AUA-Pressestelle) und noch immer keine Einigung auf einen neuen Kollektivvertrag für das fliegende Personal. Das ist der Status quo bei der AUA, nachdem die Belegschaft in einer Abstimmung, die von der Wirtschaftskammer und dem von der Lufthansa in Österreich eingesetzten AUA-Management scharf kritisiert wurde, gegen die Annahme des AUA-Angebots gestimmt hat. AUA-CEO Annette Mann, eine altgediente Lufthanseatin, hatte der Belegschaft im Vorfeld über die Medien wiederholt gedroht, die AUA "neu zu denken", sollten die Arbeitnehmer von ihren Forderungen nicht Abstand nehmen. Gleich nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses erneuerte das AUA-Management seine ziemlich unverhohlene Drohung an die Mitarbeiter. Damit hat es sich bei den Piloten und Flugbegleitern keine Freunde gemacht, sondern die Fronten wohl nur weiter verhärtet. Das war ziemlich unklug und einer raschen Lösung eher abträglich als förderlich. Auch, dass die Lufthansa, natürlich rein zufällig und ohne jede Absicht, gestern, genau am letzten Tag der Abstimmung das AUA-Quartalsergebnis von -122 Millionen Euro veröffentlichte und damit zumindest implizit der (faktisch falschen) Darstellung, dass die "böse streikfreudige Belegschaft" an dem Minus schuld sei, sorgte für massiven Unmut bei der fliegenden Belegschaft. Dass die AUA in jedem Fall ein fettes Minus eingeflogen hätte, auch ohne einen einzigen Streiktag, habe ich erst heute in einer Punktlandung anhand der Zahlen dargelegt. Denn das Winterquartal ist bei der AUA quasi immer schon "tiefrot", auch ohne Arbeitskampf. Während Lufthansa, AUA-Management und Wirtschaftslobby die Forderungen der Piloten und Flugbegleiter gebetsmühlenartig als "weit überzogen" abkanzeln, sind die objektiven und tatsächlichen Fakten allerdings weitaus komplexer, wie ich bereits am 4. April in einem Kommentar beleuchtet habe. Was nun? Weiterverhandelt werden muss in jedem Fall und vielleicht wäre es ratsam, die Verhandler auf beiden Seiten auszutauschen, gewissermaßen Tabula rasa für einen Neustart. Denn wie man hört, ist Gewerkschafter Roman Hebenstreit für das AUA-Management in Wien und die Lufthansa in Frankfurt gleichermaßen ein sprichwörtliches rotes Tuch und umgekehrt sollen die Verhandler der Arbeitnehmerseite mit den Verhandlern der AUA auch nicht so recht können.
Doch wie geht es nun weiter? Folgende Szenarien sind jetzt jedenfalls denkbar: Es kommt zeitnah zu weiteren Streiks, die dadurch bedingten Verluste steigen, das Image der AUA in der Öffentlichkeit leidet weiter und am Ende kommt es in guter österreichischer Tradition endlich zu einem KV-Abschluss, bei dem sich beide Parteien in der Mitte treffen und die AUA fliegt weiter wie bisher. Allerdings könnte man diesen für das Personal akzeptablen KV-Abschluss auch einfacher und billiger (ohne Streiks) haben, doch dafür müsste sich die AUA bewegen und rasch ein für die Belegschaft besseres Angebot vorlegen.
Das zweite Szenario wäre weniger erfreulich für die AUA und ihre Mitarbeiter. Das wäre nämlich jenes, in dem CEO Annette Mann ihre Drohungen (die sie bestimmt nicht ohne Anweisung aus Frankfurt ausgesprochen hat, denn wirklich wichtige Entscheidungen werden seit Jahren de facto bei der Lufthansa in Frankfurt getroffen und dann nur pro forma vom AUA-Management verkündet), Strecken auszulagern und die AUA zu schrumpfen wahr macht.
Doch, dass dies in naher Zukunft geschehen könnte, gilt als eher unwahrscheinlich, wenngleich es auch nicht völlig ausgeschlossen ist. Warum sehe ich das so? Nun, die AUA ist ein klassischer Netzwerkscarrier. Das bedeutet, dass sie viele Umsteigepassagiere hat, auch auf der Langstrecke. Zur Veranschaulichung zwei Beispiele: Ein Passagier fliegt von Warschau nach Wien und von dort dann weiter nach Bukarest oder auch nach New York. Oder ein Reisender wählt die AUA für seinen Flug von Belgrad nach Toronto, über Wien.
Ein solch komplexes Netzwerk kann nicht von heute auf morgen von anderen Airlines im Lufthansa-Konzern bedient werden, zumal die Gehälter für Piloten und Flugbegleiter bei fast allen Airlines im Lufthansa-Konzern (Lufthansa, Lufthansa Cityline, Eurowings, Discover Airlines, etc ...) ohnedies jetzt schon deutlich höher sind als bei der AUA. Noch schwieriger geht das auf der Langstrecke, weil die anderen Lufthansa-Töchter die Kapazitäten gar nicht hätten, die Langstrecke zu übernehmen.
Die aktuelle Langstreckenflotte der AUA, die aus alten Boeing 767-300ER und Boeing 777-200ER besteht, ist am Ende ihrer Lebensdauer und muss dringend ersetzt werden. Abgesehen von der Wirtschaftlichkeit und der trotz bester Wartung schlechter werdenden technischen Zuverlässigkeit, ist auch das Bordprodukt - kein Internetzugang während des Fluges - nicht mehr zeitgemäß und für viele potentielle Kunden ein Ausschlussgrund.
Für den Ersatz sind schon die ersten beiden Boeing 787-9 Dreamliner (OE-LPL und OE-LPL) im österreichischen Luftfahrzeugregister eingetragen und befinden sich in Taiwan, wo sie für den Einsatz bei der AUA vorbereitet und umlackiert werden Außerdem hat die Lufthansa schon sehr viel Geld in den Aufbau der Wartungslogistik für den neuen Typ am Standort Wien und das Crewtraining (Piloten und Flugbegleiter) investiert. Es wäre wirtschaftlich ziemlich unsinnig, und aufgrund fehlender Kapazitäten bei anderen Lufthansa-Töchtern auch gar nicht machbar, diese Investitionen abzuschreiben, und die Langstrecken ab Wien von anderen Lufthansa-Töchtern bedienen zu lassen. Die Langstrecken ab Wien ganz einzustellen, wäre ebenfalls nicht im Sinne der Lufthansa, da sie gut laufen und von vielen Umsteigern genutzt werden.
Summa summarum wird das von der Lufthansa in Wien installierte AUA-Management also nicht umherkommen, sein Angebot kräftig nachzubessern (natürlich so, dass es wirtschaftlich noch vertretbar ist) und die Belegschaft wird auch verstehen müssen, dass eine vollständige Anpassung an Lufthansa-Gehaltsniveau auf absehbare nicht kommen wird. Ein guter Kompromiss ist einer, der für beide Seiten schmerzhaft aber gerade noch akzeptabel ist. Übrigens, warum ist in der Öffentlichkeit eigentlich immer von den "topverdienenden Piloten" Piloten die Rede? Abgesehen davon, dass es weitaus weniger Piloten als Flugbegleiter gibt, verdienen nur noch wenige Piloten mit Altverträgen wirklich extrem gut - und um diese Minderheit geht es in Wahrheit weder bei den aktuellen Verhandlungen, noch fallen sie ins Gewicht.
Daher muss eher heute als morgen eine Lösung gefunden werden, damit die AUA endlich wieder in ruhigere Luftschichten fliegen kann.
Text: Patrick Huber, www.der-rasende-reporter.info
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.