Der Arbeitstag für die Besatzung des Airbus A320 mit dem Kennzeichen OE-LBM begann gestern ganz normal und nichts deutete darauf hin, dass am Ende des Tages österreichweite Medienberichte über eine fliegerische Meisterleistung der Piloten stehen würden. Um 07:32 Uhr startete die "Bravo Mike" als OS175 zunächst von Wien und flog nach Hamburg, wo sie um 08:51 Uhr ankam. Nach rund einer Stunde Bodenaufenthalt verließ der 23 Jahre alte Zweistrahler die Hansestadt als OS176 wieder und nahm Kurs auf Wien. Landung um 11:07 Uhr, drei Minuten vor der geplanten Zeit.
Routineflug in Richtung Wien
Um 12:15 Uhr ging es für den Airbus A320 und seine Besatzung dann weiter auf die spanische Ferieninsel Mallorca. Der Flug mit der Nummer OS433 verlief ohne besondere Vorkommnisse und landete um 14:32 Uhr. Der letzte Flug, in der Fachsprache auch Leg genannt, dieses Tages war dann der Rückflug nach Wien als OS434. Um 15:56 Uhr zogen die Piloten den Sidestick ihres A320 auf der Piste nach hinten und die "Bravo Mike" hob von Palma de Mallorca ab. Passagiere berichten übereinstimmend davon, dass die gesamte Reise zunächst ereignislos verlief. Die Reiseflughöhe betrug Flugfläche 340 / 34.000 Fuß, etwa über 10.360 Meter. Unterwegs hielten die Piloten routinemäßig Kontakt mit den verschiedenen Flugsicherungsstellen. Um 17:01 sank die Maschine zunächst von 34.000 Fuß auf 33.000 Fuß, die um 17:07 Uhr erreicht und vorerst beibehalten wurden.
1 Stunde und 22 Minuten nach dem Start in Mallorca begannen die Piloten mit ihrem Sinkflug. Es war 17:18 Uhr als die OS 434 zwischen Triest und Laibach ihre Reiseflughöhe von 33.000 Fuß verließ. Etwa sechs Minuten später, um 17:24 Uhr, flog die OE-LBM südöstlich von Bleiburg (Kärnten) in den österreichischen Luftraum ein - immer noch im Sinkflug.
Modernste Technik an Bord
Der Airbus A320 ist ein modernes Kurz- und Mittelstreckenflugzeug mit einem digitalen Glascockpit. Das heißt, dass die Piloten auf großen Bildschirmen unmittelbar vor ihnen wichtige Wetterinformationen über das sogenannte Wetterradar angezeigt bekommen. Dabei werden beispielsweise Niederschlagszonen und Gewitter dargestellt - eine wichtige Information, denn jeder verantwortungsvolle Pilot umfliegt Unwetter großräumig, wenn es irgendwie möglich ist. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt auch über Österreich ziehenden Unwetter schenkten auch die Piloten von OS434 ihrem Wetterradar natürlich genaueste Beachtung - doch was 7 Minuten später erfolgte, zeigte ihnen das Wetterradar nicht an, wie beide Luftfahrzeugführer nach der Landung zu Protokoll gaben und wie es von der AUA-Konzernkommunikation offiziell bestätigt wurde.
Hagelunwetter brach völlig überraschend über den Flug herein
Denn gegen 17:31 Uhr erreichte die Maschine im Raum Hartberg im Sinkflug eine Flughöhe von etwa 20.000 Fuß, das entspricht etwa 6.100 Meter als aus dem Routineflug plötzlich ein Albtraum wurde, welcher den beiden Piloten im Cockpit alles abverlangte. Völlig unvermittelt geriet der Airbus A320 in einen Hagelsturm und wurde kräftig durchgeschüttelt. Doch nicht nur das. Während die Maschine mit einer Geschwindigkeit (Ground Speed) von 453 Knoten (etwa 840 Stundenkilometer) flog prallten unzählige Hagelkörner auf Rumpf, Triebwerke und Cockpitfenster ein. Zwar durchschlugen die Hagelkörner die mehrschichtigen Cockpitscheiben nicht (in diesem Fall wäre es zu einem Druckverlust gekommen und möglicherweise auch zu schweren Verletzungen der Piloten), doch die Cockpitfenster wurden derart beschädigt, dass sie "blind" wurden. Außerdem muss der Geräuschpegel von einer Sekunde auf die andere enorm gewesen sein. Eine hohe psychische Belastung für die Besatzung. Gleichzeitig wurde die Abdeckung des im Bug vor dem Cockpit untergebrachten Wetterradars durch die Wucht des Hagels zerfetzt und schließlich vom Rumpf abgerissen. Verkleidungen der Triebwerksaufhängung, die Tragflächenvorderkante sowie weitere Teile des Flugzeuges wurden durch die Wucht der bis zu 4 Zentimeter großen Hagelkörner ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Piloten folgten der Regel "Aviate, navigate, communicate"
In der Luftfahrt lautet die wichtigste Grundregel bei jedem Notfall, dass die Piloten das Flugzeug stabil weiterfliegen und sich nicht ablenken lassen. Die Details dieser Praxis, die sich "Aviate, navigate, communicate" nennt, habe ich bereits 2015 in einem eigenen Kommentar beschrieben. Folgerichtig setzten die Piloten den Sinkflug fort, um möglichst rasch wieder aus der Unwetterfront herauszukommen. Außerdem erklärten sie bei der Flugsicherung durch Absetzen eines Mayday-Calls eine sogenannte Luftnotlage. Dadurch räumten die Fluglotsen der AUA 434 absolute Priorität für den weiteren Anflug auf Wien ein und alarmierten - eine reine Vorsichtsmaßnahme - Flughafenfeuerwehr und Rettungsdienst, die bei der Landung bereit standen. Um 17:55 Uhr, 24 Minuten, nachdem die "Bravo Mike" das Hagelunwetter durchflogen hatte, setzte die Maschine sicher auf der Piste 11 auf, bremste ab und verließ die Landebahn über einen Rollweg.
Gerüchte im Internet falsch
In sozialen Medien verbreitete Gerüchte, wonach das Hagelunwetter dazu geführt habe, dass auch ein Triebwerk ausgefallen sei, sind falsch. Auf meine Nachfrage bestätigte AUA-Sprecherin Anita Kiefer, dass die "Bravo Mike" mit zwei funktionierenden Triebwerken in Wien gelandet sei.
Untersuchung läuft
Der Zwischenfall wird nun von einer Unfallkommission untersucht, und dabei wird sicherlich auch der Frage nachgegangen werden, ob die Flugsicherung am Boden die Möglichkeit hatte, das Hagelunwetter zu erkennen, ob sie die Piloten warnen hätte können und falls ja, warum das unterblieben ist. Auch werden die Ermittler der Frage nachgehen, ob die Piloten angesichts des aufziehenden Unwetters nicht möglicherweise doch - auch ohne Anzeige von Hagel auf dem Wetterradar - ein Ausweichmanöver fliegen hätten müssen. Noch ist es jedoch zu früh, darüber irgend etwas zu sagen. Eine professionelle Unfallermittlung benötigt ihre Zeit, denn viele Daten und Parameter müssen ausgewertet werden. Parallel müssen Experten der AUA-Technik sowie möglicherweise auch Fachleute des Herstellers Airbus bewerten, ob sich eine Reparatur des 23 Jahre alten Flugzeuges wirtschaftlich überhaupt noch lohnt.
Dass die Besatzung die schwer beschädigte "Bravo Mike" sicher zu Boden gebracht hat, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein (weiterer) Beleg für die hochwertige Ausbildung, die Flugzeugführer der AUA seit jeher durchlaufen. Der traditionsreiche österreichische Flagcarrier, seit 2009 Teil des Lufthansa-Konzerns, hat seit 64 Jahren, also seit mehr als einem halben Jahrhundert, keinen Unfall mit Todesfolge mehr zu verzeichnen gehabt. Das ist eine hervorragende Bilanz, wie sie nur wenige Fluglinien aufweisen können. Und ja, ein solcher Notfall sollte grundsätzlich von jedem professionellen Piloten beherrscht werden können, in der Theorie. Die Praxis sah jedoch anders aus: Oftmals stürzten Flugzeuge verschiedener Airlines schon bei kleineren Problemen ab, weil die Piloten schwere Fehler machten - mit dramatischen Folgen, etwa beim Absturz der Turkish Airlines in Amsterdam 2009, beim Absturz eines TransAsia Fluges 2015 in Taiwan, oder beim Crash einer Boeing 737-800 von Ethiopian Airlines vor der Küste des Libanon im Jahr 2010, um nur einige Beispiele zu nennen.
Auch wenn kein Mensch fehlerfrei ist, so ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass bei der AUA Piloten im Cockpit sitzen, die auch in unvorhersehbaren Situationen die Nerven behalten und professionell reagieren, damit am Ende eines jeden Fluges eine sichere Landung steht.
Text & Fotos: Patrick Huber, www.-der-rasende-reporter.info
Austrian Wings Tipp: Das Buch "Cleared for Take off - ein Tag im Leben einer AUA-Crew" von Luftfahrtjournalist Patrick Huber ermöglicht einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Pilotenalltages.
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.