Punktlandung

Kommentar: ATR 72 Absturz in Brasilien mit 62 Toten möglicherweise durch Vereisung

Nach dem Aufprall ging die ATR 72 in Flammen auf - die Insassen starben jedoch wahrscheinlich bereits durch die Wucht des Aufschlages.

Alle 62 Insassen starben gestern beim Absturz einer ATR 72 in Sao Paulo (Brasilien). Die Maschine stürzte aus 17.000 Fuß in einer Trudelbewegung unkontrolliert zu Boden und schlug in einem Wohngebiet auf. Wie durch ein Wunder starben am Boden keine Menschen. Eine Analyse von Patrick Huber.

An Bord der ATR 72 der Fluggesellschaft Voepass Linhas Aereas Avions de Transport Regional befanden sich 2 Piloten, 2 Flugbegleiter und 58 Passagiere, als die Maschine mit der Kennung PS-VPB in Cascavel startete, um nach Sao Paulo zu fliegen. Der Flug selbst verlief ereignislos. Doch während des initialen Sinkfluges kippte das zweimotorige Turboprop-Regionalflugzeug auf einmal unvermittelt ab und ging in ein Flachtrudeln über, das von den Piloten nicht mehr gestoppt werden konnte. Zahlreiche Videos auf Social Media zeigen, wie sich das Flugzeug quasi ohne Vorwärtsbewegung in einer Trudelbewegung nach links befindet. Beim Aufprall mitten in einem Wohngebiet starben alle 62 Insassen, am Boden kam, man muss von einem Wunder sprechen, niemand ums Leben. Wie aber konnte es dazu kommen, dass ein modernes Verkehrsflugzeug so einfach sprichwörtlich "wie ein Stein" vom Himmel fiel?

Vereisung eine Möglichkeit
Zwar muss die Auswertung der Flugschreiber (wurden bereits geborgen) abgewartet werden, um eine endgültige Antwort auf diese Frage geben zu können, doch schon jetzt gibt es gewichtige Indizien, die auf eine bestimmte Unfallursache hindeuten. Die ATR ist besonders kritisch, wenn Vereisung auftritt. Deshalb gab es in der Vergangenheit schon mehrere tödliche Abstürze mit diesem Muster. So verunglückte am 31. Oktober 1994 der American AIrlines Flug 4184 wegen Vereisung - alle 68 Menschen an Bord starben. Auch im Fall von TransAsia-Airways-Flug 791 am 21. Dezember 2002 war Vereisung die Absturzursache, ebenso bei UTAir-Flug 120 am 2. April 2012.

Doch zurück zum aktuellen Absturz in Brasilien.

Zum Unglückszeitpunkt herrschten in der Unglücksregion in einer Flughöhe zwischen 12.000 und 21.000 Fuß starke Vereisungsbedingungen, vor denen auch in einem sogenannten SIGMET gewarnt wurde. Diese Vereisung ist zudem durch Fotos, die andere Piloten aus dem Cockpit gemacht haben und die vereiste Cockpitscheiben zeigen, belegt. Die Crew des Unglücksfluges verlor die Kontrolle über ihre Maschine in einer Höhe von 17.000 Fuß, also genau in jenem Höhenbereich, für den Vereisung gemeldet war.

Ohne der offiziellen Flugunfalluntersuchungskommission vorgreifen zu wollen, erscheint es nach dem bisherigen Kenntnisstand daher durchaus wahrscheinlich, dass die ATR 72 während des Sinkfluges in diese Vereisungszone einflog und deshalb ins Trudeln geriet, aus dem es schließlich kein Entkommen mehr gab.

ATR nicht per se unsicher
Das Unglücksmuster ist nicht per se ein unsicheres Flugzeug. Es ist jedoch ein Typ, bei dem die Piloten ganz besonders - noch viel stärker als bei anderen Mustern - darauf achten müssen, jede Form von Vereisung zu vermeiden. Dies scheint hier, aus welchen Gründen auch immer, nach dem derzeitigen Informationsstand (der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt) nicht geschehen zu sein. Warum, darüber kann hoffentlich die Auswertung des Cockpit Voice Recorders Aufschluss geben.

Text: Patrick Huber, www.der-rasende-reporter.info

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.