Reportagen

Uli Derickson: Die Heldin von Flug TWA 847

Uli Derickson

Am 30. Juli dieses Jahres eliminierte Israel den arabischen Terroristen Fuad Schukr, einen ranghohen Kommandeur der islamistischen Terrororganisation Hisbollah, durch einen gezielten Luftangriff in seiner Wohnung in Beirut. Er war u. a. mitverantwortlich für die Entführung von TWA Flug 847 am 14. Juni 1985, bei der Terroristen einen Passagier brutal folterten sowie anschließend ermordeten, und hatte sich seither versteckt gehalten. Dass es bei der Entführung von TWA 847 nicht mehr unschuldige Opfer zu beklagen gab, war in erster Linie dem besonnenen und couragierten Verhalten der Chefstewardess Uli Derickson zu verdanken. Dies ist ihre Geschichte.

Nicht erst seit den islamistischen Terroranschlägen auf das World Trade Center 2001 oder seit dem Überfall der radikal-islamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist arabischer Terrorismus, dessen Ursache oftmals der muslimische Antisemitismus ist, ein großes Sicherheitsproblem. In den 1980er Jahren attackierten Terroristen aus arabischen Ländern wiederholt Verkehrsflugzeuge westlicher oder israelischer Fluglinien. Etliche Versuche wurden vereitelt, einige Entführungen waren jedoch leider – zumindest vorerst – erfolgreich. Einer dieser Fälle war Flug TW 847 der US-amerikanischen Trans World Airlines. Die Fluglinie hatte damals mehrere Kurzstreckenflugzeuge vom Typ Boeing 727 (mit 1.832 Exemplaren lange Zeit das erfolgreichste Verkehrsflugzeug der Welt, ehe es von der Boeing 737 abgelöst wurde) in Europa stationiert und führte damit Zubringerflüge für ihre Transatlantikverbindungen durch.

Am 14. Juni 1985 startete eine Boeing 727-231 Adv. mit der Luftfahrzeugkennung N64339 unter dem Kommando von Flugkapitän John Testrake in Athen. Das Ziel des Fluges mit der Kursnummer TW 847 war die italienische Hauptstadt Rom. Neben dem Kommandanten saßen im Cockpit noch der Erste Offizier Philip G. Maresca und Bordingenieur Benjamin C. Zimmermann. Die fünf Flugbegleiterinnen standen unter der Führung von Ulrike „Uli“ Derickson. Die damals 40-jährige Derickson war eine geborene Patzelt und stammte ursprünglich aus Aussig an der Elbe / Ústí nad Labem, heute in der Tschechischen Republik gelegen. Als die kleine Ulrike mit ihren Eltern aus der Heimat vertrieben wurde, war sie noch ein Baby. Zunächst lebte sie mit Vater und Mutter in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, der späteren DDR. Kurz darauf flüchtete die Familie allerdings nach Westdeutschland. Als junge Erwachsene nutzte Ulrike Patzelt ihre neu gewonnene Freiheit und arbeitete als Au Pair in Großbritannien und der Schweiz, ehe sie 1967 im Alter von 23 Jahren nach Amerika auswanderte. Bei ihrem Aufenthalt in Amerika lernte sie den Piloten Russel G. Derickson kennen und verliebte sich in ihn. Im Jahr 1970 heiratete das Paar und aus Ulrike Patzelt wurde Ulrike Derickson, die sich fortan lediglich Uli nannte. Kurz darauf kam der gemeinsame Sohn Matthew zur Welt. Der Umstand, dass Uli Derickson als gebürtige Deutschböhmin Deutsch als Muttersprache hatte, spielte bei der Entführung später noch eine große Rolle. Doch gehen wir chronologisch vor.

Start in Athen
Neben den insgesamt acht Besatzungsmitgliedern befanden sich 139 Passagiere an Bord des Fluges, darunter auch zwei Entführer – insgesamt also 147 Menschen. Kurz nach dem Start um 10:10 Uhr Ortszeit standen zwei Araber mit libanesischer Staatsbürgerschaft, später als Mohammed Ali Hamadi (starb am 19. Juni 2010 in Pakistan durch einen US-Drohneangriff) und Hassan Izz-Al-Din (lebt heute vermutlich im Libanon, steht auf der „Most wanted“ Liste des FBI) identifiziert, von ihren Sitzen auf und zogen eine Pistole sowie zwei Handgranaten, die sie durch die damals noch ausgesprochen laschen Sicherheitskontrollen in Athen geschmuggelt hatten. Sie bedrohten die Passagiere und zwangen Uli Derickson, ihnen Zutritt zum Cockpit zu verschaffen, wo sie die Piloten und den Bordingenieur Unmittelbar körperlich attackierten. Sofort kam der fanatische blanke Hass der Terroristen auf Amerika und Israel zum Vorschein. Doch dabei trat allerdings ein Problem auf: Die beiden Araber, soweit bekannt Mitglieder der islamistischen Terror-Organisation Hisbollah, die seit dem 7. Oktober wieder durch tägliche, teils tödliche, Raketenangriffe auf israelische Zivilisten von sich reden macht, sprachen kaum Englisch. Allerdings konnte einer von ihnen recht gut Deutsch – und so wurde Chefflugbegleiterin Uli Derickson zur unverzichtbaren Dolmetscherin, um mit den Entführern kommunizieren zu können. Derickson erklärte ihnen auf Englisch: „Ich bin Deutsche, wie kann ich Ihnen helfen?“ und wurde damit bis zu einem gewissen Grad von den Entführern respektiert. Die Terroristen forderten unter anderem die internationale Gemeinschaft auf, israelische Militäraktionen zu verurteilen und dass Israel alle im Libanon festgehaltenen Schiiten freilassen müsse.

Die entführte Boeing 727 - Foto: John Proctor / GFDL 1.2

Flug nach Beirut
Die Entführer dirigierten Flug TW 847 zunächst in den Libanon, nach Beirut, um, wo 1985 noch der mörderische Bürgerkrieg tobte, der wenige Jahre zuvor unter anderem Malev Flug 240 als Opfer gefordert hatte. Derickson versuchte die beiden Männer davon zu überzeugen, alle Frauen freizulassen. Als die Araber das ablehnten, konnte die besonnene Purserin zumindest erreichen, dass die Entführer 17 ältere Frauen und zwei Kinder von Bord gehen ließen. Danach startete die Boeing 727 erneut, diesmal war das Ziel Algier. Doch der Flughafen der algerischen Hauptstadt verweigerte die von den Terroristen geforderte Betankung des Jets. Wieder war es Derickson, die auf Deutsch deeskalierend auf die Entführer einwirkte und schließlich ihre private Kreditkarte zur Bezahlung der Tankrechnung (mehrere tausend US-Dollar) zur Verfügung stellte. 20 weitere Passagiere wurden im Gegenzug freigelassen.

Terroristen ermorden einen Passagier, Flugbegleiterin schützt jüdische Passagiere
Danach flog die 727 wieder zurück nach Beirut. Dort identifizierten die Entführer den US-Navy-Taucher Robert Stethem (23) und folterten ihn auf brutalste Art und Weise: „Der arme Junge sah furchtbar aus, alle seine Rippen waren gebrochen“, schilderte Derickson später einmal in einem Interview.

Derickson versuchte auch hier wieder zu deeskalieren und wollte die Wunden des Folteropfers versorgen, doch die Entführer schrien nur herum, dass das „amerikanische Schwein sterben wird“. Schließlich erschossen die Araber Stethem ohne jede Gnade und warfen die Leiche kaltblütig auf das Flughafenvorfeld. Außerdem selektierten sie Passagiere mit jüdisch klingenden Namen und brachten sie an einen Ort in Beirut. Zuvor hatte Uli Derickson die Pässe einiger jüdischer Reisender versteckt und somit mehrere von ihnen vor der Selektion durch die arabischen Terroristen gerettet.

Einer der Entführer mit Flugkapitän John Testrake im Cockpit - Foto: Public Domain

Danach startete die Maschine und flog abermals nach Algier. Mittlerweile schrieb man den 15. Juni. Dort ließen die Entführer 65 weitere Passagiere sowie die Chefstewardess Uli Derickson und ihre vier Kolleginnen Judy Cox, Hazel Hesp, Elizabeth Howes und Helen Sheahan frei. Einen Tag später hob die 727 mit den drei Männern im Cockpit und den restlichen Passagieren an Bord erneut ab und kehrte wieder nach Beirut zurück.

Weil die mutmaßlichen Hisbollah-Terroristen allerdings eine Befreiungsaktion durch westliche oder israelische Kommandosoldaten fürchteten, wurden die verbliebenen Geiseln von Bord gebracht und an verschiedenen Orten von Beirut weiter festgehalten. Diese Entführten wurden erst am 30. Juni – 16 Tage nach Beginn ihrer grauenvollen Odyssee – freigelassen und über Syrien nach Deutschland zur Ramstein Air Base (erlangte drei Jahre später traurige Bekanntheit durch das Flugtagunglück von Ramstein) ausgeflogen. Obwohl jeder Zusammenhang mit der Geiselfreilassung bestritten wurde, entließ Israel innerhalb eines Monats nach der Entführung des Fluges TW 847 schließlich zahlreiche der von den Terroristen geforderten schiitischen Häftlinge in Freiheit. Die Boeing 727 wurde von den libanesischen Behörden erst am 16. August freigegeben, ausgeflogen und war danach noch viele Jahre für TWA im Einsatz.

Lob, falsche Anschuldigungen und hohe Auszeichnungen
Die Wahl-Amerikanerin Uli Derickson wurde im Anschluss an die Entführung von Presse und Öffentlichkeit gelobt, teils allerdings auch wegen falscher Gerüchte völlig zu Unrecht kritisiert. So wurde ihr etwa vorgeworfen, sie als gebürtige (Sudeten-)Deutsche hätte jüdische Passagiere an die arabischen Terroristen ausgeliefert, was sich jedoch rasch als böse Verleumdung herausstellte. Denn das Gegenteil war der Fall, Derickson hatte stets versucht, alle Passagiere bestmöglich zu schützen und die jüdischen ganz besonders, da sie um den fanatischen Judenhass der Entführer wusste. Bis heute ist Antisemitismus unter Muslimen unglücklicherweise weit verbreitet, wie der Islamexperte und Buchautor Abdel-Hakim Ourghi am 23. Oktober 2023 in seinem im deutschen Nachrichtenmagazin „Focus“ erschienenen Artikel „Muslime müssen ihren Judenhass bekämpfen“ konstatierte.

Noch im gleichen Jahr, 1985, erhielt Derickson von der Bundesrepublik Deutschland das Verdienstkreuz am Bande sowie das „Silver Cross for Heroism“ der US-amerikanischen Veteranenvereinigung „Legion of Valor“ verliehen – übrigens als erste Frau überhaupt.

Tom Collins, einer der Passagiere, lobte Derickson gegenüber amerikanischen Medien in den höchsten Tönen: „Sie hatte eindeutig die Kontrolle. Sie stellte sogar Forderungen an die Entführer. Wir haben nur den allergrößten Respekt vor ihr und sind ihr für ihre wirklich heldenhaften Taten zu Dank verpflichtet.“

Dieser Heldenmut von Uli Derickson wurde sogar in zwei Filmen international gewürdigt. Der 1986 erschienene Spielfilm „Delta Force“ mit Chuck Norris in der Hauptrolle ist an die Entführung von TWA 847 angelehnt. Die 1943 im oberschlesischen Königshütte / Chórzow geborene Hanna Schygulla spielt darin die Rolle der Chefstewardess Uli Derickson. Und 1988 kam der Film „The Taking of Flight 847: The Uli Derickson Story“ ins Fernsehen. Darin wird Uli Derickson von Hollywoodstar Lindsay Wagner verkörpert.

Schwerer Schicksalsschlag und Tod
Kurz nach der Entführung von TWA 847 flog Derickson wieder als Flugbegleiterin, ehe sie den Job Ende der 1980er Jahre aufgab, um für eine Immobilienfirma zu arbeiten. Doch es zog sie schon bald zurück über die Wolken, und so heuerte die Amerikanerin mit nordböhmischen Wurzeln in den 1990er Jahren bei Delta Air Lines an. Kurz nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2003 diagnostizierten Ärzte bei Uli Derickson Krebs. Die gebürtige Aussigerin, die als Heldin von Flug TWA 847 in die  Luftfahrtgeschichte eingegangen war, sich selbst aber nie als Heldin sah, starb am 18. Feber 2005 in Tucson, Arizona, mit nur 60 Jahren an den Folgen ihrer Krebserkrankung. Sie wurde von ihrem Sohn Matthew und ihrer in Deutschland wohnenden Mutter überlebt.

Text: Patrick Huber, www.der-rasende-reporter.info