Die Fakten sind bekannt: Ein mit 67 Personen besetzter Embraer E190 der Azerbaijan Airlines stürzte gestern beim Versuch einer Notlandung in Kasachstan ab, mindestens 38 Menschen starben, doch 29 überlebten, darunter auch ein 11-jähriges Kind aus Deutschland sowie ein 16-jähriger Teenager. Schon Stunden später kristallisierte sich heraus, dass die Maschine zuvor mit allergrößter Wahrscheinlichkeit vermutlich beim Landeanflug auf Grosny (Tschetschenien) von Schrapnellen einer Flugabwehrrakete getroffen worden war - am ehesten abgefeuert von den Streitkräften der Russischen Föderation, denn zu diesem Zeitpunkt fand gerade ein ukrainischer Drohnenangriff auf Grosny statt. Mehr dazu in meinem gestrigen Kommentar zum Thema. Fast stündlich tauchen seither neue Indizien auf, welche die schon jetzt ausgesprochen belastbare These vom Raketenbeschuss erhärten, darunter Aufnahmen aus der Passagierkabine. Auch der deutsche Militärexperte Torsten Heinrich ist anhand der vorhandenen Fakten- und Indizienlage mittlerweile sicher, dass die Russen das Zivilflugzeug versehentlich abgeschossen haben. Er ist damit nicht alleine, die meisten Militärexperten, die sich mit dem Thema befassen, teilen seine Ansicht.
Dass der Embraer nicht unmittelbar abstürzte, nachdem er offenbar durch die Splitterwolke des explodierten Gefechtskopfs der Flugabwehrrakete geflogen war, ist wohl dem Können der Piloten zu verdanken. Die Beschädigungen legen nahe, dass die Steuerbarkeit der Maschine sofort stark eingeschränkt war und sukzessive durch einen wahrscheinlichen Totalausfall aller Hydrauliksysteme gegen Null sank. Ab diesem Zeitpunkt standen den Piloten im Wesentlichen vermutlich nur noch die beiden Triebwerke zur Verfügung, um mit dem asymmetrischen Schub den Kurs und die Flughöhe zu verändern. Ein durch Raketenbeschuss schwer beschädigtes Flugzeug auf diese Weise zu steuern, erfordert ein hohes Maß an fliegerischem Können und ist fast unmöglich, da durch die Schäden unter Umständen auch die Aerodynamik beeinträchtigt ist. In der Vergangenheit gab es einige Vorfälle, bei denen die Crew nach einem totalen Hydraulikausfall versuchte, ein Flugzeug lediglich mit dem asymmetrischen Triebwerksschub zu steuern - nur selten ging die Sache gut aus.
Dass es den Piloten der Azerbaijan Airlines unter diesen Umständen überhaupt gelang, die Maschine nach dem wahrscheinlichen Raketentreffer noch recht lange in der Luft zu halten, danach einen halbwegs kontrollierten Sinkflug und sogar noch einen Landeanflug auf den Flughafen von Aktau (Kasachstan) durchzuführen, kann als fliegerische Meisterleistung bezeichnet werden. Der Absturz kurz vor Erreichen des Flughafens war angesichts der eingeschränkten Steuerbarkeit des Flugzeuges und der erheblichen Schäden letzten Endes wohl unvermeidlich. Doch immerhin: Dank dem Können der Männer im Cockpit überlebten mehr als ein Drittel aller an Bord befindlichen Menschen den Absturz und nicht zuletzt waren und sind es auch die Aussagen dieser Überlebenden sowie die von ihnen angefertigten Foto- und Videoaufnahmen, die wichtige Hinweise auf den Raketenbeschuss gaben und geben.
Ob die Piloten den Crash überlebt haben, ist noch nicht klar. Auf der offiziellen Liste der Überlebenden sind jedenfalls auch zwei Besatzungsmitglieder verzeichnet.
Es bleibt zu hoffen, dass internationale Unfallermittler an der Klärung der Absturzursache teilnehmen können. Denn ansonsten steht zu befürchten, dass die so zahlreich vorhandenen Indizien für einen Raketenabschuss womöglich durch Kasachstan, das als russlandfreundlich gilt, vertuscht werden könnten.
Text: Patrick Huber
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.