Von den 181 Menschen an Bord von Flug 7C 2216 kamen 179 ums Leben. Nur zwei Flugbegleiter, ein Mann und eine Frau, überlebten das Inferno. Wie in meiner gestrigen Analyse ausführlich dargelegt, setzte die Maschine mit hoher Geschwindigkeit und eingefahrenem Fahrwerk sowie wahrscheinlich vollständig eingefahrenen Landeklappen erst sehr spät auf der Piste auf. Dadurch konnte die Boeing 737-800 auf der verbliebenen Piste nicht mehr zum Stillstand gelangen. Weil hinter dem Pistenende Navigationsantennen auf Betonwällen installiert waren, kam es zur Kollision mit dem Hindernis, wodurch die Boeing 737 explodierte. Solche Betonhindernisse unmittelbar in der Pistenverlängerung sind absolut unüblich weil im Ernstfall potentiell tödlich.
Touchdown erst nach gut der Hälfte der Piste
Jetzt bestätigten die südkoreanischen Behörden, dass die Maschine tatsächlich erst sehr spät aufsetzte und gaben den genauen Ablauf der Ereignisse bekannt. Nach rund 4,5 Stunden Flug befand sich die Boeing 737-800, HL8088, der Jeju Air im Endanflug auf die Piste 01 des Flughafens Muan.
Um 08:54 Uhr Lokalzeit erhielten die Piloten vom Tower die Landefreigabe. Drei Minuten später informierte der Lotse die Crew der anfliegenden Maschine vorsichtshalber über "Vögel im Bereich der Anflugschneise". Zwei Minuten danach, um 08:59 Uhr Lokalzeit, kam es zu einem Vogelschlag, von dem jedenfalls, so belegen es Videoaufnahmen, das rechte Triebwerk betroffen war. Die Piloten setzten daraufhin einen Notruf ab und leiteten ein Durchstartverfahren ein, einen sogenannten "Go around" und teilten dies dem Tower auch mit: "Mayday Mayday Mayday, bird strike, bird strike, go-around.”
Nachdem die Piloten das Durchstartmanöver initiiert hatten, erbaten sie beim Towerlotsen um 09:00 Uhr Lokalzeit Landefreigabe für die Gegenrichtung, also für Piste 19, was vom Tower genehmigt wurde. Zur gleichen Zeit, so berichten es Augenzeugen, habe die Maschine Schwierigkeiten gehabt, an Höhe zu gewinnen und das übliche Durchstartverfahren offenbar nicht durchführen können. Um 09:01 Uhr erteilte der Controller die Freigabe zur Landung auf Piste 01, während die Piloten der 737 in extrem niedriger Höhe eine Umkehrkurve einleiteten, um Piste 19 zu erreichen. Das Fahrwerk war dabei eingefahren, die Landeklappen offenbar auch, soweit man das aus dem bisher vorliegenden VIdeomaterial sagen kann.
Um 09:02 Uhr Lokalzeit, also nur 3 Minuten nach dem Vogelschlag setzte die Boeing 737-800 mit eingefahrenem Fahrwerk und nicht entsprechend gesetzten Landeklappen erst rund 1.200 Meter nach Beginn der 2.800 Meter langen Piste auf. Heißt: Vor dem ersten Bodenkontakt war die Maschine fast über die Hälfte der Landebahn geschwebt. Auf den verbliebenen 1.600 Metern konnte der Jet unmöglich zum Stillstand gebracht werden, obwohl die Piloten offenbar noch die Schubumkehr zumindest für Triebwerk Nummer 2 aktivierten. Wie viel (Umkehr-)Schub diese Turbine, die vom Vogelschlag betroffen war, aber überhaupt liefern konnte, ist völlig unklar. Fest steht allerdings: die Bremswirkung reichte bei Weitem nicht aus. Jedenfalls überschoss die 737 mit hoher Geschwindigkeit das Pistenende und kollidierte 300 Meter später (also 1.900 Meter nach dem ersten Bodenkontakt) mit einem Betonwall zur Verankerung der Antennen des Instrumentenlandesystems. Als Folge dieser Kollision wurde der Rumpf des Flugzeuges regelrecht zerschmettert, Kerosin entzündete sich explosionsartig. Um 09:23 Uhr Lokalzeit konnten Einsatzkräfte einen männlichen Flugbegleiter lebend aus dem brennenden Wrack bergen, 17 Minuten später seine Kollegin.
Der Flugdschreiber wurde bereits geborgen und in die südkoreanische Hauptstadt Seoul gebracht. Das Gerät ist nach ersten Erkenntnissen allerdings erheblich beschädigt und noch ist daher unklar, ob die Daten ausgelesen werden können. Experten von Boeing und der US-Transportbehörde NTSB sind auf dem Weg nach Südkorea, um an der Auswertung teilzunehmen. Nach dem Stimmenrekorder wird noch gesucht.
Noch etliche offene Fragen
Bestätigt ist damit, dass die hohe Geschwindigkeit und das späte Aufsetzen zum Übeschießen der Piste geführt haben. Unklar ist allerdings weiter, weshalb das Fahrwerk nicht ausgefahren war. Denn ein Vogelschlag in einem der beiden Triebwerke hat erst einmal keinerlei unmittelbare Auswirkung auf das Fahrwerk. Dieses wird grundsätzlich hydraulisch ein- und ausgefahren. Die Boeing 737 verfügt über zwei voneinander unabhängige Hydrauliksysteme. Für den unwahrscheinlichen Ausfall beider Hydrauliksysteme steht den Piloten eine manuelle Notrentriegelung für alle Fahrwerke zur Verfügung. Auch die ebenfalls hydraulisch betätigten Landeklappen können im Fall von Problemen mit der Hydraulik über ein elektrisches Reservesystem bedient werden. Das manuelle Ausfahren des Fahrwerks sowie die elektrische Bedienung der Landeklappen benötigen allerdings deutlich mehr Zeit als über den regulären Weg. Im Fall von Flug 7C 2216 vergingen vom Auftreten der ersten Probleme (Vogelschlag) bis zum Aufsetzen auf der Piste allerdings nur 3 Minuten. Es war für die Besatzung völlig unmöglich, in dieser Zeit Notfallchecklisten korrekt abzuarbeiten. Sofern die Daten des Flugschreibers und des Stimmenrekorders ausgelesen werden können, wird es hoffentlich bald Antworten darauf geben, weshalb die Piloten die Maschine so hastig in einer Umkehrkurve zu Boden zwangen (oder zwingen mussten), was letzten Endes im späten Aufsetzen mit überhöhter Geschwindigkeit mündete.
Text: Patrick Huber
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.