Punktlandung

Boeing 737-Unfall in Südkorea mit über 170 Toten: Viele offene Fragen - was bisher bekannt ist

Die Maschine explodierte bei der Kollision mit den Hindernissen hinter dem Pistenende - Fotos: Screenshot Twitter

Vermutlich 179 Menschen kamen heute morgen beim Unglück mit einer Boeing 737-800 des Billigfliegers Jeju Airlines in Südkorea ums Leben. Nur 2 Insassen konnten lebend aus dem zerschmetterten und ausgebrannten Wrack geborgen werden. Eine Analyse von Patrick Huber über den bisherigen Ermittlungsstand.

Der Unfall betraf eine Boeing 737-800 des südkoreanischen Billigfliegers Jeju Air. Das Flugzeug mit der Kennung HL8088 war als Kurs 7C 2216 auf dem Weg von der thailändischen Hauptstadt Bangkok nach Muan in Südkorea. An Bord befanden sich 2 Piloten, 4 Flugbegleiter und 175 Passagiere.

Zuerst Warnung, dann offenbar Vogelschlag
Die Maschine befand sich zunächst im Anflug auf die Piste 01. Während dieses Manövers warnte der Fluglotse am Boden die Crew der Boeing 737 vor erhöhter Vogelschlaggefahr. Nur eine Minute später, um 08:58 Uhr Lokalzeit, erklärte die Besatzung durch Absetzen eines "Maday-Calls" eine Luftnotlage. Videoaufnahmen in Sozialen Medien zeigen, dass es offenbar am rechten Triebwerk (Nummer 2) zu einem Vogelschlag gekommen war.

Flammen schlagen kurzzeitig aus dem rechten Triebwerk, ein Indiz für einen Vogelschlag.

Wie stark die Turbine dadurch beschädigt war, ist unklar. Allerdings ist ein Triebwerksausfall auf einer Boeing 737 ein Zwischenfall, den jeder Berufspilot problemlos abarbeiten können muss. Die Flugzeugführter starteten in einer Höhe von rund 450 Fuß durch und der Tower genehmigte einen Anflug von der anderen Richtung, sodass sich die Maschine für die Landung auf Piste 19 neu positionierte.

Die Fakten
Soweit bisher bekannt ist, meldete die Besatzung nach der Erklärung der Luftnotlage keinerlei weitere Probleme oder Auffälligkeiten über Funk. Um 09:03 Uhr Lokalzeit setzte die Boeing 737-800 dann auf der Piste 19 auf. Wie aus den Videoaufnahmen klar hervorgeht, erfolgte dies mit

  • eingefahrenem Fahrwerk
  • deutlich höherer Geschwindigkeit als üblich
  • augenscheinlich erst relativ spät nach dem Anfang der 2.800 Meter langen Piste, außerhalb der regulären Touchdown-Zone
  • mit (soweit ersichtlich) eingefahrenen Landeklappen
  • die Spoiler an der Tragflächenoberseite zur Geschwindigkeitsreduktion wurden nach dem Aufsetzen NICHT ausgefahren
Die Maschine schlitterte mit hoher Geschwindigkeit und offenbar eingefahrenen Landeklappen (Flaps) über die Piste.

Aufgrund all dieser Faktoren zusammen überschoss die Boeing 737 das Pistenende mit hoher Geschwindigkeit und kollidierte mit geschätzt mindestens 80 bis 100 Knoten (ca. 150 bis 185 Stundenkilometer) mit dort befindlichen Hindernissen, die eine Zerstörung des Rumpfes sowie eine explosionsartige Entzündung des noch an Bord befindlichen Treibstoffs zur Folge hatte. Nur 2 Insassen, es soll sich um Besatzungsmitglieder handeln, überlebten, alle übrigen Passagiere und Crewmitglieder dürften ums Leben gekommen sein. Mindestens 120 Leichen wurden bereits geborgen, die Einsatzkräfte haben allerdings kaum noch Hoffnung, weitere Überlebende zu finden.

Viele offene Fragen
Vor allem die hohe Landegeschwindigkeit und das augenschlich späte Aufsetzen auf der Piste dürften die maßgeblichen Faktoren für das Überschießen der Landebahn gewesen sein. Hätte die Maschine nämlich mit der üblichen Landegeschwindigkeit und ausgefahrenen Landeklappen in der dafür vorgesehenen Touchdown-Zone aufgesetzt, wäre sie laut Auskunft mehrerer erfahrener Berufspiloten mit hoher Wahrscheinlichkeit noch auf der Piste zum Stillstand gekommen. Unklar ist auch, weshalb das Fahrwerk nicht ausgefahren war. Denn ein Vogelschlag in einem der beiden Triebwerke hat erst einmal keinerlei unmittelbare Auswirkung auf das Fahrwerk. Dieses wird grundsätzlich hydraulisch ein- und ausgefahren. Die Boeing 737 verfügt über zwei voneinander unabhängige Hydrauliksysteme. Für den unwahrscheinlichen Ausfall beider Hydrauliksysteme steht den Piloten eine manuelle Notrentriegelung für alle Fahrwerke zur Verfügung. Auch die hydraulisch betätigten Landeklappen können im Fall von Problemen mit der Hydraulik über ein elektrisches Reservesystem bedient werden.

Es wird nun also Aufgabe der Unfallermittler sein, zu klären, ob sich das Fahrwerk aufgrund technischer Probleme tatsächlich nicht ausfahren ließ (das wird von mehreren erfahrenen Berufspiloten, die ich konsultiert habe, für sehr unwahrscheinlich erachtet) und weshalb die Maschine mit überhöhter Geschwindigkeit wohl erst verhältnismäßig spät auf der Landebahn aufsetzte. Keinesfalls dürfen die Piloten dafür allerdings vorschnell verurteilt werden, denn es könnte durchaus technische Gründe dafür geben, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt einfach noch nicht bekannt sind. Zu hinterfragen wird auch sein, weshalb unmittelbar hinter dem Ende der Landebahn bauliche Hindernisse errichtet waren, ohne die der Zwischenfall vermutlich weitaus weniger Todesopfer gefordert hätte.

Text: Patrick Huber

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.