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Buchrezension: "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen"

Das Frontcover der Hardcover-Ausgabe.

Der 24. März 2015 war einer der schlimmsten Tage in der europäischen Luftfahrtgeschichte. Denn an diesem Dienstag steuerte der Germanwings-Pilot Andreas Lubitz, der an schweren psychischen Problemen litt, mit voller Absicht einen Airbus A320 der Germanwings gegen ein Bergmassiv und ermordete bei seinem eigenen Suizid 149 Menschen. Im Jänner dieses Jahres ist das Sachbuch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen" erschienen. Christian Becker hat es gelesen und rezensiert es für Austrian Wings.

Titel: Germanwings Flug 9525
Untertitel: Absturz in den französischen Alpen
Format A5, 232 Seiten mit 56 Abbildungen
ISBN Softcover: 978-3-818776-24-4
ISBN Hardcover: 978-3-818776-21-3

Erhältlich über den Webshop des Verlages, alle großen Anbieter (Thalia, Amazon, Hugendubel, etc ...) sowie in jeder österreichischen und deutschen Buchhandlung (ggf. auf Bestellung unter Angabe der ISBN).

Es gibt Momente im Leben, da kann man auch Jahrzehnte später noch sagen, was man damals gerade gemacht hat. Der 24. März 2015 war so ein Tag. Ich weiß noch genau, dass ich mit Kollegen beim Mittagessen saß als über die Nachrichtensender und die News-Webseites die Breaking News liefen, dass ein deutsches Flugzeug auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf abgestürzt ist. Getuschel unter den Kollegen, fassungslose Blicke. Ein Wahnsinn, „deutsches“ Flugzeug auf dieser Strecke konnte eigentlich nur zur Lufthansa gehören. Das stimmte. Es war eine Maschine der Germanwings, der Billigtochter der Lufthansa. Unfassbar. Noch unfassbarer war für mich die Tatsache, dass schon wenig später zweifelsfrei feststand, dass der psychisch gestörte Erst Offizier den Captain aus dem Flugdeck ausgesperrt und den Airbus dann absichtlich gegen den Berg gerammt hatte. Trauer und Wut und die Frage nach dem Warum blieben, ein ungutes Gefühl bei den ersten Flügen danach. Doch der Mensch vergisst schnell (ist vielleicht ein Schutzmechanismus des Gehirns) und mir kommt es gar nicht so vor als ob diese Katastrophe der deutschen Fliegerei schon wieder 10 Jahre her ist. 

Das hintere Cover zeigt das Bergmassiv, gegen das Andreas Lubitz den Airbus steuerte.

Daran erinnert wurde ich erst durch diverse Medienberichte, die mich auch zum dem Buch „Germanwings Flug 9525 – Absturz in den französischen Alpen“ des Autors Patrick Huber führten. Ich weiß nicht wie viele Bücher er mittlerweile geschrieben hat, aber es dürften wohl so mindestens um die 10 sein (Anmerkung der Redaktion: Mit Stand 17. Februar hat der Autor des Germanwings-Buches bereits 19 Werke veröffentlicht, 18 davon zu Luftfahrtthemen). Ich mag es nicht, große Konzerne wie Amazon zu unterstützen und wollte mein Exemplar deshalb wieder (wie schon das Buch über den Pan Am Absturz von Lockerbie) über den Buchhändler meines Vertrauens bestellen. Doch irgendwie gab’s Lieferschwierigkeiten oder der Verkäuferin war es zu mühsam. Keine Ahnung. Deshalb bestellte ich schließlich direkt beim Verlag. Da fallen leider zusätzliche Versandkosten an, aber ich wollte das Buch unbedingt haben. Das Germanwings-Buch ist als Hardcover und Softcover erhältlich. Ich habe mich für die Variante Hardcover entschieden. Erster Eindruck: gute Verarbeitung, nichts geht aus dem Leim und die Druckqualität passt, soweit ich das auf Grundlage der enthaltenen Fotos und Grafiken sehe.

Die Schrift ist die gleiche wie im Buch über den Pan Am Absturz, ich denke Arial (vielleicht auch Verdana, das ist mit freiem Auge für mich schwer zu erkennen), und entspricht der Größe nach gefühlt 11 oder 12pt. Das ist für meinen Geschmack genau richtig und ich kann das Buch gerade noch so ohne meine Lesebrille lesen. Germanwings Flug 9525 – Absturz in den französischen Alpen hat insgesamt (Vorwort, die Quellennachweise, das Verzeichnis der Opfer, etc ... eingerechnet) 232 Seiten im A5-Format. Für ältere Menschen könnte die Schrift vielleicht einen Ticken größer sein, aber sowas ist Geschmackssache.

Der Autor veranschaulicht seinen gut verständlich geschriebenen Text mit Fotos aus echten Cockpits und (wo das nicht möglich war) mit nachgestellten Szenen aus dem Flugsimulator.

Gleich zu Beginn findet sich eine Widmung, mit welcher der Autor der 149 Menschen gedenkt, die der Absturzverursacher Andreas Lubitz umgebracht hat. Das finde ich wirklich herzerwärmend. Danach folgt das Inhaltsverzeichnis. Mir fällt auf, dass Herr Huber seine Sachbücher immer ähnlich strukturiert, was sie sehr angenehm zu lesen macht. Auch das Germanwings-Buch beginnt er mit einem Vorwort, gefolgt von den restlichen Kapiteln. Diesmal sind es mehr als 20, darunter Interviews mit dem Präsidenten der österreichischen Austrian Cockpit Association, einem Rechtsanwalt und einem Hinterbliebenen. Die Interviews sind, so steht es zumindest im Buch, vor dem Druck von den Interviewten freigegeben worden. Ganz am Ende hat der Autor ein aussagekräftiges Quellenverzeichnis für Text- und Bildmaterial angegeben, wodurch jeder Leser nachvollziehen kann, auf welche Unterlagen sich Herr Huber bei seiner Recherche stützte. Für mich, ich glaube ich habe das schon mal in einer anderen Rezension geschrieben, ist so eine Nachvollziehbarkeit gerade in Zeiten, in denen unbewiesene wilde Spekulationen Hochkonjunktur haben, sehr wichtig. Denn so etwas zeigt mir, dass seriös gearbeitet wird!

Nach seinem persönlichen Vorwort erzählt der Autor kurz und umfassend zugleich erst einmal die Geschichte der betroffenen Fluggesellschaft Germanwings, die es ja eigentlich nicht mehr gibt. Aber irgendwie doch noch. Sehr spannend und informativ. Dann folgt eine Abhandlung über das abgestürzte Flugzeugmuster, den (oder doch die?) A320. Nicht unbedingt notwendig für meinen Geschmack, aber es schadet auch nicht. Wen das nicht interessiert, der kann das Kapitel überspringen. Das nächste Kapitel ist aber in jedem Fall ein MUSS für das Verständnis dessen, was da auf dem Flug 9525 am 24. März 2015 passiert ist. 

Die Funktionsweise des Tastenfeldes vor der Cockpittüre und der gesamte Verriegelungsmechanismus wird im Buch selbst für Laien einfach verständlich erläutert.

Auf den kommenden 10 Seiten erklärt Patrick Huber nämlich ganz genau wieso die Cockpittüre nicht aufgebrochen werden konnte und was hinter dem „unkaputtbaren“ Design, das Andreas Lubitz ausnutze, um sich und alle übrigen Menschen umzubringen, steckt. Die nächste 3 Kapitel umfassen die fast schon sekundengenaue Schilderung der Flugvorbereitungen und des tödlichen Fluges selbst. Da musste ich beim Lesen einige Male schlucken und kämpfte mit den Tränen.

Daran schließen sich dann Schilderungen über den Such- und Rettungseinsatz und die verschiedenen Phasen/Aspekte der Unfallermittlung an. Der Autor deckt auch ganz genau auf, dass Andreas Lubitz auf dem Hinflug schon eine Art „Generalprobe“ für den Absturz durchgeführt hatte. Da bekommt man wirklich Gänsehaut, wenn man sich das vorstellt. Schlussendlich haben alle Fakten ergeben: Der einzige, der schuld am Crash von Germanwings 9525 ist, war Andreas Lubitz. Leider haben die Behörden in ihrem Abschlussbericht einige komplexe Punkte nicht wirklich gut veranschaulicht. Deshalb tauchen seit Jahren die hirnrissigsten Verschwörungstheorien auf und auch die Familie des Täters Andreas Lubitz will die Schuld ihres Sohnes nicht wahrhaben. Im Internet verbreiten sie Geschichten von der angeblichen "Unschuld" ihres Sohnes und wollen "Aufklärung" leisten. Menschlich kann man das ja noch verstehen, aber es ist meiner Meinung nach trotzdem geschmacklos und einfach widerlich, wenn man sich als Hinterbliebener eines Opfers von den Eltern des Verantwortlichen am Massenmord von 149 Menschen so etwas immer wieder öffentlich anhören muss.

Ein eigenes Kapitel hat der Autor den drei am weitesten verbreiteten Verschwörungstheorien gewidmet.

Jetzt könnte man sagen: Okay, is halt so, wer die Fakten nicht glauben will, tut es eben nicht. Aber der Autor setzt sich intensiv mit dem Problem „Fake News“ auseinander. Er spart nicht mit Kritik an der Arbeit der Behörde, die es im Abschlussbericht tatsächlich verabsäumt haben, einige nicht Dinge in ausreichendem Maße zu erklären. Das sieht auch der von Huber für das Buch interviewte Anwalt so. Diese Kleinigkeiten ändern zwar nichts an der Handlung und Verantwortung von Andreas Lubitz, sie haben aber den Fake News Verbreitern ein Einfallstor geboten, das sie genutzt haben um ihre wilden Spekulationen in die Welt zu setzen.

In einem weiteren Kapitel geht er auf den Versuch der Familie Lubitz ein, die bewiesene Verantwortung ihres Sohnes mit einem von mir als seltsam empfundenen Privatgutachten in Zweifel zu ziehen.

In gleich 3 Kapiteln geht der Autor auf all diese Punkte ein. Wer das gelesen hat, für den ist klar: Alle Spekulationen vom Abschuss über einen Hackangriff bis zu einem technischen Problem sind völlig aus der Luft gegriffen. Ich habe im Internet eine Vorschau für eine Dokumentation des Senders Sky gesehen, wo, soweit ich es aufgrund der Vorschau versehe, solche Spekulationen verbreitet werden sollen. Die Macher sind hier wohl leider einigen Freunden von Verschwörungstheorien auf den Leim gegangen, ist mein Eindruck zum derzeitigen Zeiptunkt. Besser wäre es, sie würden sich an die Fakten halten und auf so eine Sensationshascherei (das ist nach der Vorschau jedenfalls der Eindruck, den ich gewonnen habe) verzichten. Gerade bei einem teuren Bezahl-Sender würde ich harte Fakten statt Spekulation, die man als "Aufdeckerjournalismus" verkauft, erwarten. Hinweis der Redaktion: Zu diesem Thema empfehlen wir auch das Interview mit dem Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa, in dem dieser auf durchaus fragwürdige Methoden der Macher dieser Sky.Dokumentation hinweist.

Auf die Rolle und Verantwortung der Lufthansa geht der Autor außerdem im Detail ein und spart nicht mit Kritik. Der Lufthansa-Boss Carsten Spohr lehnte ein Interview ab und bis heute ist der Rechtsstreit um die Entschädigungszahlungen noch immer nicht abgeschlossen. Ein Armutszeugnis für die Lufthansa und die Bundesrepublik Deutschland. Sollen hier trauernde Hinterbliebene so lange zermürbt werden, bis sie entnervt und finanziell ausgeblutet wegen der Anwaltskosten aufgeben? Dieser Gedanke kam mir beim Lesen jedenfalls in den Sinn.

Als würdevollen Abschluss hat Huber ein Verzeichnis aller Gedenkstätten und die Namen der Opfer im Buch angeführt. Es zerreißt einem das Herz, wenn man sieht wie viele junge Menschen bis hin zum Baby einen so sinnlosen und brutalen Tod gestorben sind, nur weil ein psychisch kranker Mensch aus Narzissmus oder Egoismus nicht alleine sterben wollte. Ich kann für dieses Sachbuch eine klare Kaufempfehlung aussprechen und die positive 5-Sterne-Bewertung, die dieses Buch auf Amazon hat nach dem Lesen aus eigener Erfahrung nur bestätigen.

Hinweis der Austrian Wings Redaktion: Im Geiste des seriösen Journalismus empfehlen wir unseren Leserinnen und Lesern ausdrücklich die ARD-Dokumentation "Germanwings 9525 - Chronologie eines Verbrechens", die in der ARD-Mediathek abrufbar ist.

Text: Christian Becker