Patrick Huber ist Autor des Sachbuches „Germanwings Flug 9525 – Absturz in den französischen Alpen“ und 17 weiterer Bücher, die meisten davon zu Luftfahrtthemen. Unter anderem verfasste er die Standardwerke zum ersten Absturz einer Boeing 747 ("Lufthansa Flug 540 : Der erste Jumbo-Absturz - als die ,Hessen' von Nairobi ins Verderben startete"), zum Flugtagunglück von Ramstein ("Als der Tod vom Himmel stürzte - die Flugtagkatastrophe von Ramstein") und zum Absturz eines Pan Am Jumbos über Lockerbie ("Pan Am Flug 103: Die Tragödie von Lockerbie - Weihnachtsreise in den Tod"). Zudem arbeitete er die Geschichte der ersten privaten Langstreckenfluggesellschaft Österreichs in seinem Buch "Montana Austria - Österreichs vergessener Langstreckenpionier" auf. Sein 18. Buch behandelt einen Flugunfall, der sich am 31. März zum 30. Mal jährt. Es erscheint voraussichtlich am 17. Februar dieses Jahres. Vor Veröffentlichung wurde dieses Interview von Staatsanwalt Christoph Kumpa gegengelesen und schriftlich autorisiert.
Patrick Huber (PH): Herr Kumpa, wie kam es überhaupt, dass ein Flugzeugabsturz eines deutschen Flugzeuges in Frankreich von einer deutschen Staatsanwaltschaft untersucht wurde. Ist so etwas normalerweise nicht Sache einer Flugunfallkommission, die ja hier, in Form der französischen BEA, ohnedies auch ermittelt hat?
Christoph Kumpa (CK): In der deutschen Strafprozessordnung gibt es eine Vorschrift zum Todesermittlungsverfahren. Dort ist geregelt, dass jeder Fall untersucht werden muss, bei dem der den Tod bescheinigende Arzt bei einem Deutschen eine nicht natürliche Todesursache festgestellt hat. Die Ermittlungsbehörden haben dann zu prüfen, ob gegebenenfalls eine Straftat in Zusammenhang mit dem Ableben dieses Menschen in Betracht kommt. Dieses Todesermittlungsverfahren ist unabhängig von der eigentlichen Untersuchung einer Flugunfallkommission. Eine solche wurde im Fall des Germanwings-Absturzes von Frankreich gestellt und arbeitete unabhängig von der deutschen Justiz.
PH: Aber zum Zeitpunkt des Absturzes gab es doch überhaupt keine Todesbescheinigung für irgendeinen der Insassen. Weshalb wurden die deutschen Behörden trotzdem aktiv?
CK: Das ist richtig, dass eine solche Bescheinigung zunächst nicht vorlag, doch dass der Tod in Zusammenhang mit einem Flugzeugabsturz, egal welche Ursache dieser Unfall hat, kein natürlicher Tod, also krankheits- oder altersbedingt, ist, liegt auf der Hand. Vor diesem Hintergrund war klar, dass ein Todesermittlungsverfahren durchzuführen ist, weil eben auch bekannt war, dass ein Teil der Passagiere sowie die Piloten und Flugbegleiter deutsche Staatsbürger waren.
PH: Woraus leitete sich die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf ab?
CK: Die örtliche Zuständigkeit für ein solches Todesermittlungsverfahren knüpft grundsätzlich am Versterbeort an, wenn Deutsche im Ausland versterben am letzten Wohnort der betroffenen Person.
PH: Jetzt kamen die deutschen Staatsbürger an Bord des von Andreas Lubitz zum Absturz gebrachten Germanwings Fluges 9525 aber aus großen Teilen des Bundesgebiets, womit ja nach meinem Verständnis eigentlich mehrere verschiedene Staatsanwaltschaften zuständig gewesen wären, zum Beispiel jene für Haltern am See verantwortliche. Denn allein aus dieser Gemeinde starben ja 16 Jugendliche. Liege ich damit richtig?
CK: Das ist korrekt. Doch ein Teil stammte aus Düsseldorf, weshalb eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf jedenfalls begründet war. Aus Gründen der Verfahrensvereinfachung und Beschleunigung wurde beschlossen, dass das Todesermittlungsverfahren für alle deutschen Staatsbürger bei uns in Düsseldorf konzentriert wird. Darüber habe ich am Tag nach dem Absturz alle entsprechenden Behörden in Kenntnis gesetzt. Wir, die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, standen dann in der Folge mit den französischen Behörden in Kontakt und im Austausch.
PH: Wie kam es dazu, dass Sie in dieser Causa der ermittelnde Staatsanwalt wurden?
CK: Für Todesermittlungsverfahren gibt es üblicherweise bei den Staatsanwaltschaften eine Zuständigkeit durch die Kapitaldezernenten. Ich war damals einer von dreien und meine Zuständigkeit ergab sich daraus, dass ich als einziger von uns dreien greifbar war als die Polizei Düsseldorf nach dem Absturz mit der Staatsanwaltschaft Kontakt aufgenommen hat.
PH: Wie muss man sich die Aufnahme der Ermittlungen nach dem Absturz durch Sie beziehungsweise Ihre Behörde vorstellen?
CK: Nachdem schon am zweiten Tag nach dem Absturz nach einer ersten Auswertung des Cockpit Voice Recorders die Erkenntnisse darauf hindeuteten, dass die Maschine willkürlich durch einen der Piloten zum Absturz gebracht worden war, stand fest, dass wir die Ursache dafür zu klären hatten. Vor diesem Hintergrund sind dann Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnungen des Kapitäns und des Ersten Offiziers beantragt worden. Doch noch vor der erfolgten Vollstreckung erhielten wir aus Frankreich den Hinweis, dass sich die dortigen Ermittler recht sicher waren, dass sich der Co-Pilot zum Absturzzeitpunkt alleine im Cockpit befunden hatte und der Kapitän abwesend war. In telefonischer Absprache mit den französischen Behörden entschied die Staatsanwaltschaft Düsseldorf deshalb in weiterer Folge, lediglich den Durchsuchungsbeschluss an den Wohnanschriften des Co-Piloten zu vollstrecken und dort entsprechende Beschlagnahmungen durchzuführen.
PH: Dort beschlagnahmten Sie unter anderem elektronische Geräte wie Tablets, auf denen ganz klare Hinweise auf die Selbstmordabsichten von Andreas Lubitz gefunden wurden. Jetzt behauptet die Familie des Todespiloten aber, dass eines dieser Tablets erst nachträglich von der Lebensgefährtin von Andreas Lubitz an die Behörden übergeben worden sei und, da es sich nicht an der Wohnadresse von Andreas Lubitz befunden habe, er gar nicht die Kontrolle über das Tablet gehabt habe, als die inkriminierten Eingaben gemacht wurden. Sinngemäß wird seitens des Vaters von Andreas Lubitz argumentiert und suggeriert, dass sein Sohn die belastenden Suchabfragen zu verschiedenen Suizidmethoden deshalb gar nicht selbst getätigt haben könne. Was sagen Sie dazu?
CK: Es ist zutreffend, dass ein Tablet nach der erfolgten Durchsuchung der Wohnanschrift des verstorbenen Co-Piloten und dessen Lebensgefährtin von dieser an uns übergeben worden ist. Es ist dann beschlagnahmt worden, woraus sich ergibt, dass es sich um ein beschlagnahmtes Beweismittel handelt. Was die These von Herrn Lubitz (Günter Lubitz, der Vater des Co-Piloten Andreas Lubitz, Anm.) angeht: Natürlich kann ich einem Tablet nachträglich nicht ansehen, wer die Eingaben gemacht hat. Nichtsdestotrotz ist es aber so, dass man sich natürlich die Frage stellen muss, wann die entsprechenden Eingaben gemacht worden sind.
PH: Und was ist Ihre Antwort darauf?
CK: Die Eingaben zu verschiedenen Suizidmethoden erfolgten zu Zeitpunkten als der Co-Pilot (Andreas Lubitz, Anm. d. Autors) krankgeschrieben sowie nach unseren Erkenntnissen zu Hause war – und gleichzeitig eine Anwesenheit der Lebensgefährtin eher unwahrscheinlich.
PH: Warum war die Anwesenheit der Lebensgefährtin zu den Zeitpunkten, als mit dem Tablet nach Methoden zur Selbsttötung gesucht wurde nach Ihren Ermittlungsergebnissen eher unwahrscheinlich?
CK: Die Lebensgefährtin war berufstätig und zu diesen Zeitpunkten, anders als der Co-Pilot, eben nicht krankgeschrieben. Die These von Herrn Lubitz, dass nicht sein Sohn die Eingaben getätigt hat, würde also voraussetzen, dass die Lebensgefährtin des Sohnes das besagte Tablet mit in ihre Arbeit genommen und in der Schule (sie war Lehrerin, Anm. d. Autors) nebenher die Abfragen durchgeführt hätte.
PH: Wir sprechen hier also von der sogenannten Beweiswürdigung, also davon, was ist plausibel und was nicht, oder wie die Juristen gerne auch sagen, was ist lebensnah und was nicht, verstehe ich das richtig?
CK: Ja, Herr Huber, so ist es. Man muss die Beweiswürdigung im Gesamtzusammenhang sehen und da erkennt man: Wir haben Eingaben zu verschiedenen Suizidmöglichkeiten, wir haben Eingaben zur Cockpittür und wir haben Eingaben, die am Tag vor dem Absturz gemacht worden sind, als nach der Rückkehr des Co-Piloten von einem Leerflug ohne Passagiere am 23. März 2015 eine Patientenverfügung heruntergeladen wurde (Anm. d. Autors: Auf den Inhalt dieser Patientenverfügung gehe ich auch detailliert in meinem Buch „Germanwings Flug 9525 – Absturz in den französischen Alpen“ ein). Diese Patientenverfügung hat der Co-Pilot dann selbst handschriftlich ergänzt. Die Ermittler fanden diese Patientenverfügung nach dem Absturz im Mülleimer der Wohnung.
PH: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Fakten für die Staatsanwaltschaft Düsseldorf?
CK: Wenn ich diese Umstände in der zeitlichen Abfolge zusammenfüge, dann halte ich eine andere Beweiswürdigung als jene, dass der Co-Pilot die Abfragen getätigt hat, für völlig unplausibel.
PH: 2017 veröffentlichte der Vater von Andreas Lubitz, Günter Lubitz, ein Privatgutachten, mit dessen Erstellung er den Journalisten und Juristen Tim van Beveren beauftragt hatte. Das Gutachten wird nach meinen Recherchen von großen Teilen der Fachwelt als mangelhaft, voll von falschen und/oder unzulässigen Schlussfolgerungen, kritisiert und zurückgewiesen. Wir beurteilt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Qualität des Privatgutachtens der Familie Lubitz?
CK: Da es mir beziehungsweise der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nie vorgelegt wurde, kann ich zu der Qualität des Gutachtens nichts sagen.
"Die Familie Lubitz hat ihr Privatgutachten niemals an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf übergeben."
Staatsanwalt Christoph Kumpa
PH: Gestatten Sie mir bitte hier nachzuharken: Günter Lubitz und sein Anwaltsteam erklärten soweit ich mich entsinne auf der Pressekonferenz am 24. März 2017 öffentlich, dass sie dieses Gutachten den Ermittlern zur Verfügung stellen wollten, da sie, ich zitiere, „auf der Suche nach der Wahrheit“ seien. Und trotzdem haben Sie es nie vorgelegt bekommen?
CK: Bei diesen Ankündigungen ist es dann aber auch geblieben. Ich kann nur nochmals sagen, dass dieses Gutachten niemals an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf übergeben wurde. Familie Lubitz hat es offenbar nicht für nötig befunden, mir das zukommen zu lassen.
PH: Der Vollständigkeit halber: Hat sich der Gutachter, Herr Tim van Beveren, bei Ihnen gemeldet, haben Sie das Gutachten vielleicht direkt aus seiner Hand erhalten?
CK: Nein, weder von der Familie Lubitz noch von Herrn Van Beveren.
PH: Nicht nur in diesem von der Fachwelt im Wesentlich wegen der kritisierten Qualitätsmängel abgelehnten Privatgutachten wird der forensisch unstrittig bewiesene Ablauf der Ereignisse in Bezug auf Germanwings Flug 9525 in Frage gestellt. Seit einigen Jahren agitiert auch ein österreichischer Softwareentwickler gegen die bewiesenen Tatsachen und stellt krude Thesen eines angeblichen Computerfehlers, der den Sinkflug ausgelöst habe, eines exakt in diesem Augenblick bewusstlos oder handlungsunfähig gewordenen Ersten Offiziers und eines defekten Tastenfelds, das verhindert habe, dass der Kapitän wieder zurück ins Cockpit konnte, als vermeintlich auf, verbreitet sie demnächst sogar in einer TV-Dokumentation des privaten Fernsehsenders Sky. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die Familie Lubitz auf einer privat betriebenen Internetseite. Sind Ihnen diese Verschwörungstheorien bekannt und was sagen Sie dazu?
CK: Diese holzschnittartigen Thesen sind mir nach Einstellung unserer Ermittlungen, die ganz klar die Verantwortlichkeit des Co-Piloten ergeben haben, in Zusammenhang mit einer Anfrage durch zwei Journalisten bekannt geworden. Ich habe diese Journalisten dann darauf hingewiesen, dass aus den Ermittlungen bekannt ist, dass die Veränderung der Flughöhe (auf 100 Fuß, etwa 30 Meter, Anm. d. Autors) bereits auf dem Hinflug vorgenommen worden ist. Wenn man diese Theorie vom Computerfehler jetzt mal rein gedanklich durchspielt, müsste man also davon ausgehen, dass dieser Softwarefehler auf dem Hinflug von Düsseldorf nach Barcelona aufgetreten ist, sich selbstständig korrigiert hätte, und dass dieser Softwarefehler auf dem Hinflug magischerweise just in der Situation aufgetreten ist, als der Kapitän das Cockpit für den Toilettengang verlassen hatte. In der selben Konstellation – der Pilot muss auf die Toilette – tritt der Softwarefehler auf dem Rückflug von Barcelona nach Düsseldorf magischerweise wieder auf, repariert sich diesmal aber nicht selbstständig. Wobei, was den Hinflug angeht, stellt sich auch die Frage, ob der angebliche Softwarefehler vom alleine im Cockpit befindlichen Co-Piloten nicht bemerkt wurde, ob er ihn, wenn es den Fehler denn gegeben hätte, nicht bemerken hätte und darüber seinem Kapitän nach dessen Rückkehr ins Cockpit Mitteilung machen hätte müssen. Und auf dem Rücklug soll der Co-Pilot dann nach dem magischerweise erneut aufgetretenen Fehler plötzlich bewusstlos geworden sein, obwohl er ein organisch gesunder Mensch war … Außerdem wurde ich von dem von Ihnen angesprochenen Österreicher (treibende Kraft hinter der Doku im Privat-TV, in der offensichtlich fragwürdige Theorien verbreitet werden sollen, Anm. d. Autors) im Rahmen einer Presseanfrage kontaktiert, in der er mich ultimativ aufgefordert hat, ich solle den Stimmenrekorder und den Flugdatenschreiber aus Frankreich besorgen und dann an einen von ihm namentlich nicht genannte Sachverständige übergeben, damit diese dann eine eigene Untersuchung durchführen können.
PH: Wie haben Sie auf dieses seltsame Ansinnen reagiert?
CK: Ich habe den Herrn darauf hingewiesen, dass sämtliche Asservate in Zusammenhang mit dem Absturz Asservate der französischen Behörden sind, dass das Verfahren der Staatsanwaltschaft Düsseldorf abgeschlossen ist und dass ich deshalb überhaupt keine Rechtsgrundlage habe, irgendwelche Sachen in Frankreich anzufordern. Doch selbst wenn ich das könnte, sähe die Strafprozessordnung überhaupt keine Herausgabe von Asservaten an am Verfahren nicht beteiligte Privatpersonen vor. Ich sagte ihm, dass ich das, was er von mir fordert, überhaupt nicht könnte.
PH: War die Sache damit erledigt?
CK: Der Herr erklärte mir daraufhin, dass der nächste Absturz eines Airbus auf meine Kosten gehe und er dann entsprechend öffentlich kommunizieren würde, dass ich für den Tod dieser Menschen verantwortlich sei. Ich habe den Eindruck, dass die von Ihnen angesprochene Sky-Dokumentation, an der er beteiligt ist, dazu dient Verschwörungstheorien zu verbreiten.
PH: Wurden Sie von den Machern dieser Dokumentation kontaktiert?
"Ich möchte die Verbreitung von Verschwörungstheorien nicht durch meinen Beitrag aufwerten."
Staatsanwalt Christoph Kumpa
CK: Ja, ich wurde gefragt, ob ich für ein Interview bereit wäre, habe den Verantwortlichen aber klipp und klar mitgeteilt, dass ich dafür nicht zur Verfügung stehe, wenn dieser besagte Österreicher mit seinen Theorien darin ebenfalls vorkommt, da er sich mir gegenüber schon im Vorfeld absolut unseriös gebärdet hat. Denn ich möchte die Verbreitung von haltlosen Verschwörungstheorien nicht durch meinen Beitrag aufwerten.
PH: Hat man das seitens der Macher akzeptiert?
CK: Zunächst schien es so, doch etwas später erhielt ich eine erneute Anfrage. Ich erklärte noch einmal, dass ich kein Interview geben werde, wenn dieser besagte Herr seine Theorien dort zum Besten gibt, wobei mir mittlerweile von anderer Seite bestätigt worden war, dass es so ist. Danach hörte ich vorerst nichts mehr, allerdings erhielt ich dann kurz vor Weihnachten 2024 eine umfassende Presseanfrage mit Fristsetzung von nur knapp 1 Woche. Für den Fall, dass ich nicht antworten würde, würde man in dem Filmbeitrag erklären, dass die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nicht zu einer Stellungnahme bereit war. Unter den Fragestellungen waren teils aberwitzige Punkte.
PH: Zum Beispiel?
CK: Man könne doch ohne erneute Auswertung des Stimmenrekorders gar nicht feststellen, wer überhaupt im Cockpit gesessen habe. Nicht nur, dass dies durch die im Beisein von mehreren Experten erfolgte Auswertung längst bewiesen war, gab es ja auch noch weitere unstrittige Beweise für die alleinige Anwesenheit des Co-Piloten.
PH: Mir erscheint diese Vorgehensweise hochgradig unseriös, denn die Produktion lief ja schon recht lange und man hätte Ihnen nach der ersten Ablehnung eines Interviews alternativ die Fragen per Mail schicken können. Auf mich wirkt das so, als hätte man regelrecht darauf gehofft, dass sie nicht mehr rechtzeitig antworten würden …
CK: Ja, so habe ich das auch gesehen. Ich wies darauf hin, dass dies aus meiner Sicht definitiv keine seriöse journalistische Arbeitsweise ist. Ich teilte den Verantwortlichen mit, dass ich genau wisse, wie lange schon an dieser Produktion gearbeitet wird und es mir nicht verständlich ist, wieso die Anfrage so kurzfristig zu den Weihnachtsfeiertagen mit einer so knappen Fristsetzung kommt.
PH: Haben Sie die Fragen dann noch beantworten können?
CK: Es war mir trotz des Termindrucks möglich, die gewünschten Antworten schriftlich zu übermitteln. Man hat sich zwar freundlich bedankt, aber mein persönlicher Eindruck ist, dass man es wohl lieber gesehen hätte, wenn man hätte erklären können, dass die Staatsanwaltschaft nicht zu einer Stellungnahme bereit gewesen sei.
PH: Ein weiteres, ich will es mal Pseudo-Argument nennen, im Privatgutachten beziehungsweise von diversen Verschwörungstheoretikern ist ja, dass sich die Atemfrequenz von Andreas Lubitz nicht merklich erhöht habe, während des Sinkfluges. Daraus leiten diese Kreise gerne eine angebliche Handlungsunfähigkeit oder Bewusstlosigkeit von Andreas Lubitz zum Zeitpunkt des von ihm eingeleiteten Sinkfluges ab. Was ist Ihre fachliche Meinung dazu?
CK: Der Umstand, dass der Co-Pilot nicht in Panik geriet und sich seine Atemfrequenz nicht merklich erhöhte, wurde mir in diesem Hintergrundgespräch im Vorfeld der geplanten privaten TV-Dokumentation auch vorgehalten. Darauf entgegnete ich, dass mir keine medizinischen Studien bekannt sind, die nachweisen, dass ein Suizident, wenn es zur tatsächlichen Umsetzung seiner Absicht kommt, die der Suizident in diesem Augenblick als Erlösung herbeisehnt, zwingend schneller atmen muss. Ich halte es für absolut nicht seriös aufgrund der Atemgeräusche die Annahme aufzustellen, dass der Co-Pilot ohnmächtig gewesen sei. Ich halte von dieser These überhaupt nichts, sie erscheint mir absolut unplausibel. Abgesehen davon, das ist mir sehr wichtig zu betonen, wurden mir zu keinem Zeitpunkt von niemandem irgendwelche objektiven Beweise dafür vorgelegt, dass es ein solches Softwareproblem, das den Sinkflug automatisch eingeleitet hat, auf den der Co-Pilot wegen einer angeblichen Bewusstlosigkeit nicht reagieren konnte, überhaupt jemals gegeben hat. Daher habe ich auch keinerlei Veranlassung, das zu überprüfen, unser Verfahren ist abgeschlossen.
PH: Stichwort Verfahren, kommen wir darauf zurück. Was gab es in diesem Verfahren noch zu prüfen?
CK: An der Verantwortlichkeit des Co-Piloten für den Absturz bestehen juristisch nicht die geringsten Zweifel. Das haben die Ermittlungen ganz klar ergeben. Gegen Tote kann nach deutschem Recht aber nicht ermittelt werden. Das ist so. Wir mussten aber auch prüfen, ob möglicherweise eine strafrechtliche Verantwortung von noch lebenden Personen vorlag.
PH: Was meinen Sie damit?
CK: Wir hatten zu klären, ob es in Zusammenhang mit der mutmaßlichen psychischen Erkrankung des Co-Piloten zum Zeitpunkt des Absturzes und seiner, zumindest aus meiner Sicht psychosomatisch bedingten, Sehbeschwerden, einen hinreichenden Anfangsverdacht gegen Personen gibt, die erkennen hätten können und müssen, dass der Co-Pilot fluguntauglich war.
PH: Wer hätte das gewesen sein können?
CK: Ärzte, Privatpersonen oder auch der flugmedizinische Dienst der Lufthansa.
PH: Hat sich für Sie ein solcher Verdacht ergeben beziehungsweise bestätigt?
CK: Nein. Wir haben im Zuge unserer Ermittlungen keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass sich eine noch lebende Person aus dem Umfeld des Co-Piloten in Zusammenhang mit dem Absturz strafrechtlich verantwortlich gemacht hat. Auch die französischen Behörden, die parallel ihre eigenen Ermittlungen durchgeführt haben, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinen entsprechenden Anfangsverdacht gibt.
PH: Kommen wir noch einmal zu Verschwörungstheorien und alternativen Szenarien zurück. Eines dieser Szenarien besagt, dass überhaupt nicht der Erste Offizier Andreas Lubitz, sondern der Kapitän Patrick Sondenheimer zum Zeitpunkt des Absturzes alleine im Cockpit war. Können Sie das kommentieren?
CK: Ich darf und werde aus gewissen Gründen nicht ins Detail gehen, aber es ist absolut unstrittig, dass der Co-Pilot sich während des Sinkfluges und der darauf folgenden Kollision mit dem Gelände alleine im Flugdeck befand.
PH: Das ist natürlich aufgrund der Aufnahmen des Stimmenrekorders schon naheliegend, aber gibt es auch andere Beweise dafür? Gerade in der Luftfahrt sind sogenannte „Crosschecks“ ja üblich und wichtig.
CK: Ja, tatsächlich gibt es zusätzlich zu den aus dem Cockpit Voice Recorder gewonnenen Erkenntnissen auch forensische molekulargenetische Beweise dafür, dass außer dem Co-Piloten auf dem rechten Sitz zum Absturzzeitpunkt niemand anderer im Cockpit war. Ebenso gibt es molekulargenetische Beweise dafür, dass sich der Kapitän zum Zeitpunkt des Aufpralls in der Passagierkabine befand. Alle anderslautenden Behauptungen sind damit wissenschaftlich ohne jeden berechtigten Zweifel widerlegt.
PH: Ein weiterer Punkt, der von Kreisen, die den forensisch bewiesenen Ablauf der Katastrophe gerne in Fragen stellen, verbreitet wird, betrifft die Handys der Insassen. Die Speicher der Geräte seien vor der Rückgabe an die Hinterbliebenen gelöscht worden, um Videoaufnahmen, welche die angebliche „offizielle Version“ in Frage stellen können, zu vernichten. Was sagen Sie dazu?
CK: Mir ist in der Tat bekannt, dass Hinterbliebene berichtet haben, dass sie Smartphones ohne Speicherkarten beziehungsweise mit gelöschtem internen Speicher zurückerhalten hätten. Ich kann dazu keine Aussagen treffen, weil die Staatsanwaltschaft Düsseldorf damit nichts zu tun hatte. Diese Asservate wurden von den französischen Behörden sichergestellt und untersucht. Wer also dafür verantwortlich ist, kann ich nicht sagen. Die Ermittlungen mit den Trümmerteilen und den Effekten der Passagiere wurden ausschließlich vor Ort in Frankreich durchgeführt.
PH: Kommen wir noch einmal zur Familie Lubitz. Es wird ja sinngemäß immer eine neue Untersuchung gefordert, weil man, so sagte es Vater Günter Lubitz, „auf der Suche nach der Wahrheit“ sei. Hätte die Familie Lubitz nicht das Recht, die Aufnahmen des Stimmenrekorders anzuhören? Damit könnte man auch den Verschwörungstheoretikern, die behaupten, hier solle etwas vertuscht werden, den Wind aus den Segeln nehmen.
CK: Die Angehörigen der Opfer hatten die Möglichkeit, die Aufnahmen in einer betreuten Atmosphäre anzuhören, wenn sie das wünschten. Familie Lubitz war damals nicht dabei, wobei das natürlich menschlich verständlich ist. Sie hätte sich die Aufnahmen jedoch zu einem späteren Zeitpunkt anhören können, hat den Termin aber nicht wahrgenommen.
PH: Wie bitte? Die Familie des Todespiloten, die den forensisch bewiesenen Ablauf der Katastrophe öffentlich anzweifelt, die Schuld ihres Sohnes nicht akzeptieren will und gerne eine neue Untersuchung hätte, bekommt die Gelegenheit, die Aufzeichnung des Stimmenrekorders anzuhören und tut das dann nicht? Wie passt das zusammen?
CK: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann Ihnen aber schildern, wie es dazu kam. Über einen Anwalt, den die Familie Lubitz eingeschaltet hatte, bat sie mich, ihr die Möglichkeit zu verschaffen, die Aufzeichnungen des Stimmenrekorders anhören zu können. Dazu muss man sagen, dass wir von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf keine Kopie der Aufnahmen, sondern lediglich ein Transkript der Aufnahmen erhalten haben. Zwar wäre ich dazu nicht verpflichtet gewesen, aber ich stellte deshalb den Kontakt zu den französischen Behörden her, um der Familie Lubitz das zu ermöglichen. Die französischen Untersuchungsrichter zeigten sich sehr kooperativ, denn natürlich versteht man auch das menschliche Leid der Familie Lubitz. Aus formalen Gründen mussten die französischen Juristen diese Erlaubnis zum Abhören der Aufnahmen jedoch in eine Zeugenvernehmung kleiden. Sie legten einen Termin in Marseille fest und verschickten die offizielle Zeugenladung an Familie Lubitz. Die Franzosen unterstützten das Ansinnen der Familie und erklärten sich sogar bereit dafür zu sorgen, dass vor Ort ein deutschsprachiger Gendarm zur Verfügung stehen würde. Das alles hätten sie nicht tun müssen, es beruhte auf Entgegenkommen aus Verständnis für die Situation der Familie, das muss man nochmal unterstreichen. Der Termin sollte stattfinden zu einem Zeitpunkt als ich auf Urlaub war. Nach meiner Rückkehr wurde ich dann von dem Anwalt der Familie Lubitz darüber informiert, dass die Familie, ich zitiere, „mit Entsetzen“ festgestellt habe, dass in der Ladung des französischen Gerichts für den Fall des Nichterscheinens eine Geldstrafe angedroht sei. Man habe daher eine französische Rechtsanwältin kontaktiert, die angeblich davon abgeraten habe, zu dem Termin zu erscheinen. Ich kommentiere das nicht, nur so viel: Es ist sowohl in Frankreich als auch in Deutschland absolut üblich, dass das Nichtbefolgen einer gerichtlichen Ladung eine Geldstrafe beziehungsweise eine Geldbuße vorsieht. Der entsprechende Satz ist standardmäßig in den Ladungen vermerkt. Der deutsche Anwalt hätte dies wissen müssen und darüber eigentlich nicht überrascht sein dürfen. Die Familie Lubitz hat dann laut ihm ärztliche Atteste über die Unfähigkeit zur Teilnahme an dem Termin geschickt, um der Geldstrafe zu entgehen, und hatte somit ihre Möglichkeit, die Aufnahmen anzuhören ohne Grund einfach nicht wahrgenommen.
PH: Damit war die Angelegenheit dann wohl endgültig ad acta gelegt?
CK: Man sollte meinen, dass es so war, doch stattdessen kam vom Anwalt der Familie Lubitz die Forderung an mich, dass ich dafür sorgen solle, dass die Ladung nachträglich aufgehoben wird. Ich teilte dem Juristen mit, dass mir das unverständlich ist, dass ich auch nicht nachvollziehen könne, weshalb er nicht vorher mit mir gesprochen habe, denn dann hätte ich ihm erklären können, dass es wegen der Ladung überhaupt keinen Grund zur Panik gebe und dass ich keine Veranlassung sehe, den französischen Kolleginnen und Kollegen, die absolut entgegenkommend und hilfsbereit waren, damit, bitte entschuldigen Sie die saloppe Formulierung, auf den Zeiger zu gehen. Denn nochmals: Es war ein reines Entgegenkommen von mir und von den französischen Behörden, diesen Termin überhaupt zu ermöglichen. Dass sie ihn nicht wahrgenommen hat, liegt ausschließlich in der Verantwortung der Familie Lubitz.
PH: Das klingt ziemlich unverschämt für mich …
CK: Es ging aber ja noch weiter. Der Anwalt drohte mir dann, dass er sich ans Ministerium wenden und sich dort über mich beschweren würde. Ich beschied ihm freundlich, dass es dafür überhaupt keine Rechtsgrundlage gäbe, da meine Vermittlung des Termins bei den französischen Behörden reine Kulanz und überhaupt nicht verpflichtend war. Es gab also auch keine Grundlage für eine Beschwerde. Danach war habe ich in der Angelegenheit nichts mehr gehört.
PH: Abschließend, zusammengefasst eine kurze Antwort bitte: Gibt es aus Sicht der Staatsanwaltschaft Düsseldorf irgendeinen begründeten Zweifel daran, dass der psychisch offenbar schwer kranke Erste Offizier Andreas Lubitz den Absturz von Germanwings Flug 9525 vorsätzlich herbeigeführt hat?
CK: Nein, es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Co-Pilot für den Absturz verantwortlich ist. Es gibt keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte, dass es eine andere Absturzursache gibt. Man muss in diesem Zusammenhang eben konstatieren, dass der Co-Pilot zum fraglichen Zeitpunkt im Cockpit dieses Flugzeuges nichts verloren hatte. Es lagen diverse Krankschreibungen vor, die er seinem Arbeitgeber nicht abgegeben hatte. Er wusste, dass er wieder psychisch erkrankt war. Ihm sind Psychopharmaka verschrieben worden und er wusste, dass sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis damit nicht mehr gültig war. Der Co-Pilot war verpflichtet, diesen Umstand, seinem Arbeitgeber mitzuteilen, was er nicht getan hat - und zwar offensichtlich bewusst nicht getan hat. Dennoch hat er diesen Flug durchgeführt. Dazu kommt die ihm zuzuordnende durchgeführte Internetrecherche, bei der er sich gut eine Woche zuvor mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie er sich auf andere Art und Weise umbringen könnte. Die von ihm dort recherchierten Methoden erschienen ihm wahrscheinlich nicht sicher, nicht erfolgversprechend genug oder nicht umsetzbar. Deshalb recherchierte er anschließend noch einmal die Funktion des Mechanismus’ der Cockpittür und am Tag vor dem Absturz füllte er eine Patientenverfügung aus, in der er dann auch nochmal handschriftlich ergänzt hat, dass er für den Fall der Erblindung keine lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. Da muss man eben auch nach Auswertung der ganzen Krankenakten davon ausgehen, dass man es hier in der konkreten Situation mit einem jungen Mann zu tun hatte, der aufgrund seiner psychischen Erkrankung von der objektiv tatsächlich aber unbegründeten Sorge zu erblinden, geradezu besessen war und deswegen davon ausging, dass sein Lebenssinn, die Karriere als Berufspilot, zu Ende sei. Daraus muss man den Schluss ziehen, dass der Co-Pilot durch eine für ihn als sicher bewertete Methode aus dem Leben scheiden wollte und er zu diesem Zweck eben das ihm zur Verfügung stehende und beherrschte Instrument, das Flugzeug, gewählt hat, weil er wusste, dass er einen von ihm bewusst mit hoher Sinkrate und Geschwindigkeit herbeigeführten Absturz nicht überleben würde. Für alles andere gibt es keinerlei Anhaltspunkte, das gilt insbesondere für technische Aspekte, das Flugzeug betreffend. Aus meiner Sicht ist das Geschehen vom 24. März 2015 völlig zweifelsfrei geklärt.
PH: Herr Staatsanwalt Kumpa, vielen Dank für das Gespräch.
CK: Sehr gerne Herr Huber.
Interview: Patrick Huber