Am 26. Februar 2025 führte der Lufthansa Airbus A350-900 mit der amtlichen Kennung D-AIXR den Flug von Shanghai nach München durch. Die Flugnummer lautete LH 727. Um 16:35 Uhr UTC (in GB war es da noch der 25. Februar, in China dagegen schon knapp nach Mitternacht, also der 26. Februar) hob das Langstreckenflugzeug in China ab und nahm Kurs auf Europa. Die Flugstrecke führte unter anderem über Kasachstan, Aserbaidschan, das Schwarze Meer, Rumänien und Ungarn. Während jedes Fluges gehört es zu den Aufgaben der Piloten, den tatsächlichen mit dem vorab berechneten Treibstoffverbrauch kontinuierlich abzugleichen. Es ist keine Seltenheit, dass der Verbrauch während des Fluges von den der Flugvorbereitung zugrunde gelegten Werten abweicht. Mal liegt er darunter, mal darüber. Ausschlaggebend dafür sind mitunter Faktoren, auf welche die Piloten keinerlei Einfluss haben. Haben sie etwa Rückenwind, verbrauchen sie weniger Treibstoff, haben sie Gegenwind, liegt der Verbrauch höher. Ebenso kann Kraftstoff gespart werden, wenn die Flugsicherung auf der Strecke "Abkürzungen" gewährt. Umgekehrt erhöht sich der Verbrauch natürlich, wenn außerplanmäßig Umwege oder Warteschleifen, etc... geflogen werden (müssen).
Damit ein Flug dennoch jederzeit sicher durchgeführt werden kann, gibt es klare Vorgaben für die Treibstoffberechnung, die ich unter anderem in meinem Buch "Cleared for Take off - Ein Tag im Leben einer AUA-Crew" detailliert erläutert habe.
Die für einen Flug getankte Menge setzt sich grundsätzlich zusammen aus dem Kerosin für das Rollen am Boden (Taxi Fuel), dem errechneten Bedarf für den Flug selbst (Trip Fuel), einer Reserve in Höhe von 5 Prozent des Trip Fuels, dem Treibstoff bis zu einem vorher definierten Ausweichflughafen für den Fall, dass am Zielort nicht gelandet werden kann, und einer Final Reserve, die 30 Minuten Flugzeit in einer niedrigen Flughöhe ermöglicht. Warum gerade in einer "niedrigen Flughöhe"? Nun, dort ist die Luft dicker und der Treibstoffverbrauch höher als auf Reiseflughöhe. Diese Final Reserve sollte niemals angegriffen werden, denn sobald man in diesen Bereich gelangt, muss zwingend eine Luftnotlage erklärt werden. Was eine Luftnotlage ist und was nicht, das hat Flugkapitän, Pilotenausbilder und Buchautor Georg Rabacher bereits 2013 in einem lesenswerten Kommentar erklärt. Außerdem steht es - zumindest bei Qualitätsfluglinien wie der Lufthansa - jedem Kapitän frei, nach eigenem Ermessen zusätzlichen Kraftstoff mit an Bord zu nehmen. Das ist allerdings ein Balanceakt. Nimmt man zu viel extra Sprit mit, erhöht sich das Gewicht und damit auch der Treibstoffverbrauch - und die Umweltbelastung. Deshalb halten sich die meisten Piloten im Wesentlichen an die hier geschilderte Formel, die einen absolut sicheren Flugverlauf gewährleistet.
Zurück zu Flug Lufthansa 727 von Shanghai nach München am 26. Februar 2025. Hier trafen während des Fluges zwei Faktoren zusammen, die zu einem unvorhersehbar höheren Treibstoffverbrauch führten. Einerseits wies die chinesische Flugsicherung dem A350 eine längere Streckenführung als geplant zu und andererseits trat auf der Strecke ein besonders starker Gegenwind auf. So etwas kommt regelmäßig vor, deswegen ist eine Situation noch überhaupt nicht kritisch. Denn - wie einleitend erwähnt - überwachen Piloten den Treibstoffverbrauch und den verbleibenden Kraftstoffvorrat während des gesamten Fluges sehr genau.
Die Lufthansa-Piloten des Fluges 727 nach München waren hier keine Ausnahme und so zeichnete sich schon früh ab, dass sie nicht nonstop nach München fliegen würden - aber nicht, weil ihnen sonst der Sprit "ausgegangen" wäre, sondern weil sie, gemäß den hohen Sicherheitsstandards in der Zivilluftfahrt im Allgemeinen und beim Lufthansa-Konzern im Besonderen, vermeiden wollten, unter Umständen die Finale Fuel Reserve nutzen zu müssen, um bis nach München zu kommen. Die wird, siehe Erläuterung einige Zeilen weiter oben, außer im absoluten Notfall niemals verwendet.
Daher entschieden sich die Piloten zu einer Ausweichlandung auf dem Flughafen Wien, um nachzutanken. Diese Landung erfolgte um 04:54 Uhr UTC, das entspricht 05:54 Uhr Lokalzeit, also am frühen Morgen. Um 06:05 UTC, 07:05 Uhr Lokalzeit, verließ der Airbus A350 den Flughafen Wien wieder und setzte seine Reise nach München fort. Die D-AIRX landete um 06:50 UTC, 07:50 Uhr Lokalzeit, mit 1 Stunde und 10 Minuten Verspätung auf dem Flughafen der bayrischen Landeshauptstadt. Alles völlig problemlos, alles völlig unspektakulär.
Daraus resultieren, etwas anders als im Medienbericht dargestellt, folgende Fakten:
- die Ausweichlandung in Wien war KEINE "Notlandung" (das bedeutet, es wurde auch KEINE Luftnotlage erklärt)
- die Ausweichlandung erfolgte NICHT bei "Nacht"
- die Ausweichlandung war keineswegs "kurios", sondern derartige außerplanmäßige Tankstopps sind Alltag in der internationalen Verkehrsfliegerei
Sprit hätte wohl sicher bis München gereicht
Die Lufthansa wollte auf meine Anfrage zwar keine "weiteren operationellen Details" nennen, basierend auf meinen eigenen Recherchen, den Aussagen meiner "fliegenden" Freunde und Bekannten sowie auf meinen eigenen Erfahrungen nach ungezählten "Jumpseat-Mitflügen" im Cockpit von Verkehrsflugzeugen in den vergangenen Jahrzehnten, kann ich jedoch folgendes konstatieren: Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte der Flug LH 727 sogar bis nach München fliegen können, ohne die Final Fuel Reserve nutzen zu müssen. Wäre auf dem Weg dorthin allerdings dann noch etwas Unvorhergesehenes (weitere Umleitungen durch die Flugsicherung, ungünstige Winde, Warteschleifen, Luftraumsperre ...) geschehen oder in München - aus welchen Gründen auch immer - ein Durchstartmanöver erforderlich geworden, DANN wäre die Crew vielleicht tatsächlich in die Lage gekommen, diese "eiserne Reserve" des an Bord befindlichen Kraftstoffes angreifen zu müssen. Das wäre zwar immer noch sicher und kein Problem gewesen (von Großraum München aus liegen im Flugradius 30 Minuten etliche Verkehrsflughäfen, die angesteuert werden können), aber wenn es möglich ist, vermeidet man es einfach, auch nur in die Nähe einer solchen Situation zu kommen. Dafür nehmen verantwortungsvolle Piloten dann auch eine Zwischenlandung, die ihrem Unternehmen Geld (Landegebühren, Abfertigungsentgelte, etc ...) kostet, gerne in Kauf. Genau deshalb ist die moderne Verkehrsluftfahrt auch unbestritten die sicherste Art des Reisens.
Text: Patrick Huber
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.