Am 9. Juni berichtete der österreichische Luftfahrtjournalist und Buchautor Patrick Huber als einer der ersten österreichischen Journalisten ausführlich über den Hagelflug eines A320 der AUA, der dank der hervorragenden Leistung der Piloten nicht in einer Katastrophe endete. Was folgte, war eine Behördenposse, die den nicht ungefährlichen Zwischenfall offenbar zunächst nicht untersuchen wollte und ihn lediglich als "Störung" einstufte, obwohl er gemäß geltender EU-Definition mindestens eine "schwöre Störung" darstellte.
Österreichische und ausländische Medien leisteten einen tollen Job und klopften dem Staat ordentlich auf die Finger. Das ist die Aufgabe des Journalismus, der vierten Säule der Demokratie. Wobei der "tolle Job" zwar für die meisten Journalisten aber leider nicht für alle gilt. Denn zwei Journalisten, die in Luftfahrtkreisen für fragwürdige Dinge, die sie nicht immer, aber zum Leidwesen der tatsächlichen Experten sehr oft, verzapfen, bereits mehr als bekannt sind, haben sich in dieser Causa wieder einmal nicht mit Ruhm bekleckert, wie "Austrian Wings" bereits im November aufdeckte.
Es sind jene Reporter, die in der Vergangenheit unter anderem einen Absturz, der sich nie ereignet hatte und ein "Covid-Flugverbot" erfunden haben. Beides gab es überhaupt nicht. Die in ihrer reißerisch aufbereiteten Publikation damals zeigten, dass sie ganz augenscheinlich nicht einmal wussten, wie "Flightradar24" im Detail funktioniert und aus dem Fehlen von Tracking-Spuren eines VFR-Fluges eines R22 ein "Mysterium" konstruierten, das keines ist. Die im Fall der Notlandung des SWISS-Fluges in Graz im Dezember wirklich behaupteten, dass "Smokehoods" nicht vor Rauch schützen, sondern für den Fall eines Kabinendruckverlustes da seien. Jetzt legen diese selbsternannten "Meister" ihres Fachs in Sachen AUA-Hagelflug nach und, wie von vielen Insidern nicht anders erwartet, ist dabei nichts Brauchbares herausgekommen. Die Reaktionen innerhalb der österreichischen Airline-Branche reichen nach den mir vorliegenden Rückmeldungen vom fassungslosen Kopfschütteln bis zu Lachkrämpfen.
Gleich der reißerische Titel des jüngsten Machwerks zum AUA-Hagelflug suggeriert eine mögliche "Schockstarre" im Cockpit, vermutlich aus Gründen der juristischen Absicherung in die Frageform verpackt. Als "Quelle" dafür dient soweit für den Leser ersichtlich einzig und allein die Anzeige eines Wiener Anwalts, der natürlich (wohl eine Art "Dankeschön") im Gegenzug mit einer prominenten Erwähnung im Artikel bedacht wird. Schließlich dürften Anwälte keine Werbung machen, da ist man für so eine Erwähnung dankbar. Dass der Anwalt selbst überhaupt kein Pilot ist (laut Angaben auf seiner Unternehmenswebseite) und auf dem Flug durch den Hagel nicht dabei war (und schon gar nicht im Cockpit) und er daher gar nicht wissen kann, ob es eine "Schockstarre" (klingt doch super reißerisch oder, auch wenn die Reporter keinen Beweis erbringen) überhaupt gab, ist offenbar völlig egal. Hauptsache reißerisch formuliert, nicht wahr? Soll so etwas wirklich "Qualitätsjournalismus" sein?
Dass die beiden Schreiberlinge von der Arbeit im Cockpit offenbar nicht wirklich Ahnung haben, zeigen sie einmal mehr schonungslos, indem sie formulieren: "Die üblichen Wetterupdates während des Fluges konnte sie demnach auch nicht einholen, weil das w-lan im Airbus gestört war." Damit suggerieren die Autoren, dass es Internet an Bord von Flugzeugen für Wetterupdates (zwingend) braucht, weil "DIE" (also ALLE) Wetterupdates (ausschließlich) über das Internet kommen. Das ist natürlich unrichtig, überrascht aber nicht, wenn man sich ansieht, was die beiden Herren sonst so verzapft haben. Richtig ist zwar, dass das eigentlich für die Passagiere gedachte Internet an jenem Tag an dem betroffenen Flugzeug, der OE-LBM, defekt war, doch, Überraschung, liebe Reporter, es fliegen weltweit tausende Flugzeuge, die überhaupt keinen Internetzugang haben. Er ist gar nicht vorgeschrieben, weil es ihn nicht braucht. Wetterupdates finden im Regelfall auf andere Art und Weise ihren Weg zu den Piloten. Wenn es funktionierendes Internet an Bord gibt, KÖNNEN die Piloten das natürlich ZUSÄTZLICH nutzen, aber es ist absolut kein Muss und auch nicht notwendig. Nice to have aber eben kein Must have. Doch der unbedarfte Leser, der den "Herrn Journalisten" glaubt, könnte angesichts ihres Artikels den Eindruck gewinnen, dass einen Internetzugang für Wetterupdates braucht.
Weiter geht's mit den Ergüssen der "Experten": "Um (...) beginnt die AUA-Maschine rund 30 Kilometer südwestlich von Graz aus 9,45 Kilometern Höhe mit dem Sinkflug. Obwohl das laut Experten nicht mehr gestattet ist, verlässt der Kapitän gegen 17.28 Uhr das Cockpit." Die Aussage dass ein Toilettenbesuch zu diesem Zeitpunkt des Fluges nicht mehr gestattet sei, stimmt in dieser Form so einfach nicht. Es gibt kein Gesetz, das den Toilettenbesuch zu diesem frühen Zeitpunkt des Sinkfluges verbietet. Tatsächlich war der WC-Besuch des Kapitäns also von Seiten des Gesetzgebers her betrachtet nach allem was wir bisher wissen völlig legal, wenn auch vielleicht nicht üblich und, im Nachhinein betrachtet, unglücklich. Aber eben nicht verboten und nicht per se gefährlich.
Im Zwischenbericht der Behörde steht dazu nur: "Verließ (...) das Cockpit für einen Gang zur Toilette. Zuvor wurde die Übergabe der Luftfahrzeugsteuerung mittels Handover Briefing durchgeführt, Primary Flight Display und Navigation Display wurden geprüft und waren unauffällig." Diese Vorgehensweise (Übergabe-Briefing) war absolut professionell und üblich. Die Behörde schreibt mit keinem Wort, dass der Toilettengang des Kapitäns zu diesem Zeitpunkt "nicht mehr gestattet" gewesen sei.
Damit ist der WC-Besuch des Piloten keinen weiteren Kommentar wert, wenn man seriös arbeitet. Aber natürlich auch hier: Super reißerisch, es wird suggeriert, dass der Kapitän etwas getan habe, was er "laut Experten" (die man, aus gutem Grund?, erst gar nicht nennt) nicht gedurft hätte.
Und dann der "journalistische Hammer", der die Sensationsgier der Leser wohl befriedigen soll, jedenfalls ist das meine Interpretation nach Lektüre des Artikels. Unter Berufung auf den Anwalt, der seine Anzeige wahrscheinlich ganz bewusst den Journalisten zur Verfügung gestellt hat (wie wären sie sonst da ran gekommen?), heißt es dann: "Dabei soll die Co-Pilotin in eine Art Schockstarre verfallen, behauptet nun Passagieranwalt (...)." Woher der Anwalt das wissen will, lassen die Reporter offen. Denn er war, wie schon erwähnt, überhaupt nicht an Bord. Warum wurde von den Journalisten nicht nachgefragt und die Antwort des Anwalts veröffentlicht? Warum haben die Journalisten keinen aussagekräftigen Beweis verlangt und diesen dann publiziert? Weil es keinen gibt, würde ich meinen und da stimmen mir sämtliche Piloten mit denen ich bis dato über den Artikel gesprochen habe zu. Hmmm, hätte vielleicht auch die reißerische Message zusammengehaut? Toller "Qualitätsjournalismus", den man da für sein Geld bekommt.
Und weiter geht's: "Erst um 17.33 Uhr öffnet der vom WC kommende Pilot laut seiner Aussage und der einer Flugbegleiterin die Cockpittür mit einem Notfall-Code, weil ihm die Co-Pilotin diese nicht mit dem Schalter neben dem Sitz öffnet."
Hätten die beiden Verfasser dieses Artikels nur ein wenig Ahnung von tatsächlicher Cockpitarbeit, dann würden sie vielleicht auf die Idee kommen, dass die Co-Pilotin in diesem Moment, immerhin waren der Autopilot und zahlreiche weitere Systeme ausgefallen, sie musste das beschädigte Flugzeug von Hand fliegen, wirklich alle Hände voll zu tun hatte und deshalb die Cockpittür nicht öffnen konnte. Genau für solche Vorfälle gibt es die Möglichkeit zur Eingabe eines Notfallcodes.
Wobei, halt, auch hier schreiben die beiden selbsternannten "Luftfahrtfachjournalisten" wieder etwas, das so überhaupt nicht stimmt, jedenfalls wenn man dem offiziellen Zwischenbericht der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes glaubt. Dort ist nämlich keine Rede davon, dass der Kapitän die Tür mit dem Notfallcode geöffnet hat, sondern nur, dass er das zu diesem Zeitpunkt beabsichtigt hat. Dort heißt es stattdessen: "Um ca. (...) wurde die Cockpittür von CM2 (Co-Pilotin, Anmerkung der Redaktion) geöffnet, als CM1 (der Kapitän, Anm. d. Red.) das Cockpit im selben Moment mittels Emergency Door Code öffnen wollte. Nach einem kurzen Handover-Briefing übernahm CM1 wieder die Kontrolle über das Luftfahrzeug und um 15:33:44 Uhr wurde eine Eingabe am Sidestick des CM1 aufgezeichnet."
Bedeutet nix anderes als: Die Co-Pilotin tat in höchster Professionalität genau das, was von jedem Verkehrspiloten in einer Notfallsituation (und das war definitiv eine Notfallsituation) erwartet wird: Aviate, navigate, communicate. In genau dieser Reihenfolge. Als das sichergestellt war und sie wieder Kapazität für andere Dinge hatte, öffnete sie sofort Türe zum Cockpit. Angesichts der bisherigen "Glanzleistungen" im "Luftfahrtjournalismus" dieser beiden Herren ist für mich klar, dass der Tatsachengehalt des behördlichen Zwischenberichtes mit Sicherheit höher sein dürfte als der ihres Artikels. Da hilft es dann auch wenig, dass man ganz zum Schluss des Artikels (alibihalber?) den Anwalt der Pilotin sagen lässt, dass SIE die Tür geöffnet habe. Nachdem das aus dem Zwischenbericht klar hervorgeht, war es ja schon unseriös und unnötig zu suggerieren, dass es anders gewesen sei.
Aber selbst wenn es so gewesen wäre, dass der Kapitän die Cockpittür durch den Notfallcode hätte öffnen müssen wäre das keine "dramatische" Erwähnung wert. Denn die Einhaltung des Grundsatzes "Aviate, Navigate, Communicate" hat absolute Priorität vor allem Anderen. Wirkliche Experten wissen das, Journalisten, die professionell recherchieren auch, zumindest sollten sie es dann wissen. Die Frage, die sich mir und vielen Piloten, mit denen ich gesprochen habe, jetzt aufdrängt ist folgende: Haben die beiden Herren nicht ordentlich recherchiert oder wussten/wissen sie das zwar, fanden es aber nicht der Mühe wert, im Artikel darauf hinzuweisen. Vielleicht weil's den pseudoinvestigativen und dramatischen Charakter ihres Machwerks am Ende z'amghaut hätte? Der Chefredakteur sollte vielleicht endlich mal die Reißleine ziehen und andere Journalisten auf solche Themen ansetzen. Solche, die's wirklich können.
Text: Golf November (der Autor ist Brancheninsider; sein Name ist der Redaktion bekannt, unterliegt jedoch aus Gründen des Informantenschutzes dem Redaktionsgeheimnis)
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