Alle Zeiten in diesem Bericht sind - wie in der Luftfahrt üblich - in UTC angegeben. Zum Vorfallszeitpunkt (9. Juni 2024) entsprach die Lokalzeit Österreich UTC + 2 Stunden, wenn also beispielsweise von 15 Uhr UTC die Rede ist, war es auf dem Flughafen Wien 17 Uhr.
Zur Vorgeschichte
Der Arbeitstag für die Besatzung des Airbus A320 mit dem Kennzeichen OE-LBM begann am 9. Juni 2024 ganz normal und nichts deutete darauf hin, dass ihr Dienst als "der AUA-Hagelflug" selbst 10 Monate später noch manche Medienberichte beherrschen würde. Um 05:32 Uhr startete die "Bravo Mike" als OS 175 zunächst von Wien und flog nach Hamburg, wo sie um 06:51 Uhr UTC ankam. Nach rund einer Stunde Bodenaufenthalt verließ der 23 Jahre alte Zweistrahler die Hansestadt als OS176 wieder und nahm Kurs auf Wien. Landung um 09:07 Uhr UTC, drei Minuten vor der geplanten Zeit.
Routineflug in Richtung Wien mit sehr erfahrener Crew im Cockpit
Um 10:15 Uhr UTC ging es für den Airbus A320 und seine Besatzung (Buchtipp in eigener Sache: Wer einmal hinter die Kulissen einer Airlinecrew blicken will, dem empfehle ich mein Buch "Cleared for Take off - ein Tag im Leben einer AUA-Crew") dann weiter auf die spanische Ferieninsel Mallorca. Der Flug mit der Nummer OS 433 verlief ohne besondere Vorkommnisse. Der letzte Flug, in der Fachsprache auch Leg genannt, dieses Tages war dann der Rückflug nach Wien als OS434. Neben den 2 Piloten und 4 Flugbegleitern befanden sich 173 zahlende Gäste in der Kabine. Insgesamt waren damit 179 Personen an Bord des A320. Passagiere berichteten später übereinstimmend davon, dass die gesamte Reise zunächst ereignislos verlief. Der Kapitän des Fluges war über 50 Jahre alt, Inhaber eines Verkehrspilotenscheins ATPL(A) und verfügte über eine Gesamtflugerfahrung von mehr als 8.400 Stunden, davon über 1.600 auf der Airbus A320-Familie. Zuvor war er die Dash 8 geflogen und außerdem als Ausbilder tätig. Die Erste Offizierin war über 30 Jahre alt und konnte einen Berufspilotenschein CPL(A) vorweisen. Zudem hatte sie die theoretische Ausbildung für den Verkehrspilotenschein ATPL(A) sowie den Multi Crew Cooperation Kurs MCC(A) begonnen. Die Gesamtflugerfahrung der Ersten Offizierin betrug mehr als 3.000 Stunden, über ihre Erfahrung auf dem A320 werden weder im ersten noch im jetzt erschienen zweiten Zwischenbericht Angaben gemacht.
Hinweis: Auf Bitten aus Pilotenkreisen werden das genaue Alter und die exakte Flugstundenanzahl der beiden Crewmitglieder nicht genannt, um deren Privatsphäre zu schützen. Die hier genannten Daten geben jedoch einen guten Überblick darüber, dass es sich um eine erfahrene Crew im Cockpit gehandelt hat.
Zusammengefasst wird festgehalten, dass beide Piloten im Besitz der für die Durchführung des Fluges erforderlichen Berechtigungen waren und - das ist durchaus generell von Relevanz - dass Austrian Airlines ihre Besatzungen deutlich über das gesetzliche Mindestmaß hinaus qualifiziert. Auf diesem Sektor von Mallorca nach Wien war der Kommandant der Pilot Flying - das heißt, er flog das Luftfahrzeug - und die Co-Pilotin arbeitete als Pilot Monitoring. Sie war damit unter anderem für das Führen des Funkverkehrs zuständig. Die entsprechende Arbeitsteilung zwischen Pilot Flying und Pilot Monitoring hat Nikolas Braun in einem Beitrag für "Airliners.de" sehr gut dargestellt.

Die Reiseflughöhe betrug Flugfläche 340 / 34.000 Fuß, etwa über 10.360 Meter. Unterwegs hielten die Piloten routinemäßig Kontakt mit den verschiedenen Flugsicherungsstellen auf der Route. Um 14:52:48 Uhr UTC bemerkte der Kommandant, dass die "windy app" nicht ordnungsgemäß funktionieren würde. Hier muss man einordnen, dass der größte Teil der A320-Flotte der AUA mit WLAN ausgestattet ist. Obwohl es weder vorgeschrieben noch zwingend erforderlich ist, dass sich Piloten über WLAN mit den neuesten Wetterdaten versorgen, nutzen viele Verkehrspiloten diese Funktion zusätzlich sofern sie verfügbar ist. Wenn ein Flugzeug kein WLAN hat oder die Technik - wie an diesem Tag - nicht funktioniert, ist das aber grundsätzlich auch kein Problem.
Kursänderung wegen Gewitterzelle
Um 15:01 Uhr UTC sank die Maschine zunächst von 34.000 Fuß auf 33.000 Fuß. Um 15:02 Uhr UTC bat der Kapitän seine den Funkverkehr führende Kollegin, dass diese bei der Flugsicherung eine Kursänderung erbitten solle, um einer Gewitterzelle auszuweichen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die OE-LBM nahe Bologna im italienischen Luftraum. Im Zwischenbericht der SUB vom 31. März 2025 heißt es dazu: "Diese Zelle war gemäß Aussage von CM1 am Wetterradar ersichtlich (TILT 0°)." CM1 steht im Bericht für den Kapitän, CM2 für die Co-Pilotin.
Diese Verfahrensweise ist jedenfalls ein deutlicher Beleg dafür, dass sich beide Piloten der herausfordernden Wettersituation sehr bewusst waren, das Wetterradar deshalb genau beobachteten und auf die sichtbaren Anzeigen entsprechend gewissenhaft agierten. Nachdem die Gewitterzelle umflogen war, kontaktierte die Erste Offizierin die Flugsicherung erneut und teilte mit, dass der ursprüngliche Kurs nun wieder aufgenommen werden könne - was von der Bodenkontrollstelle genehmigt wurde. Der weitere Flug verlief vorerst ohne besondere Vorkommnisse. Um 15:13 Uhr UTC wurde OS 434 von den Italienern an die Flugverkehrskontrolle im slowenischen Laibach übergeben. Offenbar versuchten die Piloten weiterhin über WLAN zusätzliche Wetterinformationen einzuholen (erneut ein Beleg für die Gewissenhaftigkeit der Crew), was jedoch aufgrund der Probleme mit der Internetverbindung nicht möglich war. Um 15:18 Uhr UTC wurde dieser Umstand im Gespräch thematisiert. In Absprache mit der Flugsicherung erfolgte der weitere Sinkflug von Flugfläche 330 / 33.000 Fuß auf Flugfläche 310 / 31.000 Fuß.
Wettersituation auf Ausweichflughäfen
Etwa zwei Minuten danach, um etwa 15:20 Uhr UTC besprachen die beiden Piloten die Wettersituation an möglichen Ausweichflughäfen auf ihrer Route. So etwas ist ein Standardvorgehen, nicht nur für den Fall, dass wetterbedingt am geplanten Zielflughafen nicht gelandet werden kann, sondern auch falls man aufgrund eines Notfalls zu einem anderen Flughafen ausweichen muss.Thematisiert wurde das Wetter an den Flughäfen Graz, Bratislava/Pressburg (SK), Brünn/Brno (CZ) und Linz. In Graz rechnete die Crew mit Gewitterwolken, in der Fachsprache der Piloten als "CB's" bezeichnet. Das steht für Cumulonimbus.
Kontakt mit Flugsicherung Wien, Beginn des Sinkfluges auf die Hauptstadt
Vier Minuten danach - 15:24 Uhr UTC - wechselte die Erste Offizierin auf der Funkfrequenz des Area Control Center (ACC) Wien. Zwei Minuten später befand sich die OE-LBM etwa 16 nautische Meilen - das entspricht gut 30 Kilometern - südwestlich von Graz und begann ihren Sinkflug auf Wien. In der Fachsprache nennt man das "Top of Descent". Im Zwischenbericht der SUB wird für diesen Zeitpunkt folgende Konfiguration des Wetterradars beschrieben: "Das Wetterradar war zu diesem Zeitpunkt wie folgt konfiguriert: Betriebsmodus WX/TURB, Predictive Windshear Modus AUTO, das Radarbild wurde auf beide Navigation Displays übertragen. Die Einstellungen von GAIN und TILT werden weder am FDR noch am QAR aufgezeichnet und sind somit nur durch Aussagen der Besatzung rekonstruierbar. Gleiches gilt für die Einstellung der Helligkeit (Brightness) des Radarbildes auf den Bildschirmen. CM2 gab an, dass das Wetterradar nach der Kursänderung bei Bologna wie folgt konfiguriert war: Range am CM2 (F/O) Navigationsdisplay: 160 nm (gemäß FDR, 80 nm ab 15:26:00), GAIN: AUTO, TILT: -0,75 für eine Reichweite von ca. 80 nm. Range am CM1 (CAPT) Navigationsdisplay: 160 nm."
Zur Funktionsweise des Wetterradars schreibt der Hersteller Honeywell im "User’s Manual with Radar Operating Guidelines" unter dem Punkt "Section 3 Radar Operating Guidelines" unter anderem: “IN-FLIGHT OPERATING TIPS Radar Target Reflectivity Weather radar’s primary role is to detect droplets of precipitation which are generally associated with areas of turbulence and severe weather. Radar detects rain drops and wet hail, not clouds, fog, snow or ice. Because of their obvious mass, mountains and other large terrain features are also excellent reflectors of radar energy and provide strong radar echoes. Large wet hail is an excellent reflector of radar waves because it appears as large water droplets. Small dry hail and ice crystals are poor reflectors of radar energy.”
Die SUB fasst das auf Deutsch wie folgt zusammen: "Das bedeutet, dass das Wetterradar prinzipiell sehr gut geeignet ist, Wassertropfen, nassen Hagel und Gelände bzw. Berge zu detektieren. Schlecht oder gar nicht erkennbar sind hingegen kleine, trockene Hagelkörner, also Hagelzellen ohne größeren Wasseranteil."
Das bedeutet nichts anderes als dass es trotz modernster Technik für Piloten in manchen Fällen schlichtweg nicht möglich ist, Hagel auf dem Weterradar zu erkennen.
Keine Anzeichen auf Hagel oder Gewitter
Laut Besatzung lagen über den Alpen "diffuse und geschlossene Wolkendecken", auf ihren Navigationsdisplays habe die Besatzung "keine Anzeigen" gehabt, "die auf Gewitter- oder Hagelaktivitäten hinwiesen". In einigen Medienberichten war zuvor thematisiert wurden, dass andere Flüge Gewittern ausgewichen seien. Diese Aussage an sich ist grundsätzlich richtig, bildet die Gesamtsituation allerdings nur unvollständig ab, da sich diese Flugzeuge offenbar nicht in unmittelbarer Umgebung der AUA-Maschine befanden. Im Zwischenbericht der SUB heißt es dazu: "Am CVR (Cockpit Voice Recorder, Anmerkung des Autors) sind Funksprüche von 3 Luftfahrzeugen im Fluginformationsgebiet (FIR) Ljubljana zwischen 15:13 und 15:20 Uhr sowie von einem Luftfahrzeug in der FIR Wien um 15:31 Uhr wahrzunehmen, bei denen Kursänderungen angefordert und freigegeben wurden. Anzumerken ist, dass jene 3 Luftfahrzeuge, welche sich in der FIR Ljubljana befanden, anderen Gewitterbereichen ausgewichen waren."
Mit Beginn des Sinkfluges auf Wien um 15:24 Uhr UTC stellte sich die Besatzung auf einen Anflug auf Piste 11 des Flughafens Wien ein. Das obligatorische Briefing war unauffällig-professionell, wie der Zwischenbericht bescheinigt: "In der Folge wurde das Anflugverfahren via LAPNA und BALAD, gefolgt von ILS 11 und das Verfahren bei einem Abbruch des Landeanflugs bzw. der Landung besprochen. Zudem wurde die Anflug- bzw. Landekonfiguration besprochen („Autopilot und Autothrust OFF, Flaps 3 [unverständlich] Autobrake Low“)."
Um 15:26 Uhr UTC übergab der Kommandant formal die Führung des Luftfahrtzeuges an seine Erste Offizierin, die damit jetzt für den Funkverkehr und die Steuerung verantwortlich war. Der Grund war, dass der Kapitän eine Ansage an die Passagiere über den aktuellen und den weiteren Flugverlauf durchführte. Auch dies war reine Routine. Zwei Minuten später - um 15:28 Uhr UTC - besprach der Kapitän mit seiner Kollegin, dass er das Cockpit noch für einen Toilettenbesuch verlassen würde. Das Flugzeug befand sich zu diesem Zeitpunkt in deutlich mehr als 22.000 Fuß Höhe (mehr als 6.700 Meter), wodurch der Toilettenbesuch eines Piloten voll und ganz in Übereinstimmung mit den gesetzlichen und innerbetrieblichen Vorschriften der Austrian Airlines erfolgte - mehr dazu auch in meinem Hintergrundbericht "Es gibt kein Toilettenverbot für Piloten" vom 23. März 2025. Bevor der Kapitän das Flugdeck verließ fand - wie vorgeschrieben - ein Übergabe-Briefing statt, bei dem beide Piloten auch ihre Navigationsanzeigen überprüften und bei dem das Wetterradar "unauffällig" gewesen sei, wie es im Zwischenbericht der SUB heißt.
Einflug in den Hagel, zahlreiche Systemausfälle
Um etwa 15:30 Uhr UTC flog OS 434 etwa 9 nautische Meilen (ca. 17 Kilometer) südwestlich von Hartberg (Steiermark) auf Flugfläche 227 / 22.700 Fuß im Sinkflug. Während dieses Sinkfluges flog die OE-LBM um 15:31 Uhr UTC in eine Gewitterzelle mit starker Hagelaktivität ein. Der SUB-Zwischenbericht vermerkt dazu: "Zwischen 15:31:05 und 15:31:45 Uhr traten dabei mäßige Turbulenzen mit Spitzenwerten bis 1,75 g vertikal auf. Am CVR sind ab 15:31:10 Uhr für etwa 10 Sekunden, und nochmal um 15:31:28 Uhr für etwa 15 Sekunden Geräusche aufgezeichnet, welche dem Auftreffen von Hagel auf der Windschutzscheibe entsprechen."
Die zu diesem Zeitpunkt allein im Cockpit befindliche Erste Offizierin reagierte sofort und meldete um 15:31:38 Uhr UTC die Situation außerdem per Funk an Wien Radar: "We hav ah heavy hail" - "Wir haben, ah starken Hagel". Auf dem Wetterradar wurde laut Aussagen der Co-Pilotin weiterhin nichts angezeigt. Sekunden später, um 15:31:47 Uhr UTC traten plötzlich abweichende Geschwindigkeitsanzeigen und diverse Fehlermeldungen auf. Um 15:32:22 Uhr wurde dadurch ein "Master Warning" Alarm ausgelöst und Autopilot 1, Flight Director 1, Flight Director 2 sowie Autothrust (das ist die automatische Schubkontrolle) fielen aus.

Dies ist auch anhand der Aufzeichnung des CVR bestätigbar. Die Flugsteuerung (F/CTL) wechselte zudem automatisch in den Alternate Law. Das bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt gewisse automatische Schutzsysteme des Flugzeuges nicht mehr funktionsfähig waren. Dies ist an sich kein Problem, denn gut trainierte und qualifizierte Piloten haben gelernt, Flugbereiche, in denen diese Schutzsysteme eingreifen müssten, grundsätzlich zu vermeiden. Auch die "Master Caution" Warnung löste mehrfach aus.

Wetterradar durch Hagelabwehr gestört?
Warum die Gewitterzelle mit Hagelaktivität auf dem Wetterradar im Cockpit von OS 434 nicht angezeigt wurde, ist noch Gegenstand von Ermittlungen. Nachgewiesen ist, dass im fraglichen Zeitraum auch die sogenannte "Hagelabwehr" aktiv war, welche Gewitterzellen mit Silberjodid "impft", um ein Abregnen zu vermeiden. Die SUB schreibt dazu in ihrem Zwischenbericht: "Inwiefern das im Zuge der Hagelabwehr in die Gewitterzelle eingebrachte Silberjodid Einfluss auf die für das Wetterradar relevante Reflektionsfähigkeit der Hagelzelle hatte, ist noch Gegenstand weiterer Untersuchungen."
Kapitän kehrt zurück - Luftnotlage deklariert.
Um 15:33 Uhr UTC öffnete die Erste Offizierin - die angesichts der vielen Fehlermeldungen und Systemausfälle alle Hände voll zu tun und die Situation souverän gemeistert hatte - dem Kapitän die Tür, als dieser gerade mit Hilfe des Notfallprozderes ins Cockpit eintreten wollte. Berichte, wonach die Co-Pilotin die Türe nicht geöffnet habe, sind demnach unzutreffend. Abermals folgte in professioneller Manier ein Übergabe-Briefing, bei dem die Co-Pilotin den zurückgekehrten Piloten auf dessen Nachfrage hin erklärte, was geschehen sei. Der Kapitän übernahm die Kontrolle über das nunmehr manuell geflogene Luftfahrtzeug. Aus dem SUB-Zwischenbericht: "Um 15:33:44 Uhr wurde dementsprechend eine Eingabe am Sidestick des CM1 aufgezeichnet." Mit der Übernahme der Steuerung durch den Kommandanten fungierte die Co-Pilotin wieder als Pilot Monitoring. Der Kapitän wies seine Kollegin an, eine Luftnotlage zu erklären, was diese um 15:33:21 Uhr UTC via Funk gegenüber "Wien Radar" tat. Was genau die Erklärung einer Luftnotlage ganz allgemein bedeutet und warum sie auch ohne dass eine unmittelbar akute Gefahr besteht, erklärt werden kann, erfährt man unter anderem an dieser Stelle.
15 Sekunden später - um 15:33:36 Uhr UTC ordnete der Kapitän an, "wie gebrieft" mit der Situation umzugehen und stellte zusammenfassend fest, dass Autopilot, Autothrust und Flight Director ausgefallen waren. Durch diese versierte Form der Kommunikation stellte der erfahrene Pilot sicher, dass alle beiden Crewmitglieder im Cockpit den gleichen Informationsstand und das Gesamtbild der Situation erfasst hatten. Wenig später fragte die Flugsicherung in Wien nach, ob Piste 11 für die Besatzung in Ordnung sei, was von der Crew bestätigt wurde. Schließlich flog das Flugzeug aerodynamisch stabil, die Situation war zwar herausfordernd aber absolut unter Kontrolle.
Gute Kommunikation, Checklisten und Kontrollen vor der Landung
Aufgrund der aufgetretenen Systemausfälle und Beschädigungen musste die Besatzung eine Vielzahl von Checklisten abarbeiten. Auch hier zeigt sich die fachmännische Vorgehensweise der Crew, wie dem am 31. März 2025 veröffentlichten zweiten SUB-Zwischenbericht zu entnehmen ist: "Es folgten Elemente der NAV ADR DISAGREE, der UNRELIABLE SPEED INDICATION und der AUTO FLT RUD TRV LIM SYS Checklisten."



Der Kapitän stellte im Zuge der Kommunikation im Cockpit fest, dass seiner Einschätzung nach ausschließlich die äußere Schicht der Cockpitscheibe beschädigt war. Höhe und Geschwindigkeit (die Anzeigen waren unzuverlässig) wurden mittels GPS-Daten einem Crosscheck unterzogen.
Um 15:35:19 Uhr UTC fragte die Flugverkehrskontrolle nach, ob die Besatzung weitere Hilfe benötige, was seitens der Crew von OS 434 verneint wurde, da die Situation stabilisiert war. Der Lotse am Boden bestätigte nochmals Piste 11 als vorgesehene Landebahn für die OS 434 und informierte die Piloten darüber, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt noch etwa 45 nautische Meilen (etwa 85 Kilometer) von der Landebahn entfernt befanden.
Danach arbeiteten Piloten Punkt für die Punkt weitere Checklisten ab, namentlich die AUTO FLT RUD TRV LIM 2, die ANTI ICE L + R WINDSHIELD und die F/CTL ALTN LAW.

Unzuverlässige Geschwindigkeitsanzeigen, wichtige Systeme nicht oder nur eingeschränkt verfügbar
Die Flugsicherung wies die Besatzung von OS 434 daraufhin, dass sich der A320 wieder im Steigflug befand. Seitens der Crew (den Funkverkehr führte die Co-Pilotin) wurde das unter Hinweis auf Probleme mit der Geschwindigkeitsanzeige "unrleiable airspeed" bestätigt.
Zum Flugverlauf der kommenden Minuten stellte die SUB nach Auswertung des Flugdatenschreibers und des Stimmenrekorders fest: "Um 15:36:38 Uhr wurde das Luftfahrzeug durch ATC auf eine eigene, isolierte Frequenz übergeben. Danach wurde besprochen, dass die Kabine noch zu informieren und auf die Landung vorzubereiten sei. Die Besatzung besprach zudem, dass ein Mayday Call abgegeben wurde und prüfte nochmal GPS Geschwindigkeit (Ground Speed und True Airspeed) und Höhe. CM1 ordnete an, dass CM2 vorsorglich die Maske aufsetzen solle, und danach die Kontrolle über das Luftfahrzeug nochmal übergeben werde. Um ca. 15:37 Uhr wurde durch ATC angeboten, dass auch eine Landung auf Piste 16 möglich wäre. CM1 antwortete, dass Piste 11 in Ordnung sei. Um ca. 15:38 Uhr wurde der Sinkflug zunächst weiter fortgesetzt. Zwischen 15:40 und 15:41 Uhr setzte CM1 nach kurzem Horizontalfug den Sinkflug mit Leerlauf (IDLE) der Triebwerke und -1° Pitchwinkel fort."
Danach besprachen die beiden Piloten "Elemente verschiedener Checklisten" sowie den Status "verschiedener Luftfahrzeugsysteme". Dabei wiesen sie unter anderem auf folgende Systeme als ausgefallen hin:
- Flight Control Protection
- Rudder Travel Limiter
- Windshield Heat
- Autopilot 1 und 2
- Autothrust
- CAT 2
Im Zuge dieses umfassenden und sorgfältigen Briefings wurde auch nochmals darauf hingewiesen, dass die Flugsteuerung lediglich im "Alternate Law" beziehungsweise "Direct Law" nach Ausfahren des Fahrwerks zur Verfügung stand.
Um 15:39:01 Uhr UTC übergab der Kapitän abermals die Steuerung des Flugzeuges an seine Kollegin und antwortete wenige Sekunden später auf eine Anfrage der Kabinenbesatzung, die den Zwischenfall natürlich ebenfalls mitbekommen hatte und sich nach dem Status der Piloten erkundigte. Dabei erklärte der Kapitän der anfragenden Flugbegleiterin, dass die Scheibe gebrochen wäre und man eine Luftnotlage erklärt habe. Die Kabine sei für eine "normale Landung" vorzubereiten. Anschließend - etwa um 15:39:39 Uhr UTC (17:39:39 Uhr Lokalzeit Wien) setzte auch der Kommandant seine Sauerstoffmaske als reine Vorsichtsmaßnahme auf. Auch dies ein weiterer Beleg dafür für die souveräne von einem hohen Trainingsstandard gekennzeichnete Arbeitsweise der Piloten.
Weiterer Sinkflug und Approach Briefing
Um 15:40:25 Uhr UTC forderte OS 434 einen weiteren Sinkflug an und wurde bis auf eine Höhe von 10.000 Fuß (knapp 3.000 Meter) freigegeben. Ab dieser Flughöhe gilt grundsätzlich die "Sterile Flight Deck Rule“, ab der ausschließlich das Notwendigste und nur dienstliche Belange gesprochen werden darf. Allgemein gültige Details zu diesem Thema (und vielen weiteren Aspekten des Flugbetriebes) siehe auch hier. Aufgrund der Beschädigungen und Systemausfälle zogen die Piloten für die Fluggeschwindigkeit die Tabelle der UNRELIABLE SPEED INDICATION Checkliste heran.
Um 15:42:06 Uhr UTC gab die Flugsicherung den havarierten Airbus zum Sinkflug auf 5.000 Fuß frei. Beide Piloten glichen die angezeigten Höhen mit den GPS-Daten ab Laut SUB-Bericht besprachen sie "in weiterer Folge den Status ihrer Briefings, die Landerichtung sowie die Verständlichkeit über die Maske von CM2. CM1 ersuchte um Durchführung der APPROACH Checkliste und um Einschalten der Lichter".
Etwa zwei Minuten später wies der Lotse am Boden die OS 434 an, auf Kurs 240 zu gehen und fragte wegen der bevorstehenden Landung außerdem an, ob sich gefährliche Güter, sogenannte "Dangerous Goods" an Bord befänden, was von der Besatzung verneint wurde. Zusätzlich erkundigte sich der Lotse nach der Anzahl der an Bord befindlichen Personen - eine Routinemaßnahme in solchen Fällen. Die Co-Pilotin übermittelte die gewünschte Zahl und gab auch zusätzlich die sich noch in den Tanks befindliche Kraftstoffmenge an. Danach, um 15:45:04 Uhr UTC, meldete die Erste Offizierin: „Approach Checklist Complete“.
Hohe Arbeitsbelastung im Cockpit
Eine weitere Kursänderung wurde von der Flugsicherung um 15:45:42 Uhr UTC angeordnet. Im Anschluss daran besprachen beide Piloten erneut den Status der Situation und informierten die Kabinenbesatzung. Es war eine grundsätzlich lehrbuchmäßige Kommunikation, die innerhalb der Piloten unter Einbindung der Flugbegleiter stattfand.
In der Folge besprachen die Piloten ihre Anflugkonfiguration gemäß der UNRELIABLE SPEED INDICATION Checkliste.Demnach blieben die Landeklappen auf 0 Grad, die Nase wurde um 5,5 Grad angehoben und die Schubleistung der beiden einwandfrei funktionierenden Triebwerke auf 56 Prozent gesetzt. Die SUB vermerkt dazu: "Das entspräche dem Wert der Tabelle INITIAL / INTERMEDIATE APPROCH der UNRELIABLE SPEED INDICATION Checkliste".
Knappe 3 Minuten später flog die Maschine auf Anweisung der Flugverkehrskontrolle eine Linkskurve mit Steuerkurs (Heading) 140 und erhielt die Freigabe für den ILS-Anflug auf Piste 11 des Wiener Flughafens. Als Pilot Monitoring meldete die Erste Offizierin ihrem fliegenden Kapitän, sobald das "Glideslope-Signal" erfasst war, welches die Maschine vertikal direkt zum Aufsetzpunkt heranführte.
Um 15:49:55 Uhr UTC fuhren die Piloten die Vorflügel (Slats) und Landeklappen (Flaps) in einer Höhe von etwa 5.000 Fuß auf Position 1 aus, woraufhin 8 Sekunden später für 2 Sekunden die "Master Warning" in Kombination mit einer "Stall Warning" ausgelöst wurde. Diese Warnung besagte, laienhaft ausgedrückt, dass der Airbus zu langsam flog und sich der kritischen Geschwindigkeit für einen Strömungsabriss ("Stall") näherte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Maschine mit auf Leerlauf drehenden Turbinen mit 18 Grad Querneigung im Kurvenflug, der Anstellwinkel lag bei circa 8,3 Grad. Als - wiederum lehrbuchmäßige - Reaktion auf diese Warnung verringerte die Besatzung die Quer- sowie Längsneigung und erhöhte gleichzeitig den Schub.
Weil die Werte auf den verschiedenen Geschwindigkeitsanzeigen im Cockpit während des Anfluges um 20 bis 30 Knoten (ca. 37 bis 55 Stundenkilometer) divergierten, glichen die Piloten die Werte zusätzlich mit den Daten aus dem GPS-System ab um eine Einschätzung der tatsächlichen Geschwindigkeit zu erhalten. Wegen der vom Hagel verursachten Schäden war eine automatische Landung ("Autoland") unmöglich. Der Kapitän führte deshalb einen manuellen Instrumentenlandeanflug durch. Ein Manöver, das zwar dank des hohen Grades an Automatisierung im Cockpit nicht mehr alltäglich ist, das aber dennoch jeder professionelle Berufspilot sprichwörtlich "im Schlaf" beherrschen muss. Die Konfiguration des Flugzeuges und der Anstellwinkel wurden weiterhin anhand der UNRELIABLE SPEED INDICATION Checkliste bestimmt.
Endanflug und Landung "ohne besondere Vorkommnisse"
Um 15:50:45 Uhr UTC (17:50:45 Uhr Lokalzeit) fuhren die Piloten das Fahrwerk aus. Dadurch wechselte das Computersystem vom "Alternate Law" in den "Direct Law" Modus, wodurch jetzt überhaupt keiner automatische Schutzmechanismen der Bordelektronik mehr zur Verfügung standen. Doch wie schon erwähnt - jeder professionelle Pilot ist darauf trainiert, niemals in jene (aerodynamischen) Grenzbereiche zu kommen, in denen diese im Regelbetrieb ("Normal Law" Modus) vorhandenen Schutzsysteme überhaupt eingreifen müssen. Außerdem waren sich beide Piloten durch die gute Kommunikation im Cockpit sowie die vorangegangenen Briefings völlig über die Situation im Klaren und daher besonders aufmerksam. Der Landeanflug konnte somit völlig sicher durchgeführt werden. Beim weiteren Ausfahren der Vorflügel/Klappen ertönte erneut eine "Master Warning". Die SUB erklärt das in ihrem heute veröffentlichten Zwischenbericht wie folgt: "Dies steht im Zusammenhang mit einer VFE Overspeed Warning, welche mit den falschen Geschwindigkeitsdaten der ADR konsistent ist."
Weiters heißt es zum Landeanflug dort: "Um 15:51:43 Uhr wurde durch ATC nachgefragt, ob die Landebahn in Sicht sei, was von CM2, nach Anweisung durch CM1, bestätigt wurde. CM1 hatte nach eigenen Angaben bei der Befragung trotz gebrochener Windschutzscheibe an mehreren kleineren Stellen Sicht nach außen. Um 15:52:15 Uhr wurde durch ATC der Visual Approach Runway 11 freigegeben."
Um 15:52:30 Uhr UTC bat der Kapitän seine Kollegin um die LANDING Checkliste, 4 Sekunden später erhielt OS 434 die Landefreigabe. Um 15:53:57 UTC übermittelte der Towerlotse noch folgende Windinformation an die Besatzung:"Variable between 110 Degrees and 170 Degrees 9 Knots".
Obwohl so kurz vor der Landung in niedriger Flughöhe die Gefahr, dass jetzt noch eine Windschutzscheibe vollständig bersten würde, ausgesprochen gering war, sagte der Kapitän zur Co-Pilotin, dass diese sofort automatisch die Kontrolle übernehmen sollte, für den Fall, dass seine Scheibe doch noch springen sollte - ein weiteres Beispiel für lehrbuchmäßiges Crew Resource Management (CRM) und Führungsqualität im Cockpit.
Um 15:55:15 Uhr UTC - 17:55:15 Uhr Lokalzeit - setzte die schwer beschädigte OE-LBM sicher auf der Piste 11 des Flughafens Wien Schwechat auf.
Conclusio:
Zusammenfassend kann durchaus festgehalten werden, dass zwar nach wie vor unklar ist, weshalb die Hagelfront von der Besatzung auf dem Wetterradar nicht rechtzeitig vor Einflug in das Unwetter wahrgenommen wurde (ein technisches Problem mit dem Wetterradar konnte bisher nicht ausgeschlossen werden), dass die Reaktion der Ersten Offizierin auf den Vorfall und später auch die Arbeit als Team im Cockpit - zumindest nach dem bisherigen Stand der Erkenntnisse - von höchster Professionalität gekennzeichnet war. Die mit der Flugsicherung gemeinsam getroffene Auswahl der Piste 11 für die Landung erscheint ebenfalls plausibel und auch vom Aspekt der Flugsicherheit sprachen keine Punkte gegen diese Entscheidung. Schließlich waren beide Triebwerke voll funktionsfähig und der Airbus aerodynamisch stabil. Entgegen vereinzelt anderslautender Behauptungen im Internet war der Toilettenbesuch des Kapitäns in einer Flughöhe von mehr als 20.000 Fuß nach erfolgtem Übergabe-Briefing kein Verstoß gegen die geltenden Regel und auch nicht unüblich. Es ist gängige Praxis, dass Piloten relativ zu Beginn des Sinkfluges - also kurz nach Verlassen der Reiseflughöhe - noch einmal das WC aufsuchen.
Vor Veröffentlichung eines Abschlussberichtes sind allerdings noch einige Punkte offen.
Dazu schreibt die SUB in ihrem Zwischenbericht vom 31. März 2025:
"Insbesondere die folgenden Teilaspekte sind näher zu untersuchen:
- Wetter: Derzeit liegen noch nicht ausreichend Informationen vor, inwieweit das durch die Hagelabwehr in die Gewitterzelle eingebrachte Silberjodid auf die, für das konkrete Wetterradarmodell relevante, Reflektionsfähigkeit der Hagelzelle Einfluss hatte. Für eine Bewertung meteorologischer Einflussfaktoren auf die Funktion des Bordradargerätes ist eine detailliertere Analyse der durchflogenen Gewitterzelle und deren Umgebung mithilfe externer Expertise erforderlich.
- Technische Untersuchung Wetterradar: Die Komponenten des Wetterradars werden, soweit möglich, technisch auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft. Hierbei soll geklärt werden, ob die Tatsache, dass im gegenständlichen Fall eine ältere Generation Wetterradar in Verwendung war, Einfluss auf die Detektion der Hagelzelle hatte. Auch der Einfluss der vor dem Einflug in die Hagelzelle gewählten Einstellung von TILT, GAIN, RANGE oder Displayhelligkeit ist noch zu untersuchen.
-
Flugbetrieb und Verfahren: Eine detaillierte Betrachtung und Analyse der Abläufe und des CRMs im Cockpit, der Handhabung des Wetterradars, der Flugvorbereitung sowie der Verfahren des Luftfahrzeugbetreibers sind erforderlich.
-
Gesamtauswertung: Im nächsten Schritt kann die Befragung von beteiligten Personen durchgeführt werden. Die Gesamtauswertung des Vorfalls kann erfolgen, sobald obige Informationen eingeholt und analysiert wurden."
Wann diese Untersuchungen abgeschlossen sind und folglich mit der Veröffentlichung des Abschlussberichtes gerechnet werden kann, ist noch nicht bekannt. Die internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO empfiehlt die Veröffentlichung eines solchen Berichts nach spätestens 12 Monaten.

Text & Fotos (sofern nicht anders angegeben): Patrick Huber
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.