Der nachfolgende Text stammt aus meinem Sachbuch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen" und wird hier in leicht gekürzter Fassung und ohne Fotos anlässlich des 10. Jahrestages der Tragödie von Germanwings Flug 9525 veröffentlicht.
Nach einer Katastrophe wie dieser ist der Wunsch der Hinterbliebenen nach einem Ort, an dem sie ihrer so tragisch aus dem Leben geschiedenen Lieben gedenken können, groß. Im Fall von Germanwings Flug 9525 ereignete sich der Absturz in Frankreich, der größte Teil der Opfer (72) stammte jedoch aus Deutschland. Davon wiederum waren 16 Teenager und 2 Lehrerinnen aus der kleinen Stadt Haltern am See (heute 39.000 Einwohner). Es war daher naheliegend, eine gemeinsame Gedenkstätte für alle Toten in Frankreich sowie zusätzlich weitere Einrichtungen in Deutschland zu schaffen. Durch die gewaltige Wucht des Aufpralls war nicht nur der A320 regelrecht pulverisiert worden, sondern auch die Insassen.
Man muss es leider so direkt sagen. Im Wesentlichen mussten die Einsatzkräfte an der Unglücksstelle unter den Trümmern zigtausende Leichenteile als solche erkennen, markieren und schließlich bergen. Entsprechend aufwendig war auch die Identifizierung der sterblichen Überreste mittels DNA-Abgleich. Das dauerte rund zwei Monate. Doch erst einige weitere Wochen später, Anfang Juni 2015, brachte eine MD-11F der Lufthansa Cargo die ersten sterblichen Überreste von identifizierten deutschen Opfern nach Köln. Auch die Särge der anderen Toten wurden in diesem Zeitraum in ihre Heimatländer überführt. Bereits am 17. April 2015 hatte im Kölner Dom eine große Trauerfeier zu Ehren der Getöteten stattgefunden, zu der sich unter anderem Lufthansa-Chef Carsten Spohr, Germanwings-Geschäftsführer Thomas Winkelmann, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident des deutschen Bundestages, Norbert Lammert, einfanden.
Schon vor Beginn dieser Gedenkveranstaltung hatten tausende Menschen vor dem Dom Blumen und Kerzen niedergelegt um ihre Anteilnahme auszudrücken. Im Dom selbst wurden 150 Kerzen entzündet, man gedachte auch des Verantwortlichen des Absturzes ‒ sehr zum Missfallen vieler Menschen. Etwa drei Monate danach, am 24. Juli 2015, fand im französischen Le Vernet nahe der Absturzstelle eine weitere Gedenkfeier statt. Dabei ließen mehr als 300 Hinterbliebene der Toten 149 weiße Luftballons in den Himmel steigen ‒ einen für jedes unschuldige Opfer dieser Tragödie. Es war eine bewusste Entscheidung der Opfergemeinschaft, diesmal nicht an den Täter zu erinnern. Während des Festgottesdienstes betete der Erzbischof von Digne mit einem protestantischen Pastor,
einem Rabbi und einem Imam gemeinsam für die Menschen, die auf Flug Germanwings 9525 ums Leben gekommen waren. „Wir sind hier, um Abschied zu nehmen“, erklärte Erzbischof Jean-Philippe Nault anlässlich der Zeremonie. Nur wenige hundert Meter vom
Ort der Gedenkfeier entfernt, auf dem Friedhof von Le Vernet, wurden in einem Gemeinschaftsgrab tausende sterbliche Überreste, die trotz DNA-Analysen keinem der Opfer einwandfrei zugeordnet werden konnten, bestattet. Neben diesem Gemeinschaftsgrab, auf dem die Namen der Opfer verzeichnet sind, gibt es in Le Vernet auch einen weiteren Gedenkstein. Er trägt auf Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch die Inschrift: „In Erinnerung an die Opfer des Flugzeugunglücks vom 24. März 2015“.
Am 30. September 2015 wurde vor der Zentrale der Germanwings in der Nähe des Kölner Flughafens eine Gedenktafel zu Ehren der beim Absturz ums Leben gekommenen Passagiere und Besatzungsmitglieder enthüllt. An dem Festakt nahmen rund 400 Mitarbeiter der Airline sowie Familienangehörige der getöteten Besatzungsmitglieder teil ‒ mit Ausnahme der Familie Lubitz allerdings. Auf dem Flughafen Düsseldorf, wo Flug 4U 9525 niemals ankam, wurde am 1. Jahrestag des Unglücks im „Raum der Stille“ eine Gedenkinschrift auf einer 2,80 Meter hohen Platte aus Vulkantuff feierlich enthüllt. Dort steht, ebenfalls auf Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch: „In Gedenken an die Opfer des Fluges 4U 9525 vom 24. März 2015“. Auf einer weiteren Platte finden sich die Inschriften „Stärker als der Tod ist die Liebe“ sowie „Barcelona, Düsseldorf und Le Vernet“.
In der Gemeinde Haltern am See, die 16 Schüler und 2 weibliche Lehrkräfte verloren hatte, existieren gleich mehreren Gedenkstätten. Seit 1972 besteht außerdem eine Städtepartnerschaft mit der österreichischen Gemeinde St. Veit an der Glan (Kärnten). Von dort kamen unmittelbar nach dem Absturz Beileidsbekundungen. Im Eingangsbereich des nach dem Begründer der deutsche Lebensmittelchemie, Joseph König (1843-1930), benannten Gymnasiums hängen Bilder der Verstorbenen und ein Klassenraum des Schulgebäudes wurde dauerhaft als Gedenkraum eingerichtet. Außerdem befindet sich beim Aufgang zum Portal des Gymnasiums eine Gedenkstätte, die aus einer Blumenwiese und 18 Kirschbäumen besteht. Zusätzlich finden sich dort eine Gedenktafel mit den Namen der 18 Opfer sowie eine Stele mit einer Kerze, die immer brennt.
Auf dem örtlichen Friedhof wurde ein weiterer Ort des Gedenkens für die 16 Schüler und 2 Lehrerinnen erschaffen. 18 Apfelbäume und ein Gedenkstein symbolisieren ein Klassenzimmer. Auf dem Granitblock sind die Namen der Verstorbenen, eine schwarze
Trauerschleife mit der Flugnummer 4U 9525 sowie ein Kreuz eingraviert. Gleich daneben liegen die Gräber von fünf der 16 Schüler. Ihre Eltern hatten sich dazu entschieden sie gemeinsam zu beerdigen, da sie auch gemeinsam gestorben waren. Der Direktor des
Gymnasiums, Ulrich Wessel, erhielt im Dezember 2016 vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz für sein Krisenmanagement nach der Katastrophe. Außerdem war es der im Sommer 2024 in den verdienten Ruhestand getretene Wessel, der die Errichtung der Gedenkstätten an der Schule und auf dem Friedhof maßgeblich mitinitiiert hatte.
Vor dem Terminal des Flughafens Barcelona El Prat, von wo aus der Unglücksflug 4U 9525 gestartet war, wurde eine Gedenktafel für die Opfer angebracht. Die Enthüllung fand am 23. März 2016 im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in Anwesenheit von Familienmitgliedern der Toten, Ersthelfern und lokalen Politikern statt. Am 24. März 2017, dem zweiten Jahrestag des Unfalls, wurde in der Gemeinde Le Vernet, die sich in der Nähe der Unfallstelle befindet, eine Skulptur des Bildhauers Jürgen Batscheider präsentiert. Im September des gleichen Jahres wurde sie direkt an der Unfallstelle aufgestellt. Die Gedenkskulptur ist eine Kugel von fünf Metern Durchmesser, die an ihrer Außenfläche aus 149 vergoldeten Aluminium-Elementen besteht. In ihrem Inneren befindet sich ein Edelstahl-Zylinder, der Holzkugeln beherbergt, in denen Erinnerungsstücke an die Opfer aufbewahrt werden. Die Bürger von Prads, in deren Gemeinde der Absturzort in den Bergen liegt, engagierten sich ebenfalls für das Gedenken. Sie beauftragten einen Künstler aus der Region mit der Gestaltung einer Erinnerungsstätte. Die am Rande des Rundwanderweges „Chemin de l’instituteur“ zwischen Saume longe und Pié Fourcha im Sommer 2015 aufgestellte Skulptur besteht aus 149 eisernen Stäben, die gen Himmel gerichtet sind.
Daneben gibt es sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern noch eine Reihe weiterer privater Projekte oder Gedenkstätten, mit denen das Andenken an die Opfer aufrecht erhalten wird. So gründete die Mutter von Lea Drüppel zur Erinnerung an Ihre Tochter das Lea-Drüppel-Theater in Haltern am See und die Witwe von Flugkapitän Patrick Sondenheimer rief eine Stiftung ins Leben, die Kindern und Jugendlichen nach traumatischen Verlusten bei der Bewältigung der Trauer helfen soll, um nur zwei Projekte stellvertretend für alle zu nennen. Außerdem ließ sie sich zur Trauerbegleiterin ausbilden. „Patrick war seine Verantwortung immer sehr bewusst, die hat er sehr ernst genommen und er war auch mit Leib und Seele Pilot und Kapitän“, beschrieb Annika Sondenheimer
fünf Jahre nach dem Unglück in einem Interview mit dem „WDR“ ihren verstorbenen Mann, der bis zuletzt versucht hatte, seine Passagiere und sein Flugzeug zu retten.
Sie erhielt im Februar 2024 aus der Hand von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst einen Landesverdienstorden für ihr Engagement in der Trauerarbeit. Wüst: „Ich bewundere Ihre Kraft, Kindern dabei zu helfen, ihre Trauer zu verarbeiten und zu
bewältigen.“ Gedacht wird der Menschen aber auch außerhalb Deutschlands und Frankreichs. In Spanien gibt es beispielsweise an einem kommunalen Gebäude eine Gedenktafel für Marta Lopez Izquierdo. Auch die Schüler und Lehrer jener Schule in Llinars, 40 Kilometer von Barcelona entfernt, an der die Gymnasiasten aus Haltern zuvor im Rahmen des Austauschprogrammes zu Gast waren, trauerten. Dorf finden seither ebenfalls regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt. Die spanischen Schüler pflanzten außerdem auf dem Schulgelände 16 japanische Kirschbäume und 2 Zypressen zur Erinnerung an ihre 16 deutschen Schulkameraden und die beiden Lehrerinnen, die so früh aus dem Leben gerissen wurden. Und in etlichen Fällen erinnern Freunde und Hinterbliebene im Internet mit liebevollen Gesten an die Verstorbenen, sei es auf eigens dafür eingerichteten persönlichen Webseiten oder auf speziellen Trauerportalen. Die Eltern des beim Absturz ums Leben gekommenen Besatzungsmitgliedes Ann-Kathrin Püntmann (26) beispielsweise nahmen in ihrer im Netz veröffentlichten und bis heute abrufbaren Traueranzeige Bezug auf den Beruf, den ihre Tochter so sehr liebte. Sie schrieben darin: „Flugbegleiter sterben nicht, sie fliegen nur höher“, daneben ein Flugzeug am strahlend blauen Himmel. Der Radclub „RC-Bergfinder“ wiederum gedenkt auf seiner Homepage der getöteten Halterner Lehrerin Stefanie Tegethoff, deren große Leidenschaft das Mountainbiken war. Lufthansa selbst hat zwei Webseiten zur Erinnerung an die Tragödie und ihre Opfer eingerichtet. Unter dem Link https://4u9525.lufthansagroup.com informiert die Fluglinie auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch über die Katastrophe und die errichteten Gedenkstätten. Auf der zweiten Seite, die unter https://www.indeepsorrow.de erreichbar ist (beide Homepages zuletzt abgerufen am 14. Dezember 2024) können Beileidsbekundungen online geteilt werden.
Roland Fuchs, der als 23-Jähriger beim Flugtagunglück von Ramstein 1988 seine Frau Carmen (21) sowie seine geliebte Tochter Nadine (5) verlor und selbst schwerst verletzt wurde, schrieb zum Thema „Erinnern im Internet“ schon vor gut 20 Jahren auf seiner privaten Webseite www.ramstein-1988.de einmal: „Kann eine Homepage eine Gedenkstätte sein? Ich möchte diese Homepage mit einem Kreuz vergleichen. Einem Kreuz, das tausendfach an unseren Straßenrändern steht. Jedes dieser Kreuze soll an ein Schicksal erinnern. Solch ein Kreuz soll mahnen, aber es soll auch erinnern. Erinnern an eine Frau, einen Mann, an ein Kind … Diese Kreuze stehen jeweils für den Verlust eines geliebten Menschen und für dessen Familie, die um diesen Mensch trauert.“
Unter dieser in so bewegende Worte gekleideten Prämisse sind sicherlich auch die Webseiten für die Toten des Germanwings-Absturzes vom 24. März 2015 zu sehen.
Text: Patrick Huber