Punktlandung

Enttäuschende Sky-Dokumentation zu Germanwings Flug 9525: Viel Raum für Spekulation, kaum Handfestes

A320 von Germanwings, Symbolbild - Foto: GF / Austrian Wings Media Crew

Seit heute ist eine Sky-Produktion zum Thema "Germanwings Flug 9525 verfügbar. Der Titel ist Germanwings – "Was geschah an Bord von Flug 9525? - Germanwings – Was geschah an Bord von Flug 9525?" und suggeriert, dass es zu einem längst vollständig aufgekärten Absturz neue Erkenntnisse gibt - was nicht der Fall ist. Ich hatte mich im Vorfeld bereits mit dem Beitrag beschäftigt. Meine schlimmen Vorahnungen haben sich nun leider bestätigt. Die unbewiesenen und letzten Endes wohl auch unbeweisbaren Spekulationen von Simon Hradecky zum Germanwings-Absturz werden dem Zuseher dort so gut wie ohne Widerspruch serviert. Was nicht in ausreichendem Maße erwähnt wird ist dagegen, dass es für das Gros der gesamten Fachwelt keinen Zweifel an der forensisch unstrittig bewiesenen Verantwortung von Andreas Lubitz für den Absturz gibt und dass die in der Dokumentation von Simon Hradecky und Tim van Beveren vertretenen Ansichten absolute "Außenseitermeinungen" sind, wie es gestern erst die "Stuttgarter Zeitung" formulierte.

Hardfacts
Angesichts des bevorstehenden 10. Jahrestages des Absturzes der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, dürfen wohl den meisten Lesern die Hintergründe klar sein. Für diejenigen, die sie noch nicht kennen hier eine kurze Einordnung - am 24. März 2015 startete der Airbus A320, D-AIPX, von Germanwings in Barcelona mit dem Ziel Düsseldorf. Der A320 kam allerdings nur bis Frankreich weil der psychisch kranke Erste Offizier Andreas Lubitz seinen Kapitän aus dem Cockpit sperrte und dann das Flugzeug vorsätzlich in einen Sinkflug brachte, an dessen Ende die von Andreas Lubitz aufgrund seines Suizidwunsches beabsichtigte Kollision mit dem Berg stand. Es gab keine Überlebenden. Trotz einiger kleinerer Unstimmigkeiten im offiziellen Untersuchungsbericht (solche unbedeutenden Kleinigkeiten kann man in nahezu jedem Unfallbericht finden wenn man will) ist diese Ereigniskette durch forensische Beweise sowie ein umfassendes Konvolut an Indizien und Nachweisen für die Verantwortlichkeit von Andreas Lubitz unstrittig belegt. Das sehen die Ermittler der deutschen BFU, der französischen BEA, der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und im Wesentlichen die gesamte Luftfahrtbranche, inklusive der Pilotenverbände "Vereinigung Cockpit" (VC) und "Austrian Cockpit Association" (ACA) so. Der ACA-Präsident sagte mir in seinem autorisierten Interview für mein Sachbuch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen" dazu unmissverständlich: "Was ich (...) sagen kann ist, dass der Abschlussbericht plausibel ist und es aus unserer Sicht keinen Grund gibt, an den dort gewonnenen und veröffentlichen Erkenntnissen zu zweifeln." Es ergab sich aus den Aufzeichnungen des Stimmenrekorders (CVR), des Flugdatenschreibers (DFDR), den Untersuchungen an der Unfallstelle inkl. DNA-Analysen (wer war zum Absturzzeitpunkt im Cockpit) sowie sämtlicher Rahmenerkenntnisse ein nicht zu widerlegendes Szenario, wonach Andreas Lubitz diese Tat, die von einigen Juristen und Angehörigen der Opfer auch "Massenmord" genannt wird, begangen hat. Soweit die Fakten. Über mein Buch zum Thema - das unter anderem hier sowie unter Angabe der ISBN in jeder österreichischen und deutschen Buchhandlung bestellt werden kann - sagte der österreichische Flugkapitän, Ausbilder, Unfallermittler und langjährige Betriebsleiter des Flughafens Wien, Cpt. Ing. Gerhard Gruber:

Mit viel Mühe hat der Autor alle Details zu dem tragischen Unfall zusammengetragen. Das Buch ist ausschließlich auf unwiderlegbaren Fakten aufgebaut. Wenn man die Wahrheit irgendwo erfährt, dann in diesem Buch. Es ist auch für Luftfahrtlaien leicht zu lesen.

In meinem Buch lege ich harten Fakten vor - als Gegengewicht zu Spekulationen und Verschwörungstheorien. Es entstand in enger Zusammenarbeit mit Piloten sowie Technikern. Außerdem wurde der gesamte Text - inklusive die Kapitel, die sich mit den Verschwörungstheorien befassen - vor Drucklegung von einem A320-Kapitän, der zusätzlich als Diplom Ingenieur über besonders tiefgehende technische Kenntnisse verfügt - einem fachlichen Lektorat unterzogen.

Familie Lubitz leugnet Verantwortung ihres Sohnes
Doch all die in einer der gründlichsten Flugunfalluntersuchungen der vergangenen Jahrzehnte zusammengetragenen werden schon von Anbeginn an von der Familie Lubitz nicht anerkannt. Sie beauftragte mit Tim van Beveren einen privaten Gutachter, der am 2. Jahrestag der Katastrophe ein Gutachten vorlegte, das vom größten Teil der Fachwelt ebenfalls abgelehnt wird, weil es inhaltlich in weiten Teilen nicht schlüssig erscheint, von unplausiblen Annahmen, etc ... ausgeht. In die gleiche Kerbe, vom "möglicherweise nicht für den Crash verantwortlichen Andreas Lubitz", schlägt auch Simon Hradecky, der Betreiber des Aviation Herald, einer durchaus angesehenen Webseite zum Thema Flugunfällen. Simon Hradecky und Tim van Beveren sind seit Jahren in der gesamten Branche so ziemlich die einzigen die immer wieder versuchen, nachzuweisen, was nicht nachzuweisen ist, nämlich dass Andreas Lubitz (möglicherweise) den Absturz nicht herbeigeführt habe. Das ist in etwa so als würde man beweisen wollen, dass die Erde doch keine Kugel sei. Es geht einfach nicht.

Simon Hradecky versuchte die vergangenen Jahre immer wieder verschiedene Journalisten, Filmemacher, etc ... von seinen absolut kruden Thesen zu überzeugen. Er ist ziemlich oft abgeblitzt, auch bei mir und mehreren großen deutschen Medien. Das weiß ich aus erster Hand, unter anderem deshalb weil ich mit sehr sehr vielen Kollegen zu diesem Thema gesprochen habe, nachdem sie mich um meine Einschätzung zu diesen Theorien und zum Absturz insgesamt gebeten hatten.

Etliche lehnten ab, Sky spang auf
Überzeugen konnte Hradecky schließlich (leider) den Sender Sky der eine in meinen Augen eher reißerische "Dokumentation" produziert hat, mit spannungsgeladener Musik, die vor dem tragischen Hintergrund dieses Ereignisses unangemessen scheint. Schon im Vorfeld der Ausstrahlung wurden viele Fragen aufgeworfen, meine persönlichen schlimmen Befürchtungen haben sich leider bestätigt, nachdem mir ermöglicht wurde, den Beitrag vorab zu sehen. Dafür trotz aller Kritik, die ich nun äußern muss ein DANKE an die Verantwortlichen beim Sender. Sicherlich, rechtlich ist alles durch die Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt. Dieser Filmbeitrag ist allerdings absolut tendenziös und geht in die Richtung eines technischen Versagens, gepaart mit anderen Spekulationen und unterschwellig habe ich den Eindruck, dass auch eine Verschwörung offizieller Stellen zumindest unterschwellig suggeriert oder zugelassen wird, dass der Zuseher eine solche annehmen könnte.

Spekulationen und Theorien, aber keinerlei Beweise
Behauptungen von einem angeblich "defekten Keypad für den Zutritt zum Cockpit" werden aufgestellt - ohne einen einzigen Beleg zu bringen. Auch wie die Interviews geschnitten sind, lässt mich skeptisch werden. Bei einem der Interviewten könnte - so wie das geschnitten ist - der Eindruck entstehen, er zweifle an der offiziellen und forensisch unstrittig bewiesenen Absturzursache. Ich weiß allerdings ganz genau, dass das exakte Gegenteil der Fall ist. Diese Person hat nämlich mit mir ebenfalls korrespondiert und wir haben lange Telefonate geführt. Diese Person erkennt die forensischen Beweise an und hat offenbar nur deshalb bei dem Sky-Beitrag mitgemacht, damit es wenigstens eine kritische Gegenstimme zur tendenziösen Marschrichtung gibt. Wir wissen nicht, was von seinen Aussagen alles weggeschnitten wurde, um das jetzt vorliegende Endergebnis zu erreichen. Rechtlich zulässig? Natürlich, aber tendenziös und am Ende nicht unbedingt sachlich, weil nach meinem Empfinden nicht die tatsächliche Einstellung der interviewten Person in ihrer Gesamtheit abbildend.

Viel zu viele Zufälle
Warum ist der Sky-Film aus meiner Sicht tendenziös und wird den forensisch bewiesenen Tatsachen nicht gerecht? Darauf möchte ich eingehen. Nach der Theorie von Simon Hradecky brachte ein technischer Defekt an der Flight Control Unit - dem Autopiloten-Bedienpanel - den A320 in einen SInkflug. Das geschah zu einem Zeitpunkt als der Kapitän auf der Toilette war, wobei eine Abwandlung von Hradeckys Theorie unterstellt, dass gar nicht der Kapitän sondern der Erste Offizier Andreas Lubitz das Cockpit verlassen hatte. Exakt in diesem Moment als nur noch eine Person im Cockpit war, sei dann das technische Problem aufgetreten. Das hätte der Pilot natürlich bemerken und beheben können beziehungsweise müssen und die Flugsicherung kontaktieren. Doch leider, leider, leider wurde der im Cockpit zu diesem Zeitpunkt anwesende Pilot genau jetzt (das lief aber auch wirklich dumm) bewusstlos. Auch kein Problem, durch Eingabe eines Notfallcodes hätte der andere Pilot ja problemlos wieder ins Cockpit zurückgekonnt. Doch wieder leider, leider, leider sei genau dieses Tastenfeld auch defekt gewesen. Deswegen habe der Pilot vor dem Cockpit den Notfallcode nicht eingeben können. Schon jetzt werden wohl die allermeisten Leser mit gesundem Menschenverstand den Kopf schütteln und - völlig zu Recht - sagen: "So ein Hirngespinst, so viele Zufälle auf einmal gibt es ja gar nicht." Ich bin geneigt, hier zuzustimmen, doch rein theoretisch KÖNNTE es so viele Zufälle schon geben. Nur hat es sie nicht gegeben, das ist forensisch bewiesen. Gehen wir wieder Schritt für Schritt vor und widerlegen die Theorien allesamt durch Fakten.

Problem an der FCU als Auslöser des Sinkfluges
Zur Untermauerung seiner Theorie hat sich Simon Hradecky eine solche FCU besorgt und sie technisch so manipuliert, dass die darauf eingestellte Höhe vor der Kamera tatsächlich ohne menschliches Zutun wie von Geisterhand von 38.000 Fuß auf 100 Fuß Höhe umspringt. Das schindet für den Laien auf den ersten Blick natürlich mächtig Eindruck. Schön und gut, aber wenn ich ein technisches Gerät vorher entsprechend manipuliere, kann ich damit quasi alles was ich will nachstellen. Die Aussagekraft dieser Filmaufnahmen ist letzten Endes bei Null. Dieser Theorie stehen harte Fakten gegenüber: Es gibt soweit ich recherchieren konnte keinen einigen Beweis, dass im Flugbetrieb der D-AIPX (das war die Unglücksmaschine) jemals ein solcher Defekt während eines Fluges aufgetreten sei - niemals. Außerdem - schon auf dem Hinflug von Düsseldorf nach Barcelona änderte sich die eingestellte Flughöhe plötzlich auf 100 Fuß. Auch diese Änderung geschah, während der Kapitän auf der Toilette war. Als der Kapitän mittels Eingabe des Zutrittscodes am Keypad vor der Cockpittür die Zutrittsbitte äußerte, zögerte Lubitz 14 lange Sekunden (üblich wären nach meiner Erfahrung aus Cockpit-Mitfliegen 3 bis 6 Sekunden - dieser Wert wurde mir auch von mehreren Flugkapitänen bestätigt), ehe er die Tür entriegelte und den Kapitän wieder auf seinen Platz ließ. Wäre die Veränderung dieser Flughöhe NICHT von Andreas Lubitz manuell durchgeführt worden, sondern hätte auf einem technischen Defekt basiert (wie von Simon Hradecky angenommen), hätte Andreas Lubitz das seinem Kapitän melden müssen. Das hat er aber nicht getan, womit ein technischer Defekt definitiv ausgeschlossen und im Umkehrschluss de facto der Beweis dafür erbracht ist, dass es Andreas Lubitz war, der die eingestellte Flughöhe verändert hat. Dazu hat sich auch Staatsanwalt Christoph Kumpa in einem Interview mit mir klar geäußert. Theorie widerlegt.

Wer war im Cockpit?
Glaubt man einem in der österreichischen Tageszeitung "Kurier" veröffentlichten Artikel über Simon Hradeckys Theorien, dann saß womöglich nicht einmal der Erste Offizier, sondern der Kapitän alleine im Cockpit. Angeblich seien an der Unglücksstelle nämlich "nur Überreste" des Kapitäns gefunden worden. Dazu fällt mir nur ein Wort ein - Blödsinn.

Am 6. März wurde in einem "Kurier"-Artikel über Simon Hradeckys Thesen berichtet. Dabei wurde die krude Spekulation aufgestellt, dass vielleicht gar nicht der Co-Pilot im Cockpit gewesen sei. Dabei ist durch forensische Beweise die alleinige Anwesenheit von Andreas Lubitz zum Absturzzeitpunkt unwiderlegbar bewiesen.

Beweise dafür liefern natürlich weder der "Kurier" noch Simon Hradecky. Das ist logisch, denn es gibt sie nicht. Die forensischen Beweise liegen vor und sind durch mehrere unterschiedliche Quellen belegt. Auf dem Cockpit Voice Recorder ist zu hören, wie Kapitän Patrick Sondenheimer um 09:30:08 Uhr UTC seinen Kollegen Andreas Lubitz darüber informiert, dass er nun die Toilette aufsuchen werde und ihn bittet, die Steuerung ("Your Controls" lautet die Standardübergabeformel unter Piloten dafür) zu übernehmen. Andreas Lubitz bestätigt dies ausdrücklich. Danach ist zu hören wie der Cockpitsitz nach hinten verschoben wird, sich eine Cockpittür öffnet und wieder schließt. Anschließend ist Andreas Lubitz alleine im Cockpit. Schon das würde als gerichtsverwertbarer Beweis für die alleinige Anwesenheit von Andreas Lubitz im Flightdeck ausreichen, doch es gibt noch einen weiteren, der genauso über jeden Zweifel erhaben ist. An der Unglücksstelle konnte durch DNA-Spuren absolut unstrittig nachgewiesen werden, dass sich zum Zeitpunkt des Aufpralls der Maschine ausschließlich Andreas Lubitz im Cockpit befand, der Kapitän jedoch außerhalb im kabinenseitigen Bereich der Cockpittür. Wer etwas anderes behauptet, dem kann man straffrei unterstellen die Unwahrheit zu sagen - um es in aller Deutlichkeit auszudrücken.Theorie widerlegt. Übrigens, der Familie Lubitz wurde auf deren Bitte von der französischen Justiz auf Kulanz die Möglichkeit eingeräumt, sich die Aufnahmen des Cockpit Voice Recorders anzuhören. Einen Rechtsanspurch darauf hatte sie nicht. Ein Termin war schon vereinbart, doch Familie Lubitz sagte kurzfristig ab. Warum? Wäre es vielleicht zu schmerzhaft gewesen, der Wahrheit über die Tat von Andreas Lubitz ins (akustische) Auge blicken zu müssen? Damit sind auch sämtliche Vertuschungsvorwürfe gegen die Behörden widerlegt. Denn wer etwas zu verbergen hat, bietet der Familie Lubitz nicht ohne Rechtsgrundlage an, die Aufnahmen anhören zu können.

Angeblich handlungsunfähiger oder bewusstloser Pilot
In der Sky-Dokumentation und im vorausgegangenen "Kurier"-Artikel (außerdem in de "ZEIT", die dafür in Deutschland massive Kritik von ihren eigenen Lesern einstecken musste) stellt Simon Hradecky die Möglichkeit in den Raum, dass der Pilot im Cockpit  der - wie durch forensische Daten zweifelsfrei belegt ist - Andreas Lubitz war, vermutlich bewusstlos, zumindest aber handlungsfähig war, als die angenommen defekte FCU einen angenommenen automatischen Sinkflug einleitete. Diese Bewusstlosigkeit sei möglicherweise durch ein Fume Event, bei dem toxische Stoffe über das Klimaanlagensystem ins Cockpit eindringen können verursacht worden. Das ist wiederum reine Spekulation, für die Hradecky keinen Beweis liefert, während es für das Gegenteil - nämlich dafür, dass Andreas Lubitz sehr wohl handlungsfähig war - gleich mehrere Beweise oder zumindest sehr starke Indizien gibt. Während des Sinkfluges veränderte Andreas Lubitz nämlich mehrfach (ich müsste selbst in meinem Buch nachlesen, habe es nicht auswendig im Kopf, aber sechs Veränderungen waren es mindestens!) Einstellungen am Autopiloten. Für das Verändern dieser Einstellungen konnte Hradecky übrigens auch in der Sky-Dokumentation keine plausible belastbare Erklärung liefern, er lässt sie stattdessen in der Folge (Teil 3) in der er an der von ihm zuvor manipulierten FCU hantiert und in den Simulator geht, einfach unter den Tisch fallen. Ein handlungsunfähiger oder bewusstloser Pilot hätte jedoch nicht mehrfach Einstellungen verändern können. Doch nicht nur das - Andreas Lubitz tätigte kurz vor dem Aufprall mehrere Steuereingaben am Sidestick, die vom Flugschreiber aufgezeichnet wurden. Auch das hätte er nicht können, wenn er handungsunfähig oder bewusstlos geworden wäre. Theorie widerlegt. Ergänzend dazu - tatsächlich sind Fume Events ein Problem der Luftfahrtindustrie, doch selbst bei wirklich schweren und gefährlichen Fume Events haben Piloten Zeit, die Sauerstoffmaske anzulegen. Das hätte man auf dem Cockpit Voice Recorder gehört, Lubitz hat es nicht getan und war trotzdem voll handlungsfähig - was das Auftreten eines Fume Events logischerweise ausschließt.

Das Keypad vor der Cockpittür
Auch dafür, dass der andere Pilot, Kapitän Patrick Sondenheimer, nicht wieder ins Cockpit zurückkonnte, nachdem angeblich die fehlerhafte FCU automatisch den Sinkflug eingeleitet habe und Andreas Lubitz zeitgleich bewusstlos geworden sei, hat Simon Hradecky eine Theorie entwickelt, die er dem Zuseher in der Sky-Doku darlegt. Das Keypad vor der Cockpittür, an dem der Kapitän einen Notfallcode eingeben hätte können, sei womöglich defekt gewesen. In die gleiche Richtung ging schon 2017 die Argumentation im Privatgutachten der Familie Lubitz. Beweise dafür? Fehlanzeige. Es gibt keinerlei belastbaren Beweis, dass es in diesem Flugzeug jemals technische Probleme mit diesem Keypad gegeben hätte. Wiederum ist das Gegenteil der Fall - sogar der Privatgutachter der Familie Lubitz, der Simon Hradecky in der Sky-Doku sekundiert, musste 2017 in seinem Gutachten eingestehen, dass er in den Wartungsunterlagen keinerlei Hinweise auf entsprechende Probleme gefunden habe. Damit wäre die Theorie vom defekten Keypad eigentlich schon an dieser Stelle widerlegt. Doch gestatten Sie mir, noch ein Argument dagegen anzuführen. Es ist bewiesen, dass das Keypad funktioniert hat - und zwar gleich mehrfach, sogar am 24. März 2015 - dem Unglückstag. Besatzungsmitglieder von Flugzeugen benutzen es nämlich im Regelfall nicht, um sich notfallmäßig Zutritt zum Cockpit zu verschaffen - diese Notwendigkeit kommt zum Glück nur sehr selten vor - sondern in erster Linie dazu, um einfach "anzuläuten", wenn sie ins Cockpit wollen. Das kann die Flugbegleiterin sein, die das Essen bringt oder eben einer der Piloten, der von einem Toilettenbesuch zurückkehrt. Sowohl auf dem Hinflug von Düsseldorf nach Barcelona als auch während des Steigfluges von Barcelona nach Düsseldorf (dem Unglücksflug) waren Flugbegleiter im Cockpit. Deren "Anläuten" ist auf dem Cockpit Voice Recorder zu hören, ebenso das Öffnen und Schließen der Cockpittür. Auch das "Anläuten" von Kapitän Patrick Sondenheimer, als er von seinem WC-Gang zurückkam und Lubitz damit bat, die Türe zu entriegeln ist auf dem Stimmenrekorder zu hören. Das tat Lubitz jedoch nicht. Stattdessen betätigte er den "Cockpit Door Switch", stellte ihn in die Position "LOCK" und verhinderte damit, dass eine Eingabe des Notfallcodes durch Kapitän Patrick Sondenheimer erfolgreich war. Denn sobald der Schalter für die Cockpittür auf "LOCK" gestellt wird, ist das Keypad für mehrere Minuten gesperrt. Die einzige Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit Andreas Lubitz war für Kapitän Sondenheimer das Intercom. Das versuchte er auch, doch Lubitz reagierte nicht auf die Anrufe, sondern steuerte den A320 gegen den Berg. Durch diese Umstände ist auch die Theorie vom defekten Keypad vor der Cockpittür de facto widerlegt, zumindest aber völlig unplausibel. Aber selbst wenn es defekt gewesen wäre - dass Lubitz bei Bewusstsein war ist durch seine manuellen Eingaben am Autopiloten nachgewiesen. Er hätte die Cockpiittür also jederzeit öffnen können - wenn er denn gewollt hätte.

Spekulationen, die wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen
Bei technisch-logischer Betrachtung unter Zugrundelegung der forensischen Fakten und aller weiteren ermittelten Erkenntnisse lösen sich somit all die oben genannten Theorien, die Simon Hradecky da in der Sky-Doku verbreitet ziemlich rasch in Luft auf. Mehr noch - sie fallen zusammen wie ein Kartenhaus. 

Die Doku ist aus meiner Sicht also nicht nur inhaltlich ziemlich substanzlos, sondern auch von der musikalischen Untermalung her eher reißerisch gestaltet. Bewiesene Fakten erfährt man kaum, stattdessen werden dem Zuseher mehr als fragwürdige Theorien und wilde Spekulationen weitgehend unkommentiert vor die Füße geworfen. Es erfolgen keine zureichende professionelle Einordnung, kein ausreichender Hinweis auf die unstrittig vorliegenden forensischen Beweise, es erfolgt kein ausreichender Hinweis darauf, dass sowohl Simon Hradecky - der wohl die treibende Kraft hinter dieser Produktion war - noch Tim van Beveren mit ihren Ansichten zum Germanwings-Absturz innerhalb der Fachwelt absolut isoliert sind. Viele Journalisten haben das erkannt und es hat seinen guten Grund, weshalb sich die Berichterstattung über die Sky-Produktion in Grenzen hält und von seriös arbeitenden Journalisten eher vermieden oder zumindest kritisch begleitet wird - so wie von der "Stuttgarter Zeitung", die in ihrem gestrigen Bericht klare Worte fand: "Die Theorien von van Beveren und Hradecky werden in der Doku zwar zu keinem Zeitpunkt als bewiesen dargestellt, durch ihre prominente Erwähnung werden sie dennoch legitimiert. Es entsteht der Eindruck, man habe es hier mit einer umstrittenen Frage zu tun, zu der es eben zwei Meinungen gebe. Hradecky und van Beveren sind mit ihren Annahmen allerdings Außenseiter. Der Großteil der Luftfahrtexperten hegt keine Zweifel am Suizid von Lubitz." 

"Als Fachjurist bin ich nach Sichtung aller mir vorliegenden Unterlagen und forensischen Beweise davon überzeugt, dass an der Verantwortlichkeit von Andreas Lubitz kein berechtigter Zweifel bestehen."
Professor Elmar Giemulla im autorisierten Interview in meinem Buch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen", S 200

Ebenso klar hatte sich einige Tage zuvor schon der Herausgeber des deutschen Branchenportals Airiners.de, David Haße geäußert. Bereits 2016 hatte er anlässlich des Aufkommens der ersten Verschwörungstheorien geschrieben: ""Es ist mir unverständlich, wie manche Menschen bis heute nicht akzeptieren wollen, dass ein psychisch labiler Copilot die Maschine absichtlich in die französischen Alpen gesteuert hat. Verschwörungstheorien vom Chemtrail-Unfall bis hin zum toten Copiloten in einer Mülltonne in Barcelona waren ja relativ schnell wieder verstummt. Dennoch gibt es noch immer Leute, die in Foren, sozialen Medien oder per E-Mail mit abstrusen Thesen um die Ecke kommen. Schuld haben wie üblich entweder die Großkonerne oder die Regierung. Oder beide - je nachdem."

Vor dem Hintergrund des Sky-Films mit Simon Hradecky legte David Haße noch einmal nach und wurde sehr deutlich: "Der zehnte Jahrestag der Germanwings-Tragödie steht an – und schon geht es wieder mit Theorien los. Den neuen Auftakt macht (wie schon damals) die Zeit. Und weil es offenbar nichts neueres gibt, geht es im aktuellen Zeit-Artikel immer noch um die Einstellungen im Autopiloten (...) Selbsternannte Ermittler müssen sich dazu also nicht in Flugsimulatoren setzen und die Zeit stoppen, wie lange sie am Knöpfchen drehen, nur um Aufregung um ein Buch zu generieren oder sich am Leid von Angehörigen zu bereichern."

Respekt und Anerkennung muss man dem deutschen Luftfahrtjournalisten Andreas Spaeth zollen. Der auch als "Flugforensiker" bekannte deutsche Fachjournalist hat sich der Sky-Doku zur Verfügung gestellt und ist aus meiner Sicht der einzige, der versucht mit harten Fakten gegen die Spekulationen anzukämpfen. Er stand allerdings ziemlich "auf verlorenem Posten". Chapeau für Deinen Einsatz, lieber Andreas.

Ich persönlich habe dem nichts hinzuzufügen - außer, dass ich die ARD True Crimi Doku über den Fall Germanwings 9525 absolut empfehlen kann. Sie unterscheidet sich wohltuend von dem "dokumentarischen Groschenroman", als den ich sie Sky-Doku einordne. 

Die ARD kommt in ihrer Dokumentation nämlich ganz ohne "fetzige Actionmusik" und ohne Spekulationen aus, die nicht bewiesen und letzten Endes wohl auch unbeweisbar sind. Sie beleuchtet das gesamte Geschehen nüchtern und sachlich auf Grundlage der vorhandenen forensischen Beweise und Fakten. Die ARD-Doku ist geradezu ein Lehrbeispiel für hochwertigen und fachlich korrekten Journalismus - denn sie setzt sich auch mit den Spekulationen sowie Verschwörungstheorien auseinander und entkräftet sie mit harten Fakten. SO muss guter Journalismus.

Text: Patrick Huber

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.