Der nachfolgende Text ist eine stark gekürzte und speziell für Austrian Wings bearbeitete Fassung des Kapitels "FLUG RO 371" aus dem Buch "TAROM Flug 371 - Rumäniens schwerste Luftfahrtkatastrophe" von Patrick Huber. Seit kurzem ist es auch in der englischen Fassung "TAROM Flight 371" erhältlich. Es kann unter Angabe der ISBN in jeder Buchhandlung in Österreich und Deutschland bestellt werden, ist darüber hinaus über den Onlineshop des Verlages sowie verschiedene Online-Buchanbieter (Thalia, Hugendubel, etc ...) erhältlich.
Nachdem die Piloten (Kapitän Liviu Bătănoiu ist 48 Jahre alt und verfügt über mehr als 14.000 Flugstunden Erfahrung, davon über 5.000 auf dem A310, der Erste Offizier Ionel Stoi ist 51 Jahre alt, hat rund 9.000 Stunden Erfahrung, auf dem A310 aber nur etwa 650 Stunden) und die Flugbegleiter all ihre administrativen Vorbereitungen abgeschlossen haben, begeben sie sich zu ihrem Flugzeug, dem A310-324, YR-LCC, „Muntenia“, das auf dem Vorfeld des Flughafens abgestellt ist. Das Flugzeug ist einer von drei Airbus A310 der TAROM, hat allerdings eine Besonderheit. In der Vergangenheit gab es immer wieder Probleme mit der automatischen Schubkontrolle. Dadurch blieb Triebwerk Nummer 2 auf Startleistung, während die linke Turbine auf Leerlauf zurückfuhr. Die Piloten wussten das, denn wenn so ein Problem auftritt, muss rasch reagiert werden, sonst kann es gravierende Folgen haben. Denn anders als im modernen A320, bewegte das Autothrust-System im A310 die Schubhebel tatsächlich.
In der Zwischenzeit befinden sich die Passagiere noch im warmen Terminal. Während die Piloten im Cockpit Systeme überprüfen sowie hochfahren und verschiedene relevante Unterlagen einsehen, bereiten die acht Flugbegleiter ihrerseits die Kabine für den kurzen Flug in die belgische Hauptstadt vor. Dazu gehört unter anderem, dass sie überprüfen, ob die gesamte Notfallausrüstung an Bord des A310 (Sauerstoffmasken, Schwimmwesten, Sicherheitsgurte, Taschenlampen, etc …) vollständig vorhanden und funktionstüchtig ist. Auch das geladene Catering muss verstaut und gesichert werden.
In den Tanks der „Muntenia“ befinden sich an diesem Morgen noch rund 5.500 Kilogramm Kerosin vom vorangegangenen Flug. Die Piloten entschließen sich, zusätzlich 14.500 Kilogramm zu tanken, sodass danach insgesamt 20.000 Kilogramm Kraftstoff für den etwa 1.800 Kilometer langen Flug nach Brüssel in den Tragflächentanks sind. Der zentrale Rumpftank dagegen ist so gut wie leer. Nachdem die Besatzung ihre Flugvorbereitungen soweit abgeschlossen hat dass sie bereit zum Boarding ist, teilt sie das den Kollegen vom Bodenpersonal mit. Jetzt kommen die 49 Passagiere an Bord.
Es ist nun, soweit sich das rekonstruieren lässt, gegen 05:20 Uhr UTC, also 08:20 Uhr Lokalzeit in Bukarest. Der Großteil der Passagiere (32) hat die belgische Staatsbürgerschaft. Außerdem befinden sich 9 Reisende mit rumänischer Staatsangehörigkeit, 2 Spanier, 1 Franzose, 1 Thailänder, 1 Niederländer und 3 US-Amerikaner in der Kabine. Bei den Amerikanern handelt es sich um das Pastorenehepaar Norman und Virginia Hoyt (beide 67) aus Columbia sowie die Finanzexpertin Theresa „Terri“ C. Chung, die sich auf der Rückreise in die USA befinden. Ebenfalls an Bord ist die 30-jährige Mihaela Popescu aus Constanța. Sie ist Französischlehrerin und wurde von belgischen Kollegen nach Brüssel eingeladen. Im Sommer will sie heiraten.
Das Bodenpersonal verstaut die letzten Gepäckstücke in den Frachträumen des A310 und schließt die Luken. Die Männer im Cockpit beschließen angesichts des winterlichen Wetters, eine Enteisung des Flugzeuges vornehmen zu lassen. Dafür werden etwa 400 Liter einer speziellen Enteisungsflüssigkeit auf Rumpf, Tragflächen und Leitwerk des A310 aufgesprüht. Diese Mixtur entfernt einerseits bereits vorhandenes Eis und verhindert für eine gewisse Zeit außerdem dessen Neubildung. Die gesamte Prozedur dauert etwa 15 Minuten.
Im Cockpit bereiten sich Kommandant Bătănoiu und sein erster Offizier Stoi währenddessen weiter auf den Abflug vor. Um 05:49 Uhr UTC, 08:49 Uhr Lokalzeit, legt der Kapitän fest, dass der Erste Offizier die Strecke nach Brüssel als Pilot Flying (PF) durchführen soll und er selbst die Rolle des Pilot Monitoring (PM) übernehmen wird und führt daher jetzt routinemäßig ein „Standard briefing ‒ right side flying“ durch. Den Männern ist dabei absolut bewusst, dass ihr Flugzeug in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit der automatischen Schubkontrolle hatte. Der Kommandant als Pilot Monitoring entscheidet deshalb, dass er die Hand auf die Schubhebel legen wird („guard the throttles“), um ein unbeabsichtigtes Zurückfahren einer Turbine auf Leerlauf zu verhindern.
Um 06:02 Uhr UTC erbittet TAROM Flug 371 die Rollfreigabe. Der Lotse weist die Besatzung an, zur Piste 08R zu rollen und erteilt gleich auch die Streckenfreigabe (Departure clearance) für einen Abflug über das gerichtete Funkfeuer (VOR-DME) STJ und einen Steigflug auf 26.000 Fuß Höhe (Flugfläche 260) nach dem Start. Als Transpondercode weist der Lotse dem Flug jetzt die Zahl 5431 zu. Die Besatzung bestätigt die Angaben.
Die Piloten erhalten kurz darauf die Freigabe, in die Piste einzurollen und bekommen die aktuellsten Wetterinformationen. Der Wind weht aus 070 Grad mit 10 Metern pro Sekunde, das entspricht etwa 20 Knoten, die Böen erreichen bis zu 15 Meter pro Sekunde. Der Himmel ist mit Wolken bedeckt, deren Untergrenze bei rund 2.500 Fuß (etwa 750 Meter) liegt. Die Sichtweite am Boden beträgt circa 1.200 Meter und es schneit. Doch für ein modernes Verkehrsflugzeug wie den A310, dessen Besatzung für die Durchführung eines Fluges auch unter Instrumentenflugbedingungen (IMC) qualifiziert ist, sind diese Umstände kein Hindernis.
Um 06:06 Uhr UTC; 09:06 Uhr Lokalzeit, erteilt der Tower TAROM Flug 371 die Startfreigabe, die von Kapitän Bătănoiu über Funk zurückgelesen wird: „371, cleared to Take off to maintain runway heading.“ 09:07:05 Uhr Lokalzeit: Kapitän Bătănoiu meldet bei 131 Knoten „V one“. Das ist jene Geschwindigkeit, bis zu der ein Start beim Auftreten eines Defektes noch auf der verbliebenen Pistenlänge sicher abgebrochen werden kann. Danach muss das Flugzeug auf jeden Fall starten. Eine Sekunde später sagt der 51-jährige Erste Offizier Stoi „Rotate“ und zieht bei 138 Knoten Geschwindigkeit am Steuerhorn. Es ist 06:07:06 Uhr UTC, 09:07:06 Uhr Lokalzeit. Zwei Sekunden später fordert der Kapitän seinen Kollegen auf Rumänisch auf, beide Hände ans Steuerhorn zu legen. Er selbst übernimmt ‒ wie beim Briefing besprochen ‒ die Sicherung der Schubhbebel für den Fall, dass die automatische Schubkontrolle wieder fehlerhaft arbeiten sollte: „Pune mana po mansa tin eu motarele.“ ‒ „Nimm das Steuer in beide Hände, ich halte die Schubhbebel.“
Die ersten Sekunden des Fluges verlaufen völlig normal. Bis die Flugsicherung die Maschine anweist, eine Kursänderung vorzunehmen. Dann überschlagen sich die Ereignisse auf dramatische Art und Weise. Denn um die Daten für die neue Flugstrecke in den Flight Management Computer eingeben zu können, muss der Kapitän (er ist Pilot Monitoring) seine rechte Hand von den Schubhebeln nehmen, sich nach rechts vorne beugen und seine Augen auf das Display des FMS richten. Nachdem er die neuen Werte ins System programmiert hat, meldet er das auf Rumänisch seinem Kollegen und weist ihn an, das Steuer leicht nach links zu drehen. Nur Sekunden später passiert der Airbus 2.000 Fuß und ist damit ab jetzt in den Wolken. Die Piloten haben damit keinen Blick auf den Horizont mehr.
Um 06:07:36 Uhr UTC, 09:07:36 Uhr Lokalzeit, schaltet das automatische Schubkontrollsystem in einer Höhe von 2.000 Fuß völlig korrekt von „Take off power“ auf „Climb power“ um und beginnt, die Leistung der Triebwerke zu reduzieren. Noch 59 Sekunden bis zum dramatischen Endes des Fluges. Denn dabei tritt jetzt das altbekannte Problem auf: Der Schubhebel für das rechte Triebwerk (Nummer 2) bleibt auf Startleistung (zwischen 1.46 und 1.48 EPR) stehen, während der linke Schubhebel (Nummer 1) immer weiter zurückfährt. Das aber bemerken beide Piloten nicht. Denn First Officer Stoi fliegt den Airbus mit beiden Händen am Steuerhorn manuell unter Instrumentenflugbedingungen (IMC) und verlässt sich darauf, dass der Kapitän seine Hand an den Schubhebeln hat. Die Augen des Ersten Offiziers sind auf die primären Fluginstrumente vor ihm gerichtet. Die Anzeigen für die Triebwerksparameter befinden sich jedoch zentral in der Mitte zwischen den Piloten und da es keinerlei Warnung für eine Abnormalität gibt, hat Stoi keinen Anlass, sie zu überprüfen. Der Kapitän wiederum bemerkt die sich nun entwickelnde Schubasymmetrie wohl deshalb nicht, weil er zur Bedienung des FMS seine rechte Hand von den Schubhebeln genommen hat. Die Querneigung des Airbus nach links verstärkt sich kontinuierlich. Neun Sekunden nachdem die Automatik begonnen hat, den linken Schubhebel immer weiter zurückzufahren, hat der Airbus eine Querlage von fast 32 Grad erreicht. Zum Vergleich: Mehr als 30 Grad Schräglage sind im normalen Flugbetrieb unüblich und lösen bei vielen Flugzeugen bereits eine Warnung im Cockpit aus, welche die Besatzung über die auffällige Querneigung informiert.

Doch es kommt noch schlimmer. Wenige Augenblicke danach, weist der Erste Offizier seinen Kapitän an, eine Einstellung zu ändern. Der Kapitän reagiert nicht, sondern stöhnt schmerzerfüllt auf, sagt noch, dass es ihm nicht gut geht. First Officer Stoi ist in diesem Moment völlig auf sich allein gestellt, ohne Blick nach außen. Er hat nicht mitbekommen, dass sich ein asymmetrisches Schubgeschehen entwickelt hat und ist zusätzlich durch seinen bewusstlosen - vermutlich verstorbenen - Kapitän stark abgelenkt. Auf der IL-62 und der IL-18, die er früher flog, hätte er jetzt noch den Bordingenieur, den Navigator und den Funker (nur auf der IL-18), die ihn unterstützen und sich um den Kapitän kümmern könnten. Doch hier, im A310, ist Stoi jetzt völlig auf sich allein gestellt und scheint trotz seiner enormen Gesamtflugerfahrung mit der Situation zunehmend überfordert.
Die Querneigung des A310 nach links hat mittlerweile knapp über 57 Grad erreicht. Das bedeutet, dass die 60 Menschen an Bord des A310 mit fast 2 G, dem zweifachen ihres Körpergewichts, in ihre Sitze gepresst werden. Heißt: Eine 80 Kilogramm schwere Person hat jetzt 160 Kilogramm Gewicht. Die Längsneigung des Flugzeuges ist auf -6 Grad gefallen. Es beginnt nun rasch an Höhe zu verlieren. Durch den Sinkflug nimmt die Geschwindigkeit des über 100 Tonnen schweren Jets rasant zu. Seit 8 Sekunden wird nun außerdem auch die Leistung des rechten Triebwerks kontinuierlich reduziert. Das ist laut Fachleuten wohl eine Reaktion des „Overspeed protection system“ des A310 auf die stark ansteigende Geschwindigkeit. Um exakt 06:08:28 Uhr UTC, 09:08:28 Uhr Lokalzeit, ruft Ionel Stoi überrascht in seiner Muttersprache Rumänisch aus: „Ba s-a stricat ala!“ ‒ „Das hier hat versagt!“. Noch 7 Sekunden bis zum Absturz. Höchstwahrscheinlich erkennt der Erste Offizier in diesem Moment die heftige Asymmetrie des Triebwerksschubs und den auf Leerlauf stehenden linken Schubhebel.
Die Maschine dreht sich im Sturzflug auf den Rücken, dann weiter einmal komplett um die eigene Achse, während die Nase annähernd im rechten Winkel Richtung Erdboden zeigt. Für eine solche Fluglage ist der Airbus nicht gebaut.
Der Absturz ist angesichts der geringen Höhe über Grund nicht mehr zu verhindern, so sehr der erfahrene 51-jährige Stoi auch darum kämpft, die Kontrolle über das Flugzeug zurückzuerlangen. Er zieht das Steuerhorn nach hinten.Die Längsneigung, die zuletzt bei über 80 Grad (nose down) lag, reduziert sich etwas. Um 06:08:32 Uhr UTC, 09:08:32 Uhr Lokalzeit, stürzt die Maschine in 2.000 Fuß aus den Wolken. Der A310 ist 324 Knoten schnell, hat nach der vollständigen Rolle um die eigene Achse nun eine Querneigung nach rechts von knapp 11 Grad und die Nase zeigt fast 64 Grad unter den Horizont. Ionel Stoi sieht den nahen Boden auf sich zurasen, erkennt den unmittelbar bevorstehenden Absturz und ruft entsetzt „Ahhhh!“ aus. Es sind die letzten Worte, die der Stimmenrekorder aufzeichnen wird. Drei Sekunden darauf stürzt der Airbus „Muntenia“ mit mehr als 330 Knoten Geschwindigkeit, einem Steuerkurs von etwa 060 Grad und einem Längsneigungswinkel von rund 50 Grad auf Postion 44°35′54.5″ nördlicher Breite und 26°06′23.2″ östlicher Länge im Gemeindegebiet von Balotesti auf ein Feld. Beim Aufprall explodieren die mehr als 19.000 Kilogramm Kerosin, die sich noch in den Tanks befinden. Niemand der 60 Menschen an Bord überlebt. TAROM 371 war nur 1 Minute und 29 Sekunden in der Luft. Es ist 06:08:35 Uhr UTC, 09:08:35 Uhr Lokalzeit an diesem winterlichen Frühlingstag.
Heute erinnert an der Absturzstelle ein Denkmal an diese Katastrophe, das vom rumänischen Piloten Calin Pirlog und dem Luftfahrtverein „Asociația Iubim Aviația“ betreut wird.
Wir gedenken der 60 Opfer:
Marc De Baere
Victoria Bălănescu
Ilie Bătănoiu
Doina Blaj Borde
Daria Michaela Bucur
Constantin Buză
Karel De Cauwer
Terri C. Chung
Adriana Comeagă
Stefan De Joncker
Regis Dieu
Serge De Dree
Marie Jose Deherde
Michel Duffaut
Dumitra Dumitrescu
Sacha Fouarge
Chantal Geets
Dumitru Georgescu
Dan Andre Giurgiu
Jaques Gotlib
Benny Govaert
Emilio Alberto Hap Dubois
Maria Laura Hap Ţurcanu
Maricica Hap Ţurcanu
Frank Heyse
Kathleen Hochart
Norman A. Hoyt
Virginia J. Hoyt
Simona Carmen Istodor
Jimmy Jacobs
Doina Jurcovan
Georges Kerkhof
Barend L.M.A. Kerstens
Didier Louche
Camelia Cristina Mihăilescu
Henri Minkowski
Sally Minkowski
Livia Carmen Munteanu
Sorin Vasile Mustăţea
Inge Nackaerts
Gustave Nottebaert
Lucreţia Pop
Florentina Mihaela Popescu
Georges Rousseaux
Thida Rousseaux
Naree Rousseaux Krajaisanjorn
Ionut Staicu
Mark Anthony Stephenson
Jean-Francois De Stepkowski
George Stîngă
Ionel Stoi
Joelle Thiran
Michelle Vanden Ameele
Ray G. Vanheusden
Albert van Ham
Eric van Looy
Dimitri Verdood
Francine Vergult
Jean van Hoop
Johnny Werbrouck
Text: Patrick Huber