Reportagen

Interview zur AUA-Pilotenqualifikation: "Wir machen gut doppelt so viel wie vorgeschrieben"

Flugkapitän Rudolf Buchsteiner ist Senior Director Safety, Security & Compliance Monitoring Operations bei Austrian Airlines. Er kann mehr als 16.500 Flugstunden auf den Typen Airbus A320 (A320-Familie), Boeing 737, Boeing 777, Canadair Jet CL65 und Embraer E170-190 vorweisen. Aktuell fliegt er die Boeing 777 für Austrian, ist zudem Ausbilder und Prüfer.

Pilot - ein Traumjob für junge Damen und Herren seit mehr als 100 Jahren. Doch nicht jeder ist für diesen Beruf, in dem man die Verantwortung für hunderte Menschenleben trägt geeignet. Auch die Qualität der Ausbildung sowie das Sicherheitsniveau in der Branche variieren stark. Während manche Billigflieger zum Teil auf fragwürdige Methoden und/oder Arbeitsbedingungen setzen, die sogar die Flugsicherheit gefährden können, tun Qualitätsfluglinien alles für ein möglichst hohes Sicherheitsniveau. Die österreichische Austrian Airlines - seit 2009 eine Tochter der Lufthansa - genießt einen ausgezeichneten Ruf, den sie nicht zuletzt dem besonders hohen Ausbildungsstandard ihres Cockpitpersonals verdankt. Austrian Wings sprach mit Flugkapitän und Ausbilder Rudolf Buchsteiner über Anforderungen an Piloten, das Training, Arbeitsbedingungen und Sicherheitsregeln sowie darüber, warum die AUA bei der Aus- und Fortbildung wesentlich mehr macht als das Gesetz eigentlich vorsieht.

Das nachfolgende Interview wurde im Sinne der journalistischen Sorgfalt vor Veröffentlichung von Kapitän Rudolf Buchsteiner gegengelesen und autorisiert.

Patrick Huber (PH): Piloten stehen mitunter im Fokus der Medien. Nach Un- oder Zwischenfällen werden sie oft entweder als Helden gefeiert oder für ihre Handlungen kritisiert. Dazwischen gibt es meist nicht viel. Welche Charaktereigenschaften muss ein Pilot oder eine Pilotin mitbringen, um für diesen Beruf geeignet zu sein? Buchtipp: "Cleared for Take off - ein Tag im Leben einer AUA-Crew".

Rudolf Buchsteiner (RB): Pilot ist ein Berufsbild, das tatsächlich sehr genau definiert ist. Ich sage immer, ein Pilot muss in ein bestimmtes Fenster passen. Die wesentlichen Anforderungen, die wir an Piloten stellen, sind fünf Kriterien. Kooperation & Teamfähigkeit, Koordination & Steuerung, er muss imstande sein, Arbeitsbelastung strukturiert aufzuarbeiten gegebenenfalls auch zu delegieren, Kommunikation, Belastungsfähigkeit und Verfahrenstreue. Er muss imstande sein, sich an Regeln zu halten. Denn in der Fliegerei arbeiten wir im Team nach sogenannten „SOP’s“, also „Standard Operating Procedures“, die sind unerlässlich für die Flugsicherheit.

PH: Es gibt in der Branche eine Vielzahl von Tests, mit denen Airlines geeignete Kandidaten selektieren, auch private kommerzielle Anbieter, die das im Auftrag der Airlines durchführen. Die AUA als Teil der Lufthansa setzt auf den DLR-Test. Was unterscheidet diesen bei vielen Menschen, die Pilot werden wollen gefürchteten Test von anderen Verfahren?

RB: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, oder eben kurz DLR, ist eine seit langem etablierte Organisation, die unabhängig ist und auf einen großen Datenschatz zurückgreifen kann. Die Normierung ist sehr wichtig. Sie haben sehr viele Fälle, Datensätze, auf deren Basis sie die Normierung vornehmen. Die Selektionen finden standardisiert statt und die Ergebnisse werden immer wieder validiert. Da ist DLR sicher einer der Marktführer. Man könnte sagen, der DLR-Test ist der Goldstandard der Branche. Das DLR ist ein wissenschaftliches Institut, das nicht profitorientiert ist. Es wird nicht daran gemessen, wie viele geeignete Kandidaten es liefert. Qualität vor Quantität.

PH: Wie hoch ist die Ausfallrate beim DLR-Test – und nehmen wir an, ein Bewerber hat alle Stufen des Auswahlverfahrens bestanden. Wie geht es dann weiter?

RB: Die Drop out Rate beim DLR-Test liebt bei mehr als 90 Prozent. Von den Pilotenschülern, die wir mittels DLR erfolgreich basisselektiert haben, bestehen dann aber 99 Prozent auch tatsächlich die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer.

PH: Stichwort Ausbildung: Wie sieht die im Detail aus und erfüllt die AUA lediglich die gesetzlichen Mindestvorgaben um Kosten zu sparen oder geht man darüber hinaus?

RB: Die Ausbildung erfolgt im Rahmen des konzerneigenen Ausbildungsbetriebes der Lufthansa Aviation Training, die auch am Standort Wien ein modernes Flugsimulatorzentrum unterhält, in dem erst kürzlich ein brandneuer 787-Simulator in Betrieb genommen wurde. Die ATPL-Ausbildung gliedert sich in Theorie und Praxis. Vom MPL ist man wieder abgekommen, wahrscheinlich weil der ATPL deutlich mehr Flexibilität bietet. Denn mit dem MPL ist man im Wesentlichen an eine Fluglinie gebunden. Wir haben schon vor der Corona-Pandemie beim Pilotenmangel gesehen, dass es sehr schwierig war, wenn Piloten mit MPL von einer Airline zu einer anderen wechseln wollten. Unsere eroflgreich slektierten Kandidaten durchlaufen die ATPL-Ausbildung. Die letzte Stufe ist dann das MCC, das Multi Crew Cooperation. Dabei geht es darum, die Piloten auf die Arbeit im Mehrpersonen-Cockpit vorzubereiten. Ganz generell, das wurde mir nach Rückfrage von unserer Schulung noch einmal ausdrücklich bestätigt, kann man sagen, dass die AUA die gesetzlichen Vorgaben bei der Ausbildung ihrer Piloten deutlich übertrifft. Wir machen in etwa doppelt so viel wie die Behörden vorschreiben.

Boeing 787 Simulator im Trainingszentrum auf dem Flughafen Wien.

PH: Wie lange dauert die Ausbildung vom ersten Tag bis zum ersten Flug als Erster Offizier und wie geht es nach deren Abschluss weiter?

RB: Der ATPL-Kurs in Theorie und Praxis ist nach rund 22 Monaten abgeschlossen. Dann sind unsere neuen Kolleginnen und Kollegen grundsätzlich fertig ausgebildete Verkehrsflugzeugführer. Wir entscheiden je nach Bedarf, auf welcher Flotte sie eingesetzt werden. Einsteigertypen bei uns sind der Embraer E195 und die Airbus A320-Familie. Bevor sie dort im Cockpit Platz nehmen dürfen, müssen sie aber zuerst einmal das Type Rating dafür absolvieren. Diese Typenschulung besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil inklusive eines umfassenden Trainings im Full Flight Simulator. Am Ende steht ein Skillest. Wenn das Type Rating erfolgreich abgeschlossen ist, steht das „LIFUS“, das „Line Flying under Supervision“ an. In dieser Phase fliegt der neue Kollege zwischen 80 und 90 Sektoren - je nach Flotte - mit Fluglehrer. Am Ende dieses Ausbildungsabschnitts steht wiederum eine Prüfung, der „Competence Line Check“.

PH: Dann ist die Ausbildung zum Ersten Offizier abgeschlossen?

RB: Nein (lacht), grundsätzlich lernt man als Pilot sein ganzes Berufsleben IMMER etwas dazu. Nach erfolgreichem Bestehen des „Competence Line Check“ wird man als „Co-Pilot restricted“ an den Linienflugbetrieb übergeben.

Ein Erster Offizier bei der Arbeit im AUA-Cockpit.

PH: Was bedeutet das?

RB: Solange er intern die Einschränkung „restricted“ hat, fliegt der neue Kollege zwar nicht mehr mit Fluglehrern aber ausschließlich mit besonders erfahrenen Flugkapitänen. Somit stellen wir sicher, dass niemals zwei Piloten mit wenig Flugstunden zusammen im Cockpit sitzen. Wir achten auf eine sehr hohe Sicherheitskultur und machen deshalb auch wesentlich mehr als der Gesetzgeber vorsieht.

PH: Sind dieses „Line Flying under Supervision“ und die nachfolgende „Co-Pilot restricted“ Phase eigentlich so vom Gesetzgeber vorgeschrieben?

RB: Nicht in diesem Umfang. Wir als Austrian Airlines tun auch hier wesentlich mehr als wir müssten, weil wir bei der Sicherheit keinerlei Kompromisse eingehen.

PH: Seit dem Absturz von Germanwings 9525, bei dem ein psychisch kranker Co-Pilot seinen Kapitän aus dem Cockipt sperrte und danach ein Flugzeug mit 149 unschuldigen Passagieren und Besatzungsmitgliedern vorsätzlich zum Absturz brachte, ist das Thema „mentale Gesundheit von Piloten“ in den Fokus der Öffentlichkeit und der Aufsichtsbehörden gerückt. Wie stellt Austrian das für seine Cockpitcrews sicher und welche Unterstützungsprogramme gibt es für Piloten, die womöglich eine emotional belastende Zeit durchmachen oder mentale Probleme haben?

RB: Grundsätzlich wurde das Thema „mentale Gesundheit“ als Konsequenz aus dem von Ihnen völlig zu Recht erwähnten Germanwings-Absturz in das regelmäßige Medical mit aufgenommen. Wenn jemand tatsächlich psychologische Probleme hat, gibt es verschiedene Möglichkeiten wie wir als Austrian Airlines ihn unterstützen können. Es gibt beispielsweise die Möglichkeit des „cofidental reportings“, das nur der Safety Manager, also in dem Fall ich, und der Gesamtverantwortliche für das Reporting, im Unternehmen lesen dürfen. Wir würden das, wenn erforderlich, an den medizinischen Dienst unter Wahrung der Vertraulichkeit weiterleiten. Es gibt für Betroffene auch die Möglichkeit, sich direkt an den medizinischen Dienst zu wenden. Dort stehen neben Ärzten auch Psychologen zur Verfügung. Wir haben das Glück, eine international renommierte Expertin auf diesem Gebiet zu diesem Team zählen zu dürfen. Psychologen und Ärzte arbeiten dabei interdisziplinär eng zusammen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, eventuelle Themen in diesem Bereich über die sogenannten Vertrauenspersonen einzumelden. Das sind aus der Mannschaft gewählte Kolleginnen und Kollegen, sowohl aus dem fliegenden Personal als auch aus dem Bodenpersonal. Beim fliegenden Personal sind es aktuell 3 Piloten und 4 Flugbegleiter. Die kümmern sich um persönliche Themen von den Kolleginnen und Kollegen. Damit das auch datenschutzrechtlich Hand und Fuß hat, gibt es dazu eine eigene Betriebsvereinbarung. Diese Kollegen haben auch einen direkten Konnex zum flugpsychologischen Dienst, um eventuell betroffene Kollegen aus dem Flugdienst abzuziehen und sie gezielt zu unterstützen.

Das AUA-Hauptbüro auf dem Flughafen Wien Schwechat. Hier fand das Interview mit Rudolf Buchsteiner statt. Der flugmedizinische Dienst befindet sich vis a vis im Office Park 3.

PH: Die Unternehmenskultur ist ein wichtiger Faktor für die Flugsicherheit. Es gibt Airlines, da werden Piloten bedrängt, mit defekten Flugzeugen zu fliegen. Es gibt Fluglinien, die setzen ihre Piloten unter Druck, selbst bei Schlechtwetter nur ja keinen Ausweichflughafen anzusteuern, sondern unbedingt am Zielflughafen zu landen, wenn das irgendwie noch legal möglich sein sollte. Es gibt Fluglinien, die machen ihren Piloten mehr oder weniger subtil Vorgaben, wie viel Sprit sie mitnehmen dürfen. Wie bewerten Sie solche Methoden im Sinne der Flugsicherheit und welche Sicherheitskultur ist bei der AUA etabliert?

RB: Die AUA hat hier eine sehr klare und eindeutige Linie. Unser Mission Statement, das unser COO Francesco Sciortino, der übrigens selbst ausgebildeter und aktiver Verkehrspilot ist, und ich unterschrieben haben, ist unmissverständlich. Darin steht als erster Satz: „Safety, security and quality are the ultimate goals of Austrian.“ Danach wird taxativ aufgezählt, worauf sich das bezieht. Für uns ist es überhaupt kein Thema, Piloten oder Mitarbeiter unter Druck zu setzen, sondern ganz im Gegenteil. Wir versuchen, die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Verantwortung zu bestärken, den bestmöglichen Job zu machen und dazu gehört auch „Just Culture“, die bei uns im Unternehmen sehr ausgeprägt ist. Wenn ein Kollege extra Sprit mitnehmen will, dann tut er das. Wenn ein Kollege aufgrund seiner Einschätzung einer Situation der Ansicht ist, dass am Zielflughafen eine sichere Landung nicht möglich ist und er deshalb einen sogenannten „Alternate“, also einen vorher definierten Ausweichflughafen ansteuert, dann tut er das. Da redet ihm niemand drein.

AUA COO Francesco Sciortino ist ein Mann der Praxis, der selbst regelmäßig als Pilot im Cockpit sitzt. Er weiß um die enorme Bedeutung einer hohen Sicherheitskultur im Flugbetrieb.

PH: Was besagt diese „Just Culture“ überhaupt?

RB: Die Fliegerei ist ein zutiefst lernendes System. Wir versuchen, aus jedem Vorfall zu lernen. Diese „Just Culture“ ist eine Weiterentwicklung aus „Non Punitive Culture“. Sie besagt im Wesentlichen, dass Mitarbeiter für Fehler nicht bestraft werden, wenn sie diese melden, ausgenommen natürlich sie sind auf Fahrlässigkeit, vorsätzliches Missachten von Regeln oder auf Sabotage zurückzuführen. Die Entwicklung von „Just Culture“ geht auf etliche signifikante Vor- und Unfälle in der Fliegerei zurück. Einer davon war die Kollision zweier Boeing 747 auf Teneriffa 1977 mit 583 Todesopfern. Damals startete der Vorzeige-Kapitän der KLM seinen Jumbo ohne Startfreigabe. Sein Erster Offizier wagte keinen Einwand und der Flugingenieur als dritter Mann im Cockpit reagierte nur sehr zaghaft. Die Folge war, dass das Flugzeug im dichten Nebel mit einer Boeing 747 der Pan Am zusammenstieß. Es gab auch später noch weitere bedeutende Vorfälle, die zu Wendepunkten wurden. Germanwings 9525  ist auch einer davon, ebenso wie Air France 447. Man hat erkannt, dass man sich nur weiterentwickeln kann, wenn man Daten von Vorfällen und Zwischenfällen bekommt. Wie bekommt man diese Daten? Nur wenn man die Informanten schützt. Das ist das Wesen von „Just Culture“. Denn wir alle sind Menschen und Menschen machen nun einmal Fehler. „Just Culture“ ist eine wesentliche Säule beim Umgang mit Fehlern und Vorfällen in unserem Unternehmen. Solche Situationen, beispielsweise, dass man als Pilot vorgeschrieben bekommt wie viel Treibstoff man mitnehmen darf, gibt es bei uns nicht. Die letzte Instanz ist immer der Kapitän. Nichtsdestotrotz versuchen wir auch hier zu lernen und haben eine eigene Abteilung für Effizienz im Haus. Dort bewertet man die getankte und verbrauchte Treibstoffmenge für sämtliche Destinationen. Damit steht den Piloten dann eine Entscheidungshilfe zur Verfügung, aber es wird in keinster Weise Druck ausgeübt oder ihnen in ihre Entscheidung „dreingeredet“.

PH: Kommen wir auf den Flugbetrieb zurück. Da gibt es ja jede Menge Regeln. 9/11 war die Zäsur schlechthin und seither wurden die Regeln immer wieder nachjustiert. Welche Bestimmungen gelten beispielsweise wenn ein Pilot das Cockpit verlassen will oder muss, um sich einmal kurz die Beine zu vertreten, die Toilette aufzusuchen oder sich vielleicht selbst aus der Bordküche einen Kaffee zu holen, weil die Flugbegleiter gerade mit dem Bordservice beschäftigt sind? Darf er das überhaupt bzw. gibt es Phasen wo er das nicht darf und was ist dabei zu beachten?

RB: Es gibt grundsätzlich einmal keine Regel, die einem der Piloten verbieten würde, das Cockpit während des Fluges zu verlassen. Das Verlassen des Cockpits ist jedoch nur für „duty requirements“ oder „physical needs“ vorgesehen. Es gibt jedoch sehr wohl Vorgaben, wie der Flugbetrieb abzulaufen hat, hier darf ich die „Sterile Flight Deck Rule“ erwähnen. Die besagt, dass in sogenannten „kritischen Phasen des Fluges“ beide Piloten auf ihren Plätzen sein müssen. Das ist im Wesentlichen von Block off (Verlassen der Parkposition am Boden, Anmerkung) bis 10.000 Fuß beziehungsweise während des Anfluges ab 10.000 Fuß und darunter. Außerdem ist in dieser Phase jede private Kommunikation der Besatzungsmitglieder im Cockpit untersagt, es dürfen nur die dienstlich erforderlichen Gespräche geführt werden. Damit wird Ablenkung vermieden und die Flugsicherheit gewährleistet. Denn auch hier wissen wir von Zwischenfällen aus der Vergangenheit wie wichtig die Einhaltung der „Sterile Flight Deck Rule“ ist. Wenn ein Pilot das Cockpit verlassen möchte, ist ein „Handover Briefing“ obligatorisch. Gute Kommunikation im Cockpit ist wichtig und eine wesentliche Säule der Flugsicherheit. Dabei erfolgt eine Übergabe der Agenden jenes Kollegen, der das Flight Deck verlässt an seinen Kollegen. Das Wesentliche ist, dass exakt definiert wird, wer das Flugzeug fliegt, also die Rolle des „Pilot Flying“ übernimmt. Und natürlich spricht man sich hier immer ab, es müssen beide damit einverstanden sein, dass ein Kollege das Cockpit verlässt. Bei diesem „Handover Briefing“ werden unter anderem Wettersituation, Flugparameter, etc. … erläutert. Das ist individuell von Flug zu Flug und den vorherrschenden Rahmenbedingungen unterschiedlich.

Piloten im Cockpit eines A320. Die A320-Familie bildet das Rückgrat der AUA-Mittelstreckenflotte und ist neben dem Embraer E195 das Einstiegsmuster für neue Piloten.

PH: In der Öffentlichkeit hängt Co-Piloten / Ersten Offizieren manchmal das Bild an, sie seien nur „ein wenig ausgebildete Hilfspiloten“. Kann man das so stehen lassen?

RB: Definitiv nicht, das ist grundlegend falsch. Ich möchte hier den Bogen wieder zurück zur Selektion unserer Piloten spannen. Wir selektieren keine Co-Piloten, sondern zukünftige Kapitäne. Die Piloten werden bei uns alle in derselben Qualität geschult und sind grundsätzlich gleich qualifiziert. Den Kapitän unterscheidet vom Co-Piloten, dass er in der Regel mehr Erfahrung hat und letztverantwortlich in der Entscheidungshierarchie ist. Das Hierarchiegefälle ist bei uns eher flach, sodass ein modernes Verkehrsflugzeug tatsächlich im Team betrieben wird. Deshalb ist Teamfähigkeit eine der Grundvoraussetzungen für Piloten, wie ich schon zu Beginn unseres Gespräches erwähnt habe.

PH: Diese flache Hierarchie gib es aber nicht überall. Vor allem im asiatischen und dem arabischen Kulturkreis sind problematische Hirarchie-Strukturen im Cockpit in der Vergangenheit immer wieder ein Problem gewesen, das Unfälle verursacht oder zumindest dazu beigetragen hat.

RB: Das ist zutreffend. Da kann es dann mitunter zu Situationen kommen, dass der Erste Offizier sich nicht traut, Probleme anzusprechen, da der Kapitän in diesem Kulturkreis sakrosankt ist. Nach dem Motto: „Der Kapitän macht keine Fehler und hat immer Recht.“ Das ist natürlich falsch. Ich war einmal als Ausbilder bei einer Airline in Indien tätig, dort durften Co-Piloten während der ersten 2.000 Flugstunden überhaupt keine Landungen durchführen. Von der Sicherheit her ist das sehr kritisch zu sehen, denn was passiert, wenn der Kapitän gesundheitsbedingt einmal nicht mehr in der Lage ist, seine Pflichten zu erfüllen? Dann müsste so ein Co-Pilot landen, der das seit dem letzten Simulatortraining nicht mehr gemacht hat. Wir, die westlichen Ausbilder, haben versucht, die Unternehmenskultur dort im Sinne der Flugsicherheit zu verbessern.

PH: Wie ist das bei der AUA? Dürfen Co-Piloten selbst landen?

RB: Natürlich, sie sind vollwertige Piloten, wie ich schon sagte. Bei uns gibt es so etwas, wie ich es in Indien erlebt habe, auf keinen Fall. Wir ermutigen unsere Co-Piloten auch ganz aktiv dazu, Dinge anzusprechen. Sie sind dazu sogar verpflichtet, das ist im „Operations Manual“ so festgelegt. Es gibt in einem modernen Cockpit sogenannte „Aereas of responsibility“. Das teilt sich im Flug nicht in Kapitän und Erster Offizier, sondern in „Pilot Flying“ und „Pilot Monitoring“. Der „Pilot Flying“ ist für das Führen des Luftfahrzeuges, das eigentliche Fliegen, verantwortlich, der „Pilot Monitoring“ oder „Pilot Non Flying“ arbeitet ihm zu und überwacht den Kollegen. Über das hinaus sollen Co-Piloten jederzeit ansprechen, wenn ihnen etwas auffällt oder wenn sie mit einer Vorgehensweise nicht einverstanden sind. Ich persönlich sage das als Kapitän zum Beispiel bei jedem Briefing extra dazu.

PH: Machen wir ein Gedankenspiel. Stellen wir uns vor, wir befinden uns im Reiseflug oder zu Beginn des Sinkfluges. Der Kapitän hat das Cockpit in Übereinstimmung mit den flugbetrieblichen Vorgaben temporär verlassen und es tritt ein Notfall auf, während der Co-Pilot allein im Cockpit ist. Das kann ein Triebwerksbrand, Druckverlust, Vogelschlag, Hagel, irgend etwas sein. Wie kann ein Pilot alleine so eine herausfordernde Situation abarbeiten?

RB: Grundsätzlich sind alle Austrian Airlines Piloten auf eine „Single Pilot Operation“ trainiert. Das ist auch bei den Simulatorchecks ein regelmäßiges Thema. Wenn ein sogenanntes „Abnormal“ passiert, ist es immer auch eine Frage des Workload-Managements. Das ist letzten Endes auch das, worauf Piloten geschult sind: Dass sie eine außergewöhnliche Situation, die vielleicht in ihrer ganzen Karriere nie auftritt, einen Notfall, dann gut abarbeiten können, wenn er doch einmal eintritt. Man geht strukturiert ein ein Thema heran. Airbus definiert das zum Beispiel als „Aviate, Navigate, Communicate“, ein anderes Akronym dafür ist „TPAA“ für „Trust Performance Analyse Action“. Beide Herangehensweisen sagen im Wesentlichen das Gleiche aus, nämlich, dass es das Wichtigste ist, das Flugzeug sicher zu fliegen, es in der Luft zu halten, wenn eine außergewöhnliche Situation, ein Ereignis eingetreten ist. Danach kommt die Navigation und dann erst die Kommunikation, also der Funkspruch an die Flugsicherung, die Durchsage an die Passagiere. In der Praxis wird man eine Warnung angezeigt bekommen, möglicherweise fällt auch der Autopilot aus. Dann muss man zuerst das Flugzeug gegebenenfalls manuell übernehmen, die Situation analysieren und dann eine Aktion durchführen, die im Regelfall von der Checkliste vorgegeben ist. Manche Verfahren muss man als Pilot aber auch auswendig beherrschen, weil in kritischen Momenten keine Zeit für eine Checkliste bleibt. Das sind die sogenannten „Memory Items“. Gerade beim unvorhergesehenen Auftreten einer solchen Situation ist die Arbeitsbelastung natürlich am Anfang besonders hoch und man darf den Überraschungseffekt nicht vergessen. Die korrekte Reaktion auf diesen Überraschungseffekt wird übrigens ebenfalls regelmäßig trainiert. Nachdem man sichergestellt hat, dass das Flugzeug sicher fliegt, wird man auch sofort den Kollegen zurück ins Cockpit holen.

PH: Es läuft also alles auf gutes Training heraus. Eine gewisse Anzahl jährlicher Simulatorflüge ist von der Aufsichtsbehörde vorgeschrieben. Vor allem im Low Cost Bereich wird hier mitunter nur das absolut erforderliche Minimum absolviert, um Kosten zu sparen. Wie ist das bei der AUA?

RB: Auch hier gilt wieder, dass wir deutlich über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Laut Gesetz müsste ein Linienpilot pro Jahr einmal 4 Stunden Training im Simulator und zweimal pro Jahr einen je 2-stündigen Check absolvieren. Wir schicken unsere Crew Member aber zweimal im Jahr für 4 Stunden zum Training in den Simulator und außerdem zweimal im Jahr 4 Stunden für den Check. Was wir zusätzlich noch machen ist, dass wir das System von evidenzbasiertem Training verfolgen. Das ist ein sehr moderner Ansatz. Das heißt, wir arbeiten nicht nur jene Szenarien, die gesetzlich vorgegeben sind, wie Triebwerksausfälle oder Durchstartmanöver, im Simulator ab, sondern orientieren uns zusätzlich an Fällen, die sich aus der Praxis ergeben haben. Das ermöglicht ein besonders zielgerichtetes Training und das kommt wiederum der Flugsicherheit zugute.

PH: Können Sie das anhand eines Beispiels veranschaulichen?

RB: Gerne. Wenn es zum Beispiel ein gehäuftes Aufkommen von Vorfällen mit Scherwinden gibt, dann legen wir im Simulator den Fokus beim nächsten Mal gezielt das „Windshear escape maneuver“. Ein weiteres Beispiel wäre „Single Pilot Operation“ in Kombination mit Druckverlust. Das ist eine ziemliche Herausforderung deshalb trainieren wir es bei der AUA auch regelmäßig.

PH: So ein Simulatortraining ist ja auch eine Stresssituation für Piloten, womit wir wieder zur Firmen- bzw. Sicherheitskultur zurückkommen. Verliert ein Pilot seinen Job, wenn er bei einem Simulatorcheck durchfällt?

RB: Die Fliegerei ist eine sicherheitskritische Branche und jeder muss seine Leistung bringen. Das ist ganz klar. Trotzdem muss bei der AUA niemand initial Angst um seinen Arbeitsplatz haben, wenn er bei einem Simulatorcheck einmal nicht besteht. Es ist auch sehr selten, aber manchmal kommt das vor. Wir alle können mal einen schlechten Tag haben, da ist niemand davor gefeit. Da geht es dann meist darum, dass der Kollege oder die Kollegin nur einen Teil der geforderten Aufgaben nicht korrekt abgearbeitet und deswegen nicht bestanden hat. Dann haben wir ein klares Verfahren dafür. Es gibt eine „Cool down Phase“ von 7 Tagen, wo der Pilot nicht im Flugdienst eingesetzt wird. In dieser Zeit wird analysiert, wo die Mängel sind und wie wir als Unternehmen unterstützten können. Auf diese Evaluierung folgt dann ein spezifisches Training und danach ein erneuter Checkflug mit einem anderen Prüfer, der innerhalb von spätestens 4 Wochen stattfinden muss.

PH: Kann ein Pilot bei Austrian, der sich aus welchen Gründen immer persönlich nicht optimal vorbereitet fühlt, eigentlich um zusätzliche Simulatorstunden bitten, oder riskiert er damit die Kündigung beziehungsweise seinen Vorgesetzten negativ aufzufallen?

RB: Das ist durchaus möglich, wird aber nur selten gewünscht. Was dagegen immer wieder vorkommt ist, dass Kollegen nach einer abnormalen Situationen selbst den Wunsch haben, eine gewisse Zeit mit einem Fluglehrer zu fliegen. Dem entsprechen wir im Sinne unserer hohen Sicherheitskultur dann natürlich.

PH: Stichwort Notfall. Ein Mayday-Call über Funk ist zwar rein juristisch betrachtet, die Erklärung einer Luftnotlage. Er bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass in diesem Moment tatsächlich eine akute Gefährdung besteht. Das klingt für Personen, die nicht so tief in der Welt des Flugbetriebes drinnen sind, vielleicht einmal ein wenig widersprüchlich. Können Sie unseren Lesern hierzu ein wenig Hintergrundwissen vermitteln?

RB: Sie sind vermutlich einer jener Fach-Journalisten, die darüber bereits sehr gut Bescheid wissen, gerne gehe ich noch näher darauf ein. Zunächst einmal müssen wir zwischen einer Dringlichkeitslage und einer Luftnotalage unterscheiden. Die Dringlichkeitslage wird mit dem Funkspruch „Pan Pan“ erklärt, ein Notfall mit dem allseits bekannten „Mayday“. Grundsätzlich signalisieren beide Phrasen dem Fluglotsen am Boden in etwa das Gleiche, nämlich, dass ein Flugzeug Schwierigkeiten hat und eventuell, ich betone eventuell, Unterstützung benötigt. Der große Nachteil von „Pan Pan“ ist, dass, wenn im gleichen Luftraum eine andere Cockpitbesatzung „Mayday“ erklärt, diese die Priorität erhält. Es gibt klar definierte Vorkommnisse, bei denen zwingend ein „Mayday“ erklärt werden muss, etwa bei einem Triebwerksausfall. Ganz oft ist es aber eben die persönliche Einschätzung des Piloten, ob er den entsprechenden Funkspruch absetzt oder nicht. Wir von der Safety Abteilung ermutigen unsere Piloten deshalb dazu, im Zweifel eher „Mayday“ als „Pan Pan“ zu erklären, denn dann ist die Situation für den Controller absolut klar: Er weiß, dass er diesem Luftfahrzeug größtmögliche Priorität einräumen muss. Wobei so ein „Mayday“-Status seitens der Piloten während des Fluges auch jederzeit wieder gecancelt werden kann, wenn sich die Situation als nicht oder nicht mehr kritisch herausstellt. Für einen Außenstehenden ist die Komplexität dieses Themas nicht immer ganz verständlich, wie man auch an manchen Medienberichten sieht. „Mayday“ bedeutet aber keineswegs zwangsläufig, dass ein Flugzeug kurz vor dem Crash ist, sondern lediglich, dass die Piloten akuten Handlungsbedarf sehen und dass sich aus der gegenwärtigen abnormalen Situation möglicherweise zeitnah eine absolute Notsituation ergeben könnte. Anders ausgedrückt: Durch das rechtzeitige Erklären einer Luftnotlage beim Auftreten von zu diesem Zeitpunkt noch durch eine professionelle Ausbildung gut beherrschbaren Problemen und einer raschen Landung auf dem nächsten geeigneten Flughafen, kann der Eintritt einer tatsächlich gefährlichen und möglicherweise nicht mehr oder nicht mehr so gut beherrschbaren Situation eben vermieden werden. Die zeitgerechte Bekanntgabe einer Luftnotlage durch Absetzen eines „Mayday“-Calls an die Flugsicherung ist also Ausdruck einer hohen Sicherheitskultur, denn klar ist auch: Kein Pilot macht sich so etwas einfach oder verwendet dieses kraftvolle Instrument inflationär. Der große Vorteil ist, dass man dadurch von der Flugsicherung absolute Priorität eingeräumt und jede nur denkbare Unterstützung bekommt und sich daher voll und ganz auf die Durchführen der erforderlichen flugbetrieblichen Maßnahmen zur Abarbeitung der abnormalen Situation kümmern kann. Es ist daher grundsätzlich besser, einmal zu viel „Mayday“ zu erklären als einmal zu wenig, nur weil man vielleicht Angst davor hat, dass es einen großen medialen Aufschrei nach dem Motto „Fatale Notlage an Bord“ geben könnte. Wie gesagt, kein Pilot trifft so eine Entscheidung leichtfertig, es gehört, im Gegenteil, Entscheidungskraft dazu, so etwas auch im Zweifel bewusst zu tun. Doch genau dafür werden wir Piloten trainiert und hier schließt sich der Kreis. Piloten müssen ein ganz bestimmtes Persönlichkeitsprofil erfüllen und darauf werden sie schon vor Ausbildungsbeginn selektiert. Hinweis der Redaktion: Pilot und Buchautor Hans-Georg Rabacher verfasste zum Thema "Sicherheits- versus Notlandung" 2013 einen ausführlichen Kommentar auf Austrian Wings.

PH: Wie schaut es bei der AUA hinsichtlich Krankenstände oder „Unfit to fly“-Meldungen aus. Auch wenn das manchmal in Zeitungsberichten durcheinander gebracht wird, sind das doch zwei verschiedene paar Schuhe. Gibt es seitens der Company irgendeinen Druck auf Piloten, die krank sind oder sich nicht wohl fühlen, ihren Dienst trotzdem anzutreten, so wie das manchmal aus dem Billigflieger-Segment zu hören ist? Mir persönlich sind von dort Fälle zu Ohren gekommen, bei denen Piloten von Billigfliegern aus Angst vor Jobverlust krank und vollgestopft mit Medikamenten im Cockpit gesessen sind, was streng genommen sogar einen Gesetzesverstoß dargestellt hat.

RB: Zunächst einmal danke für diese gute Frage, Herr Huber. Man merkt auch daran, dass Sie sehr tief in der Materie Luftfahrt verankert sind. Krankenstand und „Unfit to fly“ sind in der Tat zwei völlig verschiedene Dinge. Was ein Krankenstand ist, wissen wir alle aus dem täglichen Leben. Man hat eine Erkrankung, aufgrund derer der Arzt die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Das gibt es bei uns auch, wie in jedem Job. Zusätzlich, und deshalb ist die Fliegerei ja so besonders sicher, gibt es bei uns völlig legal noch eine viel niederschwelligere Möglichkeit, einen Dienst nicht antreten zu müssen. Das ist unter „Unfit to fly“ zusammengefasst. Man kann auch gesund sein, aber sich trotzdem außerstande fühlen, seinen Dienst als Flugbegleiter oder als Pilot sicher durchzuführen. Ein Beispiel wäre etwa Übermüdung, weil man schlecht geschlafen hat, weil die Kinder die ganze Nacht geweint haben, weil man gerade eine emotional aufwühlende Nachricht erhalten hat oder die ganze Nacht eine Baustelle vor dem Haus war. Es gibt sehr viele Gründe. Dann ist man „Unfit fo fly“ und wir vertreten als Austrian Airlines auch hier eine ganz klare Linie im Sinne der Flugsicherheit. Wann immer ein Besatzungsmitglied sich „unfit“ fühlt, soll und muss es das sogar melden und darf den Dienst gar nicht antreten. Wir haben bei uns im Unternehmen ein „Fatigue Risk Management“ eingeführt, das ebenfalls unter meiner Verantwortung steht und da ist explizit der Punkt „Unfit due to fatigue“, also dienstunfähig wegen Müdigkeit, aufgeführt. In unserem „Operations Manual“ ist ausdrücklich ausgeführt: „Flight Duty is prohibited at any time when a crew member is aware of pregnancy or any decrease of his medical fitness which might render him unable to safely exercise his flight duties. Der Bogen ist hier sehr breit gespannt und es liegt in der Verantwortung des Besatzungsmitgliedes, sich im Fall des Falles „unfit“ zu melden. Das ist auch wieder ein Teil von „Just culture“. Im unwahrscheinlichen Fall, dass sich jemand jede Woche „unfit“ meldet, wird es natürlich einmal ein klärendes Gespräch geben. Denn dann müssen wir sehen, ob das vielleicht ausgenutzt wird, oder es ein tieferliegendes Problem gibt, bei dessen Bewältigung wir den Kollegen oder die Kollegin unterstützen können. Aber grundsätzlich kann sich jedes Besatzungsmitglied problemlos „unfit“ melden, wenn es sich nicht dienstfähig fühlt. Es ist eine wichtige Regelung, dass es hier keine Bestrafung gibt. Wir wollen keine „nicht fitten“ Crewmitglieder. Es gibt von uns auch keine „Sick Letters“, mit denen Piloten oder Flugbegleiter, die sich krank oder „unfit“ gemeldet haben, psychisch unter Druck gesetzt werden.

PH: Kommen wir zur Praxis „Pay2Fly“. Die ist vor allem im Billigfliegersegment verbreitet, zum Teil aber auch bei klassischen europäischen Airlines. Da müssen Piloten dafür zahlen, dass sie fliegen, also arbeiten, dürfen. Die deutsche Pilotenvereinigung Cockpit hat dazu schon vor 10 Jahren festgehalten, dass eine solche Praxis „Ausbeutung“ sei und die „Flugsicherheit gefährdet ist“. Ilja Schulz, der damalige Präsident der VC sagte wörtlich: „Unter so hohem finanziellen Druck zu stehen kann dazu führen, dass ein Pilot auf jeden Fall seinen Flugdienst antritt, auch wenn er dazu gerade körperlich oder geistig gar nicht in der Lage ist. Er will ja schließlich sein Training nicht gefährden oder es riskieren, dem Arbeitgeber negativ aufzufallen.“ Meine Frage: Gibt es eine solche ausbeuterische und die Flugsicherheit potentiell gefährdende Praxis auch bei der AUA?

RB: Nein. Es muss bei uns niemand dafür zahlen, dass er fliegen darf. Bei uns gibt es ein ganz klares Programm für die Karriere als Pilot. Das beginnt mit der bereits besprochenen Selektion, geht weiter über die eigentliche Ausbildung und schließt mit dem Type Rating ab. Unsere Piloten sind mit regulärem Arbeitsvertrag angestellte Mitarbeiter des Unternehmens, die natürlich gemäß geltendem Kollektivvertrag bezahlt werden.

PH: Stichwort Ausbildung: Die ist ja nicht billig und liegt bei über 100.000 Euro. Früher einmal wurde das zum größten Teil von der AUA finanziert, wie ist das aktuell?

RB: Es gibt bei uns das „Beginner plus-Programm“. Dabei tragen die Piloten zunächst einen geringen Kostenanteil selbst und der wesentlich größere Teil der Ausbildungskosten wird dann im Rahmen eines 10-Jahres-Vertrages über das Gehalt abgetragen. Die Kollegen von Crew Training haben hierzu eine sehr informative und ansprechende Homepage gestaltet, auf der man alle Informationen findet.

PH: Jetzt kann es aber sein, dass ein Pilot ohne eigenes Verschulden aus medizinischen Gründen plötzlich fluguntauglich wird. Dann steht er mit hohen Schulden und ohne Job da. Andreas Lubitz, der vor 10 Jahren aufgrund seiner psychischen Probleme den Absturz von Germanwings 9525 mit 149 unschuldigen Todesopfern verschuldet hat, war so ein Fall. Einerseits hatte er sich geradezu wahnhaft in die Angst zu erblinden, hineingesteigert, andererseits waren ihm wegen psychischer Probleme Psychopharmaka verschrieben worden. Das hätte bei der verpflichtenden Meldung an seinen Arbeitgeber, die er unterlassen hat, zum Verlust des Medicals geführt, denn er flog ja bereits mit einer Sonderngenehmigung, nachdem er seine Ausbildung einmal wegen psychischer Probleme mit Suizidtendenzen unterbrechen hatte müssen. Sind AUA-Piloten für den Fall einer medizinischen Fluguntauglichkeit finanziell abgesichert, sodass ihnen die große Angst vor Existenzverlust genommen werden kann?

RB: Ja, es gibt eine entsprechende Absicherung für unsere Piloten. Als Unternehmen trägt Austrian Airlines auch eine soziale Verantwortung. Alle Piloten haben ab Eintritt in das Unternehmen, das heißt nach positivem Abschluss des „Type Ratings“ und des Landetrainings noch vor Eintritt in die „Line Flying under Supervision“-Phase, für den Fall eines unverschuldeten Lizenzverlusts eine Absicherung in Form einer erhöhten Abfertigung durch das Unternehmen, welche mit Fortdauer des Dienstverhältnisses ansteigt.

PH: Herr Buchsteiner, vielen Dank für das Interview.

RB: Sehr gerne, Herr Huber.

Über Rudolf Buchsteiner
Der 59-jährige Flugkapitän wollte schon als kleiner Bub Pilot werden, der über Umwege zur AUA gelangte, wie er in einem 2016 über ihn auf Austrian Wings erschienenen Portrait erzählte. Unter anderem baute er den Betrieb der Embraer-Flotte bei Austrian Airlines als Flottenchef mit auf. Aktuell ist der Senior Director Safety, Security & Compliance Monitoring Operations bei Austrian Airlines. Außerdem ist er Type Rating Instructor (TRI) und Type Rating Examiner (TRE). Aktuell fliegt er als Kapitän auf Boeing 777.

Interview & Fotos (sofern nicht anders angegeben): Patrick Huber