Die internationale Fachwelt ist sich einig: Der psychisch kranke Pilot Andreas Lubitz ist für den Absturz von Germanwings 9525 verantwortlich, bei dem er 149 unbeteiligte Menschen tötete. Doch laut einer Theorie des Computerprogrammierers Simon Hradecky vom Aviation Herald ist Lubitz möglicherweise unschuldig. Der Haken an der Sache: Seine Theorien sind hochgradig spekulativ durch nichts zu beweisen und werden von den relevanten Gremien der Fachwelt regelrecht zerrissen, sogar von den Lesern seiner eigenen Webseite Aviation Herald.
"Die Theorien von (...) Hradecky werden (...) zwar zu keinem Zeitpunkt als bewiesen dargestellt, durch ihre prominente Erwähnung werden sie dennoch legitimiert. Es entsteht der Eindruck, man habe es hier mit einer umstrittenen Frage zu tun, zu der es eben zwei Meinungen gebe. Hradecky und van Beveren* sind mit ihren Annahmen allerdings Außenseiter. Der Großteil der Luftfahrtexperten hegt keine Zweifel am Suizid von Lubitz."
Die "Stuttgarter Zeitung" über die Spekulationen, die Simon Hradecky über den Sender Sky zum Germanwings Unglück verbreitet
*Herr Van Beveren war der Privatgutachter der Familie Lubitz, in der man die Schuld von Andreas Lubitz ebenfalls bestreitet. Van Beverens Thesen werden ähneln zum Teil jenen von Hradecky und werden vom größten Teil der Fachwelt gleichsam als unzutreffend zurückgewiesen.
Hradecky steht mit seinen Spekulationen international also recht isoliert da, egal ob man bei den Pilotenverbänden, Technikern, Rechtsgelehrten oder einzelnen Piloten nachfragt. Außerdem steht Hradecky in der Kritik, den Düsseldorfer Staatsanwalt sinngemäß damit gedroht zu haben, ihn persönlich namentlich "für weitere Airbus-Abstürze verantwortlich" zu machen, wenn der Jurist die Flugschreiber nicht an Hradecky respektive an Experten von dessen "Gnaden" aushändigen würde. Das konnte (die Flugschreiber befinden sich in Frankreich) und durfte (fehlende Rechtsgrundlage) der Staatsanwalt überhaupt nicht, aber es zeigt, wie sich Hradecky in seine Verschwörungstheorien hineinsteigert und mit welchen Methoden er versucht hat, seinen Willen zu erreichen.
"Der Herr erklärte mir daraufhin, dass der nächste Absturz eines Airbus auf meine Kosten gehe und er dann entsprechend öffentlich kommunizieren würde, dass ich für den Tod dieser Menschen verantwortlich sei. Ich habe den Eindruck, dass die (...) Sky-Dokumentation, an der er beteiligt ist, dazu dient Verschwörungstheorien zu verbreiten."
Der Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa im großen Austrian Wings Interview
Aber für zwei Journalisten, die sich schon vor Jahren mit einem mehr oder weniger erfundenen "Hubschrauberabsturz" zum Gespött vieler Experten machten, ist das kein Hindernisgrund, die Spekulationen als angebliche "Aufdeckerstory" unters Volk zu bringen. In mehreren Artikeln wurden sie nicht müde, Hradeckys wirklichkeitsfremde Behauptungen als vermeintliche "Enthüllung", "neue Indizien" zu verkaufen, behaupteten sogar, dass Hradecky "Unterstützung aus der Fachwelt" erhält. Wie die aussehen sollte oder wie groß die ist, darüber erfährt der Leser nichts. Wenn das aber im Einzelfall wirklich so sein sollte, dann wäre diese Unterstützung wahrscheinlich ebenso einsam wie Hradecky mit seinen Thesen dasteht. Das bestätigt der österreichische Luftfahrtjournalist Patrick Huber, der 18 Bücher zu Flugthemen verfasst hat, darunter "Germanwings 9525 - Absturz in den französischen Alpen". Huber ist als ausgewiesener Flugsicherheitsexperte anerkannt, der zu Germanwings von zahlreichen deutschen Medien um seine Einordnung der Spekulationen von Simon Hradecky gebeten wurde, darunter vom "Merkur", der "Frankfurter Rundschau", der "BILD"-Zeitung, dem angesehenen "Stern" und dem öffentlich rechtlichen ZDF. Huber ist dabei nicht der einzige Experte, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, wenn er Hradeckys Thesen hört.
"Für die seriöse Fachwelt gibt es keinen Zweifel."
Patrick Huber gegenüber dem "ZDF" über die offizielle Germanwings-Absturzursache
"Wie kann man 700 Seiten Kauderwelsch über eine Alternativ-Theorie zum Germanwings-Absturz schreiben und sich an der entscheidenden Stelle komplett vertun?"
"Airliners.de"-Herausgeber David Hasse über die Verschwörungstheorien von Simon Hradecky zum Germanwings-Absturz
Die Reporter, die sich zum Vehikel für Hradeckys Thesen machen, erwähnen in ihrem Artikel nicht, dass Piloten, deutsche Fachmedien (wie "Airliners.de", das in der Branche als Standard gilt), Pilotenverbände und viele mehr die Thesen von Simon Hradecky als "unplausibel", "unzutreffend" oder "Verschwörungstheorien ohne jeden Funken Tatsachengehalt" und ähnliches eingestuft haben. Sie erwähnen nicht, dass weitere Fachmedien nicht darüber berichtet haben, um Hradecky "keine unnötige Aufmerksamkeit zu schenken". Selbst die Stiftung Katastrophennachsorge, dort betreut man die Angehörigen der 149 Opfer, spricht sich gegen die Verschwörungstheorien von Simon Hradecky aus. Die deutsche "Welt" formulierte es besonders drastisch. Sie prangert an, dass der Sky-TV-Beitrag von Simon Hradecky den von Andreas Lubitz begangenen "Massenmord ausschlachtet".
Die Zeitungs-Journalisten verbreiten auch Hradeckys längst widerlegte Behauptung, dass ein Mensch die Flughöhe nicht innerhalb einer Sekunde (so wie Andreas Lubitz es gemäß den Aufzeichnungen des Flugschreibers getan hat) von 38.000 auf 100 Fuß hätte ändern können. Doch Austrian Wings wies nach, dass die Höhenänderung sogar innerhalb von 0,8 Sekunden möglich ist: Hier findet man den Videobeweis. Damit ist auch diese Spekulation widerlegt.
"Die Veröffentlichung einer subjektiven Theorie, die auf eine Verschwörungstheorie hinausläuft, auf einer Website, die sich der objektiven Berichterstattung über Vorfälle in der Luftfahrt widmet, ist ein Verrat an dem, was Sie aufgebaut haben, und an dem, wovon ich dachte, dass diese Website existiert. Schande über Sie, Simon."
Ein Leser des Aviation Herald in der Kommentarfunktion zu den Verschwörungstheorien des Betreibers (per Screenshot gesichert)
"Simon, höchstwahrscheinlich ist dieser Beitrag von dir das Ende für mich und Avherald. Warum zerstörst du deinen Ruf mit solchem Mist? Nur um deinen „Bericht“ zu verkaufen? Du solltest dich schämen. Mach's gut."
Ein anderer Leser des Aviation Herald in der Kommentarfunktion zu Hradeckys Spekulationen (per Screenshot gesichert)
Auffällig ist außerdem, dass die meisten Medien darauf verzichtet haben diese Theorien unkritisch zu übernehmen, selbst der Boulevard stieg, was ich gesehen habe, nicht auf diese billige Effekthascherei ein. Nicht so die beiden "Hubschrauberabsturz-Erfinder", die dafür in ihrem Artikel gleich brav "Werbung" für das 700-Seiten-Buch von Simon Hradecky machen, in dem er seine Verschwörungstheorien ausbreitet.

"Es ist verblüffend einfach, die ganze Verschwörungstheorie zu widerlegen – und zwar im eigenen Denksystem. In der "Beweisführung" wurde ein so gravierender Fehler gemacht, dass er sofort ins Auge sticht – jedenfalls wenn man nicht links, rechts, vorne und hinten Scheuklappen auf hat."
"Airliners.de"-Herausgeber David Hasse über die Verschwörungstheorien von Simon Hradecky zum Germanwings-Absturz
"So gut wie jeder Experte hält die Theorien von Simon Hradecky für unplausibel."
"Airliners.de"-Herausgeber David Hasse
Es ist "Werbung" für ein Buch, das "Airliners.de" Herausgeber David Hasse, ein angesehener Luftfahrtexperte mit jahrzehntelanger Erfahrung, wörtlich als "Kauderwelsch" und "Humbug" einordnet. So eine Form des Sensationsjournalismus ist bemitleidenswert, vor allem aber eine Tortur für die Angehörigen der 149 Menschen, die Andreas Lubitz ermordet hat.
(red TB)
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.