Punktlandung

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Helikopterabsturz mit 6 Toten in New York: Mast Bumping als mögliche Ursache

Der gestern verunglückte Bell 206L Long Ranger - Foto: Mackenzie Logie / Public Domain

Eine ganze Familie (Vater, Mutter und ihre 3 Kinder) wurde gestern beim Absturz eines Bell 206L Long Ranger in den Hudson River in New York ausgelöscht. Videoaufnahmen des Unglücks nähren den Verdacht, dass der Absturz auf sogenanntes Mast Bumping zurückzuführen sein könnte. Ein Problem, vom dem in dieser Form im Wesentlichen Hubschrauber mit Zweiblatt-Rotorsystem betroffen sind. Allerdings sind auch andere Ursachen denkbar.

Gegen 15:17 Uhr Ortszeit stürzte - wie berichtet - der auf einem Rundflug befindliche  Bell 206L-4 LongRanger IV mit dem Kennzeichen N216MH in den Hudson River in New York. Zum Zeitpunkt des Unfalls befand sich der Hubschrauber auf dem Rückflug zum Stützpunkt, um aufzutanken und war 18 Minuten in der Luft. Neben dem Piloten kamen auch alle Passagiere, eine fünfköpfige Familie aus Spanien, ums Leben.

Videoaufnahmen zeigen wie die Zelle des Hubschraubers ohne Heckausleger und ohne Hauptrotor in den Hudson River stürzt. Es existieren aber auch Aufnahmen wenige Augenblicke davor, auf denen zu sehen ist, wie zuerst der Heckausleger wegbricht und die Zelle anschießend - noch mit vorhandenem Hauptrotor - abstürzt. Während des Falls löste sich dann auch der Hauptrotor. In jedem Fall waren der Helikopter und seine sechs Insassen ab dem Augenblick verloren, als der Heckausleger abbrach. Die große Frage ist nun, warum dies geschah. Theoretisch wäre ein strukturelles Versagen infolge Materialermüdung denkbar, diese Möglichkeit erscheint angesichts der regelmäßigen Wartungen, denen ein Hubschrauber unterzogen wird, eher unwahrscheinlich.

Stattdessen erscheint eine andere Ursache nach Auswertung des Videomaterials sehr plausibel - Mast Bumping. Dabei handelt es sich um ein konstruktionsbedingtes Problem, das im Wesentlichen Hubschrauber mit Zweiblatt-Rotorsystem betrifft. In der Vergangenheit waren zumeist Robinson R22 und R44 davon betroffen, im Vietnamkrieg auch UH-1D (das US-Militär reagierte mit einer Schulungsoffensive der Piloten und produzierte sogar einen Lehrfilm über das Risiko von Mast Bumping), vereinzelt aber auch zivile Bell 206 - wie die gestern verunglückte Maschine. Der Absturz eines Robinson R44 am 17. Oktober 2021 in Deutschland war ebenso auf Mast Bumping zurückzuführen wie der glimpflich ausgegangene Landeunfall einer Bell 206B in Kanada.im Jahr 2011.

Auch der dramatische Absturz des SAR 71 in Deutschland im Jahr 2002 (bekannt aus der TV-Serie "Die Rettungsflieger") war auf Mast Bumping, verursacht durch abrupte Steuereingaben des alkoholisierten Piloten, zurückzuführen.

Zweiblatt-Rotorsysteme (hier ein AB 212 des Bundesheeres) sind von ihrer Konstruktion her gefährdet für Mast Bumping - deshalb sind die Piloten entsprechend für die Thematik sensibilisiert.
Rotormast und Rotorkopf eines Bell 204 (Vorgänger des Bell 212). Deutlich zu erkennen ist, dass zwischen Hauptrotor(kopf) und Rotormast nur wenige Zentimeter Platz sind. Neigt sich der Rotor zu stark - etwa durch unangemessene Steuereingaben oder starke Turbulenzen - kommt es zum Kontakt zwischen Hauptrotor und Rotormast. Nur eine sofortige korrekte Reaktion des Piloten kann dann den Absturz noch verhindern.

Was aber ist Mast Bumping?
Konstruktionsbedingt kann der Zweiblatt-Rotor des Bell 206 (sowie anderer Typen wie der bereits erwähnten Robinson R22, R44, R66 aber auch Bell 204/205/212, Bell 505 oder Bell  AH-1 Cobra, etc ...) bei abrupter Betätigung des Steuerknüppels (zyklische Blattverstellung, im Fliegerenglisch auch Cyclic oder Stick genannt) in Kontakt mit dem Rotormast kommen und diesen beschädigen oder vollständig durchtrennen. Das nennt man Mast Bumping und es geschieht in Sekundenschnelle, wenn der Pilot das aufgetretene Mast Bumping nicht unmittelbar identifiziert und adäquate Gegenmaßnahmen einleitet. Eine andere Auswirkung von Mast Bumping ist, dass der Hauptrotor in die Kabine eindringt oder den Heckausleger abtrennt. Besonders gefährlich sind sogenannte "Low G"-Situationen während des Fluges, also Flugzustände, in denen - vereinfacht ausgedrückt - "Schwerelosigkeit" herrscht, sprich die Insassen von ihren Sitzen "abheben" - man kennt dieses Gefühl bei Turbulenzen oder den umgangssprachlich "Luftlöcher" genannten Situationen beim Fliegen.

In der Ausbildung werden angehende Piloten von Hubschraubern mit Zweiblatt-Rotorsystemen auf das konstruktionsbedingte Problem eines möglichen Mast Bumping hingewiesen.

Piloten von Hubschraubern mit Zweiblatt-Rotorsystemen, bei denen konstruktionsbedingt eine Anfälligkeit für Mast Bumping besteht, werden deshalb schon in der Ausbildung darauf trainiert, solche "Low G"-Flugzustände zu vermeiden. Auch in den Handbüchern finden sich entsprechende Hinweise. Trotzdem lassen sich solche Situationen nicht immer vermeiden, manchmal entstehen sie durch plötzlich auftretende Turbulenzen oder böige Winde, manchmal durch abrupte (Ausweich-)Manöver (zB um einen Vogelschlag zu vermeiden) oder Fehlreaktionen von Piloten.

Cyclic Stick (Steuerknüppel) eines Bell 206. Zum Steuern darf der Stick nur gefühlvoll im Zentimeterbereich geführt werden. Abrupte und größere Ausschläge könnten unter Umständen zum gefürchteten Mast Bumping führen.

Ob im Fall des Absturzes des  Bell 206L-4 LongRanger IV N216MH tatsächlich Mast Bumping die Ursache war, werden die Ermittler recht rasch klären können. Denn Mast Bumping hinterlässt charakteristische Spuren am Wrack. Wesentlich schwieriger dürfte es allerdings sein, festzustellen, ob das Mast Bumping (falls es aufgetreten sein sollte) durch zu starke beziehungsweise fehlerhafte Steuerimpulse des Piloten oder durch plötzlich aufgetretene Turbulenzen und/oder Windböen verursacht wurde.

Am Ende könnte es aber auch eine ganz andere Erklärung geben, man kann nur die Ermittlungen abwarten. Mast Bumping bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls eines von mehreren möglichen plausiblen Szenarien.

Text & Fotos (sofern nicht anders angegeben): Patrick Huber

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.